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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des R G in S, geboren am 27. März 1967, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Oktober 1998, Zl. 205.085/0-XI/35/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volksgruppe zugehöriger jugoslawischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo, reiste am 6. Juli 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Bei seiner Vernehmung am 4. August 1998 gab er an, er stamme aus dem Dorf Atmadja, Bezirk Prizren, und habe Angst, in seiner Heimat umzukommen. Die Lage in seiner Heimat sei "im Moment einfach nicht gut"; aus religiösen oder politischen Gründen fühle er sich nicht verfolgt.
Mit Bescheid vom 5. August 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ua. mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv), weil ihm in seinem Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seine Angst, die ihn zur Flucht bewogen habe, habe ihren Grund in der unsicheren Lage im Kosovo. Das Dorf Atmadja, in dem er mit seiner Familie gelebt habe, liege an einer Straße, die Djakovica und Prizren verbinde. Atmadja befinde sich in der Nähe von Landovice, wo serbische Armee und Polizei ein Waffenarsenal hätten. In dem Ort befänden sich auch Artilleriestellungen, die zahlreiche Nachbardörfer und Städte beschossen hätten; so sei auch der Ort Suva Reka, der über 20 km entfernt liege, beschossen worden. Der Beschwerdeführer habe Angst gehabt, dass auch das Haus seiner Familie mit Granaten beschossen werde. Außerdem habe er gehört, dass albanisch - stämmige Männer immer öfter Opfer von willkürlichen Gewaltakten seitens serbischer Armee und Polizei geworden seien. Nach seiner Flucht sei es in dieser Gegend zu mehreren Granatangriffen gekommen; besonders in der Nacht operierten die paramilitärischen Einheiten der Serben, weshalb man in kleinen Dörfern unsicher sei. Am 2. September 1998 sei der Ort Hoca Zagradska, wo sich die Frau des Beschwerdeführers aufgehalten habe, mit Granaten beschossen worden.
In einem Schreiben vom 22. September 1998 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass sie beabsichtige, bei ihrer Berufungsentscheidung von folgenden (auszugsweise wiedergegebenen) Tatsachen auszugehen:
"Es ist amtsbekannt, dass es im Kosovo in den vergangenen Jahren zu vermehrten (auch gewaltsamen) Übergriffen auf Angehörige der albanisch-stämmigen Bevölkerung durch serbische Behörden gekommen ist. Es liegen vielfach Berichte über Verhöre, Hausdurchsuchungen und Festnahmen vor. Ferner wurde die albanischstämmige Bevölkerungsgruppe in sozialer Hinsicht vielfach benachteiligt, verloren im Zeitraum seit 1990 über 14.000 Kosovo-Albaner ihren Arbeitsplatz, welcher in der Regel von Serben eingenommen wurde, und wurde auch das parallele albanische Erziehungswesen (Schule und Universität) schwer in Mitleidenschaft gezogen (Bericht der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 12.11.1996, Zahl: 224.21/2/96; Human Rights Watch 1998, 254;
Commission on Human Rights des UN Economic and Social Coucil, Minderheitenbericht früheres Jugoslawien vom 25.10.1996, 8 ff;
Auswärtiges Amt der BRD, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der BRJ, Stand April 1998).
Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich ferner, dass sich Übergriffe auf albanisch-stämmige Staatsangehörige im wesentlichen auf den Kosovo beschränken. So sind insbesondere aus Zentralserbien (hier wiederum primär aus Belgrad) keine Diskriminierungen oder Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen von Minderheiten bekannt.
