Index
60/01 Arbeitsvertragsrecht;Norm
AVRAG 1993 §2 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der H Ges.m.b.H. & Co KG in J, vertreten durch Mag. Helmut Kröpfl, Rechtsanwalt in 8380 Jennersdorf, Hauptstraße 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 29. April 1998, Zl. 6-SO-N1049/2-1998, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse, 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nahm im März 1995 bei der Beschwerdeführerin eine Beitragsprüfung für den Zeitraum Jänner 1991 bis Dezember 1994 vor. Hiebei wurde - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - unter anderem vom Prüfer festgestellt, dass der Dienstnehmer K. "von der Baufirma M (Schwiegervater d. GF)" ohne Anrechnung von Vordienstzeiten übernommen worden sei. K. sei vorher seit 1971 bei einem anderen Unternehmen tätig gewesen. Dienstverträge oder Dienstzettel würden nicht existieren. Dabei handle es sich um Angaben "d. AN u.v. Frau H." K. sei in A 3 (damit ist die Beschäftigungsgruppe des Kollektivvertrages für Angestellte im Baugewerbe gemeint) nach 16 Dienstjahren einzustufen.
Mit Bescheid vom 20. März 1995 schrieb daraufhin die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse der Beschwerdeführerin als Dienstgeber auf Grund der einen Bestandteil des Bescheides bildenden Beitragsnachverrechnung Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Sonderbeiträge, Fonds- und Umlagenbeiträge von S 185.521,91 samt Verzugszinsen und einen Beitragszuschlag in Höhe von S 37.470,26 vor.
Die Beschwerdeführerin erhob dagegen den als Berufung bezeichneten Einspruch vom 18. April 1995. Darin führte sie hinsichtlich des Dienstnehmers K. aus, dieser sei seit 1. März 1990 im Betrieb beschäftigt. Bei Einstellung dieses Dienstnehmers sei einvernehmlich die Einstufung bzw. die Anrechnung von Vordienstzeiten vereinbart worden. Die seinerzeitige mündliche Vereinbarung sei nun schriftlich festgehalten worden und liege dieser Berufung bei. Es werde daher die Anerkennung der bisher vorgenommenen Einstufung begehrt.
Die belangte Behörde brachte mit Schreiben vom 16. September 1997 den Inhalt der Stellungnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zum Einspruch der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und räumte ihr eine Frist zur Stellungnahme ein. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass die im Einspruch beschriebenen schriftlichen Vereinbarungen entgegen dem Vorbringen nicht vorgelegt worden seien. Die Beschwerdeführerin reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde - in Bezug auf andere Dienstnehmer - dem Einspruch teilweise Folge und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Entrichtung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich der Sonderbeiträge, Fonds- und Umlagenbeiträge von S 146.138,30 und schrieb einen Beitragszuschlag von S 29.515,95 vor.
In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse seien bei der Beitragsprüfung die Lohnkonten und Lohnzettel, Stundenzettel, Lehrverträge, Bilanzen und der Kollektivvertrag zur Verfügung gestanden. Die Feststellungen des Prüfers seien im Prüfbericht festgehalten und vom Leiter des Betriebes (gemeint der Beschwerdeführerin) zur Kenntnis genommen worden. Der Auszug aus dem Kollektivvertrag für Angestellte des Baugewerbes und der Bauindustrie befinde sich im Akt und werde der Inhalt zum Teil der Bescheidfeststellungen erklärt.
