TE UVS Vorarlberg 1991/07/03 2-01/91

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Veröffentlicht am 03.07.1991
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Spruch

I. Der Beschwerde wird, soweit sie sich a) gegen die Hausdurchsuchung am 22.6.1991, um ungefähr 10.00 Uhr, im Stickereibetrieb in X, b) gegen die Hausdurchsuchung am 26.6.1991, um ungefähr 05.00 Uhr, im Wohnhaus, c) gegen die am 26.6.1991 bei der zuletzt genannten Hausdurchsuchung erfolgte Festnahme und d) gegen die anschließend bis zum 27.6.1991, um ungefähr 10.00 Uhr, dauernde Anhaltung richtet, stattgegeben. Diese Verwaltungsakte werden gemäß § 67c Abs. 3 AVG in Verbindung mit dem Gesetz zum Schutze des Hausrechts (im folgenden: HausrechtsG), dem Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit (im folgenden: PersFrG) und § 5a des Fremdenpolizeigesetzes (im folgenden: FrPG) für rechtswidrig erklärt.

II. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die ab 27.6.1991, um ungefähr 10.00 Uhr, andauernde Anhaltung in Schubhaft richtet, gemäß § 5a des Fremdenpolizeigesetzes in Verbindung mit § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet abgewiesen.

Text

1. Der Verwaltungssenat nimmt aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

a) Am 22.6.1991 betraten zwischen 9.30 Uhr und 10.00 Uhr - der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr feststellbar - die Gendarmeriebeamten A und E aufgrund eines konkreten Hinweises, wonach sich der Beschwerdeführer in diesem Raum befinden solle, das Stickereilokal. Mieterin dieses Raumes ist eine Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer ist. Während dieses Vorganges sicherten die Sicherheitswachebeamten K und B den rückseitigen Bereich des Gebäudes ab, um ein allfälliges Entfliehen des Beschwerdeführers verhindern zu können. Im Verlauf der weiteren Amtshandlung begaben sie sich ebenfalls in das Stickereilokal. Bereits im Eingangsbereich der (unversperrten) Türe hat der im Stickereibetrieb befindliche Sohn des Beschwerdeführers, Süleyman K, den Gendarmeriebeamten auf eine entsprechende Frage mitgeteilt, daß sein Vater nicht im Betrieb sei; weiters hat er die Gendarmeriebeamten zum Vorweisen einer entsprechenden Legitimation für ihre Amtshandlung aufgefordert. Eine solche konnten die Exekutivorgane nicht vorweisen bzw. sie verantworteten sich damit, daß für diese Amtshandlung eine solche nicht erforderlich sei. Daraufhin ging Süleyman K in den rückwärtigen Teil des Stickereilokales, um mit seinem Rechtsanwalt telefonisch in Kontakt zu treten. Währenddessen durchschritten die Exekutivorgane in der Suche nach dem Beschwerdeführer das Stickereilokal; sie schauten dabei auch unter die Stickereimaschinen. Nachdem sie den Beschwerdeführer nicht entdecken konnten, verließen sie wieder den Raum.

b) Am 26.6.1991 führten mindestens 8 Exekutivorgane des Gendarmeriepostens und der Sicherheitswache fremdenpolizeiliche Kontrollen durch. Gegen 05.00 Uhr betraten sie das Haus in X. Sie waren darüber informiert, daß sich der Beschwerdeführer in diesem Haus aufhalte. Die Haustüre wurde ihnen von einem Wohnungsnachbarn aufgeschlossen. Im Zuge der Kontrolle des gesamten Objektes kamen die Beamten, darunter Insp. K und Insp. M, auch zur Wohnungstür des Beschwerdeführers im 1. Stock. Auf das heftige Klopfen, welchem durch Andrücken der Oberseite des Türblattes Nachdruck verliehen wurde, und die Aufforderung zur Öffnung der Wohnungstüre erfolgte zunächst keine Reaktion. Erst nach einigen Minuten öffnete ein Familienangehöriger des Beschwerdeführers die Wohnungstüre. Die eingetretenen Beamten führten eine fremdenpolizeiliche Kontrolle durch und erkundigten sich dabei nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers. Trotz der ihnen erteilten Antwort, dieser befinde sich in Wien, betraten sie vom Gang aus das Wohnzimmer und in weiterer Folge das Schlafzimmer. Nachdem sich die Exekutivorgane zunächst im Gang und im Wohnzimmer nach dem Beschwerdeführer umschauten, fanden sie ihn schließlich - zuvor wurde von einem Beamten auch eine angelehnte Kastentüre geöffnet - im Schlafzimmer unter dem Bett liegend. Die Beamten hoben die Matratzen weg und nahmen den Beschwerdeführer fest.

