TE UVS Wien 1991/07/11 03/15/268/91

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Veröffentlicht am 11.07.1991
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Betreff

Schätzen der Geschwindigkeit durch ein Straßenaufsichtsorgan

Spruch

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird das angefochtene Straferkenntnis hinsichtlich der Schuldfrage aufgehoben, hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung jedoch bestätigt. Der Berufungswerber hat gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Text

Begründung:

Mit Strafverfügung vom 30.4.1991, Zahl Cst 2306/D/91, zugestellt am 3.5.1991, erkannte die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, den Berufungswerber schuldig, er habe am 27.3.1991 um 12.20 Uhr in Wien 19, Grinzinger Allee 26 Richtung Billrothstraße mit dem Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen XY die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um etwa (mindestens) 30 km/h, somit erheblich, überschritten. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 3 lit a in Verbindung mit § 20 Abs 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) begangen.

Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO 1960 wurde über ihn eine Geldstrafe von S 1.000,-- , im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 60 Stunden, verhängt. Gegen diese Strafverfügung erhob der Berufungswerber fristgerecht Einspruch nur hinsichtlich der Höhe der Strafe, da diese nicht seinen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen entspräche.

Mit Straferkenntnis vom 23.5.1991, Zahl Cst 2306/D/91, zugestellt am 27.5.1991, erkannte die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, den Berufungswerber daraufhin schuldig, er habe am 27.3.1991 um 12.20 Uhr in Wien 19, Grinzinger Allee 26 als Lenker des KFZ XY die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um etwa (mindestens) 30 km/h, somit erheblich, überschritten. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs 2 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO wurde über ihn eine Geldstrafe von S 700,-- , im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 42 Stunden, verhängt und gemäß § 64 VStG ihm S 70,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

In der Begründung wurde seitens der Behörde ausgeführt, die Tat sei durch die Anzeige, die von einem besonders geschulten Organ der Straßenaufsicht aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmung erstattet worden sei, erwiesen, zumal sich der Einspruch des Beschuldigten nur gegen die Strafhöhe richte.

In der gegen dieses Straferkenntnis fristgerecht erhobenen Berufung beantragte der Berufungswerber "eine eventuelle Milderung des Strafmaßes" und führte weiter aus, daß sich sein "Einspruch" nicht nur gegen die Strafhöhe richte, sondern auch gegen das ausgesprochene Delikt. Er sei sich sicher die Höchstgeschwindigkeit, wenn, dann nur minimal, überschritten zu haben. Da an seinem Motorrad am Tag seiner Anzeige ein nicht serienmäßiger Auspuff montiert gewesen sei, habe der Beamte wahrscheinlich den erhöhten Geräuschpegel mit zu hoher Geschwindigkeit in Verbindung gebracht.

1) Gemäß § 49 Abs 1 VStG (in der im Berufungsfall anzuwendenden Fassung ab 1.1.1991 kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Gemäß § 49 Abs 2 leg cit ist, wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht wird, dann das ordentliche Verfahren einzuleiten. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft.

Daraus ergibt sich folgendes:

Richtet sich ein Einspruch hinsichtlich einer Strafverfügung nur gegen das Strafausmaß oder die Kostenentscheidung, so ist ein solcher Einspruch nicht - wie bisher - als Berufung anzusehen und der Berufungsbehörde vorzulegen, sondern hat die Erstbehörde selbst darüber eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidungsbefugnis ist aber eingeschränkt auf Bestätigung, Herabsetzung oder gänzliches Absehen von Strafe bzw Kostenabspruch. Der neuerliche Abspruch über die Schuldfrage bzw der Ausspruch einer höheren Strafe ist, zumal es sich um ein eingeschränktes Rechtsmittel des Beschuldigten handelt und der Schuldspruch bereits rechtskräftig ist, nicht vertretbar. Im konkreten Fall richtete sich der Einspruch des Berufungswerbers eindeutig nur gegen die Strafhöhe. Damit wurde der Schuldspruch der Strafverfügung rechtskräftig, weshalb die Erstbehörde über die Schuldfrage nicht noch einmal hätte absprechen dürfen. Das Straferkenntnis war somit hinsichtlich der Schuldfrage zu beheben.

