Index
60 ArbeitsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / AllgLeitsatz
Kein Verstoß von Strafbestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzG gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art4 des 7. ZP der EMRK; verfassungskonforme Interpretation im Falle einer drohenden Doppelbestrafung geboten; Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber nicht ausgeschlossenSpruch
1. Der zu G51/97 sowie zu G26/98 eingebrachte Hauptantrag, die Z1 des §130 Abs5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994, aufzuheben, in eventu mit der Wortfolge "oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen" des §22 Abs1 VStG, BGBl. Nr. 52/1991, in eventu mit der Wortfolge "oder einem Gericht" des §22 Abs2 VStG 1991, wird abgewiesen.
2. Die zu G51/97 bzw. G26/98 eingebrachten Eventualanträge, die Z15 bzw. die Z16 des §130 Abs1 ASchG bzw. die Z1 des §130 Abs5 ASchG und die Z16 des §130 Abs1 ASchG, jeweils in eventu in Verbindung mit den Worten "oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen" in §22 Abs1 VStG 1991, in eventu mit der Wortfolge "oder einem Gericht" in §22 Abs2 VStG 1991 aufzuheben, werden abgewiesen.
3. Die übrigen zu G51/97 protokollierten Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Zu G51/97 beantragte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im folgenden: UVS OÖ) aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens,
"a) die Z1 des §130 Abs5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994, in eventu iVm den Worten gemäß litc) dieses Antrages, in eventu iVm den Worten gemäß litd) dieses Antrages;
in eventu
b) die Z15 des §130 Abs1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994, in eventu iVm den Worten gemäß litc) dieses Antrages, in eventu iVm den Worten gemäß litd) dieses Antrages;
in eventu
c) die Worte 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' in §22 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52 - VStG;
in eventu
d) die Worte 'oder einem Gericht' in §22 Abs2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52 - VStG"
als verfassungswidrig aufzuheben.
In dem diesen Anträgen des UVS OÖ zugrundeliegenden Verfahren bekämpft der Berufungswerber vor dem UVS OÖ das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 4. Dezember 1996, mit dem über ihn wegen Übertretung des §110 Abs1 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 340/1994, (im folgenden: BauV) in Verbindung mit §130 Abs1 Z15 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl. Nr. 450/1994, (im folgenden: ASchG) sowie des §117 Abs6 BauV in Verbindung mit §130 Abs1 Z15 ASchG, eine Geldstrafe von jeweils S 25.000,-, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils 36 Stunden verhängt wurde, da bei der Durchführung eines Mauerabbruches ein dafür von ihm beschäftigter Arbeitnehmer tödlich verletzt wurde, wobei eine Untersuchung des abzubrechenden Objekts durch eine fachkundige Person unterblieben war und der betroffene Arbeitnehmer sich im Gefahrenbereich der Mauer aufgehalten hatte. "Wegen dieses Tatverhaltens" (so der UVS OÖ) wurde der Berufungswerber vom Bezirksgericht Grieskirchen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens am 2. Oktober 1996 gemäß §80 StGB zu 120 Tagessätzen a S 400,-, im Nichteinbringungsfall zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, unter Festsetzung einer Probezeit von zwei Jahren für die bedingte Strafnachsicht verurteilt. Wie aus dem vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Strafakt des Bezirksgerichtes Grieskirchen hervorgeht, gründet sich der Schuldspruch darauf, daß der Berufungswerber "am 17. 4. 1996 ... durch Außerachtlassung der gebotenen Umsicht und Vorsicht, insbesondere dadurch, daß er, obwohl ihm die erforderliche Ausbildung und ausreichende Kenntnisse im Bauwesen fehlen, beabsichtigte, einen Mauerteil abzutragen, ohne den Gefahrenbereich ausreichend abzusichern, was dazu führte, daß der Mauerteil umstürzte und den sich im Gefahrenbereich befindlichen ... traf, diesen fahrlässig getötet" hat. Das Urteil erwuchs am 8. Oktober 1996 in Rechtskraft.
1.b) Zu G26/98 beantragte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS NÖ) aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens,
"I) die Z1 des §130 Abs5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, allenfalls i.V.m. der Wortfolge 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' des §22 Abs1 VStG, BGBl. Nr. 52/1991, und der Wortfolge 'oder einem Gericht' des §22 Abs2 VStG;
in eventu
II) die Z16 des §130 Abs1 ASchG allenfalls i.V.m. der Wortfolge 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' des §22 Abs1 VStG und der Wortfolge 'oder einem Gericht' des §22 Abs2 VStG;
in eventu
III) die Z1 des §130 Abs5 ASchG und die Z16 des §130 Abs1 ASchG allenfalls i.V.m. der Wortfolge 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' des §22 Abs1 VStG und der Wortfolge 'oder einem Gericht' des §22 Abs2 VStG"
als verfassungswidrig aufzuheben.
