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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E006 EGV Art6;Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2001/0016 6. November 2003 * EuGH-Zahl: C-413/01 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62001CJ0413 6. November 2003 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2003/12/0204 E 25. November 2003 VwSlg 16232 A/2003Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Bayjones und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, in der Beschwerdesache der F in K, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Dr. Peter Bernhart und Mag. Dr. Bernhard Fink, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst vom 29. Oktober 1996, Zl. 56.043/16-I/D/7a/96, betreffend Studienbeihilfe nach dem Studienförderungsgesetz 1992, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.1. Begründet eine kurzfristige (hier: zweieinhalb Monate) zeitlich von vornherein befristete Beschäftigung eines EU-Bürgers in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, seine Arbeitnehmereigenschaft nach Art 48 EG-Vertrag (jetzt: Art 39 EG)?
1.2. Kommt in diesem Fall bei Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft im obigen Sinn dem Umstand, dass der Betroffene
1.2.1. erst einige Jahre nach seiner Einreise in den Aufnahmestaat diese Beschäftigung aufgenommen hat,
1.2.2. erst kurz nach Beendigung seines kurzfristigen, befristeten Beschäftigungsverhältnisses durch einen Schulabschluss in seinem Heimatland die Befähigung für den Zugang zu einem Universitätsstudium im Aufnahmestaat erworben hat,
1.2.3. sich in zeitlichem Anschluss an das kurzfristige befristete Beschäftigungsverhältnis bis zur Aufnahme seines Studiums um eine neuerliche Beschäftigung bemüht hat,
Bedeutung zu?
2. Bei Bejahung der (Wander-)Arbeitnehmereigenschaft nach 1.:
2.1. Erfolgt die Beendigung eines von vornherein zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisses durch Zeitablauf freiwillig?
2.2. Wenn ja: Kommt in diesem Fall für die Beurteilung der Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses dem Umstand für sich allein oder im Zusammenwirken mit dem jeweils anderen hier genannten Faktum, Bedeutung zu, dass der Betroffene
2.2.1. erst kurz nach dessen Beendigung durch einen Schulabschluss in seinem Heimatland die Befähigung für den Zugang zu einem Universitätsstudium im Aufnahmestaat erworben hat und/oder
2.2.2. er sich in unmittelbarem Anschluss daran bis zum Beginn seines Studiums um eine weitere Beschäftigung bemüht hat?
Ist es dabei für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung, ob es sich bei der weiteren Beschäftigung, um die sich der Betroffene bemüht, inhaltlich um eine Art Fortsetzung der beendeten zeitlich befristeten Beschäftigung auf einem vergleichbaren (niedrigen) Niveau oder um eine solche handelt, die dem in der Zwischenzeit erworbenen höheren Bildungsabschluss entspricht ?
Begründung
Dem Verfahren liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Franca Ninni-Orasche (im Folgenden Beschwerdeführerin ) ist italienische Staatsbürgerin. Nach den Feststellungen des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides ist sie seit 18. Jänner 1993 mit einem Österreicher verheiratet und seit 25. November 1993 in Österreich wohnhaft. Über ihren Antrag stellte ihr die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt am 10. März 1994 einen "Lichtbildausweis für Fremde (EWR)" aus, in dem ihr bescheinigt wurde, bis zum 10. März 1999 zum Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein. Außerdem enthielt der Ausweis den Hinweis, dass der Inhaber unter denselben Bedingungen wie die österreichischen Arbeitnehmer das Recht auf Zugang zu Beschäftigungen im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und auf deren Ausübung im österreichischen Hoheitsgebiet hat.
Die Beschwerdeführerin nahm nach ihrem maßgebenden Vorbringen im Verwaltungsverfahren und den in diesem vorgelegten Unterlagen in Österreich erstmals in der Zeit von 6. Juli bis 25. September 1995 eine zeitlich befristete Beschäftigung als inkassoberechtigte Kellnerin bei der Wörthersee-Schifffahrts-Gastronomie GmbH auf. Neben der Inkassotätigkeit war sie für den Warenbestand sowie für die Nachschaffung und Lagerhaltung der angebotenen Waren verantwortlich.
Sie legte am 16. Oktober 1995 (nach ihrem in der Vorstellung unwidersprochen gebliebenen Vorbringen in Form einer "Abendmatura", die ihre Anwesenheit bloß zu den Prüfungsterminen erfordert habe) am "instituto tecnico statale commerciale" in Reggio Emilia die Matura (maturita tecnica - diploma di ragioniere e perito commerciale) ab. Damit erwarb sie (unbestritten) die (allgemeine) Voraussetzung für die Zulassung zu einem Studium an einer österreichischen Universität.
