RS UVS Oberösterreich 2007/06/21 VwSen-420509/21/Gf/Sta

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Veröffentlicht am 21.06.2007
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Rechtssatz

Nach Art.3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Gemäß Art.2 Abs.1 Z3 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, iVm § 35 Z1 VStG dürfen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes jene Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist.

Nach § 2 Z2 des Waffengebrauchsgesetzes, BGBl. Nr. 149/1969, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 113/2006 (im Folgenden: WaffGebG), dürfen Organe der öffentlichen Sicherheit zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme von Dienstwaffen Gebrauch machen. Gemäß § 4 WaffGebG ist ein solcher Waffengebrauch jedoch nur dann zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen - wie insbesondere die Androhung des Waffengebrauches, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel wie z.B. Handfesseln oder technische Sperren - ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.

Nach § 1 Abs.1 iVm § 10 Abs.1 des Oö. Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 36/1979, zuletzt geändert durch LGBl. Nr. 61/2005 (im Folgenden: OöPolStG), begeht derjenige, der den öffentlichen Anstand verletzt, eine Verwaltungsübertretung und ist hiefür mit einer Geldstrafe bis zu 360 Euro zu bestrafen.

Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass der Beschwerdeführer am Vorfallstag seine kleine Notdurft bei einem Zaun bzw. in einer Wiese, die unmittelbar gegenüber dem Stadion in P liegt und dieses gegen eine Garten- und Einfamilienhaussiedlung abgrenzt, verrichtet hat. Dieses allseits unbestritten von mehreren Personen wahrnehmbare und auch tatsächlich wahrgenommene Verhalten ist als Anstandsverletzung iSd § 1 Abs.1 iVm § 10

Abs.1 OöPolStG zu qualifizieren. Denn als eine solche gilt gemäß § 1 Abs.2 OöPolStG jedes Verhalten in der Öffentlichkeit, das einen groben Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der guten Sitte bildet, wozu jedenfalls das öffentlich wahrnehmbare Verrichten der kleinen Notdurft zählt (vgl. zB VwGH 30.04.1992, 90/10/0039, mwN).

Nachdem der Rechtsmittelwerber somit unmittelbar bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung betreten wurde, dem anhaltenden Organ unbekannt war und sich auch nicht ausweisen konnte bzw. seine Identität auch sonst nicht festgestellt werden konnte, durfte er von den einschreitenden Polizeibeamten zwecks Vorführung vor die Behörde festgenommen werden. Die Verbringung zur Behörde selbst erfolgte sodann zunächst durch einfache Begleitung sowie - als der Beschwerdeführer leichten Widerstand zu leisten begann - durch Fixierung seiner Hände auf dem Rücken (Setzung einer Armwinkelsperre) und zuletzt - nachdem er sich aus dieser bereits gewaltsam mit einem Arm befreit hatte - durch das Anlegen von Handschellen. Die Sicherheitsorgane gingen daher insgesamt betrachtet derart vor, dass sie schrittweise immer erst dann vergleichsweise gravierendere Eingriffsmaßnahmen in die körperliche Freiheit setzten, wenn der Zweck der Amtshandlung durch gelindere Mittel nicht mehr erreicht werden konnte, also so, wie es dem verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Dass in diesem Zusammenhang insbesondere das Anlegen von Handschellen eine intentional die Würde des Rechtsmittelwerbers als Person missachtende Behandlung dargestellt hätte, wurde hingegen von diesem gar nicht ausdrücklich behauptet, geschweige denn durch entsprechende Beweismittel konkret zu belegen versucht. Die Festnahme und kurzfristige Anhaltung des Beschwerdeführers entsprach damit insgesamt dem aus Art.7 B-VG iVm Art.2 StGG ableitbaren Verhältnismäßigkeitsprinzip und stellte keine Verletzung des Art.3 EMRK dar.

