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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art2 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des B in S, geboren am 24. August 1967, vertreten durch Dr. Peter Resch, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Franziskanergasse 12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. September 1999, Zl. Fr 2294/99, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 22. September 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen algerischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 6. Oktober 1997 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe unter falscher Identität einen - noch 1997 rechtskräftig abgewiesenen - Asylantrag gestellt. Er sei seit 1. April 1999 rechtskräftig ausgewiesen und schon am 4. Mai 1998 wegen des Verdachtes des versuchten Ladendiebstahls angezeigt worden. Das Strafverfahren sei - im Hinblick auf die falschen Altersangaben des Beschwerdeführers - gemäß § 6 JGG eingestellt worden; am 11. November 1998 habe der Beschwerdeführer seine Personaldaten richtig gestellt, seit 17. August 1999 sei er mit der EU-Bürgerin P. B. Th. verheiratet.
Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 4. Mai 1999 sei der Beschwerdeführer wegen der §§ 127, 129 Z. 1 und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Überdies sei er am 26. Dezember 1998 von Beamten der Bundespolizeidirektion St. Pölten mit Suchtgift betreten und wegen des Besitzes und des Verdachtes des Missbrauches von Suchtmitteln gemäß § 27 Suchtmittelgesetz zur Anzeige gebracht worden; das Verfahren sei dem genannten Strafverfahren wegen Einbruchdiebstahls "angeschlossen" worden. Auf Grund der permanent gesetzten Rechtsverletzungen werde "die negative Prognose hinsichtlich Ihres weiteren Verhaltens in Österreich" als erwiesen angesehen.
Gemäß § 48 Abs. 1 FrG sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet sei. Der Beschwerdeführer habe im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung eindeutig gezeigt, dass er eine Gefährdung für das Rechtsgut "Vermögen anderer Personen" darstelle. Auf Grund seines bisherigen Verhaltens sei zu befürchten, dass er auch weiterhin gegen strafrechtliche Normen verstoßen werde. Er sei bereits kurz nach seiner Einreise nach Österreich wegen versuchten Ladendiebstahls und in weiterer Folge wegen eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz angezeigt worden, diese zweite Anzeige sei zusammen mit einem Einbruchsdiebstahl am 4. Mai 1999 abgeurteilt worden. Hinzu kämen sein unrechtmäßiger Aufenthalt und die Tatsache, dass er mittellos sei. Der Hinweis auf den Bezug von Sozialhilfe sei verfehlt, weil der Beschwerdeführer dem österreichischen Staat damit in finanzieller Hinsicht zur Last falle. Es sei zu befürchten, dass er mangels Beschäftigungsbewilligung versuchen werde, sich seinen Lebensunterhalt auf unlautere Weise zu beschaffen. Folglich sei auch die Annahme zulässig, dass sein Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde.
Angesichts des gesamten Sachverhaltes könne nicht davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführer in irgendeiner Weise gewillt wäre, die Rechtsvorschriften des Gastlandes zu befolgen. Vor allem könne die Behörde nicht ausschließen, dass er nicht wieder gegen Rechtsvorschriften des österreichischen Staates verstoßen werde, wenn er weiterhin im Bundesgebiet aufhältig bliebe.
Die Behörde sehe sich angesichts des permanent rechtswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers außer Stande, trotz der Kannbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abzusehen bzw. mit einem gelinderen Mittel vorzugehen.
Obwohl der Beschwerdeführer am 17. August 1999, somit während er sich illegal im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten habe, eine EWR-Bürgerin (eine niederländische Staatsangehörige) geheiratet habe, wären die öffentlichen Interessen, insbesondere die fremden - und sicherheitspolizeilichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes, höher oder zumindest gleich zu gewichten wie die privaten Interessen des Beschwerdeführers. Im Hinblick auf den Unrechtsgehalt seines strafbaren Handels liege das Dringend-geboten-sein der Erlassung des - notwendig unbefristeten -Aufenthaltsverbotes auf der Hand.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer ist mit einer niederländischen Staatsangehörigen verheiratet. Er ist demnach begünstigter Drittstaatsangehöriger nach § 47 Abs. 3 Z. 1 FrG, weshalb gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz leg. cit. die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig ist, wenn aufgrund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.
