Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des S in W, geboren am 7. Mai 1980, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den am 5. Oktober 2000 verkündeten und am 25. Oktober 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 217.888/3-II/04/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, betrat am 21. Jänner 2000 das Bundesgebiet und stellte am 26. Jänner 2000 einen Asylantrag, den er damit begründete, dass er sich in seiner Zeit im College mit einigen Studenten angefreundet habe, die Mitglieder einer Sikh-Untergrundorganisation gewesen seien. Er selbst sei nie Mitglied einer Untergrundorganisation gewesen und habe sich auch nie politisch betätigt. Er gehöre der Glaubensgemeinschaft der Hindu an. Als Freundschaftsdienst habe er im November 1999 fünfmal im Hause seiner Eltern illegale Waffen für seine Freunde versteckt. Es habe sich um Maschinenpistolen und andere Pistolen gehandelt. Ende November 1999 seien die unter seinem Bett versteckten Waffen bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei gefunden worden. Davon hätten ihm seine Eltern erzählt, als er in der Nacht nach Hause zurückgekehrt sei. Noch in der gleichen Nacht habe er sein Elternhaus verlassen und sei ins Ausland geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, die Polizei werde ihn verhaften und annehmen, er wäre ein Terrorist. Er könnte von der Polizei während der Haft umgebracht werden.
Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 29. Juni 2000 gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es sei nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer in Indien "begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung zu gewärtigen" habe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "keiner Feststellung unterzogen" worden, weil der Sachverhalt, selbst wenn er zuträfe, weder ein Asylgrund sei noch einen Refoulement-Schutz rechtfertige.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei in seinem Heimatland in den Verdacht geraten, Mitglied einer terroristischen Sikh-Organisation zu sein. Er habe die Waffen der Mitglieder der Sikh-Untergrundorganisation nicht freiwillig versteckt, sondern erst, als er mit der Drohung unter Druck gesetzt worden sei, "ansonsten Schwierigkeiten zu bekommen". Er habe die Waffen nicht aus Freundschaft in seinem Haus versteckt, sondern er sei dazu gezwungen worden.
Die belangte Behörde verband "wegen des sachlichen Zusammenhanges (§ 39 Abs. 2 AVG)" insgesamt 10 Asylverfahren zur gemeinsamen mündlichen Berufungsverhandlung am 5. Oktober 2000. Die belangte Behörde hielt dem im Verhandlungsprotokoll als "BW V" bezeichneten Beschwerdeführer vor, "daß nicht leicht nachvollziehbar sei, daß es dem BW möglich gewesen sein sollte, nicht einmal einen Tag nach dem Waffenfund unbehelligt nach Hause zurückzukehren und sein Elternhaus wieder zu verlassen". Hierauf antwortete der Beschwerdeführer, die Polizei sei in der Früh, er selbst am Abend gekommen.
Zur politischen und menschenrechtlichen Lage in Indien holte die belangte Behörde ein in der mündlichen Berufungsverhandlung erstattetes Sachverständigengutachten ein, das insbesondere ausführt:
"(1) Nach den mir vorliegenden ... Informationen ... stehen willkürliche Verhaftungen durch die Polizei, Mißhandlungen im Polizeigewahrsam und Schmiergelderpressungen durch die Polizei in Indien weiterhin auf der Tagesordnung. (...)
(2) Was den Themenkreis Sikh-Terroristen betrifft, so weisen die Informationen darauf hin, daß für Sympathisanten, Angehörige, Freunde und einfache Mitglieder von Gruppen, die für ein unabhängiges Khalistan eintreten, heute in der Regel keine Gefahr von Verfolgungshandlungen durch staatliche Organe besteht. Im Falle ihrer ungerechtfertigten Behandlung durch staatliche Organe haben sie normalerweise Zugang zum Gerichtswesen. Allerdings gehen viele Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Behörden noch immer straflos aus.
Die vorliegenden Dokumente und Informationen legen nahe, daß nur noch für hochrangige ("high Profile" ...) Führungspersonen bzw. Funktionäre militanter Organisationen die Gefahr besteht, von staatlichen Behörden verfolgt zu werden. Sie werden jedoch meistens nur dann gesucht, wenn sie im Verdacht einer konkreten Straftat stehen. Die Tatsache, daß Angehörige in der Regel nicht verfolgt werden, deckt sich auch mit den Aussagen der BW, die angegeben haben, daß ihre Eltern von der Polizei unbehelligt leben.
