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19/05 Menschenrechte;Norm
FlKonv Art1 AbschnA Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde der am 21. Juni 1956 geborenen K in Wien, vertreten durch Dr. Michael Tröthandl, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 23. April 1997, Zl. Fr 695/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 23. April 1997 gerichtet, mit welchem der Antrag der Beschwerdeführerin, einer albanischen Staatsbürgerin, auf Feststellung der Unzulässigkeit ihrer Abschiebung nach Albanien abgewiesen und festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass sie in Albanien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl.
Nr. 838/1992, bedroht wäre.
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit
begründet, die Beschwerdeführerin habe Folgendes vorgebracht:
Sie wäre albanische Staatsbürgerin, verheiratet und ohne
Glaubensbekenntnis. Ihr Vater wäre Katholik gewesen und ihr Ehegatte Moslem. Bis zu ihrer Flucht nach Österreich hätte sie gemeinsam mit ihrem Ehegatten, den beiden Kindern und ihren Schwiegereltern sowie ihrer Schwägerin in einer Mietwohnung in Tirana gelebt. Sie wäre seit 1974 bei der Post als Technikerin der höchsten Kategorie beschäftigt gewesen. Dort hätte sie bis März 1996 gearbeitet. Der Fluchtgrund wäre ihr Ehegatte, "seit dem Jahr 1992 gäbe es eine Demokratie und demnach auch den Glauben". So wäre der Sohn der Beschwerdeführerin - gezwungen von ihrem Ehegatten - im April 1995 beschnitten worden. Dies wäre gegen ihren Willen geschehen. Auch würde ihr Ehegatte ihre Tochter zu einer moslemischen Schule schicken, weiters verlangte er von der Beschwerdeführerin, dass sie ihre Arbeitsstelle aufgäbe und einen Schleier tragen müsse und das Haus nie mehr verlassen solle. Sie solle nicht mehr einkaufen gehen, auch ihren Sohn hätte er zu einer moslemischen Schule schicken wollen. Dies hätte die Beschwerdeführerin ihren Kindern jedoch nicht antun wollen. Sie hätte daher beschlossen, im März 1996, als sie ihre Arbeit endgültig hätte aufgeben müssen, zu flüchten. Nach dem moslemischen Glauben müsse sie im Fall ihrer Rückkehr in die Heimat bestraft werden, weil sie ihren Mann verlassen hätte. Sie befürchte von ihrem Mann getötet zu werden. In Albanien lebten etwa 70 % Moslems, 20 % orthodoxe Christen und 10 % Katholiken, die Beschwerdeführerin sei Katholikin. Ihr Ehegatte verträte sehr fanatische Ansichten, was die religiöse Überzeugung betreffe. Von gesetzlicher Seite würde sie sich zwar scheiden lassen können, die gegen sie persönlich gerichtete Feindseligkeit seitens moslemischer Albaner wäre jedoch für sie unerträglich. Sie könnte sich im kleinen Albanien nirgends verstecken, und es würde ihr nicht nur von Seiten moslemischer Mitbürger, sondern auch von ihrem Ehegatten selbst große Gefahr drohen. Er hätte ihr mehrmals gedroht, sie umzubringen, sie könnte sich nicht an staatliche Behörden wenden, weil sie de facto keine Unterstützung bekommen würde. Es herrschte auf dem Papier zwar Religionsfreiheit, der Staat träte jedoch nicht dafür ein, dass jeder seine eigene Religion ausüben könne. In Albanien wäre sie vor den Übergriffen ihres Ehegatten oder Angehörigen, Verwandten und Angehörigen der moslemischen Gemeinde nicht geschützt. Eine inländische Fluchtalternative bestünde nicht, weil die Beschwerdeführerin auf Grund der sippen- bzw. familiengeprägten Gesellschaftsordnung überall in Albanien vor ihrem Mann und dessen Familie nicht sicher wäre. Sie bezöge sich auf einen Lagebericht des deutschen auswärtigen Amtes vom 11. Jänner 1994, wonach nach der postkommunistischen Wende in Albanien die Blutrache und ebenso der religiöse Fundamentalismus wieder auflebten. Mangels effizienter staatlicher Schutzmöglichkeiten müsste eine Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG angenommen werden. Im Falle ihrer Abschiebung nach Albanien drohte ihr die Wegnahme ihrer Kinder durch die Familie ihres Ehemannes und die Einbuße ihrer körperlichen Unversehrtheit und sogar der Verlust ihres Lebens.
Die belangte Behörde führte aus, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Verfolgungsgefahr lediglich von ihrem Ehegatten und unter Umständen auch von dessen Familie oder der Gemeinde ausgehe. Es läge keine staatlich gegen sie motivierte Verfolgungsgefahr vor, wie sie von § 37 Abs. 1 oder 2 FrG verlangt werde. Die Beschwerdeführerin selbst habe angegeben, dass nach der in Albanien geltenden Verfassung Religionsfreiheit herrschte. Daraus sei ersichtlich, dass der Staat nachvollziehbare Regelungen geschaffen habe und somit gewillt sei, allgemein berechenbaren Schutz zu bieten. Aus den vorliegenden Erkenntnissen über Albanien könne keinesfalls geschlossen werden, dass die Staatsgewalt nicht willens oder gar in der Lage sei, die staatlich gewährleisteten Rechte effektiv durchzusetzen. Insbesondere sei von der Beschwerdeführerin nicht dargetan worden, dass staatliche Institutionen ihr die Hilfe versagt hätten.
Darüber hinaus müsse die Verfolgungsgefahr sowohl nach Abs. 1 als auch nach Abs. 2 des § 37 FrG eine bestimmte Intensität (Mindestmaß an Schwere) erreichen. Dieser Umstand sei im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und bedürfe nach dem Sinne des § 37 FrG einer Gefährdungsprognose. Die Beschwerdeführerin habe außer den religiösen Differenzen mit ihrem Ehegatten keinerlei Übergriffe gegen ihre Person behauptet.
