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22/02 Zivilprozessordnung;Norm
AVG §47;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des Dr. W in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 7. Juni 1995, Zl. 515.094/2-7/93, betreffend Bemessung einer Verwendungszulage gemäß § 30a Abs. 1 Z. 3 Gehaltsgesetz 1956, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stand im beschwerdegegenständlichen Zeitraum in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist rechtskundig im Sinn des § 24 Abs. 1 VwGG. Seine Dienststelle war das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Mit Wirksamkeit vom 17. Oktober 1988 wurde er mit der Leitung der Präsidialabteilung B (Innenrevision: Organisation-Recht) betraut.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1991 stellte die Leiterin des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und das Burgenland fest, dass dem Beschwerdeführer für die Zeit ab 1. November 1988 gemäß § 30a Abs. 1 Z. 3 Gehaltsgesetz 1956 eine Verwendungszulage im Ausmaß von 13,5 v.H. des Gehaltes der Gehaltsstufe 2 der Dienstklasse V gebühre. Von dieser Verwendungszulage gälten 4,5 v.H. des genannten Gehaltes als Überstundenvergütung. Diese Verwendungszulage gebühre bis zu einer allfälligen Beförderung, Überstellung oder Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz (§ 30a Abs. 4 leg. cit.).
In seiner dagegen erhobenen Berufung begehrte der Beschwerdeführer die Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides und eine höhere Bemessung der Zulage.
Nachdem der Beschwerdeführer mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1993 zum Beamten der Dienstklasse V ernannt worden war, sprach die Leiterin des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 7. Jänner 1993 die Feststellung aus, dass die dem Beschwerdeführer gemäß § 30a Abs. 1 Z. 3 Gehaltsgesetz 1956 gebührende Verwendungszulage mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1993 gemäß § 30a Abs. 4 leg. cit. mit 13,5 v.H. des Gehaltes der Gehaltsstufe 2, Dienstklasse V, neu bemessen werde. Davon gälten 4,5 v.H. des Gehaltes der Gehaltsstufe 2, Dienstklasse V, als Überstundenvergütung. Diese Verwendungszulage gebühre bis zu einer allfälligen Beförderung, Überstellung oder Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer ebenfalls Berufung, in der er auf die seinerzeitige Berufung gegen den Bescheid vom 3. Dezember 1991 verwies; im Sachverhalt sei keine Änderung eingetreten.
Wegen Nichterledigung seiner Berufungen erhob der Beschwerdeführer in der Folge die zu den hg. Zlen. 94/12/0277 sowie 94/12/0278 protokollierten Säumnisbeschwerden gegen den Bundesminister für Arbeit und Soziales als belangte Behörde; in beiden Verfahren trug der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde die Erlassung des versäumten Bescheides in der - über Antrag der belangten Behörde verlängerten - Frist bis 9. Juni 1995 gemäß § 36 Abs. 2 erster Satz VwGG auf.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 7. Juni 1995 wies die belangte Behörde beide Berufungen gemäß § 1 Abs. 1 DVG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde als verspätet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
I. Zur Wahrung der Beschwerdefrist:
Die belangte Behörde erachtet die Beschwerdefrist deshalb als versäumt, weil sie ihren Bescheid vom 7. Juni 1995 mit der Anordnung der Zustellung zu eigenen Handen zur Post gegeben habe und dem Zustellnachweis zu entnehmen sei, dass der erste Zustellversuch am Freitag, den 9. Juni 1995, erfolgt sei. Da der Beschwerdeführer offenbar an der Abgabestelle nicht angetroffen worden sei, sei die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches am Montag, den 12. Juni 1995, erfolgt. Da der Beschwerdeführer auch an diesem Tag trotz vorheriger Ankündigung nicht angetroffen worden sei, habe das Zustellorgan eine schriftliche Verständigung über die erfolgte Hinterlegung des Schriftstückes sowie über den Beginn der Abholfrist am 13. Juni 1995 hinterlassen. Der angefochtene Bescheid gelte daher als am 13. Juni 1995 zugestellt. Der Urlaubsantritt des Beschwerdeführers am Abend des 12. Juni 1995 ändere daran nichts. Die vorliegende Beschwerde sei erst am 31. Juli 1995, nach Ablauf der Frist, zur Post gegeben worden.