In dem diesen Anträgen des UVS NÖ zugrundeliegenden Verfahren bekämpft der Berufungswerber vor dem UVS NÖ das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 10. Juli 1996, mit dem über ihn wegen Übertretung des §68 Abs1 BauV in Verbindung mit §130 Abs1 Z16 ASchG eine Geldstrafe von S 10.000,-, sowie wegen Übertretung des §68 Abs4 BauV in Verbindung mit §130 Abs1 Z16 ASchG eine Geldstrafe von S 10.000,-, und wegen Übertretung des §68 Abs3 BauV in Verbindung mit §130 Abs1 Z16 ASchG eine Geldstrafe von S 5.000,- verhängt wurde, da es der Beschwerdeführer gemäß §9 Abs1 VStG 1991 als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma Draxler GesmbH & CO KG zu verantworten habe, daß 1.) bei dem auf einer näher bezeichneten Baustelle stehenden Fang- und Arbeitsgerüst eine Konsole unzureichend befestigt war, 2.) der waagrechte Abstand der Konsolen des angeführten Gerüstes das zulässige Maß überschritten hatte und 3.) der erforderliche statische Nachweis über die Befestigung der Konsolen des Fang- und Arbeitsgerüstes durch eine fachkundige Person nicht eingeholt worden war. "Wegen dieses Tatverhaltens" (so der UVS NÖ) wurde der Berufungswerber vom Strafbezirksgericht Wien am 10. Jänner 1997 gemäß §88 Abs1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von S 24.000,-, im Nichteinbringungsfall zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Wie aus dem vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Strafakt des Strafbezirksgerichtes Wien hervorgeht, gründet sich der Schuldspruch darauf, daß der Berufungswerber am 13. April 1995 auf der näher bezeichneten Baustelle als verantwortlicher Bauleiter beim Aufstellen des Gerüstes die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen habe, wodurch sich eine Verankerungsplatte gelöst habe und ein Teil des Gerüstes abgerissen sei. Durch den Absturz vom Gerüst seien drei Arbeitnehmer fahrlässig schwer am Körper verletzt worden. Das Gericht stützt sich auf ein Sachverständigengutachten, das vom mangelhaften Aufbau des Gerüstes ausgeht. Demnach waren bei der Verwendung der Dübel die erforderlichen Voraussetzungen - Setztiefe, Lochausblasung, Temperatur und Aushärtezeit - nicht gegeben. Zwei zu eng gesetzte Dübel seien nicht ins Ziegelmaterial gelangt, sondern in Putz, der kein belastbares Material sei, weshalb sie keine statische Wirkung entfalten konnten. Die laut ÖNORM und der BauV erheblich zu weit auseinandergesetzten Konsolen wären bei einer einwandfreien Ausführung der gewählten Dübelart bzw. Dübelplatte statisch ohne Belang gewesen. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft; die Strafe samt Verfahrenskosten wurde bezahlt.
2.1. Die Strafbestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994, lauten in ihrem Zusammenhang (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben):
"Strafbestimmungen
§130. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2 000 S bis 100 000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4 000 S bis 200 000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen
(1. - 14.)
15. die Verpflichtungen betreffend die Einrichtung und den Betrieb von Arbeitsstätten oder Baustellen einschließlich der Sozial- und Sanitäreinrichtungen verletzt,
16. die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt,
(17. - 32.).
...
(5) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2 000 S bis 100 000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4 000 S bis 200 000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber/in
1. den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt, oder
2. die nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden bescheidmäßigen Vorschreibungen nicht einhält.
9. Abschnitt
Übergangsrecht und Aufhebung von Rechtsvorschriften
...
Bauarbeiten
§118. (1) Bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach diesem Bundesgesetz, die Anforderungen an Gebäude auf Baustellen regelt, gelten für Gebäude auf Baustellen die in §106 Abs3 dieses Bundesgesetzes angeführten Bestimmungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung als Bundesgesetz.
(2) ...
