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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §166;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zehetner, über die Beschwerde der E in S, vertreten durch Achammer Mennel Welte & Partner, Rechtsanwälte in 6800 Feldkirch, Schlossgraben 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 27. April 1998, Zl. 713-3/1997, betreffend Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Auf Grund des Verdachtes, die Beschwerdeführerin habe einen Pkw mit dem Schweizer Kennzeichen ZH 245.048 trotz eines inländischen Wohnsitzes (Fußach, Riedle 19) ohne die Voraussetzungen des formlosen, sicherungsstellungsfreien Vormerksverkehrs zu erfüllen, im Inland benützt, fanden finanzstrafrechtliche Erhebungen gegen die Beschwerdeführerin statt.
Mit Bescheid vom 11. Mai 1995 schrieb das Hauptzollamt Feldkirch der Beschwerdeführerin gemäß § 177 Abs. 3 lit. e ZollG 1988 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 ZollG für den gegenständlichen Pkw Einfuhrumsatzsteuer in der Höhe von S 60.192,-
- vor. Die Beschwerdeführerin habe als Zollinländerin den Pkw widerrechtlich für Fahrten im österreichischen Zollgebiet benützt, da auf Grund der Ermittlungen der Finanzstrafbehörde erster Instanz der gewöhnliche Wohnsitz im Zollinland gelegen sei. Die Liegenschaft Riedle 19, Fußach, sei seit 15. Oktober 1985 im Besitz der Beschwerdeführerin, die offizielle Anmeldung sei am 3. September 1986 erfolgt und als Mitbewohner werde R.L. als "Lebensgefährte" angeführt. Als erwiesen nahm die Behörde auf Grund der Zeugenaussagen der Zollwachebeamten der Zollämter Höchst und Lustenau an, dass die Beschwerdeführerin regelmäßig und in kurzen Zeitabständen, im Allgemeinen wenigstens einmal im Monat, an den Ort ihrer familiären Bindungen (Familienwohnsitz) zurückkehre. Durch die widerrechtliche Benützung des gegenständlichen Fahrzeuges sei die bedingt entstandene Zollschuld in Verbindung mit § 3 Abs. 2 ZollG unbedingt geworden, wobei als maßgebender Zeitpunkt für die Festsetzung der 30. Juni 1993 (Eintritt der Bedingungen) herangezogen wurde.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin insbesondere geltend, dass weitere Erhebungen und Feststellungen erforderlich gewesen wären, um die Frage ihres gewöhnlichen Wohnsitzes zu klären. Eine familiäre Bindung bzw. einen Familienwohnsitz habe die Behörde angenommen, weil mit R.L. eine Lebensgemeinschaft bestanden hätte; die Behörde habe aber nur festgestellt, dass R.L. im Jahr 1986 als Lebensgefährte "angeführt" worden wäre. Die Behörde hätte feststellen müssen, dass die Beschwerdeführerin Schweizer Staatsbürgerin sei, in der Schweiz einen Massagesalon betreibe und dort ihre Steuern zahle, da sie dort ihren ordentlichen Wohnsitz habe. Die Behörde sei nicht auf die Beweisanträge der Beschwerdeführerin eingegangen, weshalb wiederholt begehrt wurde, H.P. (Mitbewohnerin an der Schweizer Adresse der Beschwerdeführerin) und R.L. zum Beweis dafür einzuvernehmen, dass die Beschwerdeführerin ihren Lebensmittelpunkt am 30. Juni 1993 in der Schweiz, und zwar an ihrem Hauptwohnsitz Florastraße 21 in Uster, hatte.
Die neuerlich einvernommene Zeugin G. St., Nachbarin der Beschwerdeführerin an der Adresse in Fußach, gab bei ihrer Einvernahme am 4. Jänner 1996 an, dass die Beschwerdeführerin auch zu Beginn des Jahres 1993 bis Juni 1993 wöchentlich sicher mehr als drei Mal zum Nachbarhaus gefahren sei.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 12. Jänner 1996 wies das Hauptzollamt Feldkirch die Berufung als unbegründet ab. Weiters wurden die Anträge auf Einvernahme der Zeugen R.L. und H.P. gemäß § 183 Abs. 3 in Verbindung mit § 167 Abs. 1 BAO abgelehnt. In der Begründung wird § 93 Abs. 4 dritter Satz ZollG angeführt, wonach der gewöhnliche Wohnsitz derjenige sei, an dessen Ort eine Person während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr gewöhnlich wohne. Dazu wurde festgestellt, die Beschwerdeführerin sei in der Zeit von 1983 an als Prostituierte in der Schweiz tätig gewesen und habe viele Wochentage und am Wochenende die meiste Zeit in Fußach verbracht. 14 Zollwachebeamte der Zollämter Höchst und Lustenau hätten bei ihren Einvernahmen übereinstimmend angegeben, dass die Beschwerdeführerin regelmäßig fast jede Nacht, jeweils nach Mitternacht, hauptsächlich über das Zollamt Höchst, bisweilen über das Zollamt Lustenau eingereist sei. Durch die ergänzende Einvernahme der Zeugin G.St. sei hinreichend erwiesen, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 1993 ihren gewöhnlichen Wohnsitz im Zollinland gehabt habe. Da der § 93 Abs. 4 dritter Satz ZollG hinsichtlich der Tatsache des gewöhnlichen Wohnsitzes eine Vermutung aufstelle, seien die Beweisanträge der Beschwerdeführerin abzulehnen gewesen.
