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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11997E234 EG Art234;Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2001/0013 5. Februar 2004 * EuGH-Zahl: C-380/01 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2004/12/0025 E 12. Dezember 2008Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Bayjones und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des Dr. G in W, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Fanz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 3. Mai 1999, Zl. 275.03/1-III/3/99, betreffend Schadenersatz wegen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts beim beruflichen Aufstieg, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 6 der Richtlinie des Rates 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen dahin auszulegen, dass die darin geforderte Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung von Rechten (hier: eines Schadenersatzanspruches) allein durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf dessen rechtlich eingeschränkten Befugnisse (nur Kassationsgerichtshof mit mangelnder Tatsachenkognition) nicht ausreichend erfüllt ist.
Begründung
Der einleitend bezeichnete Beschwerdeführer, der im Jahr 1953 geboren worden ist, steht als Richter des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Republik Österreich.
Bei zwei Bewerbungen des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bzw. 1998 um eine im Sinne seiner Verwendung facheinschlägig zu besetzende Planstelle beim Oberlandesgericht Wien, die der höheren Gehaltsgruppe II der Besoldungsgruppe der Richter zugeordnet ist, wurden ihm - ausgehend von der fachlich gleichen Eignung - jeweils an Lebens- und Dienstalter jüngere Bewerberinnen unter Berücksichtigung einer zur Frauenförderung vorgesehenen Quotenregelung (- in der entsprechenden Gehaltsgruppe lag der Frauenanteil unter 40 % -) vorgezogen. Die Rechtsgrundlage für die Frauenförderung war § 43 des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes (B-GBG) BGBl. Nr. 100/1993 in der Fassung vor der zeitlich noch nicht anwendbaren Novelle BGBl. I Nr. 132/1999. Die Richter und Richterinnen der Oberlandesgerichte werden in Österreich auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Die Bundesregierung fasst ihre Beschlüsse auf Antrag des sachlich zuständigen Bundesministers für Justiz. Gemäß Art. 86 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) haben die Bundesregierung oder der Bundesminister für Justiz Besetzungsvorschläge der durch die Gerichtsverfassung hiezu berufenen Senate einzuholen.
Im Hinblick auf die durch die für ihn negative Entscheidung angeblich gegebene Schädigung brachte der Beschwerdeführer sowohl eine Amts- und Staatshaftungsklage beim Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien ein und beantragte weiters mit Schreiben vom 11. Jänner 1999 gemäß § 15 B-GBG den Ersatz des Schadens, den er dadurch erlitten habe, dass er nicht auf Grund seiner Bewerbung vom 14. April 1998 spätestens mit 1. August 1998 zum Richter des Oberlandesgerichtes Wien ernannt worden sei, und zwar im Ausmaß der Differenz zwischen seinen tatsächlichen Bezügen aus seinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis als Richter und jenen (fiktiven) Bezügen, die er bisher erhalten hätte und künftig erhalten würde, wenn er (spätestens) zum 1. August 1998 zum Richter des Oberlandesgerichtes Wien ernannt worden wäre. Diesen Antrag brachte der Beschwerdeführer gemäß § 19 Abs. 2 B-GBG bei der belangten Behörde (Bundesminister für Justiz) ein.
Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Justiz wurde der vorgenannte Antrag des Beschwerdeführers auf Schadenersatz nach § 15 B-GBG abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände keine solchen gewesen seien, die bei der vorliegenden Entscheidung im Sinne einer "Öffnungsklausel" zu berücksichtigen gewesen wären. Für eine unmittelbare Anwendung der Gleichbehandlungsrichtlinie seien die Voraussetzungen nicht vorgelegen. Die Nichtanwendung der Öffnungsklausel sei daher nicht rechtsirrig erfolgt. Vielmehr hätten die für die Planstellenbesetzung zuständigen Organe zutreffend dem ihnen bei der Planstellenbesetzung gemäß § 43 B-GBG gesetzlich erteilten Auftrag entsprochen. Eine Diskriminierung des Beschwerdeführers durch die vorgenommene Planstellenbesetzung liege somit nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Beschwerde, in der - soweit dem im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung zukommt - Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend gemacht und diesbezüglich die Einholung einer Vorabentscheidung begehrt wird. Nach dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen wird dem "Geschädigten" (= Beschwerdeführer) durch die Zuständigkeitsbestimmung des § 19 Abs. 2 B-GBG zugemutet, sich bei jener Behörde um den Ersatz des Schadens zu bemühen, die ihn geschädigt habe. Dem wäre gleichzuhalten, wenn auch für das Amtshaftungsrecht die Verfahrens- und Zuständigkeitsbestimmung so geschaffen worden wäre, dass der Geschädigte nur die schädigende Behörde selbst anzurufen berechtigt wäre. Dass derartige "Amtshaftungsverfahren" im Regelfall zum Nachteil des Geschädigten ausgehen würden, bedürfe keiner Erörterung. Gleiches gelte vorliegendenfalls für die EU-Rechtswidrigkeit dieser Bestimmung, weil damit die Durchsetzung berechtigter Schadenersatzansprüche vereitelt werde. Die vom Verwaltungsgerichtshof bei derartigen behördlichen Verfahren ausgeübte gerichtliche Kontrolle entspreche nicht den Erfordernissen eines effektiven gerichtlichen Rechtschutzes, weil der Verwaltungsgerichtshof kein Recht "zur Beweiswürdigungskontrolle" habe, sodass die Tatsachenfrage endgültig der Behörde überlassen sei. Es könne daher - ausgenommen den Fall der behördlichen Säumnis - "keine gerichtliche Sachentscheidung (positiver Art)" geben. Der Abspruch über die Frage des Anspruches auf Schadenersatz für öffentlich-rechtlich Bedienstete (Beamte) im Verwaltungsweg durch die Behörde lediglich mit dem Verwaltungsgerichtshof als Kontrollinstanz könne keinesfalls mit dem ansonst vorgesehenen Gerichtsweg als gleichwertig angesehen werden. Geradezu unerträglich sei dies aber deshalb, weil dabei der Schadensverursacher zum Richter gemacht werde, der dabei endgültig über die Beweisfrage befinde.
