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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §115;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des E in K, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 15. Juli 1999, Zl. 47/6-DOK/99, betreffend Schuldspruch ohne Strafe nach dem BDG 1979, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1949 geborene Beschwerdeführer steht als Bezirksinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er war im Zeitpunkt der ihm angelasteten Taten als stellvertretender Postenkommandant des Gendarmeriepostens V tätig.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 105 BDG 1979 ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde vom 15. Juli 1999 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe seine Dienstpflichten hinsichtlich der §§ 43 Abs. 1 und 2 sowie 44 Abs. 1 BDG 1979 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 der Kanzleiordnung für die Bundesgendarmerie insofern verletzt, als er mehrere Geschäftsstücke (Anzeigen über Sachbeschädigungen, Verkehrsunfälle mit Personenschaden, Einbruchsdiebstahl) ohne triftigen Grund nicht rasch genug erledigt habe, sodass zwischen dem Datum des Bekanntwerdens und der Erledigung acht Monate bis zu einem Jahr verstrichen seien (Spruchpunkt 1 des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses) sowie die Akten betreffend einen Verkehrsunfall mit Personenschaden (unter namentlicher Angabe des Alleinbeteiligten sowie der Aktenzahl) so spät, nämlich am 9. Februar 1998, an den Bezirksanwalt und an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein weitergeleitet habe, dass hinsichtlich der zum Verkehrsunfall führenden Verwaltungsübertretung bereits Verjährung eingetreten gewesen sei (Spruchpunkt 2 des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses). Er habe dadurch Dienstpflichtverletzungen im Sinn des § 91 BDG begangen. Gemäß § 95 Abs. 1 BDG 1979 werde jedoch von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen und nur der Schuldspruch ausgesprochen.
Im Übrigen wurde der Beschwerdeführer durch das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis von weiteren Anschuldigungen (rechtskräftig) freigesprochen.
Beide Instanzen nahmen als erwiesen an, dass ein Einbruchsdiebstahl zum Nachteil des Tourismusverbandes am 15. Jänner 1997 bekannt geworden sei, die Erhebungen seien vom Beschwerdeführer geführt worden. Die Tat habe nicht geklärt werden können. Besondere Arbeiten oder Vernehmungen seien dazu nicht durchgeführt worden. Die Anzeige sei jedoch erst am 14. September 1997 erstattet worden (Erledigungsdauer acht Monate). Der Umstand, dass der Beschwerdeführer den Posten zu führen gehabt und der Geschädigte nicht sofort alle Informationen geliefert habe, könne ein derart langes Zuwarten mit der Anzeigeerstattung nicht rechtfertigen.
Am 5. Juni 1997 habe G.H. seinen Hausmeister verletzt. Dieser Sachverhalt sei am gleichen Tage am Gendarmerieposten V angezeigt worden, wobei der Beschwerdeführer wiederum zuständiger Sachbearbeiter gewesen sei. Die Anzeige an den Bezirksanwalt sei jedoch erst am 9. März 1998, sohin nach neun Monaten erfolgt. Aus eigenem Verschulden sei die Verletzungsanzeige erst sehr spät angefordert worden und der Akt in der Hektik "untergegangen". Die lange Erledigungszeit lasse sich dadurch aber nicht rechtfertigen.
Am 23. Juni 1997 sei der PKW des Z.T. von einem unbekannten Täter beschädigt worden. Die Anzeige sei vom Beschwerdeführer jedoch erst am 11. Juni 1998 (sohin ca. ein Jahr später) an den Bezirksanwalt erstattet worden. Auch hier seien keine umfangreiche Erhebungen notwendig gewesen und auch nicht getätigt worden. Die Erledigungszeit sei daher nicht gerechtfertigt gewesen. Auch die "Arbeitsüberlastung" könne bei einem derart einfachen Sachverhalt nicht akzeptiert werden.
Am 12. Juli 1997 sei eine Sachbeschädigung zum Nachteil der E.K. bekannt geworden, die vom Beschwerdeführer zu erledigende Anzeige sei jedoch erst am 12. Juni 1998 (sohin elf Monate nach Bekanntwerden) an den Bezirksanwalt erstattet worden. Der Beschwerdeführer habe sich an diesen Akt nicht mehr erinnern können. Auch zu diesem Geschäftsstück habe es keinesfalls den Grundsatz einer raschen Erledigung des Schriftverkehrs entsprochen, die Anzeige eines einfachen Sachverhaltes derart lange hinauszuzögern.
