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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Höß und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des Dr. J in W, gegen den Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 25. April 1995, Zl. Pr.Z. 1323/95, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme von Verfahren, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Der Beschwerdeführer steht als Magistratsrat in Ruhe in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zu Stadt Wien und ist rechtskundig im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGG.
Mit Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 11. Juli 1989, Zl. Pr.Z. 2013/89, wurde der 1941 geborene Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 lit. a der Dienstordnung 1966 wegen Dienstunfähigkeit auf Grund psychischer bzw. habitueller Ursachen (insbesondere wegen mangelnder Einordnungs- und Einsichtsfähigkeit in rechtliche Zusammenhänge, die zu einer Störung des Dienstbetriebes führten) in den Ruhestand versetzt.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene und zur Zl. 89/12/0143 protokollierte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof am 17. Dezember 1990 als unbegründet abgewiesen.
Gegen die mit dem vorgenannten Bescheid vom 11. Juli 1989 erfolgte Ruhestandsversetzung des Beschwerdeführers richten sich - ebenso wie gegen die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - eine Vielzahl von Anträgen des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme der betreffenden Verfahren.
Mit Bescheid vom 10. November 1994, Zl. Pr.Z. 3744/94, wies der Wiener Stadtsenat den Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Dezember 1993 auf Feststellung, dass die Vorberatung des Antrages der Magistratsabteilung 2 vom 20. März 1989 (auf Ruhestandsversetzung des Beschwerdeführers) durch die gemeinderätliche Personalkommission nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt und ihm dadurch rechtswidrig und schuldhaft ein beruflicher Schaden zugefügt worden sei, als unzulässig zurück. Zur Begründung führte der Wiener Stadtsenat nach umfangreicher Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers aus, dass die bescheidmäßige Feststellung strittiger Rechte - auch im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses - ein rechtliches Interesse des Antragstellers, dass ein Rechtsverhältnis oder Recht durch den beantragten verwaltungsbehördlichen Bescheid festgestellt werde, erfordere. Ein solches rechtliches Interesse liege nur dann vor, wenn der Feststellungsantrag im konkreten Fall als geeignetes Mittel zur Beseitigung einer Rechtsgefährdung angesehen werden könne. Ein wirtschaftliches, politisches oder wissenschaftliches Interesse könne hingegen einen Feststellungsbescheid nicht rechtfertigen. Unter Anwendung dieser Grundsätze sei festzustellen, dass dem Beschwerdeführer zur Abwendung der Rechtsgefährdung ein geeignetes Mittel zur Verfügung gestanden habe, wenn er den behaupteten Verfahrensfehler im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner Bescheidbeschwerde vom 27. Juli 1989 (protokolliert zu hg. Zl. 89/12/0143) aufgezeigt hätte. Angesichts dieser Möglichkeit bestehe kein rechtliches Interesse, das ein Feststellungsverfahren rechtfertige. Weiters stehe kein Feststellungsanspruch zu, weil es sich bei der vorliegenden Rechts- bzw. Tatsachenfrage weder um die Klarstellung eines Rechtsverhältnisses handle, noch ein subjektiv-rechtlich begründetes Interesse des Beschwerdeführers gegeben sei. Bei der Frage, ob die Vorberatung des Antrages im Sinne des Gesetzes erfolgt sei, handle es sich vielmehr um die Frage der rechtlichen Beurteilung einer Tatsache, nicht jedoch um die Klärung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses. Bei der gegebenen Rechtslage habe der Antragsteller, auch wenn die von ihm beantragte Feststellung getroffen werden würde, keine rechtliche Möglichkeit, auf Grund dessen die Aufhebung des Bescheides des Stadtsenates vom 11. Juli 1989 zu erwirken, da auf die Erlassung eines entsprechenden