Schließlich ist für den Rechtsmittelwerber auch mit seinem in der öffentlichen Verhandlung erhobenen Einwand, dass die EURO 2008 (Fußballeuropameisterschaft) kurz vor der Tür stehe und es im Hinblick darauf "eine Schande" darstelle, "dass man als Fußballanhänger damit rechnen" müsse, "in Österreich sogar wegen eines Bagatelldeliktes in Handschellen abgeführt" zu werden, nichts gewonnen:

Grundsätzlich gelten für Fußballsportveranstaltungen - gerade wenn und weil diese vor einer (mehr oder weniger) breiten Öffentlichkeit stattfinden - dieselben Rechtsvorschriften, wie sie auch sonst für das Verhalten von Menschen in der Öffentlichkeit bestehen. Abweichendes ließe sich nur vertreten, wenn insoweit von staatlicher Seite gesonderte Normen erlassen worden wären. Dies ist jedoch einerseits derzeit nicht der Fall und andererseits von den Proponenten dieser Sportart auch gar nicht intendiert, im Gegenteil:

Es ist vielmehr festzustellen, dass (neben den Internationalen Verbänden insbesondere auch) der Österreichische Fußballbund und die ihm angeschlossenen Landesverbände ein vitales Interesse daran haben, sämtliche Trends, die zu einem negativen Erscheinungsbild dieser Sportart in der öffentlichen Meinung führen könnten, schon im Ansatz rigoros zu unterbinden (vgl. zB die Strafenkataloge für Fehlverhalten von Spielern, Vereinen und Anhängern einerseits sowie Kampagnen wie "UEFA Fair Play", "FARE - Football Against Racism in Europe", "FIFA Football for Hope"; etc. andererseits). Wenngleich dem Beschwerdeführer zuzugestehen ist, dass sich in der Realität dessen ungeachtet sowohl abartige Praktiken herausgebildet haben, die im Extremfall - über eine lediglich verbale Herabwürdigung bzw. Beschimpfung von gegnerischen Mannschaften und Anhängern sowie neutralen Offiziellen hinaus - in blindem Fanatismus münden, der sich - entsprechend emotionell gesteuert - zudem in exzessiven Gewaltakten entlädt, als auch ein gewisses "Gruppendenken" dahin nicht zu leugnen ist, demzufolge zumindest unter durchschnittlichen Fußballanhängern und damit gleichsam "adressatenbezogen" die allgemeine Hemmschwelle wesentlich herabgesetzt wirkt, was sich konkret auch darin äußern mag, dass von diesen ein Urinieren in der Öffentlichkeit gemeinhin nicht einmal als sittlich anstößig, geschweige denn als strafwürdig empfunden wird, so ist er dennoch darauf zu verweisen, dass aus rechtlicher Sicht eine derartige "faktische Übereinkunft" selbst dann nicht dazu in der Lage wäre, entgegenstehende staatliche Normen zu suspendieren, wenn ein solcher "common sense" tatsächlich bestünde. Denn Gewohnheitsrecht bildet - im Gegensatz zum Teilbereich des Privatrechts - zumindest im Bereich des Öffentlichen Rechts nach allgemein herrschender Auffassung keine Rechtsquelle, die auch Verbindlichkeit zu beanspruchen vermag. Und die Erlassung einer echten gesetzlichen Sonderregelung für Fußballveranstaltungen, die in diesem Bereich eine Reduktion der allgemein gültigen sittlichen Anforderungen gestatten würde, steht aus den bereits zuvor genannten "Salonfähigkeits"-Überlegungen selbst bzw. gerade angesichts der bevorstehenden "EURO 2008" derzeit nicht einmal ansatzweise zur Debatte.

All dies hindert die Exekutivorgane und die Behörden freilich nicht daran, insbesondere bei vermeintlichen Bagatelldelikten von der Einleitung bzw. Durchführung eines Strafverfahrens abzusehen, wenn die Voraussetzungen des § 21 VStG bzw. des § 21a VStG vorliegen. Dies ist jedoch im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens - und nicht, wie hier - im Zuge eines Maßnahmenbeschwerdeverfahrens zu beurteilen.

Liegt aber ein kriminal- oder verwaltungsstrafrechtlicher Tatbestand vor, dann muss der Betretene den Umständen entsprechend aber auch mit Zwangsmaßnahmen rechnen, die - wie gezeigt - ihrerseits rechtmäßig sind, wenn und solange sie sich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bewegen.

Aus allen diesen Gründen war daher die gegenständliche Beschwerde gemäß § 67c Abs.3 AVG als unbegründet abzuweisen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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