Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 AVG, BGBl Nr 51/1991, teilweise Folge gegeben.
Der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wird insoweit abgeändert, als
a) die zu Punkt 1 verhängte Geldstrafe mit 5.000,-- Schilling und die Ersatzfreiheitsstrafe mit 5 Tagen festgesetzt wird und
b) die zu Punkt 2 verhängte Geldstrafe mit 5.000,-- Schilling und die Ersatzfreiheitsstrafe mit 5 Tagen festgesetzt wird und
c) der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der ersten Instanz gemäß §64 Abs1 und 2 VStG, BGBlNr 52/1991, mit 1.000,-- Schilling festgesetzt wird.
Im übrigen Inhalt wird der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigt.
Im Schuldspruch des bekämpften Straferkenntnisses wurde es als erwiesen angesehen, daß die Beschuldigte K M als die nach §9 VStG verantwortliche Beauftragte (Filialleiterin der B Filiale in L , Hstraße) der B Warenhandel AG, folgende Verwaltungsübertretungen zu verantworten habe:
1. Es wurde in der oben angeführten Filiale unterlassen, den Zugang zur Feinkostabteilung in einer Breite von mindestens 60 cm herzustellen. Dieser Zugang, der sich zwischen den Kühlvitrinen und dem Brotregal befindet und die einzige Möglichkeit darstellt, daß die Arbeitnehmer auf ihre Arbeitsplätze an den Verkaufspulten der westlich des Verkaufsraumes gelegenen Feinkostabteilung erreichen, wies nur eine Breite von 41 cm auf.
Übertretung gemäß §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz und §25 Abs1 AAV.
2. Es wurde weiters unterlassen, entsprechend Punkt 3 des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft xx, Zl xx vom 27. Mai 1986, die Vorderfront des Backofens gegen unbeabsichtigte Berührung zu schützen.
Übertretung gemäß §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz.
Für jede der beiden Übertretungen wurde gegen die Beschuldigte jeweils eine Geldstrafe von 10.000,-- Schilling (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 10 Tage) verhängt.
Bei der Strafbemessung wurde als mildernd die bisherige Straflosigkeit der Beschuldigten nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften (offenbar gemeint arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften) gewertet. Als erschwerend wurde kein Umstand berücksichtigt.
In der rechtzeitig erhobenen Berufung wird das Straferkenntnis ausschließlich in seinem Ausspruch über die Höhe der Strafe angefochten und eine Herabsetzung der verhängten Geldstrafe (gemeint sind offenbar beide Geldstrafen) auf das der Schuld der Beschuldigten angemessene Ausmaß von 1.000,-- Schilling beantragt. In dieser Berufung wird im wesentlichen ausgeführt, daß die verhängte Strafe nicht den Kriterien des §19 VStG entsprechend festgesetzt wurde. Insbesondere seien folgende in der Person der Beschuldigten gelegene Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden:
-
ordentlicher Lebenswandel und Widerspruch der Tat mit dem sonstigen Verhalten (§34 Z2 StGB);
-
Gutmachung des verursachten Schadens und Verhinderung von nachteiligen Folgen (§34 Z15 StGB);
-
Mitwirkung an der vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes (§34 Z16 StGB),
-
Begehung der Tat vor längerer Zeit und wohl Verhalten seit dem (§34 Z18 StGB).
Unter Berücksichtigung der vor angeführten Milderungsgründe erscheine der Berufungswerberin eine Geldstrafe schuldangemessen, welche S 1.000,-- nicht übersteigen dürfe.
In der Berufung wurden die allseitigen Verhältnisse von der Beschuldigten wie folgt bekanntgegeben:
Monatliches Nettoeinkommen: S 15.000,--
Sorgepflichten: keine
Vermögen: keines
Familienstand: ledig.
Seitens des Arbeitsinspektorates für den x Aufsichtsbezirk wurde keine Berufung erhoben.
In seiner Stellungnahme zum Berufungsvorbringen hat das Arbeitsinspektorat für den x Aufsichtsbezirk ausgeführt, daß entgegen dem in der Berufung angeführten Milderungsgrund gemäß §34 Z18 StGB Vorsatz angenommen werden müsse, da der Arbeitgeber und die Filiale (Filiale , Hstraße in xx L ) bereits mit Schreiben vom 10. Mai 1988, 23. Oktober 1989 und 9. Februar 1990 aufgefordert wurden, den gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Anläßlich einer Überprüfung am 23. Mai 1991 (Anmerkung: der Strafantrag wurde vom Arbeitsinspektorat für den x Aufsichtsbezirk in der Folge am 17. Juni 1991 gestellt) wurde festgestellt, daß noch immer nichts unternommen wurde, um die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen.
