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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1996/299 §1 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/21/0020Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerden 1. des am 1. Dezember 1965 geborenen M und 2. der am 19. September 1973 geborenen B, beide vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25. Juli 1997, 1. Zl. Frb-4250b-6/97 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und 2. Zl. Frb-4250b-5/97 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden wurden die Beschwerdeführer, beide Staatsangehörige der Republik Bosnien-Herzegowina, gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführer hielten sich nach eigenen Angaben seit dem 25. Juni 1992 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers richtig:
Februar 1992, hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin richtig:
1. Juni 1992; vgl. Akt Seite 20) in Österreich auf. Die Beschwerdeführer seien bosnische Serben, ihr Heimatort Kalesija liege im heutigen Bosnien. Da ihr Heimatort im Bürgerkrieg von moslemischen Milizen völlig zerstört und Familienangehörige, Nachbarn und Freunde gefoltert und ermordet worden seien, hätten sie Bosnien verlassen.
Beide Beschwerdeführer hätten nach der jeweils erstmaligen Sichtvermerkserteilung am 28. Oktober 1992 als bosnische Kriegsflüchtlinge "Aufenthaltsbewilligungen gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz erhalten" (gemeint sind Bescheinigungen eines Aufenthaltsrechts gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz 1992, im Folgenden kurz AufG), die ihnen letztmalig bis zum 30. Juni 1994 verlängert worden seien. Vor ihrer jeweils ersten Antragstellung nach § 12 AufG hätten sich die Beschwerdeführer allerdings bereits in der Schweiz aufgehalten, der Erstbeschwerdeführer sei außerdem in den Jahren 1990 bis 1993 mehrmals von der Schweiz kommend nach Österreich eingereist.
Im März 1994, als die Beschwerdeführer nach eigenen Angaben die Wahl zwischen moslemischen (bosnischen) sowie serbischen Reisepässen gehabt hätten, hätten sie beim jugoslawischen Generalkonsulat in Salzburg serbische Reisepässe beantragt und erhalten. Da sie sich somit für die serbische bzw. restjugoslawische Staatsbürgerschaft entschieden hätten, sei ihnen nach "Ablauf ihrer Bewilligungen" am 30. Juni 1994 "keine neue § 12 Aufenthaltsbewilligung erteilt" worden, weshalb sie sich seit diesem Zeitpunkt ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhielten. Erst im August 1996, somit zu einem Zeitpunkt, als sie nicht mehr auf der Flucht vor den Kriegswirren gewesen seien, hätten sie Reisepässe der Republik Bosnien-Herzegowina und die bosnische Staatsbürgerschaft erlangt.
Wenn die Beschwerdeführer daher nunmehr geltend machten, sie seien wieder als bosnische Flüchtlinge zu betrachten und gemäß § 12 AufG aufenthaltsberechtigt, so stehe dem die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 299/1996, entgegen, wonach Voraussetzung für ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht sei, dass der Fremde anderweitig keinen Schutz gefunden habe. Da sich die Beschwerdeführer aber einerseits bereits in der Schweiz aufgehalten und andererseits im Jahre 1994 serbische Reisepässe beantragt hätten, stehe ihnen auch keine "Bewilligung" gemäß § 12 AufG zu, sodass sie sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhielten. Im weiteren begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des § 19 FrG.
Die gegen diese Bescheide an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 18. Dezember 1997, B 2191/97 und B 2192/97, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machen die Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und bestreiten die Rechtswidrigkeit ihres Aufenthaltes. Sie bringen vor, als bosnische Serben im März 1994 gezwungen gewesen zu sein, Reisepässe von Restjugoslawien zu beantragen, weil ihnen - gleich zahlreichen anderen bosnischen Serben - Reisepässe von Bosnien nicht ausgestellt worden seien. Erst nach dem Übereinkommen von Dayton sei ihnen die Erlangung bosnischer Reisepässe möglich gewesen sei, weshalb sie im August 1996 diesbezügliche Anträge gestellt hätten. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde seien die Beschwerdeführer daher zu keinem Zeitpunkt dem Schutz Restjugoslawiens unterstanden, sodass ihnen nach wie vor ein Aufenthaltsrecht nach § 12 AufG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 299/1996 zukomme.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen.
