Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des H T, (geb. 1.1.1952), vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. Februar 1998, Zl. SD 50/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. Februar 1998 wurde - gestützt auf § 57 Abs. 1 und Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75 - festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien, im Sinn der genannten Bestimmungen bedroht sei.
Der Beschwerdeführer, der Ende 1990 in seiner Heimat einen Reisepass erhalten habe und im April 1991 mit einem bis Juli 1991 gültig gewesenen Sichtvermerk nach Österreich übersiedelt sei, und seinen Reisepass Ende 1992 in Wien habe verlängern lassen, und danach durch Vorlage von Verpflichtungserklärungen Sichtvermerke bis 24. Juli 1993 erhalten habe, habe - seine Frau sei mit vier seiner fünf Kinder im Dezember 1992 nach Österreich gekommen und habe im Jänner 1993 einen Asylantrag gestellt - selbst im Juli 1993, unmittelbar vor Ablauf des Sichtvermerks, einen Asylantrag gestellt. Er wäre politisch nicht aktiv, aber Sympathisant der DEV-SOL gewesen. Er hätte zuvor deshalb keinen Asylantrag gestellt, weil davon den türkischen Behörden nichts bekannt gewesen wäre, und er keine Verfolgungshandlungen befürchtet hätte. Er hätte an Versammlungen teilgenommen. Befragt, angehalten oder inhaftiert wäre er nicht gewesen, er hätte sich aber beobachtet gefühlt und befürchtet, inhaftiert zu werden und deshalb seine Heimat verlassen. Den Asylantrag hätte er auf Grund eines Briefes seiner Tochter Anfang Juli 1993 gestellt, in dem (auch) sie ihm mitgeteilt hätte, dass sich die Polizei nach ihm erkundigt hätte, dass die Lebensbedingungen schlecht wären und das Militär die Kurden und Aleviten unterdrückte. Viele junge Leute wären vom Militär getötet worden. Dieser Asylantrag sei vom Bundesasylamt und im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 29. Oktober 1993 abgewiesen worden. Der dagegen eingebrachten Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt worden.
Im zweiten Rechtsgang, nach Aufhebung des Asylbescheides, sei der Beschwerdeführer am 18. April 1996 ergänzend vernommen worden. Dabei habe er angegeben, er hätte "vermutlich im Jahre 1988 oder 1989" bei zwei Veranstaltungen der DEV-SOL zugehört. Zwei Tage nach dieser letzten Veranstaltung wäre er drei Tage lang in Haft gewesen. Danach wäre er von Zivilbeamten bis zwei Monate vor seiner Ausreise - dies hätte also rund zwei Jahre lang gewesen sein müssen - beobachtet worden, er hätte aber nie Kontakt mit diesen Männern gehabt. Bei der Vernehmung im Jahr 1993 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass im Sommer 1992 seine vier Brüder als Sympathisanten der DEV-SOL verhaftet worden wären. Von seiner Frau hätte er (und zwar auch schon früher auf telefonischem Weg) erfahren, dass die Polizei öfter nach ihm gefragt hätte und dass Hausdurchsuchungen erfolgt wären. Einmal wäre sie auch niedergeschlagen worden. Bei der Vernehmung im Jahr 1996 habe der Beschwerdeführer hingegen ausgesagt, dass ein Halbbruder im Jahr 1992 in Haft gewesen wäre, dass nun aber seit vier Monaten die beiden anderen Halbbrüder in Haft wären und dass dies ihre erste Verhaftung wäre. Diese Widersprüche habe der Beschwerdeführer nicht aufklären können und nur behauptet, die widersprüchlichen Aussagen seinerzeit nicht gemacht zu haben. Im Übrigen bestünden auch darüber, ob ein Schwager oder Cousin des Beschwerdeführers getötet worden wäre und von wem er dies erfahren hätte, Divergenzen. Der Asylantrag sei vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 9. Mai 1996 neuerlich abgewiesen worden. Der Bundesminister für Inneres habe auch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens mit Bescheid vom 24. Juli 1997 abgewiesen, derzeit sei ein Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.
Bemerkenswert sei auch, dass der Beschwerdeführer ungeachtet der am Anfang seines Aufenthaltes über die Nachforschungen der Polizei geführten Telefongespräche mit seiner Ehefrau, die in ihrem Asylverfahren behauptet hätte, er hätte ihr nicht die Adresse verraten, weil er in Wien für die DEV-SOL tätig wäre, im Oktober 1992 eine Verlängerung seines Reisepasses bei der türkischen Botschaft beantragt habe. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer jedenfalls angegeben, dass er nur Sympathisant der DEV-SOL gewesen sei, und nie konkrete Aktivitäten behauptet.