Am 24. Juli 1997 sei ein Verkehrsunfall bekannt und vom Beschwerdeführer bearbeitet worden. Ohne ersichtlichen Grund sei die Anzeigeerstattung an den Bezirksanwalt erst am 9. Februar 1998, somit mehr als sechs Monate nach Bekanntwerden und damit zu einem Zeitpunkt erstattet worden, zu dem die zum Verkehrsunfall führende, allenfalls vorliegende Verwaltungsübertretung bereits verjährt gewesen sei. Eine Durchschrift der Anzeige sei der BH Kufstein zur verwaltungsstrafrechtlichen Beurteilung übermittelt worden. Die Bezirkshauptmannschaft habe die Verjährung übersehen und gegen den Lenker des Verkehrsunfallwagens eine Strafverfügung wegen Übertretung nach § 7 StVO in der Höhe von S 300,-- erlassen, doch sei nach Vorsprache des Lenkers bei der BH bezüglich der Unfallursache (diese sei nämlich ein Ölfleck gewesen) das Strafverfahren eingestellt worden. Von einem erfahrenen Gendarmeriebeamten habe jedoch erwartet werden können, dass er Geschäftsstücken, denen Verjährung drohe, entsprechende Aufmerksamkeit schenke. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, der Akt sei übersehen bzw. auf Grund anderer Prioritäten zurückgestellt worden, ginge ins Leere, die Prioritätensetzung könne nicht so erfolgen, dass dabei Akten verjährten.
Der Beschwerdeführer sei am 1. Juli 1993 vom Gendarmerieposten K zum Gendarmerieposten V versetzt und dort als Sachbearbeiter eingeteilt worden. Mit Wirksamkeit vom 1. Dezember 1995 sei seine Ernennung zum stellvertretenden Postenkommandanten von V erfolgt. Infolge Zuteilung des damaligen Postenkommandanten zur Grenzübergangsstelle Kiefersfelden und dessen späterer Versetzung zum LGK Tirol sei der Beschwerdeführer ab dem 21. Mai 1997 für die Leitung des Gendarmeriepostens V verantwortlich gewesen. Mit 1. Oktober 1997 sei zwar ein neuer Postenkommandant bestellt worden, dieser habe jedoch seinen Dienst infolge Zuteilung zur Grenzübergangsstelle Kiefersfelden und eines anschließenden Urlaubes dort tatsächlich erst am 12. April 1998 angetreten. Somit sei die Verantwortung für den Gendarmerieposten V in der Zeit vom 21. Mai 1997 bis 12. April 1998 ausschließlich beim Beschwerdeführer gelegen. Aus diesem Grunde hätte er, u.a. auch für die rechtzeitige Erledigung der genannten ihm zur Sachbearbeitung zugeteilten Geschäftsstücke zu sorgen gehabt. Der Beschwerdeführer sei vom Bezirksgendarmeriekommandanten als "sehr fleißig und arbeitswillig" beschrieben worden und habe trotz seiner privaten Belastung (Scheidung im November 1997) oft bis Mitternacht am Posten gearbeitet, ohne Überstunden zu verrechnen. Er habe keinen Stellvertreter gehabt, zudem kaum Erfahrung in der Leitung einer Dienststelle und sei bei sämtlichen Dienstführungsaufgaben auf sich allein gestellt gewesen. Außerdem sei einer der drei Mitarbeiter ein Zolloptant gewesen, der erst im Juli 1997 vom Ergänzungslehrgang Großgmain zum Gendarmerieposten V versetzt worden sei, keinerlei Erfahrung im praktischen Gendarmeriedienst gehabt und deshalb einer besonderen Einschulung bedurft habe. Weiters sei der Beschwerdeführer in verschiedenen Sonderverwendungen gestanden, nämlich Bezirksspurensicherer, Mitglied der "EE/T und AEK-Ausbildner". Obwohl der Beschwerdeführer bereits im April 1997 in einer an das Landesgendarmeriekommando Tirol gerichteten Meldung auf diese Zusatzverwendungen und die damit verbundene Beeinträchtigung der Postenführungstätigkeit hingewiesen und um Austritt aus diesen Sonderverwendungen ersucht habe, sei er hievon nicht entbunden, sondern weiterhin zu diesen Zusatzverwendungen herangezogen worden. Er habe auch den Bezirksgendarmeriekommandanten zumindest zweimal (einmal am Gendarmerieposten V, ein weiteres Mal anlässlich einer Dienstbesprechung) darauf hingewiesen, dass er mit der Postenführung überfordert sei. Der Beschwerdeführer, der ein sehr genau, fast übergenau, arbeitender Beamter sei, sei mit den Rahmenbedingungen am Gendarmerieposten V nicht zu Recht gekommen und habe es daher trotz größtem persönlichen Einsatz nicht geschafft, alle ihm in der Dienstführung gestellten Aufgaben zu erfüllen. Auf Grund seiner Überforderung bzw. Unfähigkeit als stellvertretender Postenkommandant sei ihm vom Gendarmeriekommandanten nahe gelegt worden, sich zu einer anderen Dienststelle versetzen und dort als normaler Sachbearbeiter einteilen zu lassen. Der Beschwerdeführer sei auch in der Folge über eigenes Ersuchen zum Gendarmerieposten K versetzt worden. Mit dieser Versetzung sei zwangsläufig auch die Aberkennung des höheren Amtstitels "Abteilungsinspektor" verbunden gewesen, was für den Beschwerdeführer eine besondere Demütigung bedeutet habe.
