TE Vwgh Erkenntnis 2001/7/26 99/20/0528

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Veröffentlicht am 26.07.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des AW in L, geboren am 12. Mai 1975, vertreten durch DDr. Hanspeter Schwarz, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Juli 1999, Zl. 205.381/0-XII/36/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 15. Juli 1998 in das Bundesgebiet eingereiste Asylwerber, ein Staatsangehöriger von Angola, begründete seinen Antrag auf Gewährung von Asyl anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31. Juli 1998 damit, dass sein Vater im Jahr 1993 von Uniformierten getötet worden sei, weil dieser Angehöriger der FNLA gewesen sei. Der Asylwerber, der weder Angehöriger einer Partei noch politisch aktiv gewesen sei, wolle nicht in den Krieg geschickt werden, weil er sein Leben nicht riskieren wolle. Man werde in Angola "gewaltsam gezwungen", am Krieg teilzunehmen. So seien Regierungssoldaten mit Waffengewalt in sein Haus gekommen und hätten ihn mitnehmen wollen. Er habe nur mehr Schüsse und Schreie seiner Mutter gehört, habe sich jedoch durch seine Flucht retten können. Er sei nicht mehr in seine Wohnung zurückgekehrt, sondern habe sich wegen der drohenden Zwangsrekrutierung zur Ausreise entschlossen. Sonst habe er keine Probleme mit den Behörden gehabt. Er sei mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert gewesen, wie alle anderen jungen Männer in Angola auch.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 11. September 1998 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola gemäß § 8 AsylG als zulässig.

In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, er sei politisch zwar "nicht wirklich interessiert", sympathisiere aber mit der regierungsfeindlichen UNITA und sei Angehöriger der Lingala-sprechenden Minderheit, der so genannten "Retornados". Dabei handle es sich um Personen, die infolge des Bürgerkrieges aus Angola in das angrenzende Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), wo Lingala gesprochen werde, geflüchtet und später in den Norden Angolas zurückgekehrt seien. Diese Minderheit werde von der regierenden MPLA unterdrückt und zur Verwendung der offiziellen Amtssprache Portugiesisch gezwungen. Die offizielle Staatsarmee werde von der regierenden MPLA gestellt, in diese würden alle männlichen Staatsbürger einbezogen. Als UNITA-Sympathisant müsste er in der Armee gegen die UNITA und damit gegen die eigenen Freunde kämpfen. Jeder Lingala-Sprechende sei in der Armee auffällig, werde verdächtigt, UNITA-Sympathisant zu sein und werde deshalb als "Kanonenfutter" verwendet, indem man ihn "vor die Front" stelle, um dort für die organisierten Truppen die eigentliche erste Frontlinie freizuhalten. Angehörige seiner Minderheit hätten in der Armee keine gleichwertigen Rechte, sondern unterlägen angesichts der Verwendung als Kanonenfutter einer qualifizierten staatlichen Verfolgung. Im Falle seiner Rückkehr würde er entweder getötet oder als "Kanonenfutter" eingesetzt werden. Es lägen daher nicht nur Gründe für eine Asylgewährung, sondern auch eine Gefahr iS des § 57 Abs. 1 und 2 FrG vor.

Die belangte Behörde führte hierüber eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer wiederholte, sein Land verlassen zu haben, weil Krieg herrsche. Die jungen Leute würden von der Regierung eingezogen und müssten an vorderster Front kämpfen. Als Lingala-Sprechender werde er nicht als richtiger Angolaner angesehen und zähle daher zu den ersten, die in den Krieg geschickt würden oder sonst Nachteile zu befürchten hätten. Weiters gab er an, mittlerweile erfahren zu haben, dass im Zuge der versuchten Rekrutierung seiner Person seine Mutter angeschossen worden und an den Folgen dieser Verletzung verstorben sei. Im Zuge dieser mündlichen Verhandlung wurden Berichte des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom April 1999 (Abschnitt 5.4) und eine Auskunft des UNHCR vom 18. Mai 1999 erörtert.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG erneut festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Angola zulässig sei. Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland Angola verlassen, da er infolge der sich ständig verschärfenden Bürgerkriegssituation eine Zwangsrekrutierung durch die von der Regierungspartei MPLA dominierte staatliche Armee befürchtet habe. Der Vater des Beschwerdeführers sei 1993 bei Ausschreitungen gegen die Lingala-sprechende Minderheit, der auch der Beschwerdeführer angehöre, getötet worden, die Mutter des Beschwerdeführers sei 1998, als Soldaten in ihr Haus eingedrungen seien, durch eine Schussverletzung getötet worden.