2) Gemäß § 64 Abs 1 VStG ist in jedem Straferkenntnis und in jeder Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, daß der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat. Bisher ging die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes davon aus, daß die Vorschreibung eines Kostenbeitrages auch im Fall einer abweislichen Entscheidung der Berufungsbehörde über einen als Berufung zu wertenden Einspruch gegen die Strafverfügung im Sinne des § 49 Abs 2 VStG (in der Fassung vor dem 1.1.1991 zulässig ist.

Auch nach der nunmehrigen Regelung des § 49 Abs 2 leg cit, wonach die Erstbehörde selbst über einen auf das Strafausmaß beschränkten Einspruch zu entscheiden hat, kommt dies in Betracht. Eine solche Entscheidung ist nämlich auch im Hinblick auf § 49 Abs 2 erster Satz VStG, demzufolge bei Erhebung eines Einspruches das ordentliche Verfahren einzuleiten ist, formal als Straferkenntnis im Sinne des Verwaltungsstrafgesetzes zu sehen.

In diesem Verfahren kann die Behörde zwar keinen (neuen) Schuldspruch fällen, weil der Schuldspruch der Strafverfügung bereits in Rechtskraft erwachsen ist, sie muß aber die in § 19 VStG enthaltenen Kriterien bei der Strafbemessung berücksichtigen. Dies bedeutet für das ordentliche Verfahren, daß die Behörde auf der Grundlage des § 19 Abs 1 VStG ihre Wertung der Tat innerhalb der Grenzen des gesetzlichen Strafrahmens darzutun und neben diesem objektiven Kriterium des Unrechtsgehalts der Tat auch das subjektive Kriterium des Schuldgehalts der Tat zu erörtern  hat. Daher liegt mit der Entscheidung der Erstbehörde formal ein Straferkenntnis vor, weshalb auch die Bestimmungen des § 64 VStG Anwendung finden.

3) Zur Strafbemessung ist folgendes auszuführen:

Die der Bestrafung zugrundeliegende Handlung gefährdete in bedeutendem Maße das Interesse an der Verkehrssicherheit, weshalb der objektive Unrechtsgehalt der Tat, selbst bei Fehlen sonstiger nachteiliger Folgen, groß war, wurde doch die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 30 km/h, das sind ca 60 % (!), überschritten, was von einem Organ  der Straßenaufsicht geschätzt wurde, dem aufgrund seiner besonderen Schulung und Straßendiensterfahrung durchaus ein verläßliches Urteil zuzubilligen ist.

Außerdem handelte es sich bei dem gelenkten Fahrzeug um ein Kraftrad, welches nach der allgemeinen Lebenserfahrung schon aufgrund der geringeren Bodenhaftung schlechter als ein mehrspuriges Fahrzeug reagieren kann, zB wenn Rollsplitt oder Ölflecken auf der Fahrbahn vorhanden sind oder wenn aufgrund eines plötzlich auftretenden "Hindernisses" (unachtsam querende Fußgänger, über die Straße laufende Tiere etc) eine Lenkkorrektur erforderlich wäre.

Bei einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung ist von einem solchen Mangel an Sorgfalt auszugehen, daß bereits von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden muß und das Verschulden des Berufungswerbers daher als erheblich anzusehen ist. Bei der Strafbemessung war weiters die zur Tatzeit vorgelegene verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit als mildernd zu werten.

Die Einkommens- und Vermögenslosigkeit als Schüler sowie das Fehlen einer gesetzlichen Sorgepflicht wurden berücksichtigt. Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den bis S 10.000,-- reichenden Strafsatz, den Unrechtsgehalt der Tat und das Verschulden des Berufungswerbers ist die verhängte Geldstrafe von S 700,-- ohnehin sehr milde bemessen.

Eine Herabsetzung der Geldstrafe kam daher nicht in Betracht.

4) Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall abgesehen werden, da eine solche weder beantragt wurde noch erforderlich war.

Schlagworte
überhöhte Fahrgeschwindigkeit, Schätzen der Geschwindigkeit
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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