Aufhebungsbescheides kein Rechtsanspruch bestehe. Schließlich enthielten weder die Dienstordnung 1966 noch das Wiener Personalvertretungsgesetz oder die Wiener Stadtverfassung eine Grundlage für die bescheidmäßige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene, zur Zl. 94/12/0340 protokollierte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. November 1995 als unbegründet abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 18. November 1994 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens "Bescheide des Wiener Stadtsenates als Folge des Bescheides Pr.Z. 2013/789 und letzterem selbst" und bringt hiezu vor:
"Mit Bescheid des Wr. Stadtsenates, Pr.Z.3744/94 vom 10. November 1994 wurde mein Antrag auf Feststellung vom 2.12.1993 betreffend eine Tätigkeit der gemeinderätlichen Personalkommission als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass ein rechtliches Feststellungsinteresse meinerseits darüber, ob die gemeinderätliche Personalkommission einen rechtsgültigen Beschluss betreffend die Vorberatung einer vom Magistratsdirektor Dr. B auftragsgemäß durch die MA 2 ins Auge gefassten Pensionierung gefasst habe oder nicht, nicht bestehe. Ich hätte diese Umstände daher schon in der Beschwerde gegen den Pensionierungsbescheid einwenden können. Auf Seite 7 des Bescheides kommt die nunmehr zur Feststellung angerufene Kollegialbehörde zur wörtlichen Feststellungsbegründung: 'Bei der gegebenen Rechtslage hätte der Antragsteller, auch wenn die von ihm beantragte Feststellung getroffen werden würde, keine rechtliche Möglichkeit, auf Grund dessen die Aufhebung des Bescheides des Stadtsenates vom 11. Juli 1989, Pr.Z.2013/89, zu erwirken, da auf die Erlassung eines entsprechenden Aufhebungsbescheides kein Rechtsanspruch besteht.' Ob ein Kollegialbeschluss durch die gemeinderätliche PK im Juni 1989 gefasst worden war oder nicht, so meint der Wr. Stadtsenat nun, sei eine bloße Tatsachenfrage, weshalb keine Ermittlungen durchgeführt würden, um dies zu prüfen.
Als bekannt darf somit vorausgesetzt werden, dass Voraussetzung einer Behandlung eines Pensionsantrages des Magistratsdirektors die rechtsgültige Vorberatung durch die gemeinderätliche PK ist. (Siehe DO 66!) Es handelt sich hier um eine materiellrechtliche Bestimmung. Der Stadtsenat hat daher vor Behandlung eines an ihn herangetragenen Pensionierungsfalls die Pflicht zur Prüfung dieser gesetzlichen Voraussetzung. Die Prüfung trifft daher zuerst den Berichter, der mit diesem Geschäftsfall betraut werden soll. Von dieser Prüfung kann er nicht befreit werden.
...
Kurz zusammengefasst: Es blieb unwidersprochen im bisherigen Feststellungsverfahren Pr.Z.3744/94, dass die gemeinderätliche PK keinen Beschluss über den letzten maßgeblichen Zustand meinerseits (Diensttätigkeit in der MA 70 als Berufungsreferent im Dezernat Dr. K ohne Anzweifelung meiner einwandfreien Diensttätigkeit) gefasst hatte, einen solchen Beschluss über einen Zeitraum von 8 bis 12 Monaten Diensttätigkeit meinerseits auch nicht fassen hätte können, wenn die Akten an sie nicht herangetragen wurden.
...
Ergebnis meiner Behauptungen im Feststellungsantrag vom 2.12.1993 und in den ergänzenden Darstellungen:
Meine durch die der Behörde bekannten Akten bewiesenen und beweisbaren Behauptungen wurden vom Herrn Bürgermeister nicht bestritten.
Daraus folgt jedoch, dass der Geschäftsfall Pr.Z.2013/89 weder nach der Dienstordnung (DO 66) noch nach der Geschäftsordnung des Wr. Stadtsenates korrekt behandelt wurde, denn kein Mitglied des Wr. Stadtsenates hatte am 11.7.1989 sich mit diesem Geschäftsfall vorher rechtzeitig vertraut machen können, um in eine Verhandlung und Erörterung als Voraussetzung einer gesetzmäßigen Erkenntnisleistung als Voraussetzung einer kollegialbehördlichen Beschlussfassung über einen bis dahin unbekannten über 100 Seiten umfassenden Begründungstext eines vorgelegten Bescheidentwurfs einzugehen.
Dies ist der durch den nunmehrigen Bürgermeister somit unbestritten gebliebene Sachverhalt, den er schon als Berichter vom 11.7.1989 gekannt hatte.