Weiters hat das Arbeitsinspektorat für den x Aufsichtsbezirk der Berufungsbehörde in Kopie seine Schreiben vom 23. Oktober 1989, 9. Februar 1990, 25. Jänner 1991 und 7. Juni 1991 vorgelegt, die an die Zentrale der B Warenhandel AG, an die Filiale in L , Hstraße und an den Betriebsrat der Firma B Warenhandel AG ergingen. Diese Schreiben betreffen die Überprüfungen durch das Arbeitsinspektorat am 19. Oktober 1989, 31. Jänner 1990, 21. Jänner 1991 und 23. Mai 1991. Da sich diese Schreiben inhaltlich nur durch die datumsmäßigen Angaben unterscheiden, wird in der Folge nur das Schreiben vom 25. Jänner 1991 wörtlich wiedergegeben:
"B Filiale , Feinkost, Hstraße
xx L
Nach den am 21. Jänner 1991 in Ihrem Betrieb von einem Arbeitsinspektor getroffenen Feststellungen werden Sie auf Grund des §6 Abs1 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974, BGBlNr 143, aufgefordert, nachstehende Maßnahmen zum Schutze der Arbeitnehmer unverzüglich durchzuführen; von der Durchführung ist das Arbeitsinspektorat längstens bis 01. April 1991 schriftlich zu verständigen.
1.) Der Zugang zur Feinkostabteilung (zwischen Kühlvitrinen und Brotregal) muß mindestens 0,60 m breit sein.
2.) Die Vorderfront des Backofens ist, da diese Fläche sehr heiß ist, gegen unbeabsichtigte Berührung zu schützen. Das Schutzgitter muß den Bestimmugnen des §32 der Allgem Arbeitnehmerschutzverordnung BGBlNr 218/1983 idgF entsprechen (siehe auch Verhandlungsschrift der BH xx Zl xx v 16.01.1986).
Wegen der oa Übertretungen mußte gegen Sie die Strafanzeige bei der zuständigen Verwaltungsbehörde erstattet werden."
In Ihrer Stellungnahme zu diesen Schreiben hat die Beschuldigte mit Schriftsatz vom 6. Februar 1992 der Berufungsbehörde mitgeteilt, daß die vorgenannte Aufforderung des Arbeitsinspektorates Verwaltungsübertretungen geringfügiger Natur betreffe und die Beschuldigte durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Änderungen Vorkehrungen getroffen habe, daß in Hinkunft keinerlei Beanstandungen mehr erfolgen würden.
Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:
Da sich die von der Berufungswerberin erhobene Berufung nur gegen die Höhe der verhängten Strafen richtet, hat die Berufungsbehörde davon auszugehen, daß die Beschuldigte die ihr zur Last gelegten Übertretungen begangen hat und lediglich zu beurteilen, ob die verhängten Strafen dem durch §19 VStG vorgegebenen Maßstab entsprechen. Die Anberaumung einer öffentlichen mündlchen Verhandlung konnte gemäß §51e Abs2 VStG entfallen.
Das Arbeitnehmerschutzgesetz und die im Rahmen dieses Gesetzes anzuwendenden Verordnungen sollen den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer vor den Gefahren der Arbeitswelt gewährleisten. Da es sich hiebei um den Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern handelt, ist - wie auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - bei Übertretungen der Arbeitnehmerschutzvorschriften ein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere der Übertretung von Bestimmungen, die die Mindestbreite von Durchgängen festlegen ist ein erheblicher Unrechtsgehalt beizumessen, weil es ua das Ziel des §25 Abs1 AAV ist, den Arbeitnehmern im Gefahrenfall das rechtzeitige Verlassen ihres Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Gleiches gilt auch für die Nichteinhaltung von Auflagen im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren, die dem Schutz der Arbeitnehmer vor Verbrennungen dienen. Dieser erhebliche Unrechtsgehalt war von der Berufungsbehörde bei der Bemessung der verhängten Strafen zu berücksichtigen. Es kann daher auch nicht davon ausgegangen werden, daß nur eine geringfügige Verletzung der vom Gesetzgeber geschützten Interessen vorliegt.
Da bei Übertretungen nach §31 Abs2 litp des Arbeitnehmerschutzgesetzes zum Tatbestand weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr gehört, handelt es sich hier um sogenannte "Ungehorsamsdelikte". Die Behörde war daher berechtigt gemäß §5 Abs1 VStG Fahrlässigkeit der Beschuldigten anzunehmen. Der Gegenbeweis gemäß §5 Abs1 und 2 VStG, daß die Beschuldigte an den beiden Übertretungen kein Verschulden betrifft oder eine entschuldbare Unkenntnis der gesetzlichen Vorschrift vorgelegen ist, konnte weder angeboten noch erbracht werden.
Wie der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates für den x Aufsichtsbezirk im Berufungsverfahren zu entnehmen ist, ist dieses offenbar bereits am 25. Jänner 1991 bei der Stellung des Strafantrages gemäß §6 Abs2 des Arbeitsinspektionsgesetzes, in dem Geldstrafen von zweimal S 10.000,-- gefordert wurden, von vorsätzlichen Übertretungen ausgegangen. Der Auffassung des Arbeitsinspektorates, daß die Übertretungen von der Beschuldigten vorsätzlich begangen wurden, konnte die Berufungsbehörde nicht folgen, weil die Bestellung der Beschuldigten zum verantwortlichