TE UVS Vorarlberg 1992/06/22 1-172/92

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Veröffentlicht am 22.06.1992
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Spruch

Gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) in Verbindung mit § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, daß es im Spruch statt "Sie lenkten am 30.12.1991 um 22.30 Uhr das Fahrzeug (Pkw) mit dem Kennzeichen XY auf der Bergmannstraße in Bregenz, Höhe Hausnummer 12," zu lauten hat: "Sie versuchten am 30.12.1991 um 22.30 Uhr das Fahrzeug (Pkw) mit dem Kennzeichen XY auf der Bergmannstraße in Bregenz, Höhe Hausnummer 12, zu lenken".

Gemäß § 64 Abs. 2 VStG hat der Berufungswerber als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens 20 % der über ihn verhängten Geldstrafe zu bezahlen.

Text

1. Mit Straferkenntnis der BH B wurde der Berufungswerber einer Übertretung gemäß den §§ 5 Abs. 2 und 99 Abs. 1 lit.b StVO schuldig erkannt. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Bestrafte Berufung erhoben und vorgebracht, daß sein Verhalten nicht dahingehend gedeutet werden könne, er sei mit dem gegenständlichen Fahrzeug gefahren. Er sei deshalb auch nicht verpflichtet gewesen, sich einem Alkotest zu unterziehen. Der UVS gab der Berufung keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis.

Nach den Aussagen des Berufungswerbers und des Zeugen A hat sich zunächst folgendes zugetragen: Der Berufungswerber fuhr am 30.12.1991 gegen 20.00 Uhr mit seinem Pkw zur Bergmannstraße in B und parkte ihn dann am rechten Fahrbahnrand etwa 20 m oberhalb der Kreuzung dieser Straße mit der Belruptstraße. Anschließend suchten der Berufungswerber und der Zeuge A verschiedene Lokale auf, wo sie größere Mengen Alkohol konsumierten. Um ca. 22.00 Uhr gingen sie zum Pkw des Berufungswerbers zurück, um aus der im Pkw befindlichen Jacke des Berufungswerbers Geld für ein Taxi zu entnehmen. Der Berufungswerber setzte sich auf den Rücksitz und suchte in der Jacke nach seinem Geld; dabei nickte er ein. A nahm auf dem Beifahrersitz Platz und nickte ebenfalls ein. Nach einiger Zeit setzte sich der Pkw von selbst in Bewegung; dies nach Auffassung des Berufungswerbers deshalb, weil einer der beiden Fahrzeuginsaßen versehentlich die Handbremse gelöst habe. Der Pkw sei die Bergmannstraße hinuntergerollt und die beiden Fahrzeuginsaßen seien erst aufgrund einer Kollision des Pkws mit einem im Kreuzungsbereich der Bergmannstraße mit der Belruptstraße geparkten Audi wieder aufgewacht.

 

Für den Verwaltungssenat steht folgender, im vorliegenden Zusammenhang maßgebender Sachverhalt fest: Der Pkw des Berufungswerbers stieß einige Minuten vor 22.30 Uhr im erwähnten Kreuzungsbereich gegen einen geparkten Audi. Der Pkw des Berufungswerbers stand nach der Kollision fast parallel neben dem Audi. Der Pkw des Berufungswerbers ließ sich aufgrund eines technischen Defekts nicht mehr starten. Der Zeuge A stieg in der Folge aus dem Pkw des Berufungswerbers aus und versuchte über Aufforderung des Berufungswerbers das Auto wegzuschieben. Der Berufungswerber wollte das Fahrzeug aus dem Kreuzungsbereich auf die gegenüberliegende Seite der Belruptstraße auf einen freien Parkplatz bewegen. Der Berufungswerber, der hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte, steckte den Zündschlüssel in das Zündschloß, damit die Lenkradsperre nicht einraste. Dann brachte er mit dem Lenkrad die Vorderräder seines Fahrzeuges in eine gerade Fahrtrichtung. Das Wegschieben des Pkw's gelang jedoch nicht. In der Folge stieg auch der Berufungswerber aus dem Pkw aus und versuchte zusammen mit A, das Fahrzeug von hinten zu schieben. Auch dies war erfolglos, weshalb sie die Schiebeversuche beendeten. Die Schiebeversuche dauerten insgesamt ca. 10. Minuten. Kurze Zeit danach erschien Insp. W und forderte den Berufungswerber, der Alkoholisierungssymptome aufwies, zur Ablegung des Alkotestes auf. Die Durchführung des Alkotestes wurde vom Berufungswerber jedoch abgelehnt.