Im Erwägungsteil führte die belangte Behörde aus, die Beitragsgrundlage bestimme sich nach dem Lohn, auf den der Dienstnehmer nach den zivilrechtlichen Grundsätzen Anspruch habe. Dies auch dann, wenn er tatsächlich einen niedrigeren Lohn ausbezahlt erhalte. Der Kollektivvertrag für Angestellte des Baugewerbes und der Bauindustrie regle im § 8 die Beschäftigungsgruppeneinteilung. Demnach müsse für die Einreihung in eine bestimmte Beschäftigungsgruppe bzw. die Belassung in der selben der Nachweis der für die Aufnahme in eine bestimmte Gruppe geforderten Mindestberufstätigkeit, der fachlichen Ausbildung oder Schuldbildung oder eine letztere ersetzende Praxis als Angestellter gegeben seien. Dabei seien die fachliche und schulmäßige Ausbildung sowie berufliche Dienstzeiten durch Zeugnisse nachzuweisen, die entweder im Original oder in Form von beglaubigten Abschriften vorzulegen seien. Über die Höhe der Entlohnung bestimme § 11 des Kollektivvertrages, dass diese der Mindestgrundgehaltstafel zu entnehmen sei. Welcher der darin verzeichneten Mindestgrundgehälter im Einzelnen gebühre, richte sich nach der Gruppenzugehörigkeit und dem Gruppenalter. Unter Gruppenalter verstehe man entweder die tatsächliche Dauer der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Beschäftigungsgruppe oder die Summe von angerechneten und in einer Beschäftigungsgruppe tatsächlich zurückgelegten Jahren. Angestellten sei das bei anderen Dienstgebern erworbene nachweisbare Gruppenalter der gleichen oder einer höheren Beschäftigungsgruppe hinsichtlich der Einstufung in das Gehaltsschema voll anzurechnen. Voraussetzung für die Anrechnung sei jedoch, dass der Angestellte diese Zeiten der Firmenleitung schon beim Eintritt bekannt gibt und tunlichst sofort, spätestens aber innerhalb von zwei Monaten, durch entsprechende Zeugnisse oder Arbeitspapiere bei sonstigem Verfall des Anrechnungsanspruches nachweise. Die fristgerechte Vorlage der Nachweise ist dem Angestellten auf dem Dienstzettel zu bescheinigen. Werde ein Dienstzettel nicht ausgestellt, so trete der Verfall nicht ein.
Laut dem Prüfbericht würden weder Arbeitsverträge noch Dienstzettel existieren. Die von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren angesprochenen Verzichtserklärungen seien nicht zur Einsicht vorgelegt worden. Der Dienstnehmer K. sei seit 1971 bei einer anderen Baufirma beschäftigt gewesen. Dieser Umstand sei laut Prüfbericht der Beschwerdeführerin bekannt gewesen. Herr K. sei in die Gruppe A 3 nach dem 16. Jahr der Gruppenzugehörigkeit einzureihen. Die im angefochtenen Bescheid angesetzten Beitragsgrundlagen stimmten mit den in den Lohntafeln für Fachkräfte festgelegten Mindestbruttogehältern überein.
Hinsichtlich zwei weiterer Dienstnehmer - die vom Beschwerdeverfahren nicht betroffen sind - würden neue Beitragsgrundlagen mit niedrigeren Beiträgen festgesetzt (es folgt eine Beitragsbemessung dieser Dienstnehmer).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Die Beschwerdeführerin meint, zur Ermittlung der Beitragsgrundlagen für den Dienstnehmer K. seien sowohl das Angestelltengesetz als auch der Kollektivvertrag für Angestellte des Baugewerbes und der Bauindustrie heranzuziehen. Demnach sei das bei anderen Dienstgebern erworbene nachweisbare Gruppenalter der gleichen oder einer höheren Beschäftigungsgruppe hinsichtlich der Einstufung in das Gehaltsschema voll anzurechnen. Voraussetzung für diese Anrechnung sei jedoch, dass der Angestellte diese Zeiten der Firmenleitung schon bei Eintritt bekannt gibt und entsprechende Zeugnisse oder Arbeitspapiere bei sonstigem Verfall des Anrechnungsanspruches nachweise. Ein solcher Nachweis sei jedoch bis dato nicht erfolgt. Werde ein Dienstzettel nicht ausgestellt, so trete der Verfall nicht ein. Das Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz lege in seinem § 2 fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten nach dem Arbeitvertrag (Dienstzettel) auszuhändigen habe. Nach Abs. 7 dieser Bestimmung sei jedoch für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis bereits bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bestanden habe, dem Arbeitnehmer ein Dienstzettel lediglich auf dessen Verlangen binnen zwei Monaten auszuhändigen. Der Dienstvertrag mit Herrn K. bestehe bereits seit 1. März 1990. Es bestehe keinerlei Verpflichtung für die Beschwerdeführerin, ohne Verlangen des Dienstnehmer K. einen entsprechenden Dienstzettel auszufertigen. Der im Kollektivvertrag angeführte Verfall des Rechtes auf Anrechnung der Vordienstzeiten sei somit spätestens seit 1. März 1994 eingetreten. Da somit kein zivil- bzw. arbeitsrechtlicher Anspruch auf Ausstellung des Dienstzettels mehr bestehe, sei die Bemessung der Beitragsgrundlagen durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu Unrecht erfolgt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist es zu Recht unbestritten, dass es für die Frage der Höhe der im Sinne des § 49 ASVG zu entrichtenden Beiträge auf den "Anspruchslohn" oder das "höhere" tatsächlich geleistete Entgelt ankommt. Unter dem "Anspruchslohn" wird jenes Entgelt verstanden, auf das der einzelne Dienstnehmer Anspruch hat, wobei in denjenigen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, zumindest das nach diesen Vereinbarungen den Dienstnehmern zustehende Entgelt die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge zu bilden hat. Dies ohne Beachtung des Umstandes, dass ein Lohnteil, der dem einzelnen Dienstnehmer zusteht, allenfalls tatsächlich ausbezahlt wird.