Aber auch in Montenegro, wo ca. 7% der Bevölkerung der
albanischen Minderheit angehören, fanden bislang keine Übergriffe
auf Albaner statt (... UNHCR, Information zu Kosovo vom
14.7.1998). Vielmehr halten sich in Montenegro wischen 13.000 ...
und 70.000 ... albanisch-stämmige Kosovo-Flüchtlinge unbehelligt
auf. Dank der großzügigen Hilfsbereitschaft der örtlichen Bevölkerung in Grenzorten hätten die meisten Flüchtlinge privat bei Verwandten oder Freunden untergebracht werden können. Nur wenige Vertriebene wären in Sammelunterkünften untergebracht (UNHCR, Information zu Kosovo vom 14.07.1998, 5). Im Hinblick auf das Memorandum der Regierung der Republik Montenegro vom 11.9.1998 erscheint jedoch eine Überschreitung der Binnengrenze zwischen dem Kosovo und der Republik Montenegro derzeit schwierig bzw. nicht möglich. Anhaltspunkte dafür, dass Montenegro von außerhalb des Staatsgebietes nicht zugängig wäre, liegen hingegen nicht vor.
Amtsbekannt ist ferner, dass die Wahrscheinlichkeit, dass albanisch-stämmige Staatsangehörige im Falle ihrer Rückkehr in den Heimatstaat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt wären, als gering einzustufen ist. Wenngleich von diversen Unterstützungsgruppen der Kosovo-Albaner laufend neue Fälle angeblicher Menschenrechtsverletzungen berichtet werden, ergab eine objektive Prüfung seitens des deutschen Außenamtes, dass hinter einem Großteil der Meldungen staatliche Maßnahmen ohne Misshandlungscharakter (vor allem polizeiliche Befragungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und gerichtliche Prozesse bei Straftätern) standen (vgl. Auswärtiges Amt der BRD, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der BRJ, Stand April 1998; BAFI, BRJ-Information, Juli 1998, 15). Rückkehrer kosovo-albanischer Abstammung finden jedoch selten Arbeit bzw. erhalten keine Sozialhilfe ...
Vermehrte Übergriffe abgelehnter Asylantragsteller sind lediglich im Falle der Rückkehr in den Kosovo zu verzeichnen, wobei hiefür hauptsächlich der Verdacht ausschlaggebend ist, dass derartige Personen im Ausland für die UCK oder ähnliche Organisationen tätig gewesen waren ... So stellt auch das Schwergewicht der von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe dokumentierten Fälle solche der Rückführung oder Rückkehr in den Kosovo dar. Geringfügigere Übergriffe sind abgesehen davon nur vom Flughafen Belgrad bzw. ein einziger durch montenegrinische Behörden verzeichnet.
An dieser Situation im Kosovo hat sich bislang nach vorliegenden Berichten ... nichts geändert."
Zu diesen dann in den Sachverhalt des nunmehr bekämpften Bescheides aufgenommenen Feststellungen bot die belangte Behörde dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme, die Letzterer dazu nützte, auf die "in seinem Gebiet" immer wieder vorkommenden Feuergefechte hinzuweisen. Dort planten die Serben "eine Politik der verbrannten Erde", in deren Folge die Zivilbevölkerung vertrieben werden sollte (Stellungnahme vom 7. Oktober 1998). Zum Beweis der Gefährdung abgelehnter und in den Kosovo rückgeführter Kosovo-Albaner schloss der Beschwerdeführer seiner Stellungnahme zwei Berichte des UNHCR an, in denen es ua. heißt:
"Nach UNHCR-Schätzungen ist die Zahl der Binnenvertriebenen seit Februar auf über 20.000 gestiegen; rund 17.000 im Kosovo selbst und rund 5.000 in Montenegro. Allein in Srbica muss man von 6.000 Binnenvertriebenen ausgehen. Andere in diesem Zusammenhang betroffene Stadtgemeinden sind: ...Suva Reka..."
