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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des E in H, geboren am 1. Jänner 1965, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Huttengasse 71-75, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 9. September 1997, Zl. Fr 3867/97, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Nach den begründenden Ausführungen der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Mai 1997 wegen § 12 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 3 sowie § 14a Suchtgiftgesetz iVm § 12 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Das Urteil habe sich darauf gegründet, dass der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen Dezember 1996 und dem 10. März 1997 dadurch, dass er einem abgesondert verfolgten, namentlich genannten Mittäter gestattet habe, ca. 4,5 kg Heroin in seinem Haus einzulagern und bei Bedarf aus dem "Sicherheitsdepot" abzuholen, einerseits zur Inverkehrsetzung von Heroinmengen, welche die im § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz genannten Mengen bei weitem, nämlich um das 25-fache überstiegen, durch andere beigetragen und andererseits eine große Menge eines Suchtgiftes mit dem Vorsatz besessen habe, dass dieses Suchtgift in Verkehr gesetzt werde. Durch diesen Sachverhalt und die darauf folgende Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe habe der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht.
In der Folge nahm die belangte Behörde eine detaillierte Interessenabwägung vor, in welcher sie auf die großen öffentlichen Interessen an der Hintanhaltung des Besitzes und des Inverkehrbringens von Suchtgiftmitteln hinwies. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit lasse jedenfalls für die Behörde den Schluss auf eine besonders schädliche Neigung des Beschwerdeführers zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer, sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen im Interesse eines geordneten Zusammenlebens bestünden, zu. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zum Schutz der in § 18 Abs. 1 Z. 1 und 2 FrG genannten öffentlichen Interessen, insbesondere zur Hintanhaltung der Verbreitung von Drogen und der daraus resultierenden Folgen, unbedingt geboten.
Dem stellte die belangte Behörde die von ihr als hoch bewerteten privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber und führte aus, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit acht Jahren in Österreich aufhalte und er und seine Familie im Bundesgebiet integriert zu sein schienen, wenngleich die Integration des Beschwerdeführers in ihrer sozialen Komponente durch die begangene Straftat erheblich an Gewicht verloren hätte.
Diese privaten Interessen des Beschwerdeführers würden jedoch eindeutig von den öffentlichen Interessen überlagert. Es bestünde die Gefahr, dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Strafhaft "abermals" rückfällig würde. Die Gefahr, die von potentiellen Suchtgifttätern für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für das öffentliche Wohl des Landes ausgehe, sei derart gravierend, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Interessen in den Hintergrund zu treten hätten. Bezüglich der finanziellen Unterstützung der Familie des Beschwerdeführers durch den Beschwerdeführer sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer seinen finanziellen Verpflichtungen auch vom Ausland aus nachkommen könne. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei sonst völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig.
Schließlich führte die belangte Behörde aus, dass auf Grund der Schwere des Deliktes sowie auf Grund der "Menge des in Frage stehenden Heroins" die unbefristete Dauer des Aufenthaltsverbotes "im Sinne des § 21 FrG unbedenklich" sei.
Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 27. Jänner 1998, B 2719/97-6, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen unter anderem eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren offensichtlich in den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, eine Grundlage fände und somit nicht gemäß § 114 Abs. 4 leg. cit. außer Kraft getreten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 97/18/0661, sowie den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, auf deren jeweilige Begründung gemäß § 43 Abs. 2 - bezüglich des erwähnten Beschlusses iVm Abs. 9 - VwGG verwiesen wird).
Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde nicht, durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Beitragstäterschaft zum Inverkehrbringen sowie wegen des Besitzes einer großen Menge von Suchtgift zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden zu sein, weshalb der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FrG zweifellos erfüllt ist.
Er wendet sich jedoch gegen die Annahme der belangten Behörde, dass sein Aufenthalt in Österreich nach Verbüßung seiner Haftstrafe die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass der vom Strafgericht bemessenen Freiheitsstrafe ausreichend spezialpräventive Wirkung zukomme, sodass dem Beschwerdeführer nach Verbüßung seiner mehrjährigen Haftstrafe keine Wiederholungsgefahr mehr unterstellt werden könne.
