Beschuldigter ist nicht verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs 2 und 4 VStG.
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt fd 23. Bezirk, hat am 28.3.1991, MBA 23 - 25/048/0 Str, betreffend Herrn W ein Straferkenntnis mit folgendem Spruch gefällt:
"Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung der "B Aktiengesellschaft" nach außen Berufener im Sinne des § 9 VStG 1991 zu verantworten, daß diese Gesellschaf mit dem Sitz in Wiener Neudorf, in dem Betrieb in Wien 23, (weitere Betriebsstätte), am 28. Mai 1990 nicht vorgesorgt hat, obwohl dies nach dem Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist, daß durch äußere Einwirkungen Lebensmittel hygenisch nicht nachteilig beeinflußt werden, da diese in nachstehender Art und Weise zum Verkauf feilgeboten wurden:
Es werden in sogenannten Gebäckspendern (Holzbehältnisse mit Acrylglasabdeckungen) durchschnittlich 16 verschiedene Sorten von Gebäck (zB Wachauerlaibchen, Salzstangerln, Kornweckerln) zu je ca 10 Stück in Selbstbedienung dargeboten, und zwar in der Art und Weise, daß nach Öffnen des Glasdeckels (zum Zeitpunkt der Revision waren die Deckel einiger Spender geöffnet) die Kunden Zugriff auf das Gebäck haben, und damit ist das Betasten, Wühlen, Aussuchen, Anhusten und Anniesen des Gebäcks möglich. Diese Vorgangsweisen sind angesichts der Übertretungsmöglichkeit zahlreicher Bakterien, wie zB von Salmonellen und anderen pathogenen Keimen, Viren (Hepatitis), ua durchaus eine gesundheitliche Gefährdung, die der Keimträger (Kunde) bewußt oder unbewußt herbeiführt.
Sie haben dadurch folgenden Rechtsvorschrift verletzt: § 75 Abs 5 Z 3 in Verbindung mit § 20 des Lebensmittelgesetzes, BGBl Nr 86/1975
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt: Geldstrafe von S 1.000,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag gemäß § 74 Abs 5
Lebensmittelgesetz
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
S 100,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10 % der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich S 50,-- angerechnet); Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher S 1.100,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen."
Auf Grund der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG eingestellt.
Demnach entfällt der erstinstanzliche Kostenbeitrag. Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Begründung:
In der Berufung wird unter anderem vorgebracht, daß für die Einhaltung der Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes die Filialleiterin W zur verantwortlichen Beauftragten bestellt worden sei. Frau W habe ihrer Bestellung durch Unterfertigung der Bestellungsurkunde vom 11.4.1990 nachweislich zugestimmt. Zum Beweis für dieses Vorbringen wurde eine Kopie der Bestellungsurkunde vorgelegt.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs 2 VStG sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.
Gemäß § 9 Abs 4 VStG kann verantwortlicher Beauftragter nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist. Da sich der Hauptbetrieb der B Aktiengesellschaft in Wiener Neudorf befindet, richtete die Erstbehörde mit Schreiben vom 6.6.1990 an die Bezirkshauptmannschaft Mödling das Ersuchen "um Bekanntgabe des bei Übertretungen des Lebensmittelgesetzes gemäß § 9 VStG 1950 verantwortlichen Geschäftsführers der B Aktiengesellschaft." Für den Fall, daß "dieser d a nicht bekannt sein" sollte, wurde "um Bekanntgabe aller § 9 VStG 1950-Organe dieser Aktiengesellschaft ersucht." Die Bezirkshauptmannschaft Mödling übermittelte der Erstbehörde hierauf eine Aufstellung der Kompetenzverteilung, die von den Aufsichtsratvorsitzenden der B Aktiengesellschaft am 2.1.1989 erstellt worden war und nach welcher der Berufungswerber als Direktor und Vorstandsvorsitzender ua für alle lebensmittelrechtlichen Angelegenheiten einschließlich jener Angelegenheiten, die im Lebensmittelbereich durch Verordnungen geregelt sind, verantwortlich ist.
Die Erstbehörde hatte die Bezirkshautpmannschaft Mödling lediglich um Bekanntgabe "des bei Übertretungen des Lebensmittelgesetzes gemäß § 9 VStG 1950 verantwortlichen Geschäftsführers" bzw "aller § 9 VStG 1950-Organe" ersucht und somit nicht erhoben, ob eventuell ein iS des § 9 Abs 2 letzter Satz VStG verantwortlicher Beauftragter bestellt war.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muß spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens bei der Behörde ein - aus der Zeit vor der Begehung der Übertretung stammender - Zustimmungsnachweis des verantwortlichen Beauftragten einlangen. Von einem aus der Zeit vor der Begehung der Verwaltungsübertretung stammenden Zustimmungsnachweis kann aber nur dann gesprochen werden, wenn ein die Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten betreffendes Beweisergebnis schon vor der Begehung der Tat - etwa in Form einer entsprechenden Urkunde, aber auch einer Zeugenaussage usw - vorhanden war. Der vom Berufungswerber vorgelegten Urkunde ist eindeutig zu entnehmen, daß Frau W, gemäß § 9 VStG zur verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften, insbesondere für die Einhaltung der Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes, in der von ihr geleiteten Filiale der B-Aktiengesellschaft in 1230 Wien, verantwortlich ist. Weiters ist in dieser Urkunde festgelegt, daß Frau W berechtigt ist, zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten und in Ergänzung allgemein ergangener Dienstanweisungen spezielle Anweisungen für ihren Verantwortungsbereich zu erlassen. Mit ihrer am 11.4.1990 - somit vor Begehung der gegenständlichen Verwaltungsübertretung - abgegebenen Unterschrift bestätigte sie, daß sie ihre Bestellung zur verantwortlichen Beauftragen zur Kenntnis genommen und dieser zugestimmt hat.
Da somit eine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten iS des § 9 Abs 2 und 4 VStG vorliegt, traf den Beschuldigten als zur Vertretung nach außen Berufenen der B Aktiengesellschaft für die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung keine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit. Das angefochtene Straferkenntnis war daher zu beheben und das diesbezügliche Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen.