TE Vfgh Beschluss 1998/9/29 G133/98

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Veröffentlicht am 29.09.1998
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Index

24 Strafrecht
24/02 Jugendgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
JGG ArtIX Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Übergangsbestimmung in der Jugendgerichtsbarkeit mangels Legitimation; anhängiges Gerichtsverfahren bereits abgeschlossen; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslos

Spruch

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Der Antrag auf Aufhebung des ArtIX Abs1 JGG wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit Schriftsatz vom 5.8.1998 begehrt der nicht anwaltlich vertretene Einschreiter die Aufhebung des ArtIX Abs1 JGG, BGBl. Nr. 599/1988. Unter einem begehrt er die Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang für diese Rechtssache.

Begründend wird vorgebracht, daß der Einschreiter mit am 6.4.1984 rechtskräftig gewordenem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 2.2.1984 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren verurteilt worden sei. Er sei am 6.7.1964 geboren worden. Zu den Tatzeitpunkten im Jänner und Februar 1983 habe er demnach bereits das 18., nicht jedoch bereits das 19. Lebensjahr vollendet gehabt. Da nach der Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Verurteilung als jugendlich nur Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gegolten haben, sei er ohne Bedachtnahme auf die Bestimmungen des damals geltenden Jugendgerichtsgesetzes verurteilt worden. Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe habe sich die Rechtslage durch die Erlassung des Jugendgerichtsgesetzes 1988 - JGG dahin geändert, daß seither als Jugendlicher gelte, wer das 14., aber noch nicht das 19. Lebensjahr vollendet habe. Hätte diese Rechtslage bereits im Zeitpunkt seiner Verurteilung gegolten, wäre auf Grund der Vorschrift des §5 Z2 lita JGG nur die Verhängung einer Höchststrafe von 15 Jahren zulässig gewesen.

Die nunmehr geltende Rechtslage wie insbesondere ArtIX Abs1 JGG nehme nicht auf die Möglichkeit bedacht, daß es während der Verbüßung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe zur Erlassung günstigerer gesetzlicher Bestimmungen kommen könne. Da die genannte Regelung kein formelles Verfahren zur Durchsetzung der während der Verbüßung der Strafe entstandenen günstigeren Rechtslage vorsehe, greife sie unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers ein, ohne daß es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedürfe.

1.2. Der mit "Übergangs- und Schlußbestimmungen" überschriebene Abs1 des ArtIX Jugendgerichtsgesetz 1988 - JGG, BGBl. Nr. 599/1988, lautet wie folgt:

"(1) Der dritte und vierte Abschnitt dieses Bundesgesetzes, die durch den ArtII geänderten Bestimmungen des Strafgesetzbuches und die durch ArtV Z1 bis 4 geänderten Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes sind in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil oder Erkenntnis in erster Instanz gefällt worden ist. Nach Aufhebung eines Urteils oder Erkenntnisses infolge Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung oder Wiederaufnahme des Strafverfahrens ist jedoch im Sinne der §§1, 61 StGB vorzugehen."

Diese Vorschrift trat am 1. Jänner 1989 in Kraft (ArtVIII Abs1 leg.cit.).

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11684/1988, 13871/1994).

2.2. Zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit des ArtIX Abs1 JGG steht dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung. Ein solcher Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn im Fall des Betroffenen bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren läuft, das Gelegenheit zu einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet (vgl. zB VfSlg. 12810/1991 und 13344/1993). Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig war, in welchem der Antragsteller über die Möglichkeit verfügte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. wiederum VfSlg. 12810/1991 und 13344/1993). Ein Individualantrag wäre in einem solchen Fall nur bei Vorliegen - hier gar nicht behaupteter - besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (VfSlg. 8312/1978, 11823/1988).

Wie sich aus dem von der Lebensgefährtin des Antragstellers im Verfahren zu G103/96 vorgelegten Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10. Jänner 1996, Z6 Vr 75/83-39/83, ergibt, wurde ein - vom Gericht offensichtlich als Wiederaufnahmsbegehren beurteilter und zudem auch auf §410 StPO gestützter - Antrag des Verurteilten (§353 Z2 StPO) auf Herabsetzung der verhängten 20-jährigen Haftstrafe auf 15 Jahre gemäß ArtIX Abs1 JGG abgewiesen. Gegen diesen Beschluß stand dem Antragsteller - wie das angerufene Gericht der Beschlußbegründung beifügte - das Rechtsmittel der Beschwerde zu (§357 StPO). Der Verurteilte hatte also - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in dem ihm gegenüber ergangenen Beschluß VfSlg. 14170/1996 aussprach - die Möglichkeit, im Verfahren vor der zweiten Instanz seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des ArtIX Abs1 JGG vorzutragen und die Stellung eines amtswegigen Aufhebungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen.

Damit erweist sich der Individualantrag als unzulässig.

3. Da somit die vom Einschreiter beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, mußte sein unter einem mit dem Individualantrag gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG).

Aus den oa. Gründen (Punkt 2.2.) wird zugleich der Individualantrag wegen fehlender Legitimation zurückgewiesen.

3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG bzw. §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahrenshilfe, Strafprozeßrecht, Jugendgerichtsbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G133.1998

Dokumentnummer

JFT_10019071_98G00133_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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