(3) Die Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 340/1994, (BauV), gilt nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz. Für die Änderung der Bauarbeiterschutzverordnung ist dieses Bundesgesetz maßgeblich:
(Z1 - 4).
...".
2.2. Die in den zugrundeliegenden Verfahren relevanten Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über Vorschriften zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer bei Ausführung von Bauarbeiten (Bauarbeiterschutzverordnung - BauV), BGBl. Nr. 340/1994, lauten:
"§68. (1) Konsolen müssen an tragfähigen Bauteilen derart befestigt werden, daß ein unbeabsichtigtes Lösen der Konsolen auszuschließen ist.
(2) ...
(3) Erfolgt die Befestigung nicht durch Schlaufen, muß für die Befestigung ein statischer Nachweis durch eine in §56 Abs2 genannte Person erstellt werden.
(4) Der waagrechte Abstand der Konsolen darf bei Verwendung als Arbeits- oder Fanggerüst maximal 1,50 m, bei Verwendung als Schutzdach maximal 3,00 m betragen.
...
Vorbereitende Maßnahmen
§110. (1) Vor Durchführung von Abbrucharbeiten muß der Bauzustand des abzubrechenden Objektes und der angrenzenden Nachbarobjekte von einer fachkundigen Person untersucht werden. Die Untersuchung des abzubrechenden Objektes hat sich insbesondere auf die konstruktiven Gegebenheiten, die statischen Verhältnisse, die Art und den Zustand der Bauteile und Baustoffe sowie die Art und Lage von Leitungen und sonstigen Einbauten zu erstrecken. Die fachkundige Person muß über die jeweils erforderlichen Kenntnisse, insbesondere auf dem Gebiet der Statik, verfügen und praktische Erfahrungen besitzen.
...
Abbruch durch Einreißen
§117. (1) ...
(6) Bei den maschinellen Einrichtungen dürfen während des Einreißens nur die für deren Bedienung notwendigen Arbeitnehmer anwesend sein. Alle übrigen Arbeitnehmer haben sich außerhalb des Gefahrenbereiches aufzuhalten."
2.3. Die angefochtenen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, lauten:
"Zusammentreffen von strafbaren Handlungen
§22. (1) Hat jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen nebeneinander zu verhängen.
(2) Dasselbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.
..."
3.1. Die antragstellenden UVS berufen sich zur Begründung der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen darauf, daß sie die §§110 Abs1 und 117 Abs6 bzw. §68 Abs3, 4 und 5 der aufgrund des §118 Abs3 ASchG geltenden BauV, §130 Abs1 Z15 bzw. Z16 (von der Strafbehörde erster Instanz, den UVS zufolge, jeweils fälschlich herangezogene Rechtsgrundlage) und §130 Abs5 Z1 ASchG (die, wie die UVS in beiden Verfahren meinen, richtigerweise heranzuziehende Übertretungsnorm), sowie, da das ASchG in der geltenden Fassung keine Subsidiaritätsklausel zugunsten des gerichtlichen Strafverfahrens beinhalte, §22 VStG 1991 anzuwenden haben.
3.2.a) In der Sache hegen die beiden UVS in ihren im wesentlichen gleichlautenden Anträgen das Bedenken, daß die angefochtenen Bestimmungen im bezeichneten Umfang gegen Art4 des im Verfassungsrang stehenden 7. Zusatzprotokolles zur Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 628/1988, (7. ZPEMRK) verstoßen. Sie berufen sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) vom 23. Oktober 1995 im Fall Gradinger gegen Österreich, Nr. 33/1994/480/562, Serie A/328, wonach die "Erklärung" Österreichs, Art4 7. ZPEMRK beziehe sich nur auf Strafverfahren im Sinne der österreichischen Strafprozeßordnung, kein gültiger Vorbehalt sei.
Die UVS führen zur Untermauerung ihrer Bedenken das hg. Erkenntnis VfSlg. 14696/1996 an, in dem der Verfassungsgerichtshof die Normierung in §99 Abs6 litc StVO 1960, wonach die Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1 lita StVO 1960 auch dann als Verwaltungsübertretung zu ahnden sei, wenn die betreffende Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirkliche, als verfassungswidrig erkannte. Anders als in Fällen der Scheinkonkurrenz wegen Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität, wo im Wege verfassungskonformer Auslegung dem Verbot der Doppelbestrafung des Art4 7. ZPEMRK zum Durchbruch verholfen werde, so die UVS, habe der die Subsidiarität eines Straftatbestandes regelnde Gesetzgeber das verfassungsgesetzliche Verbot der Doppelbestrafung zu beachten. Eine gesetzliche Strafdrohung widerspreche dann dem Art4 des
7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde unterwirft.
