TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/14 98/02/0190

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Veröffentlicht am 14.09.2001
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §23 Abs1;
AAV §23 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr: Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 1. April 1998, Zl. Senat-MD-96-431, betreffend Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: ES in A, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien I, Elisabethstraße 22), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 4. Dezember 1995 wurde der Mitbeteiligte als verantwortlicher Beauftragter einer näher genannten AG für schuldig befunden, er sei dafür verantwortlich, dass am 6. Juli 1995 in einer näher genannten Filiale folgende Arbeitnehmerschutzvorschrift nicht eingehalten worden sei:

Der Notausgang vom Verkaufsraum in Richtung Parkplatz Bahnhofstraße sei durch Lagerungen (Gitterbox mit Hartwürsten und Rückgabestellen für Kunststoff-Fleischtassen) zur Hälfte verstellt gewesen, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt Arbeitnehmer im Verkaufsraum aufgehalten hätten und Notausgänge auch vorübergehend nicht verstellt sein dürften.

Der Mitbeteiligte habe dadurch § 130 Abs. 5 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (kurz: ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, in Verbindung mit "§ 12 Abs. 3" der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (kurz: AAV), BGBl. Nr. 218/1983, verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. April 1998 wurde der Berufung Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben und gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG die Einstellung des Verfahrens verfügt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird u.a. ausgeführt, dass im Falle eines Verstoßes gegen Auflagen und Aufträge eines Betriebsanlagengenehmigungsbescheides insbesondere durch den Verweis auf § 130 Abs. 5 ASchG das jeweilige Gebot oder Verbot Teil des Straftatbestandes werde und es im Spruch eines auf diese Strafnorm gestützten Straferkenntnisses einer wörtlichen Anführung der einen Teil des Straftatbestandes bildenden Auflagen bedürfe, um die Zuordnung des Tatverhaltens zu der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt werde, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale zu ermöglichen. Der bloße Hinweis auf ziffernmäßig bezeichnete Auflagen reiche nach der höchstgerichtlichen Judikatur nicht aus. Dies gelte auch im Falle eines versperrten Notausganges für die Anführung der Norm, auf Grund welcher der Notausgang einzurichten und zu erhalten sei. Der bloße und nicht näher konkretisierte Hinweis auf einen angeblich verstellten oder versperrten Notausgang genüge nicht, ein tatbildmäßiges Handeln des Beschuldigten anzunehmen und dahingehend eine ausreichende Konkretisiertheit des Tatvorwurfes zu ersehen. "Die Ansehung der Norm", auf Grund derer der Notausgang eben als solcher auszuführen und aufrechtzuerhalten sei, sei ein wesentliches Tatbestandselement, dessen Unterlassen des Vorhaltens innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle, der im seinerzeitigen Stadium des Verfahrens nicht mehr heilbar gewesen sei und "eo ipso" zur Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und zur Einstellung des eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens führen müsse.

In ihrer auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 27, gestützten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei insbesondere eine falsche Auslegung des § 23 Abs. 3 AAV durch die belangte Behörde geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2.000 S bis 100.000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4.000 S bis 200.000 S zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

Gemäß § 106 Abs. 3 Einleitungssatz i.V.m. Z. 3 ASchG (= einer unter den 9. Abschnitt des ASchG fallenden Bestimmung) gelten bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach diesem Bundesgesetz zur Durchführung des 2. Abschnittes für Arbeitsstätten, insbesondere für Ausgänge und Verkehrswege in Arbeitsstätten u.a. die §§ 23 bis 26 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) als Bundesgesetz.

§ 23 Abs. 1 und 3 AAV, BGBl. Nr. 218/1983, lauten:

"(1) Besteht infolge der im § 21 Abs. 2 genannten Umstände oder der besonderen örtlichen Verhältnisse die Möglichkeit, dass die dem regelmäßigen Verkehr dienenden Ausgänge und Verkehrswege und auch kürzere Fluchtwege nach den §§ 21 Abs. 2 und 26 Abs. 2 im Gefahrenfalle ein entsprechend rasches und sicheres Verlassen der Betriebsräume oder der Gebäude durch Arbeitnehmer nicht Gewähr leisten, hat die Behörde zusätzlich die Anlage von Notausgängen vorzuschreiben; die Vorschreibung von Notausstiegen ist zulässig, wenn diese für nicht mehr als fünf Arbeitnehmer bestimmt sind. Notausgänge und Notausstiege müssen auf möglichst kurzem Weg ins Freie oder in einen gesicherten Bereich führen.