Nach den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid auf Grund von Angaben der Beschwerdeführerin getroffenen Feststellungen suchte sie von Oktober 1995 bis März 1996 eine ihrer Ausbildung und Berufserfahrung (Anmerkung: nach den vorgelegten Unterlagen war die Beschwerdeführerin vor ihrer Verehelichung zwischen November 1989 bis Ende Jänner 1993 und ca. zwei Wochen im Juni 1993 bei einem italienischen Transportunternehmen in Reggio Emilia beschäftigt) entsprechende Anstellung in Klagenfurt, wobei sie sich u.a. bei Hotels und bei der Kärntner Hypobank beworben habe. Die auf diese Initiative (persönliches Anschreiben) beschränkten Bemühungen der Beschwerdeführerin - dass sie die Dienste der ehemals staatlichen, nunmehr ausgegliederten Arbeitsmarktverwaltung in Anspruch genommen hat, hat sie nicht vorgebracht - blieben allerdings erfolglos.
Im März 1996 (Sommersemester 1996) begann sie das Studium der Romanistik mit den Studienzweigen Italienisch und Französisch an der Universität Klagenfurt.
Ihr am 16. April 1996 gestellter Antrag auf Studienbeihilfe nach dem Studienförderungsgesetz 1992 blieb erfolglos.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 29. Oktober 1996 wies der (damals zuständige) Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (im Folgenden belangte Behörde) die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die ihren Anspruch verneinende Unterinstanz ab. Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung der Rechtslage und des Sachverhaltes aus, dass der in § 4 Abs. 1 des Studienförderungsgesetzes 1992 enthaltene Verweis auf das Übereinkommen zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes das Gebot der Nichtdiskriminierung (Art. 6 EG-Vertrag) sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 48 EG-Vertrag) und die darauf basierende Freizügigkeitsverordnung 1612/1968 betreffe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei zwar die Ausbildungsförderung keineswegs Bestandteil des Gemeinschaftsrechtes, auf dem Umweg über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien aber einige Prinzipien entwickelt worden, welche die Ausdehnung des Rechtes auf Studienförderung unter bestimmten Umständen auch auf Angehörige von Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes vorsähen. Dies betreffe insbesondere die Förderung der Kinder von Wanderarbeitnehmern. Voraussetzung hiefür sei, dass die Eltern eines Bewerbers um Ausbildungsförderung als Staatsbürger eines Mitgliedslandes des EWR in Österreich berufstätig und steuerpflichtig seien. Unter dieser Voraussetzung hätten die Kinder Anspruch auf die inländische Studienförderung. Dies treffe jedoch auf die Beschwerdeführerin nicht zu. Eine weitere Konstellation betreffe jene Fälle, in denen der Wanderarbeitnehmer selbst als Staatsbürger eines Mitgliedslandes des EWR ein Studium in einem anderen Mitgliedsland aufnehme. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei hiezu erforderlich, dass einerseits bereits eine längere Berufstätigkeit innerhalb des Landes, in dem das Studium aufgenommen werde, vorliege, andererseits, dass sich das Studium als eine Weiterbildungsmaßnahme innerhalb des derzeitigen Berufszweiges darstelle. Beide Voraussetzungen träfen auf die Beschwerdeführerin nicht zu, weil die lediglich auf die Urlaubszeit beschränkte und fast zwei Jahre nach der Einreise aufgenommene Tätigkeit als inkassoberechtigte Kellnerin, die zudem nicht fortgesetzt worden sei, zu dem Studium in keinem Zusammenhang stehe. Die Sprachkenntnisse, die in diesem Berufszweig erforderlich seien, habe die Beschwerdeführerin jedenfalls für Italienisch auch ohne die Absolvierung eines Philologiestudiums, das ja nicht primär auf den Spracherwerb, sondern auf die Sprach- und Literaturwissenschaft gerichtet sei, erworben. Somit lägen unter Berücksichtigung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes die Voraussetzungen für die Gleichstellung mit einem österreichischen Staatsbürger im Fall der Beschwerdeführerin nicht vor. Zur Frage der vorgängigen Berufstätigkeit in Österreich sei festzuhalten, "dass sich diese aus dem Verbot des Missbrauchgrundsatzes in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofes" ergebe. Eine zweimonatige Berufstätigkeit reiche jedenfalls nicht aus. Aus den genannten Gründen habe der Berufung keine Folge gegeben werden können.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B-VG wegen Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 7 B-VG und Art. 2 Staatsgrundgesetz sowie wegen Verstoßes gegen das EG-Gemeinschaftsrecht. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 4. Juni 1999, B 4943/96-7, ab. Über nachträglichen Antrag trat er gemäß § 87 Abs. 3 des Verfassungsgerichtshofgesetzes mit Beschluss vom 28. Juli 1999 die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, die in der Folge von der Beschwerdeführerin ergänzt wurde.