Im Lichte dieser Judikatur werde daher durch die angefochtenen Bestimmungen des ASchG, in eventu mit dem das Kumulationsprinzip gebietenden §22 VStG 1991, eine verfassungswidrige Doppelbestrafung normiert. Im Gegensatz zur Vorläuferbestimmung des §31 Abs2 ASchG, BGBl. Nr. 234/1972 idF BGBl. Nr. 393/1986, wonach von der Bezirksverwaltungsbehörde die Verwaltungsübertretung nur dann zu bestrafen war, "sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist", enthalte die geltende Rechtslage keine Subsidiaritätsbestimmung.
Den Materialien zu §130 ASchG (1590 BlgNR, XVIII. GP) könne nur entnommen werden, daß Grund für eine beabsichtigte Erhöhung der Strafgrenzen die aus Übertretungen der Schutzvorschriften in der Regel resultierende Gefährdung von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer, drohende Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen oder Gesundheitsschäden waren. Die Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden, die in jedem Fall eine Überprüfung auf das Vorliegen strafrechtlicher Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte nach dem StGB nach sich ziehen, spreche für die Intention des Gesetzgebers, die Subsidiarität einer verwaltungsbehördlichen Bestrafung gegenüber der gerichtlichen Strafverfolgung auszuschließen.
Die Bestimmungen des ASchG wie auch der BauV dienten in erster Linie dem Schutz der Gesundheit und des Lebens des Arbeitnehmers. Diese Rechtsgüter würden verletzt, wenn diese Sorgfaltsnormen des ASchG bzw. der BauV vom Arbeitgeber nicht eingehalten würden. Durch die Nichteinhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen werde die Kausalität, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit für ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinne des StGB hergestellt. Der eingetretene Erfolg habe dann genau die spezifische Gefahr realisiert, deren Abwendung die übertretene Sorgfaltsnorm bezwecke, und jener Erfolg sei für einen Durchschnittsmenschen auch vorhersehbar und bei rechtmäßigem Verhalten auch abwendbar gewesen. Die UVS berufen sich auf Kienapfel, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, Z27, wenn sie betonen, die Frage der Einhaltung der gegenständlichen Arbeitnehmerschutzbestimmungen sei demnach wesentliche Voraussetzung für die objektive Zurechnung und daher für die gerichtliche Strafbarkeit.
Dieser Kausalitäts-, Rechtswidrigkeits- und Schuldzusammenhang sei in den maßgebenden bezirksgerichtlichen Verfahren hergestellt und dem Schuldspruch zugrundegelegt worden. Da daher der "wesentliche Gesichtspunkt" der "Außerachtlassung der gebotenen Umsicht und Vorsicht" sowie der "Absicht, einen Mauerteil, ohne den Gefahrenbereich entsprechend abzusichern, abzutragen" (in G51/97) bzw. die "Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt bei der Herstellung von Gerüsten" (in G26/98) bereits Grundlage der jeweiligen strafgerichtlichen Verurteilung war, scheinen die angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen auf nochmalige Bestrafung wegen Nichtvorliegens von vorbereitenden Maßnahmen und mangelnder Absicherung des Gefahrenbereichs (in G51/97) bzw. wegen Nichtbeachtung der bei der Errichtung von Gerüsten zu berücksichtigenden einschlägigen Vorschriften der BauV (in G26/98), also aufgrund derselben Aspekte eines einheitlichen Lebenssachverhaltes im Sinne des EGMR-Urteils im Fall Gradinger, und damit auf einen Verstoß gegen das in Art4 7. ZPEMRK normierte Verbot der Doppelbestrafung hinauszulaufen.
Grundlage der Doppelbestrafung, da Subsidiarität vom Materiengesetzgeber nicht gewollt gewesen sei, sei §22 Abs1 und 2 VStG 1991.
3.2.b) Der UVS NÖ begründet darüber hinaus seinen Eventualantrag auf Aufhebung des §130 Abs5 Z1 ASchG gemeinsam mit §130 Abs1 Z16 ASchG damit, daß die bloße Aufhebung des richtigerweise als Strafnorm anzuwendenden §130 Abs5 Z1 ASchG dazu führen würde, daß der verbleibende §130 Abs1 Z16 ASchG anzuwenden wäre und die Verfassungswidrigkeit somit bestehen bliebe.