(3) Personen, die des illegalen Waffenbesitzes verdächtigt werden, werden ... nur dann in Polizeigewahrsam genommen, wenn ihnen darüberhinaus kriminelle Aktivitäten zur Last gelegt werden. Bei einfachen Verstößen gegen das Waffengesetz bleibt der Angeklagte in der Regel bis zum Urteilsspruch auf freiem Fuß.
(4) Prinzipiell ist es denkbar, daß Personen, welche die Zusammenarbeit mit terroristischen Gruppierungen verweigern, mit Verfolgungshandlungen von Seiten dieser Gruppen zu rechnen haben, und daß diese Gruppierungen auch über die logistischen Fähigkeiten verfügen, von ihnen gesuchte Personen auch in anderen Teilen Indiens zu verfolgen. Allerdings sind in den mir vorliegenden Dokumenten keine derartigen Fälle erwähnt. Entführungsfälle durch Khalistan Aktivisten werden nur im Zusammenhang mit Lösegeldforderungen (meist handelt es sich um vermögende Geschäftsleute) erwähnt.
(...)
Zu den konkreten Berufungswerbern: (deren Aussage meiner
Beurteilung, soweit nicht ausdrücklich anderes ausgeführt,
zugrundegelegt wird ...):
(...)
Zu BW V (den Beschwerdeführer): Es treffen die Absätze 2 und 3 meiner allgemeinen Ausführungen zu, da die Freunde Mitglieder einer Sikh Untergrundorganisation waren und der BW die Waffen als Freundschaftsdienst bzw. unter Androhung von Gewalt versteckt hat."
Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen:
"Im gegenständlichen Fall hat der Berufungswerber sein Begehren , ihm Asyl bzw. zumindest Refoulementschutz zu gewähren, im Wesentlichen damit begründet, dass er im November 1999 "5 Mal Waffen" von "Mitgliedern einer Sikh-Untergrundorganisation" - "Maschinenpistolen und andere Pistolen" - "als Freundschaftsdienst" (cit. Niederschrift des Bundesasylamtes vom 26.6.2000) bzw. auch "unter Druck" (cit. Berufung) in seinem Elternhaus versteckt habe, was im Zuge einer "Polizeiaktion" entdeckt worden sei, weshalb er seine Verhaftung als Terrorist - und allenfalls auch letale Misshandlungen "während der Haft" durch die "Polizei" - befürchte.
Der unabhängige Bundesasylsenat hält nun dieses Vorbringen aus den dem Berufungswerber bereits in der Verhandlung vorgehaltenen Gründen für nicht leicht nachvollziehbar.
Selbst für den Fall seines sachverhaltsmäßigen Zutreffens in der Vergangenheit aber entbehrt nun dieses Vorbringen nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung jedenfalls in asylrechtlicher Hinsicht (sowie im Bereich des § 57 Abs. 2 FrG) der Aktualität, hat der Berufungswerber doch als eine Person, die jedenfalls selbst nicht das vom Sachverständigen für eine künftige zielgerichtete Verfolgung erforderliche "high profile" aufweist (auch unter Zugrundelegung der Sichtweise indischer Polizeiorgane), eine derartige zielgerichtete Verfolgung keinesfalls (mehr) zu befürchten."
Rechtlich folgerte die belangte Behörde:
"Eine bloß strafgerichtliche Verfolgung (wegen des gemeinstrafrechtlichen Deliktes eines Verstoßes "gegen das Waffengesetz") mag dem Berufungswerber - im Falle des sachverhaltsmäßigen Zutreffens seines Vorbringens (dh, dass er im November 1999 Waffen versteckt habe und dieses entdeckt worden sei) - drohen; die Ausführungen des Sachverständigen, wonach "bei einfachen Verstößen gegen das Waffengesetz ... der Angeklagte in der Regel bis zum Urteilsspruch auf freien Fuß bleibt", wertet der unabhängige Bundesasylsenat auch in diesem Falle (vgl. schon UBAS vom 23.10.2000, Zl 217.007/12-II/04/00, betreffend einen am 5.10.2000 verbunden verhandelten Berufungswerber eines anderen Verfahrens) jedoch dahin, dass die Begleitumstände dieser etwaigen strafgerichtlichen Verfolgung jedenfalls nicht so beschaffen wären, dass davon gesprochen werden könnte, dem Berufungswerber drohe eine (...) "Verfolgung" iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (...)."