Die Beitragsgrundlagen nach § 49 ASVG sind nach der Rechtslage zu ermitteln, die in den Zeiträumen in Geltung stand, für welche die Beitragsgrundlagen zu ermitteln sind. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen vom nämlichen Inhalt des anzuwendenden Kollektivvertrages aus. Zur Anrechnung von Vordienstzeiten bestimmt § 10 Punkt 2. zweiter Satz Folgendes:
"Angestellten ist das bei anderen Dienstgebern erworbene nachweisbare Gruppenalter der gleichen oder einer höheren Beschäftigungsgruppe hinsichtlich der Einstufung in das Gehaltsschema voll anzurechnen. Voraussetzung für diese Anrechnung ist jedoch, dass der Angestellte diese Zeiten der Firmenleitung schon bei Eintritt bekannt gibt und tunlichst sofort, spätestens aber innerhalb von zwei Monaten, durch entsprechende Zeugnisse oder Arbeitspapiere bei sonstigem Verfall des Anrechnungsanspruches nachweist. Die fristgerechte Vorlage der Nachweise ist dem Angestellten auf dem in § 4 angeführten Dienstzettel zu bescheinigen. Wird ein Dienstzettel nicht ausgestellt, so tritt der Verfall nicht ein."
Die Beschwerdeführerin behauptet das Vorliegen des Verfalles des Anrechnungsanspruches nach dieser Bestimmung und nach § 2 Abs. 7 AVRAG. Diese Bestimmung lautet:
"(7) Hat das Arbeitsverhältnis bereits bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bestanden, so ist dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen binnen zwei Monaten ein Dienstzettel gemäß Abs. 1 bis 3 auszuhändigen. Eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers besteht nicht, wenn ein früher ausgestellter Dienstzettel oder ein schriftlicher Arbeitsvertrag alle nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Angaben enthält."
Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass der Dienstnehmer K. ein Verlangen im Sinne dieser Gesetzesstelle gestellt hätte. Die in dieser Gesetzesstelle für diesen Fall dem Arbeitgeber eingeräumte Frist hat daher gar nicht zu laufen begonnen. Unbestritten ist aber auch, dass dem Dienstnehmer K. ein Dienstzettel nach dem Kollektivvertrag nicht ausgestellt wurde. Der Eintritt des Verfalles des Anrechnungsanspruches ist aber von der Ausstellung eines Dienstzettels abhängig. Mangels Ausstellung eines Dienstzettels konnte der von der Beschwerdeführerin behauptete Verfall gar nicht eintreten. Im Übrigen liegen aber auch die Voraussetzungen für den Eintritt des Verfalles des Anrechnungsanspruches nicht vor. Unbestritten ist, dass der Dienstnehmer K. der Beschwerdeführerin seine Vordienstzeiten bei Eintritt bekannt gegeben hat. Da die Beschwerdeführerin mit ihm daraufhin den Dienstvertrag abgeschlossen hat, durfte der Arbeitnehmer K. im Zweifel davon ausgehen, dass seine Vordienstzeiten in der konkreten Gehaltsvereinbarung bereits berücksichtigt wurden bzw. bei der Einstufung nach dem Kollektivvertrag beachtet wurden (vgl. OGH 9 Ob A 11/93 zu dem wortgleichen Rahmenkollektivvertrag der Angestellten der Industrie). Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass sie vor Vertragsabschluss den Dienstnehmer K. zur Vorlage der im Kollektivvertrag umschriebenen Nachweise aufgefordert oder sich die Berücksichtigung der bekannt gegebenen Vordienstzeiten bis zur Vorlage eines Nachweises vorbehalten hat. Sie hat dadurch i.S. der zit. Entscheidung des OGH gegen die sie treffende Aufklärungspflicht verstoßen, dass sie trotz Bekanntgabe der Vordienstzeiten auch noch Wert auf Vorlage der Nachweise gelegt hat. Hätte der Dienstnehmer K. die im Kollektivvertrag umschriebenen Nachweise noch nicht erbracht gehabt, hätte ihn die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht dazu auffordern müssen oder einen Dienstzettel ohne die behauptete Anrechnung auszustellen gehabt. Da dies weder behauptet noch festgestellt worden ist, sind überdies entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für den Verfall des Anrechnungsanspruches nicht gegeben.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. Juli 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998080162.X00Im RIS seit
28.12.2001