4. Die Bundesregierung hat in beiden Verfahren auf eine Äußerung verzichtet, für den Fall der Aufhebung jedoch beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
5. Im Verfahren G26/98 erstattete das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten folgende Äußerung:
"1. Soweit sich die Bedenken des UVS auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1996, Zl. G9/96-12, G83/96-8 u.a., gründen, wird dem folgendes entgegen gehalten:
Die dem damaligen Gesetzesprüfungsverfahren zugrunde gelegene Strafbestimmung der Straßenverkehrsordnung (§99 Abs6 litc StVO) enthielt eine verfassungswidrige Einschränkung einer ausdrücklich angeordneten Subsidiarität verwaltungsstrafrechtlicher Verantwortung gegenüber strafgerichtlicher Verfolgung und ordnete somit durch den ausdrücklichen Ausschluß der Subsidiarität im Ergebnis eine dem Art4 Abs1 des 7. ZPMRK zuwiderlaufende Doppelbestrafung an.
Hingegen enthält die dem nunmehrigen Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegende Strafbestimmung des §130 ASchG überhaupt keine Subsidiaritätsklausel, sodaß die Subsidiarität der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung zwar nicht ausdrücklich angeordnet, allerdings auch nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird.
Aus dem eingangs zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes kann aber nicht abgeleitet werden, daß jeder Gesetzesbestimmung, die eine Verwaltungsstrafe androht ohne gleichzeitig ausdrücklich die Subsidiarität der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung anzuordnen, jedenfalls ein Inhalt zu unterstellen sei, der dem Verbot der Doppelbestrafung nach Art4 Abs1 des 7. ZPMRK widerspräche.
Vielmehr darf im Zweifel dem Gesetz nicht ein Inhalt gegeben werden, der es verfassungswidrig erscheinen ließe. Eine verfassungskonforme und durch den Gesetzeswortlaut nicht ausgeschlossene Interpretation führt jedoch zu dem Ergebnis, daß die in Frage stehenden Bestimmungen des ASchG im Lichte des Doppelbestrafungsverbotes nach Art4 Abs1 des 7. ZPMRK nur im Sinne einer stillschweigenden Subsidiarität verstanden werden können und zu verstehen sind.
2. (...)
Die Behauptung des UVS, daß jeder Fall einer Übertretung gemäß §130 Abs1 oder 5 ASchG eine Überprüfung im Hinblick auf das Vorliegen strafrechtlicher Delikte (Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte) nach sich ziehe, ist nicht zutreffend.
Vielmehr kommt es zu einer derartigen Scheinkonkurrenz nur in den seltensten Fällen, weil sich Verwaltungsübertretungen nach §130 ASchG einerseits und gerichtlich strafbare Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte andererseits grundsätzlich in mehreren wesentlichen Aspekten unterscheiden:
-
Verwaltungsübertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften sind Ungehorsamsdelikte i.S.d. §5 VStG, zu denen - im Unterschied zu §§80 ff StGB - der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört. Insbesondere ist der Eintritt eines Arbeitsunfalles, der möglicherweise den Tatbestand der fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung erfüllen könnte, nicht Tatbestandselement dieser Verwaltungsübertretungen.
-
Selbst bei Eintritt eines "Erfolges" ist im Regelfall keine Identität der Täter gegeben. Normadressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften ist der Arbeitgeber, wobei es sich beim überwiegenden Großteil aller Arbeitgeber um juristische Personen handelt, sodaß verwaltungsstrafrechtlich grundsätzlich die zur Vertretung nach außen Berufenen (§9 Abs1 VStG) verantwortlich sind. Diesen zur Vertretung der juristischen Person nach außen berufenen physischen Personen sind aber Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte nach dem StGB nur in den seltensten Fällen zuzurechnen.
Eine Konstellation wie die im Anlaßfall gegebene - nämlich, daß ein zur Vertretung der Gesellschaft nach außen berufenes Organ gleichzeitig als Bauleiter auf einer Baustelle tatsächlich tätig ist und es dadurch zur Identität des verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche(n) einerseits und des Normadressaten des StGB andererseits kommt - stellt einen Ausnahme- und keineswegs den Regelfall dar.