Rechtlich führte die belangte Behörde zu dem von ihr übernommenen Sachverhalt aus, es sei grundsätzlich festzuhalten, dass eine verspätete Erledigung von Geschäftsstücken eine Leistungsfeststellung gemäß §§ 81 ff BDG nach sich ziehen müsse und nicht an sich als schuldhafte Dienstpflichtverletzung zu werten sei. Es sei auch richtig, dass die fehlerhafte und nachlässige Arbeitsweise eines Beamten nur dann als Dienstvergehen zu qualifizieren sei, wenn eine Vielzahl von Mängeln, nämlich hier die verspätete Erledigung von vier Geschäftsstücken erwiesen sei, die über das normale Versagen eines durchschnittlichen Beamten eindeutig hinausginge und nicht Unvermögen, sondern echte Schuld vorliege. Welchen Umfang die Verpflichtung zur gewissenhaften Erfüllung der dienstlichen Obliegenheiten einnehme, lasse sich im Einzelnen nicht beschreiben. Hierbei komme es wesentlich auf die dienstliche Stellung des Beamten und den Verwaltungszweig an, in dem der Beamte beschäftigt sei. Auch der fähigste und zuverlässigste Beamte mache gelegentlich Fehler und sei Schwankungen seiner Arbeitskraft unterworfen. Auch mit dem einmaligen "Vergessen" sei die Grenze des disziplinarrechtlich Erheblichen noch nicht überschritten. Auch nicht jede mangelhafte Arbeitsweise sei pflichtwidrig. Grundsätzlich schulde der Beamte nur eine im ganzen durchschnittliche Leistung. Aber selbst einmaliges Versagen sei dann gesondert zu werten, wenn es sich um eine vorsätzliche Widersetzlichkeit oder um eine bewusste Gleichgültigkeit gegenüber erteilten Weisungen handle. Es könne aber im Einzelfall auch Fahrlässigkeit genügen, insbesondere dann, wenn wegen der voraussehbaren erheblichen Nachteile schon bei einem geringen Versagen eine erhöhte Sorgfalt geboten sei. Je näher die Möglichkeit von dienstlichen Auswirkungen einer Nachlässigkeit liege oder je höher der mögliche Schaden abzusehen sei, um so geringere Grade der Fahrlässigkeit könnten vorwerfbar sein. Dies gelte speziell für den Bereich der besonders gefahrenträchtigen Aufgaben, wie dies etwa beim Dienst der Exekutive der Fall sei. Im gegenständlichen Fall sei festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen wäre, die ihm zugeteilten Geschäftsstücke zeitgerecht zu erledigen. Gerade im Hinblick auf die drohende Verjährung hinsichtlich eines dieser Geschäftsstücke habe der Beschwerdeführer nicht die ihm zumutbare Sorgfalt walten lassen und daher ein fahrlässiges Verhalten im Sinn des § 6 StGB zu verantworten, das trotz des geringen Grades der Fahrlässigkeit (culpa levissima) disziplinarrechtlich zu ahnden gewesen sei. Daran vermöge auch die Überlastung des Beschwerdeführers als Postenkommandant sowie dessen Sonderverwendungen nichts zu ändern, da ihm nicht eine Verletzung seiner Dienstpflichten als Postenkommandant, sondern ausschließlich die verspätete Erledigung der ihm zugeteilten Geschäftsstücke zur Last gelegt worden sei. Der Schuldspruch unter Absehen von der Verhängung einer Strafe gemäß § 115 BDG werde im Hinblick auf spezial- und generalpräventive Gründe als ausreichend gewertet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde aus den Gründen der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Unterbleiben eines disziplinarrechtlichen Schuldspruchs, für welchen die Voraussetzungen mangels Vorliegens einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 91 BDG 1979 nicht erfüllt seien, verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) lauten:
"Allgemeine Dienstpflichten
§ 43. (1) Der Beamte ist verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.