Ausgehend von der in dem beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren allein strittigen Frage des Anspruches auf Schadenersatz enthält die zunächst angesprochene gemeinschaftsrechtliche Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9. Februar 1976, 76/207/EWG, soweit dies für die hier maßgebende gerichtliche Geltendmachung eines solchen mit der Gleichbehandlung im Zusammenhang stehenden Schadenersatzanspruches von Bedeutung ist, nachstehende Bestimmung:
"Artikel 6
Die Mitgliedstaaten erlassen die innerstaatlichen Vorschriften, die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Sinne der Art. 3, 4 und 5 auf seine Person für beschwert hält, nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen seine Rechte gerichtlich geltend machen kann."
Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt weiters, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtschutz verlangt wird (vgl. EuGH, Rs 222/86, Heylens, Slg. 1987/4097, u.a.). Auch wenn es Sache der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaates ist, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, in denen es um individuelle, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte geht, sind die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz dieser Rechte "in jedem Einzelfall verantwortlich" (vgl. Urteil des EuGH vom 17. September 1997, Rs C- 54/96, Dorsch Consult, Slg. I-4983 ff). Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass der gerichtliche Rechtschutz durch den Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die für ihn im Regelfall gegebene bloße Kassationsmöglichkeit und die erheblich eingeschränkte Sachverhaltskontrolle (diesbezüglich siehe insbesondere § 41 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10) nicht ausreichend sein kann. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist ihrem Wesen nach eine Rechtsbeschwerde. Eine Tatsachenkontrolle vermag der als Revisionsgericht eingerichtete Verwaltungsgerichtshof nur begrenzt auszuüben (Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 132 f). Wolfgang Pesendorfer weist in seinem Artikel Verwaltungsrecht, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Föderalismus (ÖJZ 2001, 56. Jg., S. 521 ff, mwH) darauf hin, dass als wichtigster Grundsatz in der EU-Rechtsordnung das Recht auf Zugang zu den nationalen Gerichten zum Zweck der Anfechtung behördlicher Handlungen gilt, wobei das Gemeinschaftsrecht einen "effektiven gerichtlichen Rechtsschutz" verlangt, der sich auf die Rechtsfrage und auf die Tatsachen gleichermaßen zu beziehen hat. So enthält jetzt auch Art. 47 der Grundrechts-Charta der EU einen Anspruch auf Zugang zu einem nationalen Verwaltungsgericht mit voller, also auch auf die Tatfrage bezogener Kontrollbefugnis. Dem administrativen Verwaltungsrechtschutz in Österreich durch Verwaltungsbehörden mit voller Rechts- und Tatsachenkognitionsbefugnis fehlt - laut Pesendorfer a.a.O. - die EU-Gerichtsqualität, dem Verwaltungsgerichtshof mangelt es systembedingt an der Qualität als Tatsacheninstanz; er kann nur Rechtsfragen klären. EU-rechtlich sei also eine Adaption geboten.
In dem beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren musste der Anspruch auf Schadenersatz des angeblich diskriminierten Bewerbers nach § 19 Abs. 2 B-GBG bei der Obersten Dienstbehörde geltend gemacht werden, die den zu beurteilenden Entscheidungsvorgang inhaltlich wesentlich mitgestaltet hat.
Vor diesem Hintergrund ist es im Sinne der genannten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der EuGH zumindest zweifelhaft, ob der in diesem Zusammenhang nur vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende gerichtliche Rechtsschutz den Anforderungen des Gemeinschaftsrechtes ausreichend entspricht.
Die im Beschluss formulierte Frage war daher dem EuGH gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Wien, am 13. September 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61996CJ0054 Dorsch Consult VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999120198.X00Im RIS seit
26.02.2002Zuletzt aktualisiert am
20.04.2012