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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §184 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der T GmbH in W, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien I, Zelinkagasse 2/9, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat XI, vom 13. Juni 1997, Zl. GA 6-96/5065/09, betreffend Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer für die Jahre 1992 und 1993, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 15.000 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Beschwerdefall ist die im Schätzungsweg nach § 184 BAO erfolgte Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1992 und 1993 strittig. Anlässlich einer abgabenbehördlichen Prüfung stellte die Prüferin im Rechnungswesen der beschwerdeführenden GmbH, die ein China-Restaurant betreibt, Buchführungsmängel fest. So seien laut Tz 17 des Prüfungsberichtes vom 29. September 1995 die Inventuren nur wertmäßig, jedoch nicht mengenmäßig erfasst, der Eigenverbrauch nicht aufgezeichnet und Registrierkassenstreifen nicht aufbewahrt worden. Vorgehaltene Rohaufschlags- und Kalkulationsdifferenzen hätten nicht aufgeklärt werden können. Einkauf von Pflaumenwein sei, obwohl dieses Produkt branchenüblich sei, nicht bzw. nur einmal (1993) verbucht worden. Insgesamt nahm die Prüferin aus dem Titel des § 184 BAO Umsatzerhöhungen von 1992 207.000 S und 1993 314.000 S vor. Unter Berücksichtigung eines zusätzlich angesetzten Wareneinsatzes führte diese Zuschätzung zu entsprechenden Gewinnerhöhungen in diesen Jahren (die auch als verdeckte Ausschüttungen gewertet wurden).
Gegen die auf der Grundlage des Betriebsprüfungsberichtes ergangenen Bescheide brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein. In der Berufungsschrift vom 7. Dezember 1995 wurde vorgebracht, die Buchführungsmängel seien auf mangelnde Gesetzeskenntnisse der ausländischen Gesellschafter der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Betreffend Kaffee- und Teebestände sowie Pflaumenwein sei zu bemerken, dass diesen auch chinesische Bekannte oder Verwandte aus China mitbrächten und dem Betrieb gratis zur Verfügung stellten. Eine Schätzung dürfe keine "Strafsteuer" sein, sondern müsse den tatsächlichen Verhältnissen möglichst nahe kommen. Eine der Berufung angeschlossene, auf Grund der im Betrieb üblichen Rohaufschläge durchgeführte Kalkulation ergebe für die Jahre 1992 und 1993 nur geringfügige Differenzen zu den erklärten Umsätzen. Die erklärten Bilanzgewinne von (1992) 268.551 S und (1993) 392.674 S lägen im Branchenvergleich sehr günstig. Die nach Umsatzhinzuschätzung ermittelten Gewinne von
472. 231 S bzw. 571.704 S seien hingegen wirtschaftlich nicht vertretbar und für die Beschwerdeführerin "ruinös". Da wegen der Buchführungsmängel allerdings ein "Beweisnotstand" bestehe, werde vorgeschlagen, im Kompromissweg anstatt der 10 %igen Hinzuschätzung nur eine 5 %ige Hinzuschätzung vorzunehmen. In einem ergänzenden Berufungsschriftsatz vom 11. Dezember 1995 beantragte die Beschwerdeführerin auch die Anerkennung der Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit dem zugeschätzten Umsatz.
Nachdem seitens der Betriebsprüfung zur Berufung eine Stellungnahme abgegeben worden war und die Beschwerdeführerin dazu repliziert hatte, hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin in einem Schriftsatz vom 4. April 1997 u. a. vor, das gegenständliche Cafe-Restaurant habe eine Kapazität von ca. 50 Sitzplätzen und sei täglich mittags und abends geöffnet. Eine Berechnung unter Ansatz eines Preises für das Mittagessen von 80 S und für das Abendessen von 160 S ergebe bei 50 Sitzplätzen und 360 Tagen einen Umsatz von 4,320.000 S. Da aber nur Erlöse in Höhe von 2,073.161 S (1992) und 3,139.574 S (1993) erklärt worden seien, sei der von der Betriebsprüfung angesetzte Sicherheitszuschlag von ca. 10 % als äußerst niedrig zu bezeichnen. Die Differenz möge von der Beschwerdeführerin ausführlich erläutert werden. Sollten keine weiteren Nachweise erbracht werden können, werde um Zurücknahme der Berufung gebeten.
In der Vorhaltsbeantwortung vom 29. April 1997 betonte die Beschwerdeführerin, dass das von der belangten Behörde aufgestellte Kalkulationsschema "jeden wirtschaftlichen vernünftigen Überlegungen" widerspreche. Es widerspreche jeder Realität, dass ein Restaurant täglich voll besetzt sei. Allenfalls wäre eine 50 %ige Auslastung wirtschaftlich vertretbar. Es werde nochmals auf die im Zug der Berufung vorgelegten Tabellen verwiesen, die zwischen Soll- und Istumsätzen nur geringfügige Differenzen auswiesen, die zu tolerieren seien.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie änderte die erstinstanzlichen Bescheide zum Nachteil der Beschwerdeführerin ab. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, bei den festgestellten Buchführungsmängeln handle es sich nicht um bloß geringfügige formelle Mängel, sodass der von der Betriebsprüfung vorgeschriebene Sicherheitszuschlag dem Umstand Rechnung trage, dass die Beschwerdeführerin nicht sämtliche Einnahmen erklärt habe. Auf Grund fehlender mengenmäßiger Angaben in den Inventuren habe der tatsächliche Wareneinsatz durch die Betriebsprüfung nicht ermittelt werden können (auch den vorgelegten Berechnungen des Wareneinsatzes durch den steuerlichen Vertreter hafte demnach dieser Mangel an). Der Beschwerdeführerin sei von der belangten Behörde eine Auslastungsberechnung vorgehalten worden, die der steuerliche Vertreter als unrealistisch zurückgewiesen habe. In der mündlichen Verhandlung sei der steuerliche Vertreter darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei der Berechnung "nur von einer einmaligen Umsetzung der Tische ausgegangen war, somit eine, grundsätzlich nicht denkunmögliche, mehrmalige Tischumsetzung außer Ansatz blieb". Da die Beschwerdeführerin stets behauptet habe, ganzjährig mittags und abends geöffnet zu haben und Betriebsunterbrechungen nicht glaubhaft gemacht worden seien, sei bei der Umsatzhinzuschätzung von der angeführten "niederen Auslastungsberechnung (Tisch wird mittags bzw. abends nur einmal umgesetzt) i.H.v. 4,320.000 S (inkl. USt) auszugehen". Eine höhere Vorsteuer habe nicht anerkannt werden können, weil "lt. niederschriftlicher Aussage der Betriebsprüfung" die Lieferantenkonten mit den Einkaufskonten übereinstimmten und demnach als erwiesen angenommen werden könne, dass keine sonstigen Rechnungen iS des § 11 UStG ausgestellt worden seien, "insbesondere deshalb, weil der steuerliche Vertreter der Bw. dem Berufungssenat glaubhaft machte, dass mangels zusätzlicher Einkäufe folgerichtig auch keine Rechnungen ausgestellt werden konnten". Auch die von chinesischen Bekannten oder Verwandten zur Verfügung gestellten Waren hätten ohne Rechnung bezogen worden sein müssen. Eine Vorsteuerzuschätzung sei daher nicht vorzunehmen gewesen. Insgesamt ergab die im angefochtenen Bescheid angestellte Hinzuschätzungsberechnung bei den Restaurantumsätzen Beträge von rd. 1,8 Mio S (1992) und rd. 750.000 S (1993). Die als verdeckte Ausschüttung angesetzten Beträge erhöhten sich (unter Berücksichtigung eines entsprechenden Wareneinsatzes) im Jahr 1992 gegenüber der Betriebsprüfung von 227.867 S auf 1,995.956 S und im Jahr 1993 von 355.867 S auf 841.483 S.
Die Behandlung der gegen den angefochtenen Bescheid vor dem Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom 24. Februar 1998, B 2688/97, abgelehnt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 184 Abs. 3 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.
Ist eine Schätzung zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei abgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein, und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Hiebei muss die Behörde im Rahmen des Schätzungsverfahrens auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1998, 96/15/0005).
Im Beschwerdefall war wegen der im Rahmen des Betriebsprüfungsverfahrens unstrittig festgestellten formellen Buchführungsmängel eine Schätzungsberechtigung nach § 184 BAO an sich gegeben. Zur Ermittlung der wahrscheinlich zutreffenden Besteuerungsgrundlagen sah die Prüferin den Ansatz eines Sicherheitszuschlages von 10 % der erklärten Restaurantumsätze als ausreichend an. Die belangte Behörde kam auf Grund einer "Auslastungsberechnung" zu Zuschätzungsbeträgen, die ein Vielfaches der von der Prüferin angesetzten Beträge erreichten. Der Restaurantumsatz 1992 wurde beispielsweise um rd. 1,8 Mio S gegenüber bisher (lt. Betriebsprüfung) um rd. 200.000 S erhöht. Schon diese Relationen hätten einer eingehenden Begründung bedurft, warum derartige Betriebsergebnisse die größte Wahrscheinlichkeit für sich hätten. Die dazu allein aufgestellte Berechnung an Hand einer durchschnittlichen Auslastung aller Sitzplätze im Restaurant an allen Tagen des Jahres sowohl für den Mittags- als auch für den Abendtisch bei angenommenen Konsumationen von 80 S mittags und 160 S abends pro Platz ist, ohne weitere Feststellungen über eine besondere Kundenakzeptanz des gegenständlichen Restaurantbetriebes, mit der Lebenserfahrung nicht in Einklang zu bringen. Auch ist der im Schätzungsweg etwa für das Jahr 1992 zusätzlich in Anschlag gebrachte Wareneinsatz von rd. 500.000 S nicht ohne weiteres mit Aussagen im angefochtenen Bescheid vereinbar, wonach der steuerliche Vertreter der belangten Behörde einen mangelnden zusätzlichen Einkauf habe glaubhaft machen können. Mag auch wegen einer nur wertmäßig erfassten Inventur den von der Beschwerdeführerin zusammen mit der Berufung vorgelegten Kalkulationsrechnungen ein Mangel anhaften, hätte die belangte Behörde doch näher darstellen müssen, warum die vorgelegten, auch detaillierten Berechnungen (Nachkalkulationen) nicht einmal in der Lage gewesen wären, das von der belangten Behörde wesentlich erhöhte Schätzungsergebnis in Zweifel zu ziehen.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben (zur Frage des Vorsteuerabzuges bei einer Schätzung vgl. im Übrigen aus letzter Zeit etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 2001, 98/13/0033, 0034).
Die Entscheidung über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Juli 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998130061.X00Im RIS seit
19.12.2001Zuletzt aktualisiert am
22.11.2017