Mutwillige Behinderung des öffentlichen Verkehrs und ärgerniserregendes Verhalten an öffentlichen Orten
Die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat
Meidling, hat am 2.5.1991, z Zl: Pst 1947/Ml/91, betreffend Frau
H ein Straferkenntnis mit folgendem Spruch gefällt:
"Die Beschuldigte hat am 2.5.1991 um 11.50 Uhr in 12, Marschallplatz 5 als Fußgänger durch Sitzen auf der Fahrbahn mutwillig den Fahrzeugverkehr behindert,
1)
sich dadurch vorschriftswidrig als Fußgänger verhalten,
2)
die Ordnung an einem öffentlichen Orte gestört.
Die Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1)
§ 76/1 iVm § 76 7 b StVO
2)
Art IX/1 Zif 1 EGVG.
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von 1) und 2) je S 700,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzarrest von 1) und 2) je 35 Stunden gemäß 1) § 99/3 a StVO und 2) Art IX/1 EGVG.
Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Gemäß § 19/a VStG wird die erlittene Vorhaft am 2.5.1991 von 11.55 Uhr - 17.25 Uhr = 5 Stunden 30 Minuten, mit S 110,-- angerechnet. (Punkt 1) des Straferkenntnisses).
Ferner hat sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
S 140,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10 % der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich S 50,-- angerechnet); Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe, Kosten, Barauslagen) beträgt daher S 1.430,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 67 VStG)."
Aufgrund der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 AVG der angefochtene Bescheid mit der Abänderung bestätigt, daß der Schuldspruch wie folgt zu lauten hat:
"Sie haben am 2.5.1991 um 11.50 Uhr in der Wohnstraße in Wien 12, Marschallplatz 5
1) den erlaubten Fahrzeugverkehr mutwillig behindert, weil Sie auf der Fahrbahn saßen und
2) durch dieses Verhalten, welches Ärgernis zu erregen geeignet war, die Ordnung an diesem öffentlichen Ort gestört."
Sie haben dadurch zu
1) eine Verwaltungsübertretung gemäß § 76 b Abs 2 StVO 1960 und zu
2) eine solche gemäß Art IX Abs 1 Zif 1 EGVG begangen. Der Abspruch über die Strafe bleibt unverändert.
Gemäß § 64 Abs 2 VStG wird ein Berufungskostenbeitrag von je S 140,--, das sind zusammen S 280,--, vorgeschrieben.
Begründung:
Die Berufungswerberin wendet, nach Wiedergabe der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ordnungsstörung ein, sie habe sich nicht sittenwidrig verhalten, sondern ein demokratisches Grundrecht, nämlich das Recht auf Demonstrations- und Kundgebungsfreiheit ausgeübt. Zum Beweis dafür, daß es sich um eine Kundgebung handelte, wird die neuerliche Einvernahme des Meldungslegers beantragt. Da die Abhaltung einer Kundgebung - ihrem Urteil nach gerade in diesem Fall - zu den demokratischen Pflichten jedes Bürgers gehören, sei kein Zustand geschaffen worden, wie er geordneten Zuständen an einem öffentlichen Ort widerspreche.
Zur Übertretung der Straßenverkehrsordnung wird auf die obigen
Ausführungen verwiesen.
Dazu ist folgendes zu sagen:
Das Vorliegen des im Spruch umschriebenen Sachverhaltes wird nicht bestritten. Ob eine Kundgebung vorlag, ist eine Rechtsfrage, welche vom Meldungsleger nicht zu beantworten ist, weshalb seine Einvernahme entbehrlich war. Da somit nach dem Wortlaut des Berufungsvorbringens ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wurde, konnte eine mündliche Verhandlung dieser Sache unterbleiben.
Es mag dahingestellt bleiben, ob sich das verfahrensgegenständliche Verhalten der Berufungswerberin im Rahmen einer Kundgebung zutrug und ob diese Kundgebung erlaubt oder untersagt war. Nach dem Selbstverständnis unserer Rechtsordnung ist es nämlich völlig undenkbar, daß - auch im Rahmen einer allenfalls genehmigten Kundgebung - Gewalt gegen Personen oder Sachen rechtens wäre. Das Niedersetzen auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, um den erlaubten Fahrzeugverkehr zu einer Baustelle zu verhindern, ist praktizierte Gewalt, die unter keinen Umständen rechtens ist. Wenn die Berufungswerberin zur Rechtfertigung ihres Verhaltens das demokratische Grundrecht auf Kundgebungsfreiheit strapaziert, verkennt sie den Inhalt dieses Rechtes, welches von Generationen von Menschen vor ihr unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens erkämpft wurde. Gemäß § 76 b Abs 2 StVO ist in Wohnstraßen das Betreten der Fahrbahn und das Spielen erlaubt. Der erlaubte Fahrzeugverkehr darf aber nicht mutwillig behindert werden.
Gemäß Art IX Abs 1 Zif 1 EGVG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.
Wer sich auf die Straße - auch auf die Fahrbahn einer Wohnstraße - setzt, um mutwillig den erlaubten Fahrzeugverkehr zu behindern, setzt ein Verhalten, welches bei jedem unbefangenen, mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen, das lebhafte Empfinden des Unerlaubten hervorruft.
Die Berufungswerberin hat sohin durch ihr Verhalten die ihr zur Last gelegten Tatbestände verwirklicht.
Der objektive Unrechtsgehalt der Übertretungen ist hoch. Es wurde der erlaubte Verkehr tatsächlich behindert und es konnte der rechtmäßige Zustand an diesem öffentlichen Ort erst durch die Festnahme der Berufungswerberin wiederhergestellt werden. Auch das Verschulden der Berufungswerberin ist hoch. Sie hat die beiden Verwaltungsübertretungen vorsätzlich verwirklicht, die Übertretung der Straßenverkehrsordnung mit Absicht und die Übertretung des EGVG mit bedingten Vorsatz.
Die anzuwendenden Strafbestimmungen sehen für derartige Übertretungen Geldstrafen bis zu S 10.000,-- (§ 99 Abs 3 lit a StVO) und S 3.000,-- (Art IX Abs 1 EGVG) vor. Der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit wurde bereits von der Behörde erster Instanz berücksichtigt. Die für die Verwaltungsübertretung gemäß Art IX EGVG verhängte Geldstrafe entspricht auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der für niemanden sorgepflichtigen Berufungswerberin dem Unwertgehalt der Tat. Der Heraufsetzung der viel zu niedrig bemessenen Ersatzfreiheitsstrafe steht das Verschlechterungsverbot entgegen.
Hingegen wurde die für die Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO verhängte Strafe offensichtlich nur aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Lage der Berufungswerberin so niedrig bemessen. Eine Herabsetzung der an sich hohen Ersatzfreiheitsstrafe kommt daher nicht in Frage. Die Anrechnung der Vorhaft entspricht § 19 a Abs 3 VStG.
Die Abänderung des Spruches in beiden Fällen diente der genaueren Umschreibung der Tat sowie hinsichtlich der Übertretung der Straßenverkehrsordnung der Zitierung der richtigerweise anzuwendenden Gesetzesnorm.
Der Ausspruch über die Kosten ist im § 64 Abs 2 VStG begründet.