 

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Gemäß § 5 Abs. 2 StVO sind die dort näher bezeichneten Organe berechtigt, die Atemluft von Personen, die u.a. ein Fahrzeug zu lenken versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen, wenn vermutet werden kann, daß sich diese Personen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden. Zufolge § 99 Abs. 1 lit.b StVO begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich bei Vorliegen der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen.

2. Der Berufungswerber bringt vor, daß er das Fahrzeug nicht gelenkt habe. Er meint damit offensichtlich - da er ja unbestrittenermaßen hinter dem Lenkrad gesessen ist und das Lenkrad, somit die für das Lenken vorgesehene Einrichtung, betätigt hat - daß er das Fahrzeug deshalb nicht gelenkt habe, weil es sich nicht in Bewegung befand. Der Berufungswerber übersieht mit diesem Vorbringen, daß eine Verweigerung des Alkotests bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nicht nur bei vorhergehendem Lenken, sondern auch bei einem vorhergehenden Versuch des Lenkens unter Strafe gestellt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Lenken" immer schon dann vor, wenn die für das Lenken vorgesehenen Einrichtungen eines in Bewegung befindlichen Fahrzeuges betätigt werden. Aufgrund welcher Umstände sich dabei das Fahrzeug in Bewegung befindet, ob man etwa das Fahrzeug zurückrollen läßt (vgl. VwSlg. 6143/A), ob das Fahrzeug abgeschleppt wird (vgl. VwSlg. 7094/A) oder ob das Fahrzeug - ohne den Versuch der Ingangsetzung des Motors - geschoben wird, ist dabei unerheblich.

Für den Verwaltungssenat steht aufgrund des erhobenen Sachverhaltes fest, daß der Berufungswerber versucht hat, seinen Pkw zu lenken.

3. Dieser Versuch ist jedoch gescheitert, sodaß sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 8 VStG stellt, insbesondere ob allenfalls eine absolute Untauglichkeit des Versuches erheblich wäre. Der Verwaltungssenat ist der Auffassung, daß im vorliegenden Fall hinsichtlich des "versuchten Lenkens" im Sinn des § 5 Abs. 2 StVO die Bestimmung des § 8 VStG nicht heranzuziehen ist. Diese Bestimmung wäre im vorliegenden Zusammenhang allenfalls für eine "versuchte Verweigerung" von Bedeutung. Beim "versuchten Lenken" handelt es sich nämlich - ähnlich wie bei der Vermutung der Alkoholbeeinträchtigung - lediglich um eine Tatbestandsvoraussetzung für die Aufforderung, nicht jedoch um das unmittelbar die Verwaltungsübertretung darstellende Verhalten des Beschuldigten. Die Verwaltungsübertretung i.e.S. besteht ausschließlich in der Verweigerung, die Atemluft trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 StVO auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen. Bei dieser Übertretung wird auch im Sinne des § 44a Z. 2 VStG nicht der § 5 Abs. 2 der StVO, sondern der § 99 Abs. 1 lit.b erster Tatbestand der StVO verletzt.

Diese rechtlichen Überlegungen führen im übrigen auch zu einem sinnvollen Ergebnis. Es soll nicht sofort an Ort und Stelle einer Person als Voraussetzung für die Aufforderung zur Ablegung des Alkotests nachgewiesen werden müssen, daß ihr Lenkversuch auch ein tatsächlich tauglicher war. Vielmehr könnte diese Person den Einwand, daß der Lenkversuch z.B. absolut untauglich war, nach Ablegung des Alkotests in einem allenfalls nachfolgenden Verfahren wegen einer Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO geltend machen.

4.1. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, daß auch eine Anwendung des § 8 VStG auf das "versuchte Lenken" im Sinne des § 5 Abs. 2 StVO in der vorliegenden Rechtssache zu keinem anderen Ergebnis führen würde:

Der oben geschilderte Sachverhalt steht jedenfalls in einer solchen unmittelbaren sinnfälligen Beziehung zu einem allfälligen Tatbild des Lenkens im Rahmen einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit.b StVO und ist zeitlich so nahe an die Deliktsvollendung herangerückt, daß von einem Versuch der Tat im Sinne des § 8 VStG gesprochen werden müßte. Strafbar wäre der Versuch bei Heranziehung des § 8 VStG nur dann nicht gewesen, wenn es sich im gegenständlichen Fall zufolge des im Verwaltungsstrafgesetz normierten formal-objektiven Versuchsbegriff um einen "absolut untauglichen Versuch" gehandelt hätte (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 5. Auflage, Rz 761 ff). Absolut untauglich ist ein Versuch, wenn die Vollendung der Tat (bzw. hier des Lenkens) unter keinen Umständen möglich war, es also wegen der Untauglichkeit des Subjektes, der Handlung oder des Objektes denkunmöglich ist, daß er zur Vollendung der Tat führen konnte (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, 1990, Seite 750). Von einem solchen absolut untauglichen Versuch kann aber in der gegenständlichen Berufungssache deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Verwirklichung der Tat (des Lenkens) auf die vorgesehene Art bei einer generalisierenden Betrachtungsweise nicht "geradezu denkunmöglich" ist. So hat der verkehrstechnische Sachverständige in seinem Gutachten dargelegt, ein Fahrzeug von der Größe und dem Gewicht des Beschuldigtenfahrzeuges könne am Tatort, wenn auch mit einem etwas größeren Kraftaufwand, durchaus weggeschoben werden. Allerdings ist die Herbeiführung des Erfolgs, nämlich das tatsächliche Schieben bzw. Bewegen des Fahrzeuges, infolge der zufälligen Umstände des Einzelfalles gescheitert. Dies ist nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens einerseits auf die Alkoholisierung und die mangelnde Kraft des den Beschuldigten-Pkw schiebenden Zeugen A zurückzuführen. Andererseits aber auch darauf, daß das Fahrzeug des Beschuldigten mit dem geparkten Fahrzeug eine längere Berührungsfläche aufgewiesen hat. Selbst wenn eine Verhakung vorgelegen wäre, wäre nicht von einem absolut untauglichen Versuch auszugehen. Diesbezüglich hat nämlich der Sachverständige ausgeführt, daß bei richtigem Einschlag der Vorderräder am Beschuldigtenfahrzeug etwas nach rechts (und nicht geradeaus, wie durch den Berufungswerber) sowie einem Rütteln und leichten Schaukeln des Fahrzeuges während des Schiebevorganges eine allfällige Verhakung zu lösen gewesen wäre. Das ungeschickte Verhalten beim Anschiebeversuch ist aber rechtlich ohne Bedeutung. Bloß unzulängliche Mittel, Methoden und Kenntnisse entkleiden die inkriminierte Handlungsweise nämlich keineswegs ihres tatbildmäßigen Charakters (ÖJZ-LSK 1976/140).

4.2. Zuletzt wurde - unter der subsidiären Annahme einer Anwendbarkeit des § 8 VStG auf den "Lenkversuch" - geprüft, ob dem Berufungswerber der Strafaufhebungsgrund "Rücktritt vom Versuch" im Sinne des § 8 Abs. 2 VStG zugute kommen könnte. Nach dieser Gesetzesbestimmung wird nicht bestraft, wer u.a. aus freien Stücken die Ausführung aufgibt. An der Freiwilligkeit mangelt es, wenn der Täter in vollem Bewußtsein der Aussichtslosigkeit der Vollendung aufgibt. Genau dies trifft aber im gegenständlichen Fall zu: Der Berufungswerber ist, nachdem die Anschiebeversuche durch den Zeugen A erfolglos waren, ausgestiegen und hat zunächst selbst versucht, gemeinsam mit A das Fahrzeug - allerdings wiederum erfolglos - zu schieben, und in der Folge dann diese Schiebeversuche beendet.

5.1. Die Feststellungen unter obigem Punkt 3. gelten sinngemäß auch für die Frage nach der Bedeutung eines allfälligen Notstandes gemäß § 6 VStG. Anlaß für diese Überlegung bietet das Vorbringen des Berufungswerbers, er habe deshalb mit dem Zeugen A versucht, den Pkw aus dem Gefahrenbereich zu schieben, damit die damals bestandene gefährliche Situation im Kreuzungsbereich gemindert werde.

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist. Diese Bestimmung gelangt ebenso wie § 8 VStG im gegenständlichen Fall schon deshalb nicht zur Anwendung, weil ein Notstand im Sinne des § 6 VStG, der jemanden zum Lenken eines Fahrzeuges trotz Alkoholisierung gezwungen hat, nicht eine Verweigerung der Durchführung einer Alkoholuntersuchung entschuldigen könnte, sondern nur das - nach Durchführung der Alkoholuntersuchung allenfalls feststehende - Lenken des Fahrzeuges in alkoholbeeinträchtigtem Zustand.

5.2. Aber auch bei anderer Rechtsauffassung könnte man im gegenständlichen Fall nicht vom Vorliegen eines entschuldigenden Notstandes ausgehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, kann unter Notstand nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Es wäre nach Ansicht des Verwaltungssenates nunmehr dem Berufungswerber durchaus zumutbar gewesen, die gegenständliche Unfallstelle entweder entsprechend abzusichern oder durch Herbeiholen von Hilfe - der Unfall ereignete sich in der Stadtmitte von B, unmittelbar neben einem zur Tatzeit geöffneten Lokal - zu entschärfen.

Schlagworte
Verweigerung des Alkotests, Lenken, versuchtes Lenken, untauglicher Versuch, Notstand
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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