TE UVS Vorarlberg 1991/11/06 3-50-08/91

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Veröffentlicht am 06.11.1991
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Betreff

Beschwerde gegen Festnahme und Anhaltung in Schubhaft

Spruch

1. Der Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft wird Folge gegeben. Die Festnahme und Anhaltung wird für rechtswidrig erklärt.

2. Gemäß §79a AVG wird der dem Beschwerdeführer gebührende Kostenersatz mit S 7.413,-- bestimmt. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist verpflichtet, den angeführten Betrag dem Beschwerdeführer zu Handen der Beschwerdevertreter binnen zwei Wochen bei sonstigem Zwang zu bezahlen. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

Text

1. Der Verwaltungssenat geht aufgrund der Aktenlage von folgendem Sachverhalt aus: Der Beschwerdeführer ist im Dezember 1990, ohne im Besitze eines Sichtvermerkes zu sein, in Kärnten in das Bundesgebiet eingereist. Anschließend reiste er zu Bekannten nach Vorarlberg. Er heiratete am 5.3.1991 eine türkische Staatsbürgerin. Am 11.4.1991 wurde er von Gendarmeriebeamten des Gendarmeriepostens R von seinem damaligen Aufenthaltsort in M der Bezirkshauptmannschaft F vorgeführt. Diese hat am selben Tag gegen

15.30 Uhr über den Beschwerdeführer mit Bescheid die Schubhaft verhängt und ihn, nach Aushändigung dieses Bescheides, in Schubhaft festgenommen. Außerdem wurde über den Beschwerdeführer ein bis zum 11.4.1994 befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. In der Folge wurde der Beschwerdeführer in den Landesarrest in B eingeliefert.

 

2. Der Verwaltungssenat geht bei der Frage seiner Prüfungsbefugnis nach § 5a FrPG von folgendem aus:

 

Gemäß § 5a FrPG hat derjenige, der in Schubhaft genommen oder angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung anzurufen.

 

Aus den Materialien zur Novelle des Fremdenpolizeigesetzes BGBl. Nr. 21/1991 ergibt sich, daß mit dem neuen § 5a des Gesetzes den Anforderungen des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit entsprochen werden sollte. Nach diesem Art. 6 hat jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Bestimmung des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit wiederum ist an Art. 5 Abs. 4 MRK orientiert (vgl. die Erläuterungen auf Seite 7 der Beilage 134 des XVII. Nationalrates).

 

Es ist daher geboten, bei der Auslegung des § 5a FrPG auf den Inhalt der genannten Grundrechtsbestimmungen und insbesondere auf das herrschende Verständnis des Art. 5 Abs. 4 MRK, von dem der Verfassungsgesetzgeber bei der Erlassung des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit wohl ausgegangen ist, Bedacht zu nehmen.

 

Dieses herrschende Verständnis des Art. 5 Abs. 4 MRK stellt sich nach Auffassung des Verwaltungssenates so dar, daß das richterliche Organ jene Umstände zu überprüfen hat, die nach Art5 Abs. 1 MRK für die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung einer Person maßgeblich sind. Auf die Schubhaft bezogen bedeutet dies die Überprüfung der Haft im Hinblick auf ihre Notwendigkeit (und Verhältnismäßigkeit) in "einem schwebenden Ausweisungsverfahren" (vgl. dazu Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, S 13; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar (1985), S 85f und S 100; Trechsel, Die Garantie der persönlichen Freiheit (Art. 5 EMRK) in der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980, S 529f).

 

Der Verwaltungssenat hat somit zu prüfen, ob die Schubhaft zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung nach § 5 FrPG im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder zur Verhinderung eines unmittelbar zu befürchtenden strafbaren Verhaltens des Fremden erforderlich ist.

 

Eine Prüfung der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot ist dagegen nach Auffassung des Verwaltungssenates in einem Verfahren nach § 5a FrPG nicht zulässig. Aus diesem Grund ist auch im Hinblick auf das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14.5.1990, Zl. 90/19/0159, anzumerken, daß dieses in bezug auf einen Bescheid betreffend die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ergangen ist und für den anhängigen Fall, in dem es um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 FrPG geht, nicht relevant ist.

 

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behörde habe gegen den Art. 8 Abs. 2 MRK verstoßen, ist darauf hinzuweisen, daß bereits der Tatbestand des § 5 Abs. 1 FrPG die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 lit. f und des Art. 8 Abs. 2 MRK berücksichtigt.