-
Der Fahrlässigkeitsbegriff im Strafrecht unterscheidet sich grundsätzlich von jenem im Verwaltungsstrafrecht. Während bei verwaltungsstrafrechtlich zu verantwortenden Ungehorsamsdelikten gemäß §5 VStG Fahrlässigkeit immer dann anzunehmen ist, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft, setzt die Vollendung eines gerichtlich zu ahndenden Fahrlässigkeitsdelikts eine (objektive und subjektive) Sorgfaltswidrigkeit des Handelns sowie eine (objektive und subjektive) Voraussehbarkeit des Erfolges voraus.
-
In der Regel mangelt es zudem an einer Identität des Angriffsobjektes insofern, als die durch die Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften herbeigeführte Gefährdung (Angriffsobjekt ist die abstrakte Summe aller potentiell gefährdeten Arbeitnehmer) in der Regel über die durch Verwirklichung eines Körperverletzungs- oder Tötungsdeliktes im Sinne des StGB herbeigeführte Verletzung (Angriffsobjekt ist eine konkrete Person) hinausgeht."
II. Der Verfassungsgerichtshof
hat die Verfahren über die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (zB. VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989, 14551/1996, 14795/1997; VfGH 19.6.1998, G275/96) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art140 Abs1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichts oder des unabhängigen Verwaltungssenates in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art140 Abs1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenates im Anlaßfall bildet.
Unter Zugrundelegung der unter I.1. dargestellten Sachverhalte ist es nicht als denkunmöglich anzusehen, wenn die UVS davon ausgehen, daß §130 Abs5 Z1 ASchG als Strafbestimmung in den zugrundeliegenden Anlaßfällen anzuwenden sei. Dies gilt ebenso für die Anwendung des §130 Abs1 Z15 ASchG durch den UVS OÖ bzw. für die des §130 Abs1 Z16 ASchG durch den UVS NÖ, insbesondere da eine Behörde eine Rechtsvorschrift auch dann ihrer Entscheidung zugrundelegt, wenn sie deren Unanwendbarkeit für den vorliegenden Fall ausdrücklich ausspricht (vgl. VfSlg. 4036/1961). Desgleichen ist es zumindest denkmöglich, daß die kurz als "Kumulationsprinzip" bezeichnete Vorschrift des §22 Abs1 VStG 1991 sowie, da im Anlaßfall eine Verwaltungsübertretung und eine gerichtlich strafbare Handlung zusammentreffen, §22 Abs2 VStG 1991 von den UVS zur Entscheidungsfindung heranzuziehen sind.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat über bestimmt umschriebene Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nur ein einziges Mal zu entscheiden (vgl. VfSlg. 5872/1968, 6550/1971, 9186/1981, 9216/1981, 9217/1981, 10311/1984, 10578/1985, 10841/1986, 12661/1991, 13085/1992, 14356/1995, 14711/1996; VfGH 19.6.1998, G275/96).
Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 14696/1996 verschiedene Anträge des Verwaltungsgerichtshofes bzw. des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg, des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol sowie des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich ua. auf Aufhebung der Wortfolgen "oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen" in §22 Abs1 VStG 1991 sowie "oder einem Gericht" in §22 Abs2 VStG 1991 in der auch hier maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. 52/1991 abgewiesen. Wegen rechtskräftig entschiedener Sache wurden inhaltlich gleiche Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland mit Erkenntnis VfGH 19.6.1998, G275/96, zurückgewiesen.
Auch die damaligen Bedenken stützten sich auf einen Verstoß dieser Bestimmungen im bezeichneten Umfang gegen Art4 des 7. ZPEMRK. Der Verfassungsgerichtshof begründete seine abweisende Entscheidung im wesentlichen damit, daß §22 VStG 1991 der Charakter einer bloßen Strafbemessungsvorschrift zukomme und daher die Frage, ob bei Zusammentreffen mehrerer Delikte auch mehrere Straftatbestände anzuwenden seien, nicht regle, sondern vielmehr den materiellen Strafbestimmungen überlasse.
Die im Verfahren G51/97 vom UVS OÖ in eventu unter litc) und
d) gestellten Anträge richten sich nicht nur gegen dieselben Normen(bestandteile), sondern stützen sich auch auf dieselben Bedenken, über die der Verfassungsgerichtshof schon im oben zitierten Verfahren VfSlg. 14696/1996 abgesprochen hat. Die zu G51/97 gestellten Eventualanträge unter litc), "die Worte 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' in §22 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52 - VStG" sowie unter litd), "die Worte 'oder einem Gericht' in §22 Abs2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52 - VStG" aufzuheben, sind daher unter Hinweis auf die oben angeführte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückzuweisen.