(2) Der Beamte hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.
...
Dienstpflichten gegenüber Vorgesetzten
§ 44. (1) Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen. ...
...
Dienstpflichtverletzungen
§ 91. Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist nach diesem Abschnitt zur Verantwortung zu ziehen."
Im Falle eines Schuldspruches kann zufolge § 115 BDG 1979 von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden, wenn dies ohne Verletzung dienstlicher Interessen möglich ist und nach den Umständen des Falles und nach der Persönlichkeit des Beamten angenommen werden kann, dass ein Schuldspruch allein genügen wird, den Beamten von weiteren Verfehlungen abzuhalten.
Bei einem Schuldspruch ohne Strafe nach § 115 BDG 1979 handelt es sich - ungeachtet des Umstandes, dass er nicht im Katalog der Disziplinarstrafen in § 92 Abs. 1 BDG 1979 aufgezählt wird - dennoch um eine Disziplinarstrafe, weil damit gegen den Beamten ein rechtlich verbindlicher Vorwurf mit nachteiligen Wirkungen - etwa als erschwerender Umstand bei einer späteren Verurteilung - gemacht wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1992, Zl. 91/09/0148). Ein Schuldspruch gemäß § 115 BDG 1979 darf daher nur erfolgen - sofern die Voraussetzungen für einen solchen vorliegen - wenn von der Verhängung einer Strafe ohne Verletzung dienstlicher Interessen (also im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen) abgesehen werden kann und nach den Umständen des Falles und nach der Persönlichkeit des Beamten angenommen werden kann, dass ein Schuldspruch allein genügen werde, den Beamten von weiteren Verfehlungen abzuhalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Disziplinarbehörden bei geringem Verschulden und unbedeutenden Folgen einer Dienstpflichtverletzung stets und in jedem Fall einen Schuldspruch gemäß § 115 BDG 1979 zu fällen hätten:
Gemäß § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 ist das Disziplinarverfahren nämlich mit Bescheid einzustellen, wenn die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Einstellung des Disziplinarverfahrens gemäß § 118 Abs. 1 BDG 1979 allerdings nach der Erlassung eines Verhandlungsbeschlusses nicht mehr erfolgen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 1989, Zl. 89/09/0023, und vom 18. Februar 1993, Zl. 92/09/0285). Liegen die Voraussetzungen gemäß § 118 Abs. 1 Z. 1 bis 4 BDG 1979 nach der Erlassung eines Verhandlungsbeschlusses vor, so ist der Beamte von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vielmehr freizusprechen. Dies ist in den Fällen der Z. 1 bis 3 des § 118 Abs. 1 BDG 1979 offensichtlich, muss jedoch auch im Fall der Z. 4 der genannten Gesetzesstelle deswegen gelten, weil kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist, dass Beschuldigte im Disziplinarverfahren nach Erlassung eines Verhandlungsbeschlusses bei gleicher Tat und Schuld schuldig zu sprechen wären, das Disziplinarverfahren vor Erlassung eines derartigen Beschlusses aber bloß einzustellen wäre. Kein Zweifel kann nämlich daran bestehen, dass ein Schuldspruch im Vergleich zu einer Einstellung gemäß § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 auch dann einen gravierenderen Eingriff in die Rechtssphäre des Beamten bewirkt, wenn gemäß § 115 BDG 1979 von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 ist der Beamte daher dann, wenn bereits ein Verhandlungsbeschluss ergangen ist, in sinngemäßer Anwendung des § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 freizusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1991, Zl. 90/09/0180, sowie das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1998, Zl. 95/09/0112).