c) Die Festnahme des Beschwerdeführers steht außer Streit. Die Frage nach dem Exekutivbeamten, welcher am 26.6.1991 förmlich die Festnahme ausgesprochen hat, wurde in der mündlichen Verhandlung widersprüchlich beantwortet. Insp. M bezeichnete zunächst Insp. K als die Person, die die Festnahme ausgesprochen hätte, und anschließend, nach Vorhalt der gegenteiligen Aussage des Insp. K, daß dies möglicherweise Insp. L vom Gendarmerieposten gewesen sei. Nach Überzeugung des Verwaltungssenates sprechen die erhobenen Tatumstände vor dem Hintergrund der damals bestandenen Situation, nämlich daß Insp. M den Beschwerdeführer unter dem Bett liegend entdeckte, dafür, daß dieser auch die Festnahme aussprach. Für diese Annahme spricht auch die am selben Tag verfaßte Anzeige des Gendarmeriepostens, wonach die Festnahme des Beschwerdeführers vom vorerwähnten Beamten vorgenommen worden sei. Dessen ungeachtet wird zugestanden, daß aufgrund der von allen Zeugen übereinstimmend als "hektisch" geschilderten Situation im Schlafzimmer möglicherweise auch andere Exekutivorgane in Gegenwart des Beschwerdeführers von einer "Verhaftung" redeten, sie aber nicht förmlich aussprachen. Als Begründung für die Festnahme wurde in der Verhandlung die illegale Einreise sowie die Rückkehr trotz eines Aufenthaltsverbotes, somit eine Übertretung nach dem Paß- und dem FrPG, angegeben.

d) Nach seiner Festnahme wurde der Beschwerdeführer zum Gendarmerieposten verbracht und zwischen 11.00 und 11.30 Uhr der Bezirkshauptmannschaft vorgeführt. Gegen 12.00 Uhr desselben Tages wurde der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft in Schubhaft genommen und in den Landesarrest überführt. Der Schubhaftbescheid wurde den Vertretern des Beschwerdeführers mittels Telekopie übermittelt und gleichzeitig postalisch abgefertigt. Der postalisch abgefertigte Schubhaftbescheid wurde den Vertretern des Beschwerdeführers am 27.6.1991 gegen 10.00 Uhr zugestellt.

 

2. Die Zuständigkeit des Verwaltungssenates zur Entscheidung über die Beschwerde ist aufgrund des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG und des § 5a FrPG gegeben. Gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein. Die Hausdurchsuchungen und die Festnahme anläßlich der zweiten Hausdurchsuchung stellen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar; sie wurden nicht aufgrund eines richterlichen Befehls, sondern aus eigenem Antrieb der Gendarmeriebeamten unter Mithilfe von Beamten der Sicherheitswache durchgeführt. Diese Amtshandlungen sind sohin jener Verwaltungsbehörde zuzurechnen als deren Hilfsorgane die Gendarmeriebeamten einschritten. Wie sich aus den vorigen Sachverhaltsfeststellungen ergibt, ist dies die Bezirkshauptmannschaft.

Gemäß § 5a FrPG hat derjenige, der in Schubhaft genommen oder angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit

 

der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung anzurufen. Die Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers durch die Bezirkshauptmannschaft ist am  26.6.1991, gegen 12.00 Uhr, erfolgt.