Rechtsfolge dieses unbestrittenen Sachverhaltes: Mangel in Ansehung eines mir am 13.7.1989 zugestellten Bescheidentwurfs der MA 2 vom März 1989 tragenden kollegialbehördlichen Beschlusses, nachdem schon die gemeinderätliche PK keinen rechtsgültigen Beschluss fassen hatte können, was damals vom Berichter ungeprüft blieb.
Mit einer solchen nunmehr amtlichen Feststellung auf Grund des gegenständlichen WA-Antrags ist uno actu auch die Entscheidung über alle in der Pensionierungssache erlassenen Bescheide gefällt.
Die Vorberatung der gemeinderätlichen PK ist eine zwingende Voraussetzung. Diese darf nicht bloß auf Grund eines vier Seiten umfassenden Antragstextes erfolgen derart, dass das Lesen von vier Seiten die Prüfung eines über Hundert Seiten umfassenden Bescheidentwurfs ersetzen sollte.
Genau diese kritische Feststellung trifft auch auf die Vorgangsweise in der Stadtsenatssitzung vom 11.7.1989 in Ansehung des gegenständlichen GF. Pr.Z.2013/89 zu.
Das zum Ausdruck kommende Gesamtverhalten im GF. Pr.Z.3744/94 auf Seiten der Behörde, die von mir hypothetisch eingeführten Tatsachen, die unbestritten gebliebenen zur Ermittlung aber nötigenden Umstände geben daher Anlass zur rechtzeitig zu erhebenden Wiederaufnahme. Denn ich gehe von der wohl nicht zu widerlegenden Ausgangslage (Rechtslage) aus, dass jeder Bürgermeister einen offenkundigen Fehler in einem Vorverfahren (Unterlassung der Prüfung von materiellen Voraussetzungen von der Schwere und Gewichtung einer rechtlichen Nichtigkeit eines behaupteten Kollegialbeschlusses), an welchem er als Berichter teilgenommen hatte, von Gesetzes wegen auf Grund seiner Amtspflicht zu beseitigen hat. Dazu bedarf es erst keiner besonderen Aufforderung in einem Feststellungsverfahren."
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 25. April 1995 wies die belangte Behörde diesen Antrag zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18. November 1994 die Wiederaufnahme des Verfahrens '"Bescheide des Wiener Stadtsenates als Folge des Bescheides Pr.Z. 2013/89" wegen Nichtbestandes eines rechtsgültigen Willensbeschlusses des Wiener Stadtsenates in Ansehung dieses Bescheides wegen Verletzung materiell-rechtlicher Vorschriften der Dienstordnung und zwingender Vorschriften der Geschäftsordnung des Wiener Stadtsenates begehrt habe. Mit Schreiben vom 19. April 1995 habe der Beschwerdeführer noch ergänzende Rechtsausführungen vorgebracht, die berücksichtigt worden seien. Der Beschwerdeführer bringe in seinem Antrag vor, dass sein Feststellungsbegehren vom 2. Dezember 1993 betreffend eine Tätigkeit der gemeinderätlichen Personalkommission mangels Feststellungsinteresse als unzulässig zurückgewiesen worden wäre. Der gegenständliche Wiederaufnahmeantrag werde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Beschwerdeführer am 13. Juli 1989 lediglich der Bescheidentwurf der Magistratsabteilung 2 vom März 1989 zugestellt worden sei, da es am kollegialbehördlichen Beschluss gemangelt hätte, nachdem schon die gemeinderätliche Personalkommission hinsichtlich der Vorberatung keinen rechtsgültigen Beschluss gefasst hätte.