Nach Stellung eines Vorlageantrages erklärte die Beschwerdeführerin in einer Äußerung gegenüber der Berufungsbehörde abermals, dass sie im Jahr 1993 den ordentlichen Wohnsitz und den Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Schweiz gehabt hätte und dass eine Lebensgemeinschaft mit R.L. nicht bestanden habe. R.L. habe auch seit Mitte 1992 nicht mehr unter der Adresse in Fußach gewohnt. In Vorarlberg sei die Beschwerdeführerin nur fallweise, jedenfalls nicht die überwiegende Zeit aufhältig gewesen. Ihre bisherigen Beweisanträge wiederholte die Beschwerdeführerin und begehrte zusätzlich die Einvernahme ihres Steuerberaters.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als gesetzlich nicht begründet ab. Mit dem Hinweis in der Begründung, dass die stärksten persönlichen Bindungen an jenem Ort anzusehen sind, an dem sich eine Person mit ihrem Lebensgefährten aufhält und dass der Begriff "Familienwohnsitz" nicht nur in einer ehelichen Gemeinschaft gesehen werde, stellt sie offenbar auf den zweiten Satz des § 93 Abs. 4 ZollG ab; weiters sah es auch die Berufungsbehörde als erwiesen an, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 1993 mehr als 185 Tage in Fußach gewohnt habe.
In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht darauf verletzt, dass keine Einfuhrumsatzsteuer vorgeschrieben werde. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde galt § 120 Abs. 1c ZollR-DG in der Fassung BGBl. I Nr. 1998/13; danach traten die §§ 85a bis 85f am 1. Jänner 1998 in Kraft, waren aber nur auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem EU-Beitritt ereignet haben. Hier geht es um den Wohnsitz der Beschwerdeführerin am 30. Juni 1993, sodass die §§ 85a bis 85f ZollR-DG keine Anwendung finden.
In Anbetracht des zuletzt genannten Zeitpunktes findet das ZollG 1988 in der Fassung BGBl. 1993/16 Anwendung (ZollG). Gemäß § 67 Abs. 3 lit. a ZollG ist der Eingangsvormerkverkehr auch zulässig für ausländische (unverzollte) Beförderungsmittel samt Zugehör zur vorübergehenden Einbringung in das Zollgebiet. Gemäß § 93 Abs. 2 lit. a Z. 1 ZollG ist die Eingangsvormerkbehandlung von ausländischen unverzollten Beförderungsmitteln zum eigenen Gebrauch unter anderem dann zulässig, wenn der Halter und der Benützer des Beförderungsmittels seinen gewöhnlichen Wohnsitz oder seinen Sitz im Zollausland hat. Nach der Vorschrift des § 93 Abs. 7 leg. cit. iVm § 11 ZollG-DVO dürfen Beförderungsmittel unter anderem bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 93 Abs. 2 lit a Z. 1 ZollG ohne Ausstellung eines Vormerkscheines und ohne Leistung einer Sicherstellung zu vorübergehenden Fahrten in das Zollgebiet eingebracht oder den begünstigten Personen zum selben Zweck voraus- oder nachgesandt werden (formloses Vormerkverfahren). Gemäß § 177 Abs. 3 lit. e ZollG wird die gemäß Abs. 1 dieser Gesetzesstelle für den Vormerknehmer zunächst bedingt entstandene Zollschuld im Zeitpunkt der Ausfolgung der Waren unbedingt, wenn die Waren infolge unrichtiger oder unvollständiger Angaben zum Vormerkverkehr zugelassen wurden.
§ 93 Abs. 4 ZollG 1988 lautete auszugsweise:
"(Satz 1) Unter mehreren Wohnsitzen einer Person ist als gewöhnlicher Wohnsitz derjenige anzusehen, zu dem sie die stärksten persönlichen Beziehungen hat. (Satz 2) Bei Personen, deren berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem ihrer familiären Bindungen liegen, gilt der Wohnsitz am Ort ihrer familiären Bindungen (Familienwohnsitz) als gewöhnlicher Wohnsitz, sofern sie regelmäßig und in kurzen Zeitabständen, im allgemeinen wenigstens einmal im Monat, dorthin zurückkehren. (Satz 3) Hat eine Person keinen Familienwohnsitz, so gilt als gewöhnlicher Wohnsitz derjenige, an dessen Ort sie während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr und demgemäss gewöhnlich wohnt. (Satz 4) Der Aufenthalt zum Besuch einer Universität ...."
Die Bejahung von Fußach als gewöhnlichen Wohnsitz der Beschwerdeführerin am 30. Juni 1993 wird im erstinstanzlichen Bescheid mit der familiären Bindung (§ 93 Abs. 4 zweiter Satz ZollG), in der Berufungsvorentscheidung mit dem Aufenthalt an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr (§ 93 Abs. 4 dritter Satz ZollG) begründet; die Berufungsbehörde nimmt offenbar beide Tatbestände als gegeben an. Zur Feststellung, die Beschwerdeführerin halte sich mehr als 185 Tage im Kalenderjahr in Fußach auf bzw. habe wegen R.L., der ihr Lebensgefährte sei, in Fußach einen Familienwohnsitz, gelangten die Verwaltungsbehörden auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens. Demgegenüber hat aber die Beschwerdeführerin stets die Behauptung aufgestellt, dass sie die stärksten persönlichen Beziehungen zu ihrem Wohnsitz in Uster hätte, dass sie ihr Haus in Fußach nur gelegentlich aufsuche und dass R.L. zumindest zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr ihr Lebensgefährte gewesen sei. Dazu beantragte sie die Vernehmung ihrer Mitbewohnerin in Uster sowie des R.L.. In der Berufungsvorentscheidung wurde das Beweisanbot mit dem Hinweis darauf abgelehnt, es handelt sich bei § 93 Abs. 4 dritter Satz ZollG um eine Vermutung; dem entgegnete die Beschwerdeführerin in ihrer Gegenäußerung gegenüber der Berufungsbehörde, dass sie in Vorarlberg nur fallweise, jedenfalls nicht die überwiegende Zeit aufhältig gewesen sei und machte dafür die Zeugen H.P. und R.L. namhaft.
Die belangte Behörde hat die Ablehnung dieser Beweisanträge im angefochtenen Bescheid nicht begründet; in der Gegenschrift führt sie aus, dass es sich bei H.P. um eine Prostituierte handle und dass R.L. ein mehrfach unter anderem wegen falscher Zeugenaussage vorbestrafter Gewalttäter und Zuhälter sei.
Gemäß § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Nach § 167 Abs. 1 BAO bedürfen Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, keines Beweises. Gemäß § 183 Abs. 3 BAO sind von den Parteien beantragte Beweise aufzunehmen, soweit nicht eine Beweiserhebung gemäß § 167 Abs. 1 zu entfallen hat. Von der Aufnahme beantragter Beweise ist abzusehen, wenn die unter Beweis zu stellenden Tatsachen als richtig anerkannt werden oder unerheblich sind, wenn die Beweisaufnahme mit unverhältnismäßigen Kostenaufwand verbunden wäre, es sei denn, dass die Partei sich zur Tragung der Kosten bereit erklärt und für diese Sicherheit leistet, oder wenn aus den Umständen erhellt, dass die Beweise in der offenbaren Absicht, das Verfahren zu verschleppen, angeboten worden sind.
Keiner der Gründe, von der Beweisaufnahme durch Vernehmung der angebotenen Zeugen R.L. und H.P. Abstand zu nehmen, liegt hier vor. Soweit in der Berufungsvorentscheidung zunächst auf § 167 Abs. 1 verwiesen wurde, wonach hinsichtlich der erheblichen Tatsache das Gesetz eine Vermutung aufstelle, wird verkannt, dass die Beschwerdeführerin nicht die Vermutung bestritten hat, auf Grund eines 185 Tage übersteigenden Aufenthaltes ergebe sich ein gewöhnlicher Wohnsitz, sondern bestritten hat, dass sie sich in Fußach an 185 Tagen aufgehalten hätte. Diese Tatsache war aber beweisbedürftig; diesbezüglich und bezüglich der Frage des Bestehens eines Familienwohnsitzes wurden von der Beschwerdeführerin Beweise angeboten, die die Behörde nicht aufgenommen hat. Abgesehen davon, dass sich die Behörde mit den weiteren Gründen des § 183 Abs. 3 BAO nicht auseinander gesetzt hat, hat die Beschwerdeführerin ausdrücklich angeboten, die in der Schweiz wohnhafte Zeugin stellig zu machen; trotzdem hat die Behörde bei keinem der beantragten Zeugen auch nur einen Ladungsversuch unternommen.
Zu den in der Gegenschrift behaupteten besonderen Eigenschaften der beiden namhaft gemachten Zeugen ist darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung des angebotenen Beweises allein anhand des § 183 Abs. 3 BAO erfolgen kann. Eine Würdigung der Beweise hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist nur nach deren Aufnahme möglich; eine vorgreifende Beweiswürdigung ist unzulässig (siehe die Nachweise aus der hg. Judikatur bei Stoll, BAO II, 1892).
Durch die Nichtaufnahme der angebotenen Beweise hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994; eine Vergütung jener Aufwendungen, die im Verfahren zur Gewährung der Verfahrenshilfe entstanden sind, sieht das Gesetz nicht vor.
Im Hinblick auf die klare Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Wien, am 9. August 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998160303.X00Im RIS seit
15.01.2002