Zwar seien willkürliche Verhaftungen oder Mißhandlungen durch die indische Polizei nicht auszuschließen, das Risiko des Beschwerdeführers sei aber nicht "stichhaltig" bzw. "konkret" genug. Die bloße Möglichkeit einer Mißhandlung im Zielstaat reiche für die Annahme eines Refoulementschutzes nicht aus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde bemängelt, dem Beschwerdeführer sei in der mündlichen Verhandlung lediglich der oben zitierte Vorhalt gemacht worden. Die belangte Behörde sei auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers nicht eingegangen. Der Sachverständige habe zwar die Situation von Freunden von Mitgliedern politischer Gruppierungen dargelegt und aufgezeigt, was jemand auf Grund illegalen Waffenbesitzes zu befürchten habe, es sei jedoch verabsäumt worden, (dem konkreten Fall des Beschwerdeführers Rechnung zu tragen und) diese beiden Sachverhalte und die daraus resultierende Gefahr in Kombination zu beleuchten. Die belangte Behörde habe es auch unterlassen, ihrer im § 58 AVG normierten Begründungspflicht ausreichend nachzukommen.
Diese Rügen führen die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722).
Die belangte Behörde hat durch die Wendung, dass sie das Vorbringen des Beschwerdeführers aus den "bereits in der Verhandlung vorgehaltenen Gründen für nicht leicht nachvollziehbar" halte, völlig offen gelassen, welche Feststellungen sie treffen wollte. Sie führte zwar aus, die rechtliche Beurteilung auf der Grundlage eines "sachverhaltsmäßigen Zutreffens (des Vorbringens des Beschwerdeführers) in der Vergangenheit" zu Grunde legen zu wollen, hat jedoch dabei wesentliche Teile des Vorbringens nicht in ihre Überlegungen einbezogen.
Es trifft zwar zu, dass die Polizisten nach den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Eltern (nur) sagten, der Beschwerdeführer werde wegen des Versteckens "illegaler Waffen" gesucht. Wenn der Beschwerdeführer seine Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Indien auf die Behauptung stützte, die Polizei würde ihn "verhaften und annehmen, dass ich ein Terrorist bin", so kann dem aber nicht wegen des einen Satzes, mit dem sich der Sachverständige, auf die "Absätze 2 und 3" seiner "allgemeinen Ausführungen" verweisend, zum Fall des Beschwerdeführers äußerte, eine mangelnde "Aktualität" dieses Vorbringens entgegen gehalten werden. Zu beurteilen wäre danach nämlich weder die Verfolgungsgefahr auf Grund der bloßen Zugehörigkeit zum Kreis der "Sympathisanten, Angehörigen, Freunde und einfachen Mitglieder" oder auch der "Führungspersonen bzw. Funktionäre" bestimmter Gruppen noch die Gefährdung auf Grund eines bloßen "illegalen Waffenbesitzes", sondern die Gefahr, auf Grund des beschriebenen Waffenfundes mit geplanten Terroranschlägen in Verbindung gebracht zu werden. Dass es auch in einem solchen Kontext auf ein "high profile" ankommen soll, ist den "allgemeinen Ausführungen" des Gutachters nicht klar zu entnehmen und im angefochtenen Bescheid jedenfalls nicht schlüssig begründet.
Sollten die Behauptungen des Beschwerdeführers daher zutreffen, so kann nach den bisherigen Verfahrensergebnissen auch nicht ausgeschlossen werden, dass gegenüber dem Beschwerdeführer die im angefochtenen Bescheid als "besonders gefährlich" bezeichneten Sondergesetze Anwendung finden würden. Sollte dem Beschwerdeführer eine solche Gefahr drohen, so wäre dies asylrechtlich auch dann relevant, wenn dem Beschwerdeführer eine oppositionelle politische Gesinnung lediglich unterstellt worden sein sollte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0431). Die dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Richtigkeit seiner Angaben allenfalls drohende Gefahr, zu der weitere Ermittlungen, etwa durch eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens, und entsprechende Feststellungen vorzunehmen sind, wäre aber auch für die Beurteilung des Refoulementschutzes von Bedeutung.
Da die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Juli 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001200064.X00Im RIS seit
10.09.2001