 

3. a) Nach § 1 des gemäß Art. 149 B-VG im Verfassungsrang stehenden Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 88/1862, ist eine Hausdurchsuchung die Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehöriger Räumlichkeiten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist für das Wesen der Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach einer Person oder einem Gegenstand, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens steht fest, daß am 22.6.1991 und 26.6.1991 die betroffenen Räumlichkeiten durchsucht wurden, um den Beschwerdeführer aufzufinden.

b) In Bezug auf den Vorfall vom 22.6.1991 ergibt sich dies schon daraus, daß die Exekutivorgane die Durchsuchung des Stickereilokales allein aufgrund eines bei der Sicherheitswache eingegangenen Hinweises über den angeblichen Aufenthalt des Beschwerdeführers in dem betreffenden Raum durchführten. Daß diese Amtshandlung allenfalls zu einem anderen Zweck durchgeführt worden wäre, kann nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens nicht angenommen werden. Der Sohn des Beschwerdeführers hat die Zustimmung zur Durchführung der Amtshandlung nicht erteilt; andernfalls hätte er die Exekutivorgane nicht zum Vorweisen einer Legitimation aufgefordert und hätte weiters nicht sofort versucht, mit seinem Rechtsanwalt telefonisch Kontakt aufzunehmen. Wenngleich sich die Angaben der Zeugen über die konkrete Durchführung dieser Amtshandlung nicht zur Gänze decken, steht für den Verwaltungssenat dennoch fest, daß deren Zweck allein in der Suche nach dem Beschwerdeführer bestand. Es wurde nicht bestritten, daß sich die Suche jedenfalls auch auf die Stickereimaschinen und auf die übrigen Bereiche des Stickereilokales erstreckt hat. Eine Durchsuchung liegt aber schon dann vor, wenn die in einem Raum befindlichen Sachen mit dem Ziel besichtigt werden, bestimmte Sachen (Personen) darunter zu finden (VfSlg. 6528).

c) Im Hinblick auf den Vorfall vom 26.6.1991 ist ebenso davon auszugehen, daß eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat. Die Exekutivorgane haben auf der Suche nach dem Beschwerdeführer alle Räume der Wohnung K betreten und dabei auch einen Kasten im Schlafzimmer geöffnet (vgl. VfSlg. 11895, VfGH 13.6.1989, B 1453/88). Daß den Exekutivorganen der Zutritt zu den  Räumen freiwillig gestattet worden wäre, kann bei einer objektiven Betrachtung der Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht angenommen werden. So sprechen insbesondere die Uhrzeit der Amtshandlung, die von den Familienangehörigen des Beschwerdeführers erfolgte Aufforderung zum Vorweisen einer Legitimation sowie der hinhaltende Widerstand der Familienangehörigen während der Amtshandlung gegen diese Annahme.

d) Für die Hausdurchsuchungen am 22.6. und 26.6.1991 lag kein richterlicher Befehl vor und es bestand für sie keine besondere gesetzliche Grundlage. So enthält insbesondere das FrPG keine auf § 3 des HausrechtsG gegründete Ermächtigung zur Durchführung von Hausdurchsuchungen. Die am 22.6. und 26.6.1991 im Stickereilokal bzw. in der Wohnung des Beschwerdeführers durchgeführten Hausdurchsuchungen waren daher rechtswidrig.

