TE Vfgh Erkenntnis 1998/10/15 B1050/97 - B2482/97, B2828/97

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Veröffentlicht am 15.10.1998
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen zweier Erlässe des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.08.96 und vom 31.10.96 sowie des Leitfadens für die Anwendung des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr 1/80 mit E v 16.06.98, V6-8/98.

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg wurde dem in der Berufung "auf Ausstellung eines Feststellungsbescheides" nach dem Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im folgenden Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 bzw. kurz: ARB) eingeschränkten Antrag eines türkischen Staatsangehörigen keine Folge gegeben.

Begründend wird u.a. ausgeführt, nach Art7 Abs1 zweiter Fall des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 hätten Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, dann "freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben". Diese Voraussetzung läge nur dann vor, wenn sich der Familienangehörige durchgehend erlaubterweise mit einer entsprechenden Aufenthaltsbewilligung oder mit einem für türkische Staatsangehörige nach dem ARB ausgestellten Sichtvermerk in Österreich aufhalte. Da diese Voraussetzung im konkreten Fall nicht gegeben sei, käme die Ausstellung eines Feststellungsbescheides auf Grundlage des Art7 Abs1 zweiter Fall des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nicht in Betracht.

Auch aus Art6 ARB könne ein solcher Anspruch nicht abgeleitet werden. (Nach Abs1 dritter Fall dieser Bestimmung hat ein türkischer Arbeitnehmer, "der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis". Abs2 des Art6 bestimmt, daß der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt sind, die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit sowie der Abwesenheit wegen langer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung nicht gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.) Die Behörde wertete die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses als selbst verschuldete Arbeitslosigkeit, weshalb die vor diesem Zeitpunkt liegenden Arbeitszeiten, Krankheitszeiten und Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit für die Berechnung der vierjährigen Frist, die nach der angesprochenen Vorschrift Voraussetzung für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt sei, nicht angerechnet werden könnten.

2. a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer eine Rechtsverletzung wegen Anwendung des als gesetzwidrige Verordnung qualifizierten "bisher nicht kundgemachten Erlasses und/oder Leitfadens" des Bundesministers (damals:) für Arbeit und Soziales zur Durchführung des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit von türkischen Staatsangehörigen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

b) Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, Teile der Erlässe des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.8.1996, Z35.402/24-A/96, und vom 31.10.1996, Z35.402/36-7/96, sowie des Leitfadens für die Anwendung des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (Stand März 1997) von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

2. Mit Erkenntnis vom 16. Juni 1998, V6-8/98, hat er ausgesprochen, daß der "Leitfaden für die Anwendung" zur Gänze, der Erlaß vom 28.8.1996 hinsichtlich des letzten Absatzes des Punktes 1 und des ersten Absatzes des Punktes 3 sowie der Erlaß vom 31.10.1996 hinsichtlich dessen Z5 und 6 gesetzwidrig waren.

III. Die Beschwerde ist begründet:

1. Die belangte Behörde hat - wie die Formulierung des Bescheides zeigt (vgl. zB den ersten auf die Wiedergabe des Art7 ARB folgenden Absatz auf S 3) - gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß deren Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war.

Die beschwerdeführende Partei wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung rechtswidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10303/1984, 10515/1985). Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Dies kann gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B1050.1997

Dokumentnummer

JFT_10018985_97B01050_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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