TE Vwgh Erkenntnis 2001/7/24 97/21/0641

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Veröffentlicht am 24.07.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 22. Mai 1972 geborenen A in E, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Juli 1997, Zl. Fr 2820/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Juli 1997 gerichtet, mit welchem gemäß § 54 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 und 2 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Armenien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 4. August 1992 angegeben habe, dass er seit Ende August 1991 in Armenien Mitglied einer Organisation gewesen wäre, die sich HAB genannt hätte. Der Beschwerdeführer hätte (in dieser Organisation) die Grenzen gegen Angriffe der Aserbeidschaner geschützt. Seit Armenien eine eigene Armee hätte, wäre diese Organisation nicht mehr erlaubt. Der Beschwerdeführer selbst wäre nie an der Grenze eingesetzt gewesen, sondern im Innendienst und hätte die Personalien von neu angekommenen Freiwilligen aufgenommen. Im Dezember 1991 hätte er einen Anruf erhalten, bei dem man ihn gebeten hätte, der sechsten Abteilung (ehemaliger KGB) beizutreten. Er hätte dies jedoch nicht gewollt. Im Jänner 1992 wäre er von vier uniformierten Männern, die der sechsten Abteilung des ehemaligen KGB angehört hätten, von zu Hause abgeholt worden. Er wäre in das ehemalige KGB-Gebäude in Eriwan gebracht worden. Einer der Männer hätte ihm gesagt, dass er an der Grenze kämpfen sollte. Für den Fall seiner Verweigerung hätte man ihm angekündigt, ihn auf der Stelle zu töten. Der Mann hätte ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Nach etwa acht Stunden hätte ihm der Mann gesagt, dass er gehen könnte. Er hätte sich die Sache überlegen sollen, in zwei Tagen hätten diese Männer wieder bei ihm zu Hause vorbeikommen wollen. Nach diesem Vorfall hätte der Beschwerdeführer im Jänner 1992 nicht mehr zu Hause gewohnt. Sein letzter Aufenthaltsort vor seiner Ausreise sei Moskau gewesen. Er wäre am 16. und 17. Juli 1992 nach Erivan zurückgegangen, um Dollars zu besorgen und ein Flugticket zu organisieren. Damals hätte er aber nicht bei seinen Eltern gewohnt, sondern bei Verwandten außerhalb von Erivan.

Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres (nach der Aktenlage: vom 21. Februar 1995) abgewiesen worden.

Mit Schreiben vom 4. April 1996 habe der Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 FrG die Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Armenien beantragt, weitere neue Angaben in diesem Antrag jedoch nicht gemacht.

Dieser Antrag sei von der Bezirkshauptmannschaft Amstetten mit Bescheid vom 20. November 1996 abgewiesen worden. In der dagegen erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer u.a. vorgebracht, es wäre im Zuge einer neuerlichen Einvernahme seiner Person zu überprüfen, welche neuen Fakten hinzugetreten wären. Auch wäre eine Stellungnahme des UNHCR einzuholen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seiner Einvernahme durch die Angehörigen der sechsten Abteilung wieder freigelassen worden wäre, spräche deswegen nicht für die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens, weil es nach dem damaligen Machtsystem in Armenien den Machthabern durchaus möglich gewesen wäre, Leute in Einvernahmen einzuschüchtern und danach wieder freizulassen, weil sie gewusst hätten, dass sie jederzeit dieser Personen wieder habhaft werden könnten.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers weiter damit, dass die von ihm geschilderten Geschehnisse lediglich durch seine Behauptungen dokumentiert seien, Bescheinigungsmittel habe der Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Er sei der von ihm zu fordernden Objektivierungspflicht nicht nachgekommen und die Anwendung des § 37 FrG zu seinen Gunsten erscheine schon allein aus dieser Sicht nicht möglich.

Auch stelle die Aufforderung eines Staates, der Wehrpflicht nachzukommen, keine Verfolgung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG dar, wenn nicht besondere Umstände, wie ethnische Benachteiligungen, hinzuträten. Der belangten Behörde sei nicht bekannt, dass in Armenien hinsichtlich der Einziehung zum Wehrdienst ethnische Differenzierungen bestünden.

Auch sei auf die geänderte politische Situation zwischen Armenien und Aserbeidschan hinzuweisen. Nach dem Fischer Weltalmanach 1997 habe zwar die aserbeidschanische Regierung einen Friedensplan vom 17. Mai 1994 nicht unterzeichnet, jedoch werde ein Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbeidschan weitgehend eingehalten. Anfang Mai 1996 seien die letzten 108 Gefangenen freigelassen worden. Armenier kontrollierten derzeit immer noch einen Teil des aserbeidschanischen Territoriums außerhalb der Enklave. Es sei somit ersichtlich, dass es zwischen Armeniern und Aserbeidschanern, insbesondere um die Enklave Berg-Karabach, derzeit keine kriegerischen Auseinandersetzungen gebe und deshalb der damalige Fluchtgrund des Beschwerdeführers aus dem Jahr 1992, bezogen auf seine Einziehung zum Wehrdienst vom Dezember 1991, entfallen sei.