Die von ihr gehegten Mutmaßungen im Falle einer Rückkehr seien allenfalls Spekulationen, die keinerlei Untermauerung für eine allfällige individuelle und aktuell drohende Gefahr darstellten. Dadurch sei die Beschwerdeführerin auch ihrer Objektivierungspflicht im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG nicht nachgekommen. Auch gingen diese mutmaßlichen Gefahren nicht von staatlichen Organen aus, wie dies von § 37 FrG verlangt werde.
Zum Hinweis der Beschwerdeführerin auf Lageberichte des deutschen auswärtigen Amtes führte die belangte Behörde aus, dass ein "Verweis auf Übergriffe gegen Drittpersonen (z.B. Familienangehörige) oder auf die allgemeine Ländersituation" für die Glaubhaftmachung der individuellen Verfolgungsgefahr nicht ausreiche, sondern allenfalls Indiziencharakter zur Untermauerung des Vorbringens haben werde. Aus derartigen Berichten könne grundsätzlich keine konkrete, individuelle und aktuelle Verfolgungsgefahr dargetan werden.
Die gegenüber ihren Kindern seitens des Ehegatten ausgeübten religiösen Zwänge stellten keine individuelle Verfolgung der Person der Beschwerdeführerin dar, die Fragen der religiösen Erziehung der Kinder und des Obsorgerechts für diese seien nach nationalem Recht zu beurteilen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0905, m.w.N.). Auch eine von Einzelpersonen drohende Gefahr, wie etwa durch Blutrache, kann eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darstellen, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, sie vom Betroffenen abzuwenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. August 2000, Zl. 96/21/0453).
Die Bedrohung mit einer Misshandlung kann nur dann als eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG gewertet werden, wenn ein Mindestmaß an Schwere gegeben ist, wobei es auf alle Umstände des Falles, z.B. auf die Art und Weise ihrer Ausführung, ihrer Dauer, die physischen und psychischen Auswirkungen sowie in manchen Fällen auf das Geschlecht, das Alter oder den Gesundheitszustand des Betroffenen ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 96/21/0663, m.w.N.). Auch das Vorliegen einer Verfolgung im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG setzt ein Minimum an Intensität der Verfolgungshandlungen voraus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0543). Bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung genügt nicht; vielmehr müssen (allenfalls drohende) Maßnahmen dargetan werden, die sowohl aus objektiver Sicht als auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes einen Aufenthalt im Heimatland im Sinn einer ernsthaften Bedrohung der Lebensgrundlagen unerträglich erscheinen lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1997, Zl. 95/20/0455, zu Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention).
Eine Gefahr im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG setzt auch voraus, dass sie mit ausreichend erheblicher Wahrscheinlichkeit droht. Im Hinblick auf § 37 Abs. 1 FrG hat der Verwaltungsgerichtshof insofern ausgesprochen, dass die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, nicht genügt, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene/die Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Hiebei kann aber eine maßgebliche Gefahr nicht bloß aus einer bereits stattgefundenen Verfolgung abgeleitet werden; dies kann auch dadurch geschehen, dass aufgezeigt wird, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gesetzt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 1999, Zl. 97/21/0725).
Auch in Bezug auf die Bestimmung des dem § 37 Abs. 2 FrG zu Grunde liegenden Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine Verfolgungsgefahr im Sinne dieser Bestimmung dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858).
Im vorliegenden Fall führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin bloß religiöse Differenzen mit ihrem Mann geschildert, aber keinerlei Übergriffe gegen ihre Person behauptet habe. Sie habe auch nicht dargetan, dass die Staatsgewalt in Albanien nicht willens oder nicht in der Lage sei, ihr Schutz zu bieten, sie habe einen solchen auch nicht gesucht.
Wenn die belangte Behörde im vorliegenden Fall meint, ein Verweis auf Übergriffe gegen andere Personen oder auf die allgemeine Ländersituation reiche für die Glaubhaftmachung der individuellen Verfolgungsgefahr nicht aus, sondern werde allenfalls Indiziencharakter zur Untermauerung des Vorbringens haben, so hat sie zwar verkannt, dass bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, zu beurteilen ist und dass eine maßgebliche Gefahr nicht bloß aus einer bereits stattgefundenen Verfolgung abgeleitet werden, sondern dies - wie bereits ausgeführt - auch dadurch geschehen kann, dass aufgezeigt wird, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gesetzt werden.
Gerade letzteres hat die Beschwerdeführerin jedoch unterlassen, und auch aus dem von ihr angesprochenen Bericht des auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Jänner 1994 leitet sie bloß ab, dass in Albanien "- ebenso wie religiöser Fundamentalismus - nach der postkommunistischen Wende ... auch die Blutrache wieder auf(lebe)". Die Beschwerdeführerin hat aber nicht ausgeführt, dass sie - im Fall ihrer Rückkehr nach Albanien - ihren Ehegatten nicht neuerlich verlassen könne oder auch das Gericht nicht zur Schlichtung ihrer familienrechtlichen Streitigkeiten (selbst wenn man annimmt, diese wären im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG relevant) mit ihrem Ehegatten - insbesondere auch betreffend die Obsorge für ihre Kinder - anrufen könne. Ihr Vorbringen reicht daher nicht aus, um die im Verfahren nach § 54 Abs. 1 FrG geforderte erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darzutun, sodass der Beurteilung der belangten Behörde im Ergebnis nicht entgegengetreten werden kann.
Nach dem Gesagten war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. Juli 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997210636.X00Im RIS seit
27.11.2001