Gemäß § 81 Abs.1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört"; er ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden. Nach § 85 SPG liegt jedoch eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Der § 85 SPG schränkt somit die Reichweite der Tatbestände der §§ 81 bis 84 SPG - in Abkehrung von der früheren Gesetzeslage (vgl. etwa VfSlg. 3597/1959) - ein. Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; die Tatbestandsumschreibungen der §§ 81ff SPG sind also um das Tatbestandsmerkmal: "soweit die Tat nicht gerichtlich strafbar ist" erweitert zu lesen.
So ist etwa nunmehr ein Täter - im Gegensatz zur Rechtslage vor dem SPG - der an einem öffentlichen Ort einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt hat, nicht mehr vom Gericht (Körperverletzung; §§ 83ff StGB) und zugleich auch von einer Verwaltungsbehörde (Ordnungsstörung; § 81 SPG) zu bestrafen.
Dabei ist gleichgültig, ob der Täter von einem Gericht etwa auch tatsächlich bestraft wird (vgl. VwSlg. 2079A/1951 und 3640A/1955). Ausschlaggebend ist allein, ob eine Handlung (Unterlassung) den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt. Auch wenn die gerichtliche Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte entfällt, liegt gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor.
Ein Vorgehen der Anklagebehörde nach § 42 StGB läßt jedenfalls den so beurteilen Tatbestand als einen in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden beurteilen.
Die Verwaltungsbehörden haben die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs.2 und 3 VStG zu beachten.
Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet, und ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.
Eine diesbezügliche Prüfung hat hier die Behörde offenbar überhaupt nicht vorgenommen. Die Erstbehörde hätte ihre Zuständigkeit (genauer: das Vorliegen eines Verwaltungsstraftatbestandes iSd Subsidiaritätsvorschrift) verneinen müssen, zumal es jüngst gerade im Lichte des Gradinger-Urteiles naheliegt, "eine (die) Tat" iSd Subsidiaritätsvorschrift mit "dem (die Tat bildenden) Verhalten" (EGMR 23.10.1995, 33/1994/480/562) gleichzusetzen.
Die Behörde war bislang schon an ein "verurteilendes Erkenntnis des Strafgerichtes, nicht aber durch dessen Einstellungsbeschluß gebunden" (VwSlg. 2079A/1951); im Fall der Einstellung - das gleiche muß auch für den Freispruch gelten - hat die Verwaltungsstrafbehörde die Frage, ob die von ihr dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat einen gerichtlich zu ahndenden Tatbestand bildet, selbst zu beurteilen. Dies muß nunmehr im Lichte der Judikatur des EGMR - zur Vermeidung einer doppelten Ahndung (ne bis in idem) jedenfalls eng ausgelegt werden.
Diese Tat war hier im äußeren Tatbild (Körperverletzung) zweifelsfrei als in die Zuständigkeit des Gerichtes fallend zu erachten. Dies gelangte hier insbesondere darin zum Ausdruck, daß die Anklagebehörde unter Anwendung des § 42 StGB vorgegangen ist, was besagt, daß vom Vorliegen einer an sich strafbaren Handlung ausgegangen wurde.
Die Behörde hat sich Kenntnis von der gerichtlichen Entscheidung amtswegig zu verschaffen; eine Mitteilungspflicht der Gerichte ist nicht vorgesehen.