 

3. Der Verwaltungssenat beurteilt den vorliegenden Sachverhalt wie folgt:

Über den Beschwerdeführer wurde am 11.4.1991 die Schubhaft verhängt. Der betreffende Bescheid war sofort vollstreckbar. Daran vermag auch die im Spruch des Bescheides unrichtig zitierte Bestimmung des § 68 Abs. 2 AVG nichts zu ändern, zumal sich aus der übrigen Textierung des Spruches ("...mit sofortiger Wirkung...") klar ergibt, daß die Behörde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausschließen wollte. Diese falsche Zitierung war eine offenkundige und hätte von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - vermieden werden können (vgl. VwGH 31.1.1990, 89/03/0073, 0074). Tatsächlich wurde der Schubhaftbescheid am 23.4.1991 gemäß § 62 Abs. 4 AVG berichtigt. Der erwähnte Schubhaftbescheid diente der Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie der Sicherung der Abschiebung. Es ist daher zu prüfen, ob die Schubhaft zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bzw. zur anschließenden Vollstreckung eines solchen Aufenthaltsverbotes im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit

oder zur Verhinderung eines unmittelbar zu befürchtenden strafbaren Verhaltens des Fremden im Sinne des § 5 Abs. 1 FrPG notwendig war.

In der Begründung des Bescheides führt die Bezirkshauptmannschaft F an, der Beschwerdeführer sei wegen vier Übertretungen auf dem Gebiet des Melde-, Fremdenpolizei- und Grenzkontrollrechts (noch nicht rechtskräftig) bestraft worden und deshalb stelle sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Die Übertretungen nach dem Meldegesetz ließen überdies nicht erwarten, daß der Beschwerdeführer das Bundesgebiet freiwillig verlasse, weshalb er zur Sicherung der Außerlandschaffung in vorläufige Verwahrung zu nehmen sei. Nach Auffassung des Verwaltungssenates stellen die im Schubhaftbescheid angeführten Übertretungen nur Tatsachen dar, die allenfalls in einem Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes relevant sein können. Für die Begründung der Notwendigkeit der Verhängung der Schubhaft im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit allein reichen diese jedoch nicht aus. Zu der nicht näher begründeten Annahme, infolge der Übertretungen nach dem Meldegesetz sei zu erwarten, der Beschwerdeführer würde das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen, ist zunächst festzustellen, daß sich der Beschwerdeführer laut Aktenlage am 21.2.1991 in L polizeilich gemeldet hat. Aber auch in Anbetracht der Umstände, daß die Ehegattin des Beschwerdeführers in Vorarlberg einer Beschäftigung nachgeht und die Absicht hat, an seinen Aufenthaltsort zu ziehen, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß sich der Beschwerdeführer der Durchführung eines Aufenthaltsverbotsverfahrens entziehen werde. Es liegen somit keine Gründe vor, die die Verhängung der Schubhaft notwendig machen, um ein Aufenthaltsverbot vorbereiten zu können sowie die Abschiebung zu sichern. Die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft war daher rechtswidrig.

 

4. Nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.9.1991, 91/19/0162, ist von der Anwendbarkeit des § 79a AVG in einem Schubhaftbeschwerdeverfahren auszugehen. Nach dieser Bestimmung steht der Partei, die in Fällen einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (§ 67c) obsiegt, der Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu. Bei der vom Verwaltungssenat zu treffenden Kostenentscheidung hat er sich - mangels einer anderen Regelung - an den Grundsätzen der Kostenersatzregelung in jenen Verfahren zu orientieren, die nach Art und Gegenstand den von ihm durchgeführten Verfahren ähnlich sind. Als "ähnlichste" Kostenregelung ist dabei jene über den Kostenersatz vor dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. BGBl. Nr. 104/1991) heranzuziehen. Dabei ist jedoch auf den Grundsatz einer Abstufung entsprechend der Stellung der angerufenen Behörden und der damit verbundenen verschiedenartigen Mühewaltung Bedacht zu nehmen. Dies bedeutet für den Beschwerdefall, daß die in der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991 angeführten Pauschalsätze um ein Drittel (gerundet) zu kürzen sind (vgl. das oben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes). Dem Beschwerdeführer war daher für den Schriftsatzaufwand gemäß Art. I, A. Z. 1. ein Betrag von S 7.413,-- (S 11.120,-- minus S 3.707,--) incl. Umsatzsteuer nach der vorzitierten Verordnung zuzusprechen. Das Mehrbegehren war abzuweisen.

Schlagworte
Prüfungsumfang bei Schubhaftbeschwerden, Notwendigkeit der Schubhaft, Kostenersatz
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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