Das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers habe sich auch nach Auffassung der belangten Behörde im Asylverfahren in keiner Weise als plausibel und schlüssig erwiesen und sei nicht glaubwürdig. Keinesfalls bedürfe es einer neuerlichen Vernehmung des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen, da er selbst keine konkrete und aktuelle Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG darzulegen vermocht habe, deren Stichhaltigkeit einer Überprüfung bedurft hätte. Dass sein Halbbruder, der im Jahr 1992 in Haft gewesen wäre und den er als Aktivisten der DEV-SOL bezeichne, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl erhalten habe, vermag daran nichts zu ändern, habe doch der Beschwerdeführer selbst für seine Person keinerlei Aktivitäten für die DEV-SOL geltend machen können.
2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom 8. Juni 1998, B 758/98-6), dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 16. September 1998, B 758/98-8). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragte, die Beschwerde aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/18/0080.)
2. Unter (eingehendem) Hinweis darauf, dass es insbesondere mit Blick auf Art 3 des Übereinkommens gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. Nr. 492/1987, iVm Art 3 EMRK für die Beurteilung, ob in einem Staat eine aktuelle Bedrohungssituation im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bestehe, nicht unmaßgeblich sei, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch diesen Staat bekannt geworden seien (vgl. dazu oben II.1.), bringt die Beschwerde vor, dass durch das notorische Vorgehen der türkischen Armee aus objektiver Sicht eine Situation geschaffen worden sei, derzufolge seine Furcht, wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe verfolgt zu werden, wohl begründet sei. Im Verwaltungsverfahren habe er ferner darauf hingewiesen, dass er und sein Halbbruder Sympathisanten der kurdischen DEV-SOL seien, dass dieser Halbbruder im Zuge einer Festnahme von den türkischen Behörden gezwungen worden sei auszusagen, zu welcher Familie er gehörte, was in weiterer Folge dazu geführt habe, dass die türkischen Behörden auch in das Haus seiner Familie gekommen seien, um unter anderem auch seinen Aufenthalt zu erfahren. Als seine Frau darüber keine Auskunft habe geben wollen, sei sie geschlagen worden, die gesamte Familie des Beschwerdeführers sei mit dem Umbringen bedroht worden. Die Tatsache, dass dieser Halbbruder in Deutschland als Flüchtling anerkannt worden sei, sei von der Behörde - die sich weigere, einen kausalen Nexus zwischen der Situation seines Halbbruders und der Situation des Beschwerdeführers zu sehen - nicht gewürdigt worden.
3. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Nach den insofern unbestrittenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer bezüglich seines Halbbruders im Verwaltungsverfahren widersprüchliche Aussagen gemacht und diese Widersprüche nicht aufklären können (vgl. oben I.1.), weshalb es auf dem Boden der dem Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Beweiswürdigung zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053), nicht als rechtswidrig erkannt werden kann, wenn die Behörde diese Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zum Anlass genommen hat, den Sachverhalt entsprechend dem Beschwerdevorbringen festzustellen. Die in der Beschwerde behaupteten Nachforschungen türkischer Organe nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers bei seiner Familie (bei denen seine Frau auch einmal geschlagen worden sei) lassen ihrer Art und Intensität nach noch nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr als Kurde (und wie im Verwaltungsverfahren vorgebracht: als Alevite) eine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG befürchten müsste. Dies vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer unbestritten (vor der Stellung seines Asylantrags) im Oktober 1992 eine Verlängerung seines Reisepasses bei der türkischen Botschaft beantragt und weiters nicht vorgebracht hat, dass ihm diese Verlängerung nicht erteilt worden wäre, weshalb die im angefochtenen Bescheid erkennbare Auffassung der belangten Behörde, dass dies bei einer konkreten Verfolgungsabsicht des in Rede stehenden Staates nicht erfolgt wäre, im Rahmen der besagten Überprüfungsbefugnis bezüglich der Beweiswürdigung nicht als unschlüssig angesehen werden kann. Ferner liegt auch die nach den unbestrittenen Feststellungen im Asylverfahren erstmals im zweiten Rechtsgang nach Aufhebung des Asylbescheides bei seiner Vernehmung am 18. April 1996 vorgebrachte Verhaftung des Beschwerdeführers in den Jahren 1988 oder 1989 bereits zu lange zurück, um daraus eine für ihn aktuell bestehende Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG ableiten zu können, zumal sich der Beschwerdeführer nach dieser Verhaftung unbestritten noch für einen längeren Zeitraum, nämlich bis April 1991, in seinem Heimatland aufgehalten hat. Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend keine konkreten Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland einer Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 ausgesetzt sei, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
4. Bei diesem Ergebnis geht auch das Vorbringen des Beschwerdeführers fehl, die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid Feststellungen betreffend die für ihn in Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien bestehende aktuelle Gefahr unterlassen, bei einer Abschiebung in einem dieser Staaten in die Türkei weitergeschoben zu werden.
5. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. September 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180301.X00Im RIS seit
06.03.2002