(2) .....

(3) Notausgänge und Notausstiege sowie Zugänge zu diesen müssen als solche deutlich sichtbar gekennzeichnet sein; sie dürfen durch Lagerungen auch vorübergehend nicht verstellt sein. Sofern Notausgänge und Notausstiege versperrt sein müssen, ist durch geeignete Vorkehrungen zu sorgen, dass sie sich, solange sich Arbeitnehmer im Raum aufhalten, jederzeit ohne fremde Hilfsmittel von innen leicht öffnen lassen. § 21 Abs. 7 und 8 sind auf Notausgänge und Notausstiege anzuwenden."

Die beschwerdeführende Partei rügt in der Beschwerde, es sei im vorliegenden Fall keine Bescheidauflage oder ein sonstiger behördlicher Auftrag, sondern eine generelle Rechtsnorm verletzt worden und zum vorliegenden Tatbestand gehöre auch kein behördlicher Auftrag. Es werde zwar die Verpflichtung, einen zusätzlichen Notausgang im Sinne des § 23 Abs. 1 AAV anzulegen, durch behördliche Vorschreibung angeordnet, hingegen werde das Verbot, einen dermaßen vorgeschriebenen Notausgang nicht zu verstellen, durch die generelle Vorschrift des § 23 Abs. 3 AAV normiert. Es sei das Verbot nach § 23 Abs. 3 AAV übertreten worden; in dieser Bestimmung sei ein selbstständiger Straftatbestand enthalten. Die behördliche Anordnung nach § 23 Abs. 1 AAV sei nicht Teil dieses Straftatbestandes und somit auch kein Tatbestandsmerkmal im Sinne des § 44a Z. 1 VStG.

Zutreffend verweist die beschwerdeführende Partei darauf, dass sich das Verbot des Verstellens von Notausgängen und Notausstiegen durch Lagerungen direkt aus § 23 Abs. 3 erster Satz, zweiter Teilsatz AAV ergibt. Dieses Verbot besteht unbeschadet einer allfälligen Vorschreibung von Notausgängen oder Notausstiegen nach § 23 Abs. 1 AAV. Es geht daher der Hinweis auf die Notwendigkeit der Aufnahme einer allfälligen Auflage betreffend die Vorschreibung eines Notausganges für die gegenständliche Filiale schon deshalb ins Leere, weil sich daraus nicht das Verbot der Verstellens von Notausgängen und Notausstiegen, welches dem Mitbeteiligten zur Last gelegt wurde, ableitet. Der im angefochtenen Bescheid angeführte Verweis auf die hg. Judikatur zur Gewerbeordnung betreffend die wörtliche Anführung der einen Teil des Straftatbestandes bildenden Auflagen im Spruch eines auf diese Strafnorm gestützten Straferkenntnisses (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 1994, Zl. 94/04/0041) ist im Hinblick auf die im Beschwerdefall zu beurteilende andere Rechtslage nicht relevant. Es war daher entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung auch nicht erforderlich, einen entsprechenden Hinweis auf die Vorschreibung eines Notausganges in der im Beschwerdefall zu beurteilenden Filiale innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist dem Mitbeteiligten vorzuhalten.

Vielmehr war es während des gesamten Verwaltungsstrafverfahrens unbestritten und wurde auch durch ein entsprechendes Foto, das den Akten beiliegt dokumentiert, dass sich am Tatort ein mit der Aufschrift "Notausgang" gekennzeichneter Notausgang befindet. Damit war es aber für eine rechtzeitige Verfolgungshandlung ausreichend, auf diesen Notausgang entsprechend hinzuweisen, was auch im Rahmen der Aufforderung zur Rechtfertigung (Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 20. Juli 1995) innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist geschehen ist.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig. Es erübrigt sich deshalb auch auf die von der beschwerdeführenden Partei aufgeworfene Frage, ob allenfalls auch das Verbot nach § 21 Abs. 6 AAV, betreffend das Verstellen von Ausgängen mit Lagerungen schlechthin in Betracht käme, näher einzugehen. Ergänzend wird für das fortgesetzte Verfahren darauf hingewiesen, dass das Zitat der AAV im Straferkenntnis vom 4. Dezember 1995 richtig zu stellen wäre.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 14. September 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998020190.X00

Im RIS seit

14.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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