Dieses auch mit Blick auf § 19 FrG erstattete Vorbringen ist nicht zielführend. Die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet im Hinblick auf den seit der Tatbegehung verstrichenen kurzen Zeitraum und die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität keinen Bedenken, zumal - worauf die belangte Behörde zutreffend hinweist - der Umstand, dass der Beschwerdeführer der Beihilfe zum Inverkehrsetzen von Suchtgift im Ausmaß von mehr als dem 25-fachen einer großen Menge an Suchtgift (vgl. § 12 Abs. 3 Z. 3 des Suchtgiftgesetzes) schuldig gesprochen wurde, ein besonders sozialschädliches Verhalten dokumentiert. Wenn die Behörde diese Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des FrG - unabhängig von den von der Beschwerde angesprochenen gerichtlichen Erwägungen betreffend die Strafbemessung - vorgenommen hat, hat sie - entgegen der Beschwerde - die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zl. 96/18/0461, mwH).
Die Beschwerde richtet sich weiters gegen das Ergebnis der im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Interessenabwägung im Sinne der §§ 19 und 20 FrG. Gemäß § 19 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Weiters darf gemäß § 20 Abs. 1 FrG ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist nach der letztgenannten Gesetzesstelle auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und auf die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Die belangte Behörde verkennt in ihren Ausführungen nicht, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines bereits achtjährigen Aufenthaltes in Österreich weitgehend integriert ist. Auch die familiären und privaten Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich (dieser ist verheiratet und hat drei Kinder) wurden von der belangten Behörde berücksichtigt.
Wenn die belangte Behörde aber angesichts der besonderen Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Straftaten (Beihilfe zur Inverkehrsetzung von 4,5 kg Heroin) und des daraus abgeleiteten hohen Grades der Gefährdung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (konkret der öffentlichen Sicherheit und der Gesundheit Anderer) durch den Beschwerdeführer das Aufenthaltsverbot als dringend geboten im Sinne des § 19 FrG erachtete und bei der Abwägung nach § 20 Abs. 1 FrG den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ein höheres Gewicht beimaß als seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, so begegnet dies seitens des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken, zumal - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 96/21/0449) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Fall eines Suchtgiftdeliktes auch bei ansonsten voller sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig ist. Gegenüber einem derart gravierenden Fehlverhalten und der daraus abzuleitenden Prognose einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit haben die zweifellos ebenfalls gewichtigen familiären Interessen des Beschwerdeführers zurückzutreten.
Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Entscheidung des EGMR vom 18. Februar 1991, 31/1989/191/291, Fall Moustaquim gegen Belgien (ÖJZ 1991/10) vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen:
Im Fall Moustaquim war nämlich von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von zwei Jahren nach Belgien gelangt ist und die ihm zur Last gelegten Straftaten in seiner Jugendzeit begangen hat sowie die Tatsache, dass zwischen den Straftaten und der Ausweisungsverfügung ein Zeitraum von mehr als drei Jahren lag. All dies trifft auf den Beschwerdefall unbestrittenermaßen nicht zu.
Soweit der Beschwerdeführer auf ihm im Fall seiner Abschiebung in die Türkei dort drohende Gefahren hinweist, vermag er schon deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil solche Gefahren nicht der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes entgegenstehen, sondern allenfalls seiner Abschiebung in die Türkei im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG. Derartige Gefahren können in den gesonderten Verfahren gemäß § 36 Abs. 2 FrG und § 54 Abs. 1 leg. cit. geltend gemacht werden.
Zu Recht verweist der Beschwerdeführer allerdings auf die mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides in Bezug auf die unbefristete Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes. Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, oder auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Erlassung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Jänner 1997, Zl. 97/18/0024, mwN). Nach dem letztzitierten Erkenntnis ist dabei das Gesamtfehlverhalten des Fremden von Bedeutung. Nach den im angefochtenen Bescheid unwidersprochen wiedergegeben Angaben des Beschwerdeführers hat sich dieser, abgesehen von den der genannten Verurteilung nach dem Suchtgiftgesetz zugrundeliegenden Straftaten, keinerlei sonstiger strafbarer Handlungen schuldig gemacht und sei während seines gesamten mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgegangen. Dass er sein Fehlverhalten bereue, hat er nicht nur im Verwaltungsverfahren betont, sondern zeigt sich auch aus dem im Strafverfahren abgelegten (und im Strafurteil als Milderungsgrund gewerteten) Geständnis des Beschwerdeführers. In Anbetracht dieser Umstände hat die belangte Behörde daher mit dem bloßen Hinweis, die Dauer des unbefristet verhängten Aufenthaltsverbotes sei aufgrund der Schwere des Deliktes "im Sinne des § 21 FrG unbedenklich", in einer für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbaren Weise nicht dargelegt, ob und gegebenenfalls weshalb der Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach ihrer Ansicht nicht vorhergesehen werden könne.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 11. September 2001
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210109.X00Im RIS seit
27.11.2001