Nach Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 69 AVG und 14 Abs. 4 DVG führte die belangte Behörde weiter aus, dass der vorliegende Wiederaufnahmeantrag unzulässig sei. Die Argumentation des Beschwerdeführers sei insofern widersprüchlich, als dieser vom Nichtvorliegen eines Bescheides ausgehe, ein Wiederaufnahmeverfahren jedoch voraussetze, dass ein Verfahren durch Bescheid abgeschlossen worden und gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zulässig sei. Weder habe der Beschwerdeführer die weiteren Erfordernisse für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 AVG behauptet noch gingen sie aus der Aktenlage hervor. Ferner weise der Beschwerdeführer zwar auf die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmebegehrens hin, er unterlasse es jedoch, dieses Vorbringen schlüssig und nachvollziehbar zu konkretisieren; hiebei handle es sich auch nicht um ein verbesserungsfähiges Formgebrechen im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG. Mangels eines schlüssigen Vorbringens über den Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Wiederaufnahmegrund müsse der Antrag zurückgewiesen werden. Letztlich ermangle es dem Antrag betreffend "Bescheide des Wiener Stadtsenates als Folge des Bescheides ..." an einer für die Behörde nachvollziehbaren genauen Bezeichnung, für welches Verfahren im Einzelnen eine Wiederaufnahme überhaupt angestrebt werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat unter Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer sieht sich nach seinem gesamten Vorbringen durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 11. Juli 1989, Zl. Pr.Z. 2013/89, abgeschlossenen Verfahrens sowie weiterer, seiner Ansicht nach für die belangte Behörde nachvollziehbar bezeichneter Verfahren verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt er vor, es liege schon die von der belangten Behörde unterstellte Widersprüchlichkeit seiner Argumentation über das Vorliegen von verfahrensbeendenden Bescheiden nicht vor. Die belangte Behörde habe seinen Wiederaufnahmeantrag vom 18. November 1994 auch zu Unrecht mit der Begründung als verspätet zurückgewiesen, dass die Rechtzeitigkeit des Antrages nicht konkretisiert worden sei. Er habe seinen Wiederaufnahmeantrag auf eine im Begründungsteil des Bescheides vom 10. November 1994, Zl. Pr.Z. 3744/94, enthaltene behördliche
Tatsachenbehauptung ("... wenn die von ihm beantragte Feststellung
getroffen werden würde ...") gestützt. Der vorliegende Wiederaufnahmeantrag sei mit 18. November 1994 datiert und am
21. dieses Monats bei der belangten Behörde eingebracht worden. Die Angaben über das Datum eines Schriftstückes, über die Hinausgabe eines Schriftstückes, in dem die den Wiederaufnahmegrund enthaltenen Tatsachenbehauptungen aufschienen, und über das Datum des Wiederaufnahmeantrages reichten für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit hin. Auch sei der belangten Behörde vollkommen klar gewesen, dass die Beseitigung aller Wiederaufnahmebescheide, die auf Grund seiner Anträge zeitlich dem Akt Zl. Pr.Z. 2013/89 nachgefolgt seien, angestrebt worden sei. Abgesehen von der rechtlichen Unhaltbarkeit der Aussage, er habe keinen Rechtsanspruch auf Feststellung der Gesetzmäßigkeit eines Beschlusses, antworte die belangte Behörde auf seinen Feststellungsantrag, dass er deshalb keinen dahingehenden Anspruch habe, weil es sich hiebei um die Frage der rechtlichen Beurteilung einer Tatsache handle, aber selbst dann, wenn diese Feststellung getätigt werde, der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf Erlassung eines Aufhebungsbescheides hätte. Im bezeichneten Bescheid sei nun behördlicherseits diese Tatsache zugestanden.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
§ 69 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AVG lautet (soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz):
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
...
2. Neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
...
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat."
Gemäß § 14 Abs. 4 DVG beträgt die im § 69 Abs. 2 AVG mit drei Jahren festgesetzte Frist zehn Jahre.
§ 69 AVG normiert formelle und materielle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines - durch Bescheid abgeschlossenen - Verfahrens. Die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme konnte sich nur auf den Mangel formeller Voraussetzungen stützen, ein Mangel an materiellen Voraussetzungen hätte dagegen die Abweisung des Antrages zu Folge haben müssen.
Soweit die belangte Behörde aus einer Widersprüchlichkeit der Argumentation des Beschwerdeführers in seiner Begründung, es liege kein rechtsgültiger Bescheid des Wiener Stadtsenates zu Pr.Z. 2013/89 vor, die Unzulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages ableitet, kann dieser Ansicht deshalb nicht gefolgt werden, weil der Antrag zwischen dem Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 11. Juli 1989 einerseits und der - nach Ansicht des Beschwerdeführers mangelhaften - Willensbildung im Wiener Stadtsenat andererseits unterscheidet und in dieser Unterscheidung durch den Beschwerdeführer keine Widersprüchlichkeit erkannt werden kann, die die Unzulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages nach sich zöge.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde war dem gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme die notwendige Behauptung der Rechtzeitigkeit schon deshalb zu entnehmen, weil sich der Antrag auf ein Begründungselement im Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 10. November 1994 stützte und - wie den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist - er am 21. November 1994 bei der belangten Behörde einlangte. Angesichts dessen bedurfte es keiner weiter gehenden Behauptungen des Beschwerdeführers, um die Wahrung der Frist des § 69 Abs. 2 AVG beurteilen zu können.
