TE Vwgh Erkenntnis 2001/8/7 2001/18/0106

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Veröffentlicht am 07.08.2001
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde der A M in Wien, geboren am 4. August 1969, vertreten durch Dr. Hilbert Aubauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Dezember 2000, Zl. SD 442/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Dezember 2000 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die Beschwerdeführerin sei erstmals im Zeitraum von 25. Jänner 1977 bis 22. Mai 1978 in Österreich gemeldet gewesen. Weiters sei sie von 29. Mai 1978 bis 26. November 1984 sowie ab 17. Dezember 1984 in Österreich gemeldet gewesen. Erstmals habe sie für den Zeitraum von 15. März 1985 bis 23. September 1985 einen Sichtvermerk erhalten. In der Folge habe sie weitere Sichtvermerke für sich und ihren am 18. Mai 1986 in Wien geborenen Sohn bis 30. Oktober 1987 erhalten, wobei ihr am 9. Oktober 1987 zur Kenntnis gebracht worden sei, dass der Sichtvermerk nur zur Ausreise erteilt werde. Ein weiterer Sichtvermerksantrag vom 4. November 1987 sei am 2. Mai 1988 abgewiesen worden, weil die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt von der Sozialhilfe gelebt habe. Die Beschwerdeführerin sei dennoch im Bundesgebiet verblieben und in der Folge wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes bestraft worden. Von 15. Juni 1988 bis 27. März 1993 habe die Beschwerdeführerin nach Vorlage einer Arbeitsbewilligung wieder Sichtvermerke erhalten. Ein am 16. März 1993 gestellter "Verlängerungsantrag" sei von der Beschwerdeführerin am 2. Juni 1993 zurückgezogen worden. Am 21. September 1993 sei sie von ihrer bisherigen Adresse amtlich abgemeldet worden. Über ihren weiteren Aufenthalt sei zunächst nichts bekannt gewesen. Am 3. April 1995 habe sie einen "Erstantrag" auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Für den Zeitraum vom 1. August 1995 bis 31. Oktober 1999 habe sie über gültige Aufenthaltstitel verfügt.

Am 29. August 1995 sei die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden.

Am 19. Oktober 1999 sei sie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall StGB sowie wegen des Verbrechens des Teils versuchten und Teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahles nach den §§ 127, 130 erster Fall und 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum von Dezember 1998 bis Sommer 1999 dadurch gewerbsmäßige Betrügereien begangen habe, dass sie einen Mann durch Vortäuschung ihrer Rückgabewilligkeit und Rückzahlungsfähigkeit zur Übergabe diverser Schmuckgegenstände sowie zur Gewährung von Darlehen in der Höhe von insgesamt zumindest S 15.000,-- veranlasst habe. Weiters habe sie in wiederholten Angriffen aus verschiedenen Selbstbedienungsmärkten gewerbsmäßig alkoholische Getränke gestohlen.

Am 11. November 1999 sei sie wegen versuchten Diebstahles neuerlich zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden.

Am 18. Jänner 2000 sei die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahles nach den §§ 127, 130 erster Fall und

15. StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin in mehreren Angriffen, nämlich am 25. September 1999 sowie am 17. und 21. Dezember desselben Jahres aus einem Selbstbedienungskaufhaus alkoholische Getränke im Gesamtwert von über S 10.000,-- gewerbsmäßig gestohlen habe.

Auf Grund dieser Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Bei der Beurteilung ihres Gesamtfehlverhaltens falle zu Lasten der Beschwerdeführerin die gewerbsmäßige Tatbegehung und der Rückfall trotz rechtskräftiger Verurteilungen ins Gewicht. Es könne daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin die öffentliche Sicherheit gefährde und anderen öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Grund des § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt.

Die Beschwerdeführerin habe in der Berufung ausgeführt, dass sich ihre gesamte Familie, auch das Kind, welches sich derzeit beim Kindesvater befände, in Österreich aufhielte. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 26. Jänner 2000 habe sie angegeben, verheiratet und für ein Kind sorgepflichtig zu sein, jedoch ausgeführt, dass sie außer ihrer Schwester und ihrem Bruder keine Familienangehörigen in Österreich hätte. Fremdenpolizeiliche Erhebungen hätten ergeben, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin in Österreich nicht gemeldet sei und dessen derzeitiger Aufenthalt unbekannt sei. Auch der Sohn der Beschwerdeführerin sei nach diesen Erhebungen in Österreich nicht gemeldet. Auf Grund der Aktenlage könne nicht angenommen werden, dass sich der Sohn der Beschwerdeführerin und ihre Ehemann tatsächlich im Bundesgebiet aufhielten. In Österreich befänden sich lediglich der Bruder und die Schwester der Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin habe in Österreich die Volks- und Hauptschule besucht und sei danach mit Unterbrechungen bei verschiedenen Firmen als Angestellte bzw. Arbeiterin tätig gewesen. Auf Grund ihres langjährigen inländischen Aufenthaltes, der inländischen Schulsausbildung, ihrer Beschäftigungen und nicht zuletzt auf Grund ihrer - wenn auch geminderten - familiären Bindungen sei das Aufenthalt mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz des Eigentums anderer) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Die Beschwerdeführerin habe durch ihr strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, nicht in der Lage bzw. nicht gewillt zu sein, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. Vor allem der Umstand, dass sie mehrmals wegen gewerbsmäßiger Tatbegehung verurteilt worden sie, lasse keine positive Prognose zu. Dazu komme, dass die Beschwerdeführerin jeweils nur kurze Zeit nach einer gerichtlichen Verurteilung bzw. noch während anhängiger gerichtlicher Verfahren neuerlich straffällig geworden sei.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigen, dass die aus dem langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin sowie ihren privaten und familiären Beziehungen ableitbare Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die begangenen Straftaten eine ganz erhebliche Minderung erfahren habe. Dem stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität sowie an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen entgegen. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

§ 38 Abs. 1 Z. 4 FrG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil die Beschwerdeführerin erst seit 1977 in Österreich gemeldet sei. Sie sei somit erst im

7. Lebensjahr nach Österreich gekommen und daher nicht von klein auf hier aufgewachsen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf Grundlage der unstrittig feststehenden rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin bestehen keine Bedenken gegen die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt.