Ausgehend von dem von den Disziplinarbehörden festgestellten Sachverhalt ist der Beschwerdeführer seinen vorgesetzten Dienstbehörden als äußerst fleißig, pflichtbewusst und gewissenhaft ( "fast übergenau") bekannt gewesen. Er selbst hat mehrfach seine vorgesetzte Dienstbehörde auf die ihn überfordernde berufliche Situation hingewiesen und um seine Entlastung, zumindest in den Bereichen seiner Sonderverwendungen ersucht, was jedoch von Seiten der Dienstbehörde - aus nicht nachvollziehbaren Gründen - zu keiner weiteren Veranlassung geführt hat.
Nach § 43 Abs 1 BDG 1979 trifft den Beamten die Pflicht, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Ob er dies getan hat, kann immer nur im Einzelfall unter verständiger Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände beurteilt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1998, Zl. 96/09/0373).
Die belangte Behörde hat unter grundsätzlich zutreffender Zitierung der ergangenen hg. Judikatur bereits selbst im angefochtenen Bescheid dem Sinne nach darauf hingewiesen, dass auch im öffentlichen Dienst wie in anderen Arbeitsbereichen keineswegs nur perfekt und fehlerfrei arbeitende "Mustermenschen" zur Verfügung stehen und mit einzelnen "schwachen Leistungen", einer gelegentlichen "Flüchtigkeit" oder Ähnlichem normalerweise die Pflicht zur treuen, gewissenhaften und unparteiischen Besorgung der dienstlichen Aufgaben im Sinne des § 43 Abs 1 BDG 1979 nicht verletzt werden können (so genannte Bagatellverfehlungen; vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 1991, Zl. 90/09/0171, und Zl. 90/09/0181). In Anbetracht der auch seinen Vorgesetzten mitgeteilten Besorgnis des Beschwerdeführers, den Anforderungen nicht im erforderlichen Umfange gerecht werden zu können, wäre es vielmehr Aufgabe der Dienstbehörde gewesen, entsprechend der Fürsorgepflicht des öffentlich-rechtlichen Dienstgebers dem Beamten gegenüber, durch eine dienstrechtliche Maßnahme mit Rücksicht auf den Dienstbetrieb und die Gefährdung der Leistungsfähigkeit des Beamten zu reagieren.
Das Vorliegen eines Verschuldens im Falle des Zuwiderhandelns gegen eine Dienstpflicht kann grundsätzlich dann verneint werden, wenn ein rechtmäßiges Verhalten nicht zumutbar ist. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens ist z.B. auf Übermüdung oder auch Überforderung infolge langandauernder schwerer Belastung bei einer (gefahrengeneigten) Tätigkeit Bedacht zu nehmen. Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall in ausreichendem Maße dargetan, dass er wegen Überforderung nicht in der Lage gewesen sei, das von ihm erwartete (umsichtige) Verhalten an den Tag zu legen, bzw. dass ein rechtmäßiges Verhalten in diesem Sinne für ihn in dieser Situation nicht zumutbar gewesen ist. Es kann auch nicht erkannt werden, wie anders als der Beschwerdeführer sich ein pflichtgetreuer, aber überlasteter Beamter verhalten hätte, als diesen Umstand seiner Dienstbehörde zu melden. Dass in dieser Situation bei Bearbeitung der ihm als Sachbearbeiter zugeteilten Akten falsche Präferenzen gesetzt wurden, ist nicht als schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten zu werten. Dabei erscheint die - im angefochtenen Bescheid angestellte - "Splittung" der Eigenschaften des Beschwerdeführers in "Sachbearbeiter" und "Postenkommandant" sach- und lebensfremd, da die Überforderung wohl aus beiden Komponenten resultierte.
Bei dieser Sachlage und vor dem genannten rechtlichen Hintergrund hätte im vorliegenden Fall die belangte Behörde als Berufungsbehörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass von der Verhängung eines Schuldspruches gegen den Beschwerdeführer wegen Vorliegens der im § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 genannten Umstände abzusehen und der Beschwerdeführer freizusprechen war, zumal auch der einzige Fall, der Folgen hätte nach sich ziehen können, letztendlich aus einem anderen Grund als dem der Verjährung eingestellt worden war.
Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. September 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999090202.X00Im RIS seit
22.11.2001Zuletzt aktualisiert am
23.12.2014