Das Erkennen einer Vorrangstraße ist bei Beachtung der gebotenen Sorgfaltspflicht zumutbar
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß § 64 Abs 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 80,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe, zu bezahlen.
Betreff:
Mit Straferkenntnis vom 26.6.1991, Zl Cst 4232-Fd/91, erkannte die Bundespolizeidirektion Wien, Bez Pol Koat Floridsdorf, den Berufungswerber schuldig, er habe am 18.4.1991 um 11.05 Uhr in Wien 21, Donaufelder Straße 8 Richtung Fultonstraße als Lenker des KFZ mit dem behördlichen Kennzeichen XY auf einer Vorrangstraße im Ortsgebiet außerhalb einer geregelten Kreuzung umgekehrt. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 14 Abs 2 lit d StVO 1960 (StVO) begangen. Gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von S 400,--, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden verhängt.
Der Berufungswerber bestreitet weder in seiner Berufung, noch im gesamten Verwaltungsstrafverfahren, daß er am Tatort zur Tatzeit umgekehrt habe. Er bringt vor, daß er von einem mehrwöchigen Aufenthalt aus dem Ausland zurückgekehrt sei und in seinem Hausbriefkasten eine Verständigung eines Freundes gefunden, dem er für die Dauer seiner Abwesenheit seinen PKW geliehen habe. In dieser Verständigung sei gestanden, daß sein Wagen in der Donaufelder Straße etwa in Höhe der Zentralsparkasse abgestellt sei. Da er Lebensmittel einzukaufen gehabt habe und den Wagen vor dem Haus geparkt haben wollte, sei er in die Billa-Filiale gegangen, die sich gegenüber der Bank befinde um einzukaufen um dann in der Folge den in der Nähe befindlichen PKW abzuholen. Diese Filiale habe er von der Schenkendorfstraße kommend über den Parkplatz betreten, habe eingekauft und habe dann die Donaufelder Straße überquert, seinen PKW gestartet und umgekehrt, da überhaupt kein Verkehr vorhanden gewesen sei, um nach Hause zu fahren. Er habe nicht wissen können, daß er sich auf einer Vorrangstraße befunden habe.
Da der Berufungswerber, wie sich aus dem Inhalt seines Rechtsmittels (Berufung vom 17.7.1991, Blatt 13) ergibt, nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet, war gemäß § 51e Abs 2 VStG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen, weil die Durchführung in der Berufung auch nicht ausdrücklich verlangt wurde.
Gemäß § 14 Abs 2 lit d StVO ist das Umkehren auf Vorrangstraßen im Ortsgebiet, ausgenommen auf geregelten Kreuzungen, verboten.
A) Das Vorbringen des Berufungswerbers läßt sich dahingehend
zusammenfassen, daß er nicht habe wissen können, daß er sich auf einer Vorrangstraße befunden habe und daher sei er schuldlos an der Verwaltungsübertretung.
Dazu ist zu bemerken, daß gemäß § 5 Abs 1 VStG für die Strafbarkeit einer Tat im allgemeinen fahrlässiges Verhalten genügt.
Das StGB definiert die Fahrlässigkeit im § 6, wobei zwischen bewußter und unbewußter unterschieden wird. Bewußt fahrlässig handelt derjenige, der zwar daran denkt, daß sein Verhalten ein tatbildmäßiges Unrecht verwirklichen könne, dieses jedoch nicht herbeiführen will, wenngleich er es für möglich hält. Im Falle der unbewußten Fahrlässigkeit verkennt der Täter zufolge Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, daß er einen tatbildmäßigen Sachverhalt verwirklichen könne.
Einen Lenker trifft nur dann kein Verschulden an der Unkenntnis einer Vorrangstraße, wenn er davon durch Straßenverkehrszeichen keine Kenntnis haben konnte. Straßenverkehrszeichen sind so anzubringen, daß sie von Fahrzeuglenkern leicht und rechtzeitig erkannt werden können.
Daß das Verkehrszeichen hinsichtlich der Vorrangstraße nicht aufgestellt oder so angebracht gewesen wäre, daß es der Berufungswerber bei Einhaltung der ihm gebotenen Sorgfalt nicht hätte wahrnehmen können, ergibt sich weder aus der Aktenlage, noch bringt es der Berufungswerber selbst vor. Vielmehr legt der Berufungswerber dar, daß ihn der anhaltende Beamte anhand der Vorrangtafel mit Zusatzzeichen davon überzeugen konnte, "daß die Donaufelder Straße eben ab diesem Block Vorrangstraße sei". Weiters ist es einem KFZ-Lenker durchaus zumutbar und im Rahmen der von ihm geforderten Sorgfaltspflicht zu erwarten, daß er vor Inbetriebnahme seines KFZ feststellt, ob bzw welche Verkehrsbeschränkungen für einen Straßenzug gelten, bzw welche Vorschriftszeichen und Verkehrszeichen in diesem Straßenbereich aufgestellt sind, selbst wenn er sein KFZ nicht selbst abgestellt hätte.
Die dem Berufungswerber angelastete Verwaltungsübertretung findet somit auch dann wenn der Berufungswerber nicht gewußt haben sollte, daß er sich auf einer Vorrangstraße befunden habe, keine schuldbefreiende Rechtfertigung.