Ergänzend sind die Bestimmungen des § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. November 2000, Zl. 2000/18/0096, mwN).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Verurteilung zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe. Im Hinblick darauf begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des - wie dargelegt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden - § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, keinen Bedenken. Zutreffend zeigt die Beschwerde jedoch auf, dass der Schuldspruch durch das Landesgericht St. Pölten vom 4. Mai 1999 gemäß der in den Verwaltungsakten erliegenden Kopie des Protokolls- und Urteilsvermerks allein wegen des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 1, 15 StGB erfolgte und nicht auch ein Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz mitumfasste. Die gegenteiligen Ausführungen im bekämpften Bescheid erweisen sich demnach als aktenwidrig.
Im Übrigen macht die Beschwerde im Ergebnis mit Recht geltend, dass die belangte Behörde nicht die strafgerichtliche Verurteilung als solche, sondern das dieser zugrunde liegende Verhalten als Grundlage ihrer Beurteilung heranzuziehen gehabt hätte. Dazu schweigt der bekämpfte Bescheid jedoch, auch die schon erwähnte Kopie des Protokolls- und Urteilsvermerks gibt darüber nur bedingt Auskunft. Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerdebehauptung, der Beschwerdeführer sei "nur unbeteiligter Mittäter" (offenbar gemeint: untergeordneter Beitragstäter) gewesen, von Beachtung, zumal gerade der gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkt des vorliegenden Falles einen Rückgriff auf das ganz konkrete persönliche Verhalten gebietet. Das ergibt sich insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 64/221/EWG - dessen Umsetzung § 48 Abs. 1 FrG dient (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008) -, wonach bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein darf und wonach strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen können. Eine frühere strafrechtliche Verurteilung darf nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung - eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt - darstellt (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Oktober 1977, Rs 30-77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rz 27/28 und Rz 33/35). Von daher ist es auch verfehlt, wenn die belangte Behörde schlichtweg auf die mögliche Verletzung nicht näher genannter (irgendwelcher) Rechtsvorschriften des österreichischen Staates abstellt.
Soweit die belangte Behörde bezüglich des "bisherigen Verhaltens" des Beschwerdeführers auf Anzeigen wegen versuchten Ladendiebstahls und wegen eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz rekurriert, ist ihr über das eben Gesagte hinaus zu entgegnen, dass aus dem Umstand einer bloßen "Anzeigeerstattung" noch kein strafrechtliches Fehlverhalten abgeleitet werden kann. Sie irrt weiters auch darin, wenn sie im Hinblick auf die festgestellte Mittellosigkeit des Beschwerdeführers das wirtschaftliche Wohl Österreichs als Grundlage für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes als wesentlichen Gesichtspunkt ins Spiel bringt. § 48 Abs. 1 erster Satz FrG lässt die Berücksichtigung derartiger Erwägungen im gegebenen Zusammenhang - im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 der schon erwähnten Richtlinie 64/221/EWG und anders als § 36 Abs. 1 Z. 2 FrG - nicht zu. Schließlich verkennt die belangte Behörde, soweit sie die illegale Einreise des Beschwerdeführers ins Treffen führt, dass die bloße Nichterfüllung der für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern geltenden Formalitäten als solche aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht kein die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdendes Verhalten darstellt, und dass "jede Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet, die von den Behörden eines Mitgliedstaates gegen einen vom Vertrag geschützten Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats getroffen wird, mit dem Vertrag unvereinbar" ist, "wenn sie ausschließlich darauf gestützt ist, dass der Betroffene die gesetzlichen Formalitäten im Rahmen der Ausländerüberwachung nicht erfüllt hat oder keine Aufenthaltserlaubnis besitzt" (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1976, Rs 48-75, Royer, Slg. 1976, 0497, Rz 38/40; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012, auf das im Einzelnen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Nach dem Gesagten vermögen die Erwägungen der belangten Behörde das gegenständliche Aufenthaltsverbot nicht zu tragen. Der angefochtene Bescheid leidet sohin an einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. Juli 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61977J0030 Bouchereau VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999210339.X00Im RIS seit
04.03.2002Zuletzt aktualisiert am
01.12.2011