 

4. a) Das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, bestimmt im Art. 2 Abs. 1 Z. 3, daß die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, entzogen werden kann, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist. Die auf diese Verfassungsbestimmung gegründete einfachgesetzliche Vorschrift des § 14e FrPG sieht eine Ermächtigung zur Festnahme eines Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerläßlichen Vorführung vor die Behörde vor, wenn dieser bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach den §§ 14b oder 14c Z. 2 lit. b leg.cit. betreten wird.

b) Das Betreten auf frischer Tat ist somit im vorliegenden Zusammenhang eine schon verfassungsgesetzlich gebotene Voraussetzung für einen verfassungsmäßigen Freiheitsentzug. Im gegenständlichen Fall ist dieses Betreten durch eine verfassungswidrige Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt. Die verfassungsrechtlich gebotene Tatbestandsvoraussetzung des Betretens auf frischer Tat ist somit durch eine verfassungswidrige Amtshandlung erfüllt worden. Der Verwaltungssenat vertritt die Auffassung, daß die Verfassungswidrigkeit der Hausdurchsuchung in diesem Fall auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges durchschlägt und auch diesen rechtswidrig macht. Wenn schon der Gesetzgeber im Bereich fremdenpolizeilicher Übertretungen eine Hausdurchsuchung zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns nicht für notwendig erachtet, dann fehlt es einer nur durch eine rechtswidrige Hausdurchsuchung ermöglichten Festnahme an der verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit (vgl. Art. 1 Abs. 3 zweiter Halbsatz PersFrG). Es ergibt sich somit, daß die Festnahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers bis zu der am 26.6.1991, gegen 12.00 Uhr, erfolgten Inschubhaftnahme durch die Bezirkshauptmannschaft rechtswidrig war.

 

5. a) Für die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft ist gemäß § 5a FrPG ein Betreten auf frischer Tat nicht erforderlich, weshalb der Frage der Rechtmäßigkeit vorangegangener Amtshandlungen hier keine entscheidende Bedeutung zukommt.

b) Eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Schubhaft ist zunächst ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid. Ein solcher lag erst am 27.6.1991 gegen 10.00 Uhr vor. Der Bezirkshauptmannschaft war nämlich bekannt, daß der Beschwerdeführer rechtsfreundlich vertreten war. Eine wirksame Zustellung konnte daher nur gegenüber seinen Vertretern erfolgen; als eine solche kann der am 26.6.1991 mittels Telekopie übermittelte Bescheid mangels einer Zustimmung im Sinne des § 18 Abs. 3 AVG nicht angesehen werden. Es ergibt sich somit, daß die Anhaltung des Beschwerdeführers ab Inschubhaftnahme bis zur wirksamen postalischen Zustellung des Schubhaftbescheides am 27.6.1991 rechtswidrig war.

c) Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft erfolgte zur Sicherung seiner Abschiebung (§ 5 Abs. 1 FrPG). Über den Beschwerdeführer wurde von der Bezirkshauptmannschaft am 8.3.1991 ein bis zum 8.3.2001 befristetes und sofort vollstreckbares Aufenthaltsverbot erlassen. Die Schubhaft diente der Vollstreckung dieses Aufenthaltsverbotes.

Gegen die Annahme der Notwendigkeit dieser Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft bestehen keine Bedenken. Der Beschwerdeführer ist dem erwähnten Aufenthaltsverbot zuwider neuerlich in das Bundesgebiet eingereist. Er hat damit gegen grundlegende fremdenpolizeiliche Vorschriften verstoßen. Dieser grobe Verstoß gegen die Rechtsordnung rechtfertigt die Annahme, daß die Verhängung der Schubhaft im Interesse der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit notwendig war (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz 1. Fall). Es muß angenommen werden, daß in diesem Fall die österreichische Rechtsordnung nicht ohne die Maßnahme der Schubhaft durchgesetzt werden könnte.

d) Nach Erlassung des Schubhaftbescheides am 27.6.1991 ist während der Schubhaft keine Voraussetzung für die Erlassung dieses Bescheides weggefallen. Die Schubhaft ist daher auch nach Erlassung des Schubhaftbescheides nicht rechtswidrig geworden.

Schlagworte
Hausdurchsuchung, Betreten auf frischer Tat, Festnahme bei rechtswidriger Hausdurchsuchung, Verhältnismäßigkeitsgebot, Schubhaft, Vollstreckbarkeit des Schubhaftbescheides, Zustellung mit Telekopie
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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