Die Verfolgungsgefahr müsse aktuell drohen. Unabhängig davon, dass die drohende Einziehung zum Wehrdienst keine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darstelle, sei der vom Beschwerdeführer angegebene Grund auch auf Grund der politischen Entwicklung zwischen Aserbeidschan und Armenien entfallen. Auf Grund der Wahlen in Armenien vom 5. Juli 1995 hätten die ehemaligen Kommunisten sechs Sitze von 190 im Parlament. Aus dieser Kräfteverteilung sei ersichtlich, dass die ehemaligen Kommunisten jegliche Machtposition in Armenien verloren hätten. Insofern könne auch von der sechsten Abteilung des ehemaligen KGB keinerlei staatliche Gefahr mehr ausgehen. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer nach seiner angeblichen Flucht wieder freiwillig nach Armenien zurückgekehrt, um sich dort Bargeldbeträge und ein Flugticket zu besorgen und habe des Weiteren ungehindert aus Eriwan ausfliegen können. Auch diese Umstände seien ein starkes Indiz dafür, dass er in Armenien nicht im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG maßgeblich verfolgt sei. Ein normal und rational denkender Mensch, dem eine Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG widerfahren sei oder widerfahren könnte, würde sich nicht mehr freiwillig in jenes Land begeben, wo ihm diese Gefahr drohe.

Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Stellung einer Anfrage beim UNHCR werde nicht nachgekommen, weil daraus nicht ersichtlich sei, warum die Behörde bei ihrer Beurteilung zu einer anderen Schlussfolgerung kommen solle. Die Entwicklungen um Berg-Karabach seien aus den vorliegenden Dokumentationsmaterialien und den Medien erschöpfend ersichtlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0905, m.w.N.).

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass auch von einer nicht mehr so bedeutsamen Organisation, wie der sechsten Abteilung des ehemaligen KGB, sehr wohl eine Gefahr ausgehen könne, eine so klare Zuordnung zu den ehemaligen Kommunisten könne keineswegs gemacht werden. Auch die Feststellung der belangten Behörde, es spreche gegen seine Glaubwürdigkeit, dass er nach seiner Flucht wieder freiwillig nach Armenien zurückgekehrt sei, um sich dort Bargeldbeträge und ein Flugticket zu besorgen, lasse sich nicht aufrecht erhalten. Würde jemand nämlich eine Fluchtgeschichte nur konstruieren, so würde er sicher nicht Umstände vorbringen, von denen die Behörde gleich glauben müsste, dass sie nicht zuträfen. Seine Angaben unterstrichen daher nur seine Glaubwürdigkeit. Seine Eltern hätten dem Beschwerdeführer vor kurzem telefonisch mitgeteilt, dass inzwischen auch die armenische Militärpolizei seit einigen Monaten nach ihm suche und immer wieder zu ihnen nach Hause komme.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde hat nämlich zutreffend ausgeführt, dass grundsätzlich weder die Einberufung zum Militärdienst noch eine Bestrafung wegen Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehles als eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG zu werten ist. Eine auf diese Umstände zurückzuführende Furcht vor Verfolgung wäre nur dann relevant, wenn die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgte oder aus solchen Gründen dem Fremden wegen der Verweigerung des Militärdienstes schärfere Sanktionen als anderen Staatsbürgern drohten oder wenn mit der Todesstrafe oder einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe gerechnet werden müsste (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 98/21/0154, mwN). Solches hat der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgebracht.

Der belangten Behörde kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie auf den doch erheblichen Zeitraum seit der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungshandlung im Jänner 1992 und auf die seither geänderten politischen Verhältnisse in Armenien, insbesondere darauf hinwies, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen, an welchen teilzunehmen der Beschwerdeführer gezwungen worden zu sein behauptete, seit Jahren beendet sind. Insofern hat es der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren unterlassen, konkret aufzuzeigen, weshalb er auch angesichts der unbestritten veränderten Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat dort weiterhin aktuell gefährdet wäre. Das erstmals in der Beschwerde enthaltene Vorbringen, nach dem Beschwerdeführer würde weiterhin von der armenischen Militärpolizei gesucht, ist als eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung zu werten.

Die behauptete Rechtswidrigkeit liegt somit nicht vor, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Juli 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1997210641.X00

Im RIS seit

27.11.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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