Der Beschwerdeführer bringt in seinem Schriftsatz vom 23. Oktober 1995 hiezu vor, dass nur ein einziger Zustellversuch am 12. Juni 1995 stattgefunden habe. Er könne mit Sicherheit ausschließen, dass am 9. Juni 1995 die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches in sein Hausbrieffach - der Beschwerdeführer habe weder einen Briefkasten noch einen Briefeinwurf - eingelegt worden sei. Beim Zustellversuch am 12. Juni 1995 sei nur die Verständigung über die Hinterlegung eines "RSb-Briefes" in das Hausbrieffach eingelegt worden. Nach Rückkehr von seinem Urlaub habe er am 19. Juni 1995 den angefochtenen Bescheid, eine zu eigenen Handen zuzustellende Sendung, beim Postamt behoben. Hiebei habe der Postbeamte die Eintragung auf der Verständigung über die Hinterlegung korrigiert, indem er die Rubrik "RSa-Brief" angekreuzt und die Rubrik "RSb-Brief" durchgestrichen habe.
Mit diesem Schriftsatz legte der Beschwerdeführer eine Kopie der Verständigung über die Hinterlegung eines Schriftstückes vom 12. Juni 1995 vor.
Bei einem Postrückschein im Sinn des § 22 Abs. 1 Zustellgesetz handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG in Verbindung mit § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat, gegen die aber eine gegenteilige Beweisführung zulässig ist. Behauptet jemand, es würden Zustellmängel vorliegen, so hat er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, die die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I, 2. Auflage, unter E. 2 f zu § 22 Zustellgesetz zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes).
Durch die dem vorgelegten Verwaltungsakt angeschlossene öffentliche Urkunde des Rückscheins ist vorerst der Beweis erbracht, dass das Zustellorgan die für eine Zustellung zu eigenen Handen erforderlichen Formerfordernisse erfüllte. Durch die vom Beschwerdeführer vorgelegte Kopie der - angesichts der Streichungen bedenklichen - öffentlichen Urkunde der Verständigung gemäß § 17 Abs. 2 Zustellgesetz ist jedoch der Gegenbeweis erbracht, dass die Formerfordernisse der Zustellung zu eigenen Handen nicht (vollständig) erfüllt wurden. Die aus der Kopie ersichtlichen Korrekturen legen den Schluss nahe, dass - der Darstellung des Beschwerdeführers folgend - im Rahmen eines Zustellversuches am 12. Juni 1995 lediglich die Verständigung über die Hinterlegung einer "RSb-Sendung" im Hausbrieffach des Beschwerdeführers hinterlassen wurde; dies steht jedoch im Widerspruch zu der im Rückschein erfolgten Beurkundung einer Verständigung über die Hinterlegung einer zu eigenen Handen zuzustellenden Sendung und erschüttert damit die Beweiskraft dieser öffentlichen Urkunde.
Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass durch die Empfangsbestätigung vom 19. Juni 1995 und mangels anderweitiger unbedenklicher, nicht im Widerspruch zu anderen öffentlichen Urkunden stehender Beweisergebnisse letztlich unter Beweis gestellt ist, dass nur am 12. Juni 1995 ein Zustellversuch -
unter Verständigung von der Hinterlegung eines "RSb-Briefes" - erfolgte und daher erst am 19. Juni 1995 die für den Beschwerdeführer bestimmte Ausfertigung des angefochtenen Bescheides rechtswirksam zugestellt wurde, indem sie ihm tatsächlich zukam.
Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer am 19. Juni 1995 im Zeitpunkt der Aushändigung der Bescheidausfertigung erkennen konnte, dass es sich tatsächlich um eine zu eigenen Handen zuzustellende Sendung handelte und daher vor dem 12. Juni 1995 ein weiterer Zustellversuch stattgefunden haben könnte, vermag die fehlerhafte Zustellung nicht rückwirkend zu heilen. Der Zweck des im ersten Satz des § 21 Abs. 2 Zustellgesetz genannten schriftlichen Ersuchens an den Empfänger, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme der Sendung anwesend zu sein, ist erkennbar der, dem Empfänger tatsächlich die Möglichkeit der persönlichen Empfangnahme des für ihn bestimmten Schriftstückes zu bieten. Mit den gesetzlich vorgesehenen zweimaligen Zustellversuchen soll in erhöhtem Maß gewährleistet werden, dass der Empfänger der Sendung von der beabsichtigten Zustellung Kenntnis erhält (vgl. den hg. Beschluss vom 19 September 1995, Zl. 95/14/0067). Dadurch, dass nur ein einziger Zustellversuch erfolgte, wurde - der Intention des § 21 Abs. 2 Zustellgesetz zuwider - der Beschwerdeführer in der Möglichkeit der persönlichen Empfangnahme der Sendung beschnitten; gemäß § 7 Zustellgesetz ist die Heilung der Zustellmängel erst mit 19. Juni 1995 anzunehmen.
Der Beschwerdeführer erhob die Beschwerde daher innerhalb der Frist des § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG.
II. Zum Inhalt der Bescheidbeschwerde:
Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Entscheidung über seine Berufungen durch die zuständige Behörde verletzt. Er bringt hiezu vor, dass die der belangten Behörde vom Verwaltungsgerichtshof gesetzte Frist bis einschließlich Freitag, den 9. Juni 1995, verlängert worden sei. Am Montag, den 12. Juni 1995, sei an seiner Abgabestelle ein Zustellversuch hinsichtlich des angefochtenen Bescheides durchgeführt worden. In seinem Hausbrieffach habe sich nämlich eine Verständigung darüber befunden, dass ihm an diesem Tag ein "RSb-Brief" nicht habe zugestellt werden können, der daher hinterlegt und ab 13. Juni 1995 beim zuständigen Postamt abzuholen sei. Nach seiner Ortsabwesenheit wegen eines Urlaubes vom Abend des 12. Juni 1995 bis Samstag, den 17. Juni 1995, habe er das hinterlegte Schriftstück am Montag, den 19. Juni 1995, behoben. Der angefochtene Bescheid sei ihm erst durch das tatsächliche Zukommen am 19. Juni 1995, sohin zehn Tage nach Ablauf der Entscheidungsfrist, erlassen worden.
Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift - ausgehend von einem ersten Zustellversuch am 9. Juni 1995 sowie einem zweiten Zustellversuch am 12. Juni 1995 - ein, dass der angefochtene Bescheiderst nach dem 9. Juni 1995 als zugestellt galt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geht mit dem ergebnislosen Verstreichen der der säumigen Verwaltungsbehörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist die Zuständigkeit zur Entscheidung von ihr auf den Verwaltungsgerichtshof über (vgl. hg. Erkenntnis vom 27. September 1990, Zl. 90/12/0172).
Ein Bescheid ist - insbesondere auch im Sinn des § 36 Abs. 2 VwGG - erst mit der Zustellung an die Partei erlassen (hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1978, Zl. 495/78, SlgNF 9558/A).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer ausdrücklich die Unzuständigkeit, der belangten Behörde als Beschwerdepunkt geltend gemacht. Selbst wenn man im Sinne der belangten Behörde davon ausginge, dass die von ihr verfügte Zustellung zu eigenen Handen in der Form erfolgte, wie sie auf dem vorgelegten Rückschein beurkundet wurde, galt der Bescheid erst nach Ablauf der bis 9. Juni 1995 gesetzten Frist als zugestellt und damit als erlassen. Da dieser Zeitpunkt nach Ablauf der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist lag, bestand in diesem Zeitpunkt die Zuständigkeit der belangten Behörde für die Bescheiderlassung nicht mehr.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1, § 49 Abs. 1 VwGG idF BGBl. I Nr. 88/1997.
Wien, am 19. Juli 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1995120206.X00Im RIS seit
10.09.2001