Der zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung in Kraft gestandene § 12 AufG lautet:
"§ 12. (1) Für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.
(2) ...
(3) Das Aufenthaltsrecht ist durch die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen.
(4) ..."
§ 1 der zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung in Kraft gestandenen Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 299/1996, lautet:
"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die auf Grund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mussten und anderweitig keinen Schutz fanden, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, wenn sie
1.
vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, oder
2.
nach dem 1. Juli 1993, aber vor dem 15. Dezember 1995 eingereist sind und sich aus allgemein begreiflichen Gründen nicht der Grenzkontrolle gestellt haben, sofern ihre Einreise danach ohne unnötigen Aufschub der Meldebehörde, der Fremdenpolizeibehörde oder der Behörde nach dem Aufenthaltsgesetz bekanntgeworden ist, oder
3. ...
(2) Fremde aus Grenzstädten zur ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina, die auf Grund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mussten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ungeachtet der Staatsangehörigkeit ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.
(3) Das Aufenthaltsrecht gemäß Abs. 1 und 2 besteht bis zum 31. August 1997."
Die Beschwerdeführer haben sich nicht nur in der Beschwerde, sondern schon im Verwaltungsverfahren stets darauf berufen, als Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina gemäß 12 AufG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein.
Im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung, den Beschwerdeführern sei mit Ablauf der "§ 12 - Aufenthaltsbewilligung" am 30. Juni 1994 keine weitere "Bewilligung nach § 12 AufG erteilt" worden und angesichts der Ausführungen in der Gegenschrift, die Verweigerung der Erteilung eines Aufenthaltsrechts nach der "Bosnier-Verordnung" könne im Rahmen des gegenständlichen Ausweisungsverfahrens nicht geprüft werden, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das vorübergehende Aufenthaltsrecht eines Fremden, welcher die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 299/1996 erfüllt, unmittelbar aus dieser Verordnung erwächst. Der in § 12 Abs. 3 AufG vorgesehenen Ersichtlichmachung dieses Aufenthaltsrechtes durch die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kommt somit lediglich deklarative Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1999, Zl. 97/09/0257).
Bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzung der fehlenden Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Sinne des § 17 Abs. 1 FrG war die belangte Behörde daher auch in Ermangelung einer behördlichen Bescheinigung des vorübergehenden Aufenthaltsrechtes der Beschwerdeführer für die Zeit nach dem 30. Juni 1994 verpflichtet, die Erfüllung der Voraussetzungen dieser Verordnung zu prüfen.
Hinsichtlich des in der Verordnung geforderten Tatbestandsmerkmales der Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina hat die belangte Behörde zunächst unbestritten festgestellt, dass die Beschwerdeführer bosnische Serben seien und aus einem Heimatort kämen, der im heutigen Bosnien liege. An dieser bosnischen Staatsangehörigkeit ändert (noch) nichts, dass den Beschwerdeführern Reisepässe der Bundesrepublik Jugoslawien ausgestellt wurden, weil daraus (und aus der Erlangung der Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik Jugoslawien) im Hinblick auf eine mögliche Doppelstaatsbürgerschaft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 1998, Zl. 97/19/0872, mwN) noch nicht auf den Verlust der Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina geschlossen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 96/21/0610, mwN). Für die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, die Beschwerdeführer hätten "erst im Jahre 1996" die bosnische Staatsangehörigkeit erlangt (womit sie eine solche insbesondere auch im Einreisezeitpunkt nicht besessen hätten), finden sich im angefochtenen Bescheid keine Sachverhaltsfeststellungen.
