TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/18 2000/18/0078

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Veröffentlicht am 18.09.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs3;
FrG 1997 §113 Abs3;
FrG 1997 §113 Abs4;
FrG 1997 §31 Abs4;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §35 Abs1;
FrG 1997 §35 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde der P M in W, geboren am 17. Oktober 1960, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Dezember 1999, Zl. SD 348/99, betreffend Ausweisung gemäß § 34 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. Dezember 1999 wurde die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe sich im Zeitraum von Juni 1988 bis März 1989 auf Grund des Sichtvermerksabkommens drei Mal jeweils kurzfristig in Österreich aufgehalten und sei nie mehr als drei Monate in Wien gemeldet gewesen. Erst nach ihrer Einreise im Juni 1990 sei sie durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Zunächst habe sie nach Vorlage von Verpflichtungserklärungen Sichtvermerke von August 1990 bis Februar 1992 erhalten. In weiterer Folge habe sie über einen Befreiungsschein verfügt. Nach Vorlage einer Arbeitsbestätigung über eine Beschäftigung als Bedienerin habe sie weitere Sichtvermerke, zuletzt bis 28. März 1994 erhalten. Am 7. April 1994 habe sie einen "Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz" für den Zweck "unselbstständige Tätigkeit" gestellt. Dieser Antrag sei rechtskräftig abgewiesen worden. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren sei am 3. Juli 1998 gemäß § 113 Abs. 6 und 7 FrG eingestellt worden. Dieser Antrag sei daher wieder offen.

Im Zuge der behördlichen Erhebungen habe die Beschwerdeführerin angegeben, in Österreich bleiben zu wollen, um hier als Reinigungskraft zu arbeiten. Sie bekäme jedoch erst nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung eine arbeitsrechtliche Bewilligung. Seit 16. September 1998 sei sie selbst krankenversichert. Weiters habe sie in diesem Verfahren zwei Verpflichtungserklärungen vorgelegt. Am 9. April 1998 habe sie wiederum einen Verlängerungsantrag zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der unselbstständigen Erwerbstätigkeit gestellt. Diesem Antrag habe sie neuerlich zwei Verpflichtungserklärungen beigelegt.

Gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG sei die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung unzulässig. Die Ausnahmeregelung des § 113 Abs. 5 letzter Satz FrG komme bei der Beschwerdeführerin nicht zum Tragen, weil sie der zuletzt gültige Aufenthaltstitel auch zur Ausübung einer unselbstständigen Beschäftigung berechtigte und die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck auf Grund einer Verpflichtungserklärung nicht zulässig sei. Da die Beschwerdeführerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses als Bedienerin nicht mehr ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei, verfüge sie nicht über eigene Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes. Der Tatbestand des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG sei somit erfüllt. Da somit der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen stehe, erweise sich die Ausweisung im Grund des § 34 Abs. 1 FrG als gerechtfertigt.

Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrem Lebensgefährten in Haushaltsgemeinschaft. Sie sei für ein Kind sorgepflichtig, das allerdings in Jugoslawien lebe. Die Ausweisung sei daher mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten komme ein besonders hoher Stellenwert zu. Die Beschwerdeführerin verfüge nicht über die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels maßgeblichen Voraussetzungen. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigen, dass die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in Anbetracht der familiären Bindungen der Beschwerdeführerin "keinesfalls als gering zu erachten" sei. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bis dato nicht in der Lage gewesen sei, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu finanzieren, sondern der Unterstützung durch andere mit ihr in Haushaltsgemeinschaft lebender Personen bedurft habe, verringere die für den Verbleib der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet sprechenden Interessen. Die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als das im Vorliegen "der genannten Versagungsgründe" begründete öffentliche Interesse.

§ 35 Abs. 1 FrG stehe der Ausweisung nicht entgegen. Die Beschwerdeführerin habe lediglich im Zeitraum von 1992 bis März 1994 über "Beschäftigungsbewilligungen" verfügt. Zu diesem Zeitpunkt sei sie jedoch noch nicht fünf Jahre rechtmäßig niedergelassen gewesen. Abgesehen davon bestehe kein Grund zur Annahme, dass sich die Beschwerdeführerin um die Sicherung der Mittel für ihren Unterhalt durch eine legale Beschäftigung bemühen werde bzw. ein solches Bemühen Aussicht auf Erfolg hätte.

2. Die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde von diesem Gerichtshof mit Beschluss vom 6. März 2000, B 165/00, nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG können Fremde, die sich während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen steht.

Die Behörde vertrat die Ansicht, dass der Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG vorliege, wonach die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (ua) versagt werden kann, wenn der Fremde nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt verfügt.

2.1. Die Bestimmung des § 35 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat folgenden Wortlaut:

"(1) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, dürfen mangels eigener Mittel zu ihrem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft nicht ausgewiesen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn und so lange erkennbar ist, dass der Fremde bestrebt ist, die Mittel zu seinem Unterhalt durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern, und dies nicht aussichtslos scheint.

(2) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn sie von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde."

Nach der in diesen beiden Absätzen jeweils enthaltenen Wortfolge "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" kommt es darauf an, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme herangezogenen Umstandes bereits fünf bzw. acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen war. Handelt es sich bei den die Ausweisung tragenden Umständen um die Mittellosigkeit, muss der Fremde bereits am Beginn des - bis zur Bescheiderlassung anhaltenden - Zeitraumes seiner Mittellosigkeit fünf bzw. acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen sein. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. April 2000, Zlen. 99/18/0306, 0307.)

2.2. Die Beschwerdeführerin befindet sich nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid seit ihrer - sichtvermerksfreien - Einreise im Juni 1990 ununterbrochen im Bundesgebiet. Im August 1990 wurde ihr - im Anschluss an den durch das Sichtvemerksabkommen berechtigten Aufenthalt - ein Sichtvermerk und im Anschluss daran weitere Sichtvermerke bis 28. März 1994 erteilt, wobei sie zuletzt auch auf Grund eines Befreiungsscheines legal einer Beschäftigung nachging. Sie stellte am 7. April 1994, also zehn Tage nach Ablauf ihrer bisherigen Aufenthaltsberechtigung und somit verspätet gemäß § 13 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz, BGBl. Nr. 466/1992, einen als Verlängerungsantrag zu wertenden Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach diesem Gesetz. Im Hinblick auf die damalige Dauer ihres inländischen Aufenthaltes und die nur relativ geringfügige Fristversäumnis war dieser Antrag nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, der sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1996, Zl. 95/18/0759 mwN), jedoch als rechtzeitig gestellter Antrag zu werten.

Die Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem der - auf § 13 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz gestützte - Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen worden war, wurde nach den Feststellungen der belangten Behörde mit hg. Beschluss vom 3. Juli 1998 gemäß § 113 Abs. 6 und Abs. 7 FrG als gegenstandslos erklärt. Damit trat nach dem letzten Satz des § 113 Abs. 6 FrG auch der erstinstanzliche, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abweisende Bescheid außer Kraft. Im gemäß § 112 FrG als Verfahren zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung fortgesetzten Verfahren wurde gemäß § 15 FrG die vorliegende Ausweisung veranlasst.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat in einem derartigen Fall der Aufenthalt des Fremden auf Grund des sinngemäß anzuwendenden § 31 Abs. 4 FrG ab dem Ablauf der zuletzt gültigen Aufenthaltsberechtigung - bis zur rechtskräftigen Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme - durchgehend als rechtmäßig zu gelten (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zlen. 99/18/0306, 0307, mwN). Da sich die Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum unstrittig in Österreich aufhielt und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass sie in dieser Zeit auch den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen (§ 7 Abs. 3 Z. 1 FrG) in Österreich hatte, ist sie bereits seit Juni 1990 ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen.

2.3. Die belangte Behörde führte aus, dass § 35 Abs. 1 FrG der Ausweisung nicht entgegen stehe, weil die Beschwerdeführerin nur bis März 1994 über eine Berechtigung zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit verfügt habe. In diesem Zeitpunkt sei sie noch nicht fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen gewesen. Damit vertrat sie erkennbar die Auffassung, dass die Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin als für die Ausweisung maßgeblicher Sachverhalt bereits mit Beendigung der Erwerbstätigkeit eingetreten sei. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Verpflichtungserklärungen - aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die erste Vorlage einer derartigen Erklärung bereits im September 1991 erfolgte - seien gemäß § 10 Abs. 3 FrG nicht tragfähig.

Damit übersieht die belangte Behörde, dass § 10 Abs. 3 FrG lediglich die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung für unzulässig erklärt. Nach der Übergangsbestimmung des § 113 Abs. 3 und Abs. 4 FrG gewähren nach früheren Bestimmungen erteilte Aufenthaltsberechtigungen - auch solche, denen eine Verpflichtungserklärung einer dritten Person zu Grunde liegt - nach Inkrafttreten des FrG weiter ein Aufenthaltsrecht. Daraus ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber die dauernde Niederlassung von Fremden, deren Unterhalt durch eine Verpflichtungserklärung gesichert ist, bis zur erstmaligen Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für zulässig erachtet. Dies muss auch für Fremde gelten, die nach Ablauf ihrer früheren Aufenthaltsberechtigung gemäß § 31 Abs. 4 FrG weiter zum Aufenthalt berechtigt sind.

Dies hat die belangte Behörde verkannt. Auf Grund dieser Verkennung der Rechtslage hat sie sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob bzw. bis zu welchem Zeitpunkt der Unterhalt der Beschwerdeführerin durch Verpflichtungserklärungen gesichert war. Aus diesem Grund kann nicht beurteilt werden, ob die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Mittellosigkeit als für die Ausweisung maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf bzw. acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen war, wie dies zur Beurteilung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 35 Abs. 1 bzw. Abs. 2 FrG erforderlich ist.

3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. September 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000180078.X00

Im RIS seit

13.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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