1.3. Da hinsichtlich der zu G51/97 und G26/98 gestellten und eingangs geschilderten Anträge des UVS OÖ und des UVS NÖ auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind diese Anträge zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, dessen Verletzung durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen von den antragstellenden UVS behauptet wird, lautet (in seiner deutschen Übersetzung):
"Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."
Die dazu von der Republik Österreich abgegebene "Erklärung", Art4 7. ZPEMRK beziehe sich "nur auf Strafverfahren im Sinne der österreichischen Strafprozeßordnung", wurde vom EGMR im Fall Gradinger (Urteil vom 23. Oktober 1995, Serie A/328-C, deutsche Übersetzung abgedruckt in ÖJZ 1995, 954 ff = ZVR 1996, 12 ff = JBl. 1997, 577 ff) und bereits mehrfach vom Verfassungsgerichtshof, dem EGMR in dessen Bewertung folgend, als ungültiger, da nicht den Anforderungen des Art64 Abs2 EMRK entsprechender Vorbehalt beurteilt (so in den Erkenntnissen VfSlg. 14696/1996; VfGH 11.3.1998, G262/97 ua. und VfGH 19.6.1998, G275/96). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß die Weitergeltung der angefochtenen Gesetzesbestimmungen völker- und verfassungsrechtlich vorbehalten wäre, sollten sie den Anforderungen des Art4 des 7. ZPEMRK nicht entsprechen.
2.2. Dennoch sind die angefochtenen Wortfolgen des §130 Abs5 Z1 und Abs1 Z15 bzw. Z16 ASchG nicht wegen Widerspruchs zu Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK verfassungswidrig:
2.2.1. Der Gerichtshof hat in den Erkenntnissen
VfSlg. 14696/1996, VfGH 11.3.1998, G262/97 und 19.6.1998, G275/96 ausgesprochen, daß eine Regelung, wonach durch eine Tat mehrere Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), noch nicht dem in Art4 des 7. ZPEMRK festgelegten Verbot der Doppelbestrafung widerspricht (so auch ausdrücklich der EGMR im Fall Oliveira gg. Schweiz vom 30.7.1998, Zahl 84/1997/868/1080, Ziff. 26). Eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung wird aufgrund des Art4 des 7. ZPEMRK erst dann unzulässig,
"wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). ... Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. (Vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - 21. November 1991, 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff.)"
Fälle der Scheinkonkurrenz von Delikten aufgrund von Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität sind grundsätzlich durch Auslegung und Anwendung der verschiedenen Strafbestimmungen festzustellen, wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls bereits in den obengenannten Erkenntnissen festgehalten hat. Dabei muß dem verfassungsrechtlichen Verbot der Doppelbestrafung im Wege verfassungskonformer Auslegung der einzelnen Straftatbestände entsprochen werden.
Ob mehrere Delikte eintätig zusammentreffen können oder die Anwendung eines Straftatbestandes die Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist, wie der Gerichtshof im Erkenntnis VfGH 19.6.1998, G275/96, betont, den gesetzlichen materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen.
Der Gerichtshof hat diese Ausführungen im eben zitierten Erkenntnis durch die Feststellung ergänzt, daß für den Fall des Vorliegens einer Scheinkonkurrenz eines Deliktes nach Verwaltungsstrafrecht und eines Deliktes nach gerichtlichem Strafrecht in verfahrensrechtlicher Hinsicht die zur Anwendung des VStG 1991 berufene Verwaltungsbehörde nach §30 Abs2 und 3 VStG 1991 vorzugehen und den in diesen Bestimmungen normierten Vorrang des Gerichtes zur Beurteilung seiner Zuständigkeit zu beachten habe.
2.2.2. §80 StGB ordnet die gerichtliche Bestrafung der fahrlässigen Tötung an. In §88 StGB ist der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung normiert.
§6 leg.cit. beinhaltet eine Legaldefinition der Fahrlässigkeit. Wesentliche Voraussetzung für fahrlässiges Verhalten ist demnach das Außerachtlassen jener Sorgfalt, zu der man nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die einem überdies zumutbar ist.