Nach dem Bericht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Auskunft des UNHCR vom 18. Mai 1999 handle es sich bei der Lingala-sprechenden Minderheit, den so genannten "Retornados", um eine Gruppe von Angolanern, die während des von 1959 bis 1975 andauernden Freiheitskampfes in das (vormalige) Zaire geflüchtet und danach wieder nach Angola zurückgekehrt seien. Auf Grund der dargestellten Wanderungsbewegung werde nunmehr in den drei nordöstlichen an die Demokratische Republik Kongo angrenzenden Provinzen Angolas Lingala gesprochen. Da die (regierungsfeindliche Bürgerkriegspartei) UNITA vom früheren Präsidenten von Zaire unterstützt worden sei, werde auch den Lingala-sprechenden Angolanern verschiedentlich ein Naheverhältnis zur UNITA unterstellt. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass die Lingala-sprechende Bevölkerungsgruppe konkreten Verfolgungshandlungen oder Diskriminierungen (etwa bei Ableistung des Militärdienstes) von Seiten der Staatsregierung ausgesetzt wäre, was die belangte Behörde damit begründete, dass insbesondere nach Abschnitt 5.4 des genannten Berichtes des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom April 1999 derartige Verfolgungen nicht erwiesen seien und für das Jahr 1998 nichts über staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den "Bakongo" (von denen viele Angehörige nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zu den "Retornados" gehörten) berichtet werde.

Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen, wonach er im Falle der Einberufung zum Militärdienst wegen Zugehörigkeit zur Minderheit der Lingala-sprechenden "Retornados" eine schlechtere Behandlung zu befürchten hätte, nicht glaubhaft machen können, da über eine konkrete Verfolgung bzw. Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe "keine Informationen haben erlangt werden können". Es liege auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass in der Einberufung des Beschwerdeführers eine Verfolgungshandlung aus ethnischen Gründen gelegen sein könnte. Die (bloße) Einberufung zur Militärdienstleistung stelle aber im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar. Dies gelte auch dann, wenn im betroffenen Heimatstaat des Asylwerbers ein Bürgerkrieg, eine Revolte, oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattgefunden habe.

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, auch die drohende Einberufung zum Wehrdienst in einer kämpfenden Truppe der Bürgerkriegsparteien reiche nicht aus, um dem betreffenden Fremden Abschiebungsschutz zu gewähren. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Zwangsrekrutierung durch die reguläre Truppe oder durch eine die Staatsmacht bekämpfende Gruppierung erfolge. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Ordnungsmacht im Heimatstaat des Beschwerdeführers gänzlich zusammengebrochen und jeder Rückkehrer infolge der bewaffneten Auseinandersetzungen extreme Gefahr für Leib und Leben zu befürchten hätte, liege nicht vor, weil die angolanische Regierung zumindest ein Drittel des Landes (darunter auch die wichtigsten Städte) unter Kontrolle habe. Was die vom Beschwerdeführer behauptete unmenschliche Behandlung wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Lingala-sprechenden Retornados betreffe, habe eine diskriminierende Behandlung dieser Volksgruppe nicht festgestellt werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, in welcher Art und Weise bzw. zu welchem Zweck und unter welchen Gesichtspunkten die Rekrutierungen der männlichen Bevölkerung in Angola erfolgten. Richtigerweise hätte die belangte Behörde massive Diskriminierungen der Lingala-sprechenden Minderheit und eine extreme Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr infolge der bewaffneten Auseinandersetzungen feststellen müssen. Solche Feststellungen wären zur Beurteilung der Asylrelevanz unerlässlich gewesen.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass auch nach den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers alle männlichen Staatsbürger Angolas und nicht etwa nur Angehörige der Lingalasprechenden Minderheit von der Einziehung in die Staatsarmee zur Militärdienstleistung betroffen sind. Der belangten Behörde kann daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass der Einberufung zur Militärdienstleistung, die nicht an andere Kriterien als Alter und Geschlecht geknüpft ist, ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Sinne der Flüchtlingskonvention keine Asylrelevanz zukommt (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, sowie die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2000, Zl. 99/20/0373, und vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203).

Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müsste, dass ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber aus diesen Gründen eine -

im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates, Zl. 93/01/0377, sowie die darauf aufbauende ständige Rechtsprechung, etwa im hg. Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0546, und vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210).

Dem Einwand des Beschwerdeführers, er müsse im Falle seiner Einziehung zum Militärdienst damit rechnen, während des Militärdienstes wegen seiner (auf Grund seiner Sprache offenkundigen) Zugehörigkeit zur Minderheit der "Retornados" und wegen seines ihm deswegen (auch nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid) zugeschriebenen Naheverhältnisses zur UNITA im Vergleich zu anderen Angolanern gravierend schlechter gestellt und als "Kanonenfutter" vor die Front gestellt zu werden, ist die belangte Behörde - vor dem Hintergrund der obgenannten hg. Judikatur zu Recht - nachgegangen. Sie gelangte auf Grund der von ihr eingeholten Berichte allerdings zu dem Ergebnis, dass sie keine Informationen betreffend eine konkrete Verfolgung oder Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe habe erlangen und dass der Beschwerdeführer eine solche schlechtere Behandlung der "Retornados" nicht habe glaubhaft machen können.

Dazu bezog sie sich insbesondere auf den Abschnitt 5.4 des bereits erwähnten Berichtes des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom April 1999, dem zufolge "nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes" keine schwer wiegende und ausdrückliche Diskriminierung bestimmter Volksgruppen in Angola stattfinde und "angebliche Verfolgungen der Bakongo" nicht erwiesen seien. Offensichtlich auf Grund der von ihr festgestellten Tatsache, dass "zu den Retornados viele Angehörige der Bakongo gehören", leitete die belangte Behörde daraus ab, dass sich auch keine Anhaltspunkte für eine Diskriminierung der Minderheit der Retornados fänden.

Dabei übersieht sie einerseits, dass nach der - im selben Abschnitt des genannten Berichtes vom April 1999 erwähnten - Auffassung des Institutes für Afrikakunde auch für die "Bakongo" eine "überdurchschnittliche Verfolgungsgefährdung" auf Grund des "diese Volksgruppe kennzeichnenden militärischen Kampfes gegen die Zentralgewalt in Luanda" gegeben ist.

Insbesondere übersieht sie aber andererseits, dass in diesem Bericht unter der Überschrift der "politischen Verfolgung in den vom angolanischen Staat kontrollierten, nicht vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten .... wegen (vermuteter) Mitgliedschaft in der UNITA oder Aktivitäten für die UNITA" (Abschnitt 5.2) ausgeführt wird:

"Im Country Report on Human Rights Practices für 1998 wird von einem Anstieg der Fälle politisch motivierter Tötungen parallel zu der Verschlechterung der politischen Situation berichtet. Es werden mit Datumsangabe mehrere Fälle von Tötungen von UNITA-Funktionären, - Mitgliedern, - Unterstützern und früheren UNITA-Soldaten durch die Sicherheitskräfte aufgelistet. Daneben gebe es glaubhafte Berichte, dass während des Jahres 1998 mutmaßliche UNITA-Sympathisanten im Rahmen von Zwangsrekrutierungen hingerichtet worden seien. Bei keinem dieser Fälle hätten Untersuchungen stattgefunden noch seien Maßnahmen gegen die hierfür Verantwortlichen ergriffen worden."

Mit diesen weiteren, insbesondere letztzitierten, Angaben im genannten Bericht hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt, obwohl sie nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid davon ausgeht, dass den Lingala-sprechenden "Retornados" ein Naheverhältnis zur UNITA zugeschrieben wird und der Beschwerdeführer unbestritten ein Angehöriger dieser Volksgruppe ist.

Da die belangte Behörde durch die unterlassene Einbeziehung dieser für die Frage des Vorliegens einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung bedeutsamen Berichtsteile in ihre Entscheidung Verfahrensvorschriften (vgl. § 28 AsylG) außer Acht gelassen hat, bei deren Beachtung sie zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte gelangen können, erweist sich die angefochtene Entscheidung mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 26. Juli 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200528.X00

Im RIS seit

08.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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