Soweit die belangte Behörde in der Ausstellung jugoslawischer Reisepässe für die Beschwerdeführer das ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach der genannten Verordnung ausschließende Vorliegen eines anderweitigen Schutzes zu erkennen vermeint, ist ihr entgegen zu halten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus der Textierung der Verordnung "anderweitig keinen Schutz fanden" zweifelsfrei erkennbar ist, dass dieser Umstand im Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet zu beurteilen ist (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 97/19/0872 und jenes vom 22. Mai 1996, Zl. 96/21/0313). Bei mehreren Einreisen in das Bundesgebiet ist für die Frage, ob der Fremde im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung gemäß der Verordnung BGBl. Nr. 299/1996 vorübergehend aufenthaltsberechtigt war, allein dessen zuletzt erfolgte Einreise nach Österreich entscheidend (vgl. aus vielen die hg. Erkenntnisse vom 14. November 1996, Zl. 96/18/0469, und vom 18. Dezember 1996, Zl. 96/18/0115). Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid erfolgte die Einreise des Erstbeschwerdeführers zuletzt zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt im Jahre 1993 und jene der Zweitbeschwerdeführerin im Jahre 1992. Bezogen auf diese Einreisen kann aber anderweitiger Schutz, wie ihn die belangte Behörde aus der Ausstellung von Reisepässen der Bundesrepublik Jugoslawien für die Beschwerdeführer ableitet, schon deshalb nicht vorgelegen sein, weil diese Reisepässe erst 1994 beantragt und ausgestellt wurden.
Davon abgesehen kann auch deswegen nicht aufgrund der Ausstellung dieser Reisepässe davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführer hätten bereits anderweitig, nämlich in der Bundesrepublik Jugoslawien, Schutz gefunden, da dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass sich die betreffende Person tatsächlich zwischen dem Verlassen ihrer Heimat und der Einreise in Österreich an dem Ort befunden haben muss, wo sie nach Auffassung der belangten Behörde Schutz gefunden hat. Der Umstand, dass den Beschwerdeführern die Reisepässe von der - in Salzburg befindlichen - Vertretungsbehörde (Generalkonsulat) der Bundesrepublik Jugoslawien ausgestellt wurden, bedeutet somit nicht, dass die Beschwerdeführer im Sinne der Verordnung anderweitig Schutz gefunden hätten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/18/0891).
Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schließlich den Standpunkt vertritt, die Beschwerdeführer hätten aufgrund des Umstandes, dass sie 1992 über die Schweiz nach Österreich gelangt seien (und der Erstbeschwerdeführer überdies in den Jahren 1990 bis 1993 mehrmals von der Schweiz kommend nach Österreich gereist sei) anderweitigen Schutz (gemeint in der Schweiz) gefunden, so trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof aus dem Umstand des Fehlens einer unmittelbaren zeitlichen Abfolge des Verlassens der Heimat (Bosnien-Herzegowina) und der Einreise nach Österreich infolge des längeren Aufenthaltes in einem dritten Staat (vgl. den Fall eines einjährigen Aufenthaltes in Kroatien im bereits zitierten hg. Erkenntnis Zl. 96/18/0469, und jenen eines zweijährigen Aufenthaltes in Slowenien im Erkenntnis vom 18. Mai 1999, Zl. 96/21/0246) die Schlussfolgerung als gerechtfertigt angesehen hat, der Fremde habe dadurch bereits anderweitig Schutz gefunden, sodass ihm ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich aufgrund der genannten Verordnung nicht zukomme.
Eine solche Annahme hätte im vorliegenden Fall jedoch behördliche Feststellungen darüber erfordert, wie lange sich die Beschwerdeführer jeweils in der Schweiz aufhielten und ob ihnen in diesem Staat ein Aufenthaltsrecht zukam. Allein aus der (wenn auch - wie im Fall des Erstbeschwerdeführers - wiederholten) Einreise nach Österreich aus einem anderen Staat lässt sich jedenfalls noch nicht ableiten, dass die Beschwerdeführer dort Schutz gefunden hätten.
Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften verletzte, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen, für die Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführer mit hg. Beschluss vom 4. März 1998 von der Entrichtung der Stempelgebühren und der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit wurden, waren diese Kosten nicht zuzusprechen.
Wien, am 11. September 2001
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210019.X00Im RIS seit
27.11.2001