Im Beschwerdefall sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 48 EG-Vertrag (nunmehr Art. 39 EG) und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung des Rates Nr. 1612/1968 (Freizügigkeitsverordnung) und deren Bedeutung für die Hochschulförderung zwei europarechtliche Fragenkomplexe bedeutsam, nämlich
1.) ob die Beschwerdeführerin die Stellung als (Wander)Arbeiternehmerin im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 EG) erworben hat und bejahendenfalls,
2.) ob sie ihre Beschäftigung freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben hat.
Ad 1.) Die (Wander-)Arbeitnehmereigenschaft im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 EG) ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dann zu verneinen, wenn es sich um keine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt. Es haben solche Tätigkeiten außer Betracht zu bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl. z.B. das Urteil in der Rechtssache 53/81, Levin, Slg. 1982, 1035, Randnummer 17). Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, dass es (unter Berücksichtigung seiner Stellung nach nationalem Recht) seine Aufgabe ist zu prüfen, ob die Studienbeihilfenbehörden jene Tatsachen hinreichend ermittelt haben, die eine rechtmäßige Beantwortung dieser Frage zulassen. Der Prüfungsmaßstab für die Beantwortung dieser Frage wurzelt jedoch im europarechtlich vorgegebenen Arbeitnehmerbegriff, der autonom auszulegen ist. In diesem Sinn hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C - 357/89, Raulin, Slg. 1992, Seite I - 1027) bei der Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts zu den bei der Beurteilung der vom nationalen Gericht (zulässigerweise) heranzuziehenden Kriterien Aussagen getroffen (vgl. Randnoten 14 und 15).
Die unter 1.) gestellten Fragen könnten auch unter dem Gesichtspunkt des Missbrauches relevant sein, wenn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dahingehend zu verstehen ist, dass ein an Hand objektiver Merkmale nachweisbarer Missbrauch nicht die sich ansonsten aus europarechtlichen Vorschriften ergebenden Begünstigungen bzw. Benachteilungsverbote begründet (vgl. dazu die Rechtssache 36/96, Lair, Slg. 1988, Seite 3161, Randnote 43). Auch hiefür kann die sehr kurze Berufstätigkeit sowie das Verhalten vor Aufnahme und nach Beendigung der kurzfristigen Beschäftigung für die Inanspruchnahme einer Förderung für ein Studium von Bedeutung sein.
Die unter 1.) gestellten Fragen zielen auf die Klärung der Bedeutung der Dauer der inländischen Beschäftigung und des Verhaltens vor der Beschäftigungsaufnahme und nach deren Beendigung für die Begründung der (Wander-)Arbeitnehmereigenschaft ab.
Ad 2.) Bestimmte mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängende Rechte sind den (Wander)Arbeitnehmern nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch dann garantiert, wenn diese nicht (mehr) in einem Arbeitsverhältnis stehen.
Im Bereich der Hochschulausbildungsförderung setzt ein solcher Zusammenhang zwischen der Arbeitnehmereigenschaft und einer Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, jedoch eine Kontinuität zwischen der zuvor ausgeübten Berufstätigkeit und dem aufgenommenen Studium in dem Sinne voraus, dass zwischen dem Gegenstand des Studiums und der früheren Berufstätigkeit ein Zusammenhang bestehen muss. Eine solche Kontinuität kann allerdings nicht im Falle eines Wanderarbeitnehmers verlangt werden, der unfreiwillig arbeitslos geworden ist und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig zwingt (zB Rechtssache C - 357/89, Raulin, Slg. 1992, Seite I - 1027, Randnote 18 mwN).
Vor dem Hintergrund des Ausgangsfalles erscheint es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutsam, ob die Beendigung eines von vornherein zeitlich befristeten Arbeitsverhältnisses im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für sich allein als freiwillige oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit anzusehen ist bzw. ob für diese Zuordnung das (erfolglose) Bemühen des Betroffenen nach dessen Beendigung um eine weitere Beschäftigung im Aufnahmestaat vor Beginn des Studiums eine Rolle spielt und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die nach Beendigung der befristeten Beschäftigung erworbene Befähigung für die Zulassung zum Universitätsstudium hat.
Da, soweit ersichtlich, die gestellten Fragen weder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt erscheinen, noch deren Lösung derart offenkundig ist, dass für einen Zweifel kein Raum bliebe, werden diese Fragen gemäß Art 234 EG dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Wien, am 13. September 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61981CJ0053 Levin VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999120212.X00Im RIS seit
08.02.2002Zuletzt aktualisiert am
20.04.2012