Selbst wenn man der Ansicht der belangten Behörde folgt, dass das Begehren auf Wiederaufnahme von Verfahren, die mit Bescheiden des Wiener Stadtsenates als Folge des Bescheides Pr.Z. 2013/89 abgeschlossen wurden, unbestimmt war, so umfasste der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme jedenfalls auch jenes Verfahren, das durch den Bescheid vom 11. Juli 1989, Pr.Z. 2013/98, abgeschlossen wurde. Hinsichtlich dieses Verfahrens konnte dem Antrag auf Wiederaufnahme die Bestimmtheit nicht abgesprochen werden. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Begehrens auf Wiederaufnahme von Verfahren, die mit Bescheiden der belangten Behörde "als Folge des Bescheides Pr.Z. 2013/789" abgeschlossen wurden, hätte dessen Unbestimmtheit zum Anlass für einen Auftrag zur Behebung dieses Formgebrechens gemäß § 13 Abs. 3 AVG genommen werden müssen.
Schließlich begründete die belangte Behörde die Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme auch damit, dass die weiteren Erfordernisse für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 AVG vom Wiederaufnahmewerber weder behauptet worden seien noch aus der Aktenlage hervorgingen.
Ein Begehren auf Wiederaufnahme des Verfahrens hat für seinen Erfolg insbesondere auch zur Voraussetzung, dass die Partei einen der in Betracht kommenden gesetzlichen Gründe geltend macht. Das Fehlen eines Hinweises auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die als Wiederaufnahmegründe in Betracht kämen, stellt eine Fehlerhaftigkeit in materieller Beziehung dar (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, unter E 61 und 62 zu § 69 AVG zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Eine Unschlüssigkeit der Behauptungen zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes zieht daher die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme nach sich.
Im vorliegenden Fall zog die belangte Behörde zur Begründung der Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme einen Mangel an formellen Voraussetzungen heran, der nach dem Vorgesagten dieses Ergebnis jedoch nicht trägt. Es mag zwar zutreffen, dass eine in einem anderen Verfahren - etwa in der Begründung eines Bescheides -
geäußerte Rechtsansicht keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen kann (vgl. die in Walter/Thienel, aaO, unter E 162 zu § 69 AVG zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Ein darauf gegründeter Wiederaufnahmeantrag wäre aber zurück- und nicht abzuweisen.
Durch einen auf Zurückweisung (statt richtig auf Abweisung) lautenden Bescheidspruch wird eine Partei in ihren Rechten nur dann nicht verletzt, wenn der Antrag der Sache nach - für sie erkennbar - abgewiesen wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2000, Zl. 99/02/0376 ua.).
Eine für den Beschwerdeführer erkennbare Abweisung seines Antrages ist vorliegend jedoch nicht gegeben, weil die belangte Behörde in ihrer Begründung von einer Unzulässigkeit des Antrages auf Wiederaufnahme ausging und auch ihre Ausführungen über die mangelnde Behauptung und das mangelnde Vorliegen von Wiederaufnahmegründen nur der Untermauerung dieser Ansicht dienten. Hat die belangte Behörde ein Begehren als unzulässig zurückgewiesen statt in der Sache zu entscheiden, so ist ihr Bescheid wegen Gesetzwidrigkeit des Inhaltes aufzuheben (hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1948, Zl. 158/48, SlgNF 526/A); ein allfälliger materieller Mangel des Antrages auf Wiederaufnahme vermag daran, dass der Antragsteller durch dessen Zurückweisung in seinen Rechten verletzt wurde, nichts zu ändern.
Aus den besagten Gründen ist daher der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 Abs. 1 und 2, § 48 Abs. 1 Z. 1 und § 49 Abs. 1 VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 88/1997.
Wien, am 19. Juli 2001
Schlagworte
Rechtsverletzung sonstige FälleMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONGrundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur RechtsverletzungsmöglichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1995120119.X00Im RIS seit
10.09.2001Zuletzt aktualisiert am
01.09.2011