Da der von der Behörde angenommene Sachverhalt vom Berufungswerber unbestritten geblieben und das vom Berufungswerber angegebene Tatmotiv für diesen nicht schuldbefreiend wirkt, war von der Einvernahme des vom Berufungswerber in seiner Stellungnahme vom 24.6.1991 (Blatt 10) genannten Zeugen Abstand zu nehmen. Zum Antrag des Berufungswerbers auf Lokalaugenschein ist diesem zu entgegnen, daß Voraussetzung für einen Augenschein die Aufklärungsbedürftigkeit eines für die Entscheidung wesentlichen Sachverhaltselementes ist (vgl VwGH vom 25.5.1970, Zl 1469/68 und vom 15.12.1986, Zl 83/10/0284). Da der von der Behörde angenommene Sachverhalt aber unbestritten geblieben ist und daher keiner Aufklärung bedurfte, war auch von der Abhaltung eines Lokalaugenscheins Abstand zu nehmen.
Der Berufungswerber macht noch Verletzung von Parteiengehör geltend; hier ist dem Berufungswerber zu erwidern, daß eine im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufene Verletzung des Parteiengehörs jedenfalls dadurch saniert wird, daß die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung und sodann im Zuge des Berufungsverfahrens ihren Rechtsstandpunkt darzulegen und sohin an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken (vgl ua das Erkenntnis des VwGH vom 18.10.1989, 88/03/0151). Der Berufung war daher keine Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis zu bestätigen.
Eine Herabsetzung der durch die Erstbehörde festgesetzten Strafe kam aus folgenden Gründen nicht in Betracht:
Die Tat schädigt in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der Verkehrssicherheit. Deshalb war der Unrechtsgehalt der Tat an sich, selbst bei Fehlen sonstiger nachteiliger Folgen, nicht gering. Das Verschulden des Berufungswerbers kann als erheblich angesehen werden, da weder hervorgekommen ist, noch auf Grund der Tatumstände anzunehmen war, daß die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe oder daß die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.
Bei der Strafbemessung wurde der Umstand, daß dem Berufungswerber der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht mehr zugutekommt, berücksichtigt. Da der Berufungswerber keine Angaben über seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse machte, waren diese zu schätzen. Es wurde von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen und Vermögenslosigkeit ausgegangen. Sorgepflichten konnten mangels lediglichen Hinweises nicht angenommen werden.
Unter Bedachtnahem auf diese Strafzumessungsgründe und den bis S 10.000,-- reichenden Strafsatz ist die sich im untersten Bereich befindliche verhängte Geldstrafe durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal besondere Milderungsgründe nicht hervorgetreten sind.
Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des § 64 Abs 1 und 2 VStG.
B) Der Berufungswerber richtete zugleich mit seiner Berufung noch
folgenden Antrag, datiert mit 17.7.1991 an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien:
"Bezugnehmend auf mehrere Verwaltungsstrafverfahren, in denen ich Berufung ergriffen habe und den Berufungsantrag lediglich mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Verletzung von Verwaltungsvorschriften begründet habe, stelle ich den Antrag, der Verwaltungssenat möge mich zur Präzisierung meiner Begründung laden."
Dieser Antrag wird noch näher begründet.
Dazu ist folgendes zu bemerken:
Nach der zwingenden Vorschrift des § 63 Abs 3 AVG, welcher nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren bei schriftlichen Berufungen Anwendung zu finden hat, muß die Berufung nicht nur den Bescheid bezeichnen, gegen den sie sich richtet, sondern auch einen begründeten Berufungsantrag enthalten.
Daraus ergibt sich, daß der Antrag aus folgenden Gründen abzuweisen ist:
1) Eine "Berufung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften" genügt dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrag im Sinne des § 63 Abs 3 AVG nicht.
2) Ein begründeter Berufungsantrag ist zwar zugleich mit der Berufung einzubringen, doch kann ein innerhalb der Berufungsfrist nachgeholter begründeter Antrag eine zunächst unzulässige Berufung in eine zulässige und rechtzeitige Berufung wandeln. Ein Antrag aber, der ausschließlich auf eine Ladung zur Präzisierung des Berufungsantrages gerichtet ist, kann weder als eine Berufung im Sinne des § 63 Abs 3 AVG, noch als die Nachholung des begründeten Berufungsantrages gewertet werden.
3) Der Berufungswerber ist noch darauf hinzuweisen, daß die Berufung nicht nur einen begründeten Berufungsantrag, sondern auch den Bescheid zu bezeichnen hat, gegen den sie sich richtet. Mit folgender Formulierung: "Da es mir nicht möglich ist, alle Aktenzahlen anzugeben, unter denen ich mit dieser dürftigen Begründung Berufung erhoben habe, präzisiere ich, daß alle Verwaltungsstrafakte, in den der Berufungsantrag wie oa begründet ist, gemeint sind, um eine Zurückweisung wegen § 13 Abs 6 AVG auszuschließen" wird aber der im Gesetz geforderten Pflicht zur Präzisierung des Bescheides nicht entsprochen.
4) Dem Antrag des Berufungswerbers war daher aus diesen Gründen nicht stattzugeben, sondern war der Antrag abzuweisen, auch weil eine Ladung zur Präzisierung einer Berufungsbegründung im Gesetz nicht vorgesehen ist.