Das Maß der erforderlichen objektiven Sorgfalt wird häufig durch Rechtsnormen bestimmt (vgl. zB. Foregger/Serini, Strafgesetzbuch, 1988, 4. Auflage, zu §6, 42). Die Vorschriften der BauV in Verbindung mit den Straftatbeständen des ASchG sind derartige Regelungen, die ein bestimmtes Maß an erforderlicher Sorgfalt vorschreiben. In Konstellationen wie in der den Anträgen zugrundliegenden, kann die Fahrlässigkeit mit der objektiven Sorgfaltswidrigkeit begründet werden, die in der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften liegt, aufgrund derer auch die verwaltungsbehördliche Bestrafung erfolgte. (In den gegebenen Fällen waren, wie die UVS erkannten, die Z15 und 16 des §130 Abs1 ASchG zwar nicht anzuwenden, es ist aber durchaus eine Fallkonstellation denkbar, in der diese Vorschriften mit Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikten nach dem StGB zusammentreffen.) Wenn der strafrechtsrelevante Erfolg durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen verursacht wurde, liegen auch die übrigen, für die objektive Zurechnung des Erfolges erforderlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen - Rechtswidrigkeits-, (Adäquanz-) und Kausalzusammenhang - vor, da das Leben und die Gesundheit die primären Schutzzwecke der verletzten Vorschriften des ASchG sind (vgl. §1 ASchG: "Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes regeln den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei der beruflichen Tätigkeit (...)"). Bei der Außerachtlassung der Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt es sich also um ein zentrales Tatbestandselement der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte des StGB und daher um einen wesentlichen Gesichtspunkt des gerichtlichen Strafverfahrens.
Nach dem bereits zitierten Urteil des EGMR im Fall Gradinger wie auch den hg. Erkenntnissen VfSlg. 14696/1996 und VfGH 19.6.1998, G275/96, widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Art4 des 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich der Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft.
Daraus ergibt sich jedoch nicht die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Wortfolgen des §130 ASchG.
In Fällen, in denen wie hier eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des §130 Abs5 Z1 bzw. Abs1 Z15 oder Z16 ASchG als auch unter die des §80 bzw. §88 StGB fällt, wird zwar in der Regel davon auszugehen sein, daß das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß §80 bzw. §88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des §130 Abs5 Z1 bzw. Abs1 Z15 oder Z16 ASchG vollständig erschöpft. Dies insbesondere dadurch, daß im Zuge eines strafgerichtlichen Verfahrens wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung die objektive Sorgfaltswidrigkeit, dh. die Verletzung von Verkehrsnormen, das sind hier die angefochtenen Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie auch die objektive Zurechnung geprüft werden und damit über alle Elemente der verletzten Arbeitnehmerschutzvorschriften entschieden wird. Wenn in den Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikten des StGB bereits der volle Unrechts- und Schuldgehalt der in Rede stehenden Straftatbestände des §130 ASchG enthalten ist, gibt es neben der Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung, die sich auf die Übertretung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen als verletzte Verkehrsnormen stützt, auch kein zusätzliches Strafbedürfnis aufgrund desselben Tatverhaltens. (Zurecht weist auch der UVS OÖ in seinem Antrag zu G51/97 auf die annähernd gleiche Höhe der in den beiden Verfahren tatsächlich verhängten Geldstrafen hin.)
Weder aus dem Wortlaut des §130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergibt sich aber, daß bei der Ahndung der Delikte gemäß §130 ASchG die Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre; diese ist vielmehr gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer - soweit möglich - verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten (vgl. VfSlg. 12469/1990, 13336/1993, 13805/1994, 14631/1996; VfGH 11.3.1998, G262/97 ua., VfGH 19.6.1998, G275/96). Im ASchG in der geltenden Fassung findet sich keine ausdrückliche Subsidiaritätsbestimmung, auch aus den Materialien geht ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers bzw. der Grund für den Wegfall der in der früheren Fassung des ASchG enthaltenen Subsidiaritätsklausel nicht hervor. Weder der bloße Wegfall der Subsidiaritätsklausel noch die von den UVS ins Treffen geführte offenbar bewußte Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden in den Materialien zum ASchG (1590 und 1671 BlgNR, XVIII. GP) lassen eindeutig darauf schließen, daß der Gesetzgeber eine Doppelbestrafung normieren wollte. Ein solcher gesetzgeberischer Wille wäre hier überdies unbeachtlich, da selbst die offensichtliche Absicht des Gesetzgebers, eine kumulative Bestrafung vorzusehen, die aber keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, dem Gebot der verfassungskonformen Interpretation weichen muß (VfGH 19.6.1998, G275/96 unter Hinweis auf VfSlg. 10066/1984, 11576/1987). Die in Rede stehenden Bestimmungen sind somit einer verfassungskonformen Anwendung und Auslegung zugänglich.