2. Die Beschwerdeführerin hat im Zeitraum von Dezember 1998 bis Sommer 1999 mehrere Betrugshandlungen begangen, wobei sie - dies ergibt sich aus ihrer Verurteilung auch wegen § 147 Abs. 2 StGB - einen Schaden von über S 25.000,-- herbeiführte. Dabei ging sei in der Absicht vor, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßige Begehung gemäß § 70 StGB). Weiters hat sie im selben Zeitraum in mehreren Angriffen alkoholische Getränke aus Selbstbedienungsmärkten gestohlen, wobei sie auch hiebei gewerbsmäßig vorging. Deshalb wurde sie am 19. Oktober 1999 rechtskräftig verurteilt. Diese Verurteilung konnte die Beschwerdeführerin jedoch nicht davon abhalten, bereits kurze Zeit danach neuerlich gewerbsmäßige Diebstähle auf dieselbe Weise zu begehen. Dies zeigt eine besonders gleichgültige Haltung gegenüber den in Österreich rechtlich geschützten Werten. Auf Grund der gewerbsmäßigen Vorgangsweise der Beschwerdeführerin bei ihren Straftaten und des überaus raschen Rückfalles hat die belangte Behörde zu Recht eine negative Prognose für das künftige Verhalten gestellt. Soweit die Beschwerdeführerin auf ihre Läuterung durch die mittlerweile verbüßte Strafhaft verweist, ist ihr zu entgegnen, dass der seit der Vollziehung der mit Urteil vom 18. Jänner 2000 verhängten unbedingten Freiheitsstrafe vergangene Zeitraum jedenfalls zu kurz ist, um auf einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der von ihr ausgehenden Gefahr schließen zu können. Im Übringen befindet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem eigenen Vorbringen derzeit wieder in Untersuchungshaft.

Auf Grund der von der Beschwerdeführerin ausgehenden großen Gefährdung des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde zu Gunsten der Beschwerdeführerin die festgestellte Dauer des inländischen Aufenthaltes, die inländische Schulausbildung, die Berufstätigkeit in Österreich mit Unterbrechungen sowie den inländischen Aufenthalt des Bruders und der Schwester berücksichtigt. Den inländischen Aufenthalt des Gatten der Beschwerdeführerin und des gemeinsamen Sohnes hat sie hingegen nicht festgestellt.

Die Beschwerdeführerin bringt demgegenüber vor, dass sich ihr Sohn, für den sie nicht mehr sorgepflichtig sei, in Österreich aufhalte, behauptet jedoch nicht das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft mit diesem. Sie bekämpft die Ansicht der belangten Behörde, dass sich ihr Gatte nicht in Österreich aufhalte, nicht, bringt jedoch vor, dass mit einem seit 27 Jahren rechtmäßig in Österreich lebenden Mann eine "enge Lebenspartnerschaft" bestehe. Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, dass sie sich bereits seit 1976 ununterbrochen in Österreich aufhalte. Sie bestreitet jedoch nicht, nur in den von der belangten Behörde festgestellten Zeiträumen über Aufenthaltstitel verfügt zu haben.

Die aus der langen Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin ableitbare Integration wird dadurch relativiert, dass sie sich während längerer Zeiträume, insbesondere von 28. März 1993 bis 31. Juli 1995, jedenfalls nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Darüber hinaus wird die Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente - von der belangten Behörde richtig erkannt - durch die von der Beschwerdeführerin begangenen schweren Straftaten erheblich gemindert.

Den dennoch sehr beachtlichen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Inland steht die aus den Straftaten resultierende Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen gegenüber. Im Hinblick auf die gewerbsmäßige Vorgangsweise der Beschwerdeführerin bei ihren Straftaten und ihren raschen Rückfall kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familien nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), selbst dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man die in der Beschwerde zusätzlich geltend gemachten Umstände (ununterbrochener - jedoch nicht durchgehend rechtmäßiger - Aufenthalt in Österreich seit 1976, "enge Lebenspartnerschaft", inländischer Aufenthalt des Sohnes) zu ihren Gunsten berücksichtigte.

Im Hinblick darauf kommt der im Zusammenhang mit den behördlichen Ermittlungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin erhobenen Verfahrensrüge jedenfalls keine Relevanz zu.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie könnte sich in ihrer Heimat nicht mehr zurechtfinden und habe dort keine familiären Beziehungen, ist zu entgegnen, dass mit einem Aufenthaltsverbot nicht ausgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde. Darüber hinaus wird von § 37 FrG nur das in Österreich geführte Privatleben geschützt, nicht aber die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs gewährleistet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0073).

4. Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG erfüllt die Beschwerdeführerin schon deshalb nicht, weil sie selbst nach ihrem eigenen Vorbringen erst seit dem Jahr 1976 in Österreich aufhältig ist und somit nicht schon im Kleinkindalter hier sozial integriert worden ist (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0150).

5. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 7. August 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001180106.X00

Im RIS seit

12.12.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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