(Hintergrundinformationen Zurückführung von Kosovo-Albanern in die Bundesrepublik Jugoslawien vom Mai 1998)
"In Westeuropa wird immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit es gefährdeten Menschen aus dem Kosovo möglich und zumutbar ist, innerhalb des Landes an einem anderen Ort sichere Zuflucht zu finden. UNHCR hält das nicht für einen gangbaren Weg. Polizei und Streitkräfte haben innerhalb des gesamten Hoheitsgebiets Zugriffsrechte. Jene Kosovo-Albaner, die Furcht vor Verfolgung durch serbische Behörden haben, können aus diesem Grund innerhalb der BR Jugoslawien keine Sicherheit finden. ... Der Konflikt ist von beängstigender Dynamik und breitet sich rasch und in vorhersehbarer Weise aus. ... Mitte September setzte Montenegro dieser großzügigen Politik der offenen Tür ein jähes Ende: Mehr als 3.000 Kosovo-Albaner wurden an die albanische Grenze gebracht und in das Nachbarland deportiert. ..." (Kosovo-Fakten).
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9. Oktober 1998 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei. Sie begründete den Bescheid im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte für eine drohende individuelle Verfolgung zu entnehmen seien; subjektive Befürchtungen vor Übergriffen genügten nicht. Der Beschwerdeführer sei bei den serbischen Behörden in keiner Weise in Erscheinung getreten und gehöre keiner besonders gefährdeten Gruppe an. Im Übrigen bestehe insbesondere im Bundesstaat Montenegro sowie in Zentralserbien eine inländische Fluchtalternative. Diese lasse auch eine Rückführung des Beschwerdeführers für zulässig erscheinen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zur Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung aller Albaner im Kosovo allein auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ist zunächst auszuführen, dass es der Verwaltungsgerichtshof als notorisch ansieht, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der seinerzeitigen "bewaffneten" Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gingen auch mit vermehrten Übergriffen auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 6. Juli 1999, Zlen. 99/01/0058 bis 0063).
Es ist auch allgemein bekannt, dass sich die Aktionen der serbischen Kräfte zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (9. Oktober 1998) nicht auf den ganzen Kosovo bezogen haben (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0639 mwN). Eine asylrelevante Verfolgung wäre dann zu bejahen gewesen, wenn der Asylwerber aus einer Gegend stammte, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten waren und keine besonderen Umstände vorlagen, die es unwahrscheinlich machten, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0204). Zwar waren für den Bereich von Prizren für den in Frage stehenden Zeitpunkt verstärkte Aktionen der genannten Art nicht notorisch, der Beschwerdeführer hatte aber bereits in der Berufung darauf hingewiesen, dass das in der Nähe seines Heimatortes gelegene Dorf Suva Reka, sowie zahlreiche Nachbardörfer und Städte von Landovice aus, wo sich ein Waffenarsenal und Artilleriestellungen serbischer Armee und Polizei befänden, beschossen worden seien sowie, dass es zu mehreren Granatangriffen und zu nächtlichen Operationen paramilitärischer Einheiten der Serben gekommen sei. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinander gesetzt und dazu keine Feststellungen getroffen. Gleichfalls bleibt außer Betracht, dass etwa in den "Hintergrundinformationen Zurückführung von Kosovo-Albanern in die Bundesrepublik Jugoslawien" des UNHCR von Binnenvertreibungen ua. in der Ortschaft Suva Reka die Rede ist. Auch fanden die in den "Kosovo-Fakten" enthaltenen Informationen über die mangelnde inländische Fluchtalternative im angefochtenen Bescheid keine Berücksichtigung. Folgt man diesen Unterlagen sowie den Angaben des Beschwerdeführers, so stammt er aus einem Ort in einem Bereich, auf den sich die damaligen serbischen Aktivitäten erstreckt haben. Unter Berücksichtigung der für die Beurteilung des Beschwerdefalles maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (§ 41 Abs. 1 VwGG) kann bei einem ethnischen Albaner, der aus einer solchen Region bzw. aus einem daran angrenzenden Gebiet kommt, auf das sich die Aktionen schon ausgeweitet haben bzw. eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen (vgl. das Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0576). Hätte die belangte Behörde dies beachtet und auf das Vorbringen des Beschwerdeführers sowie die angebotenen Beweismittel Bedacht genommen, hätte sie zu einem anderen Bescheid kommen können.
Infolge der darin gelegenen Verletzung von Verfahrensvorschriften war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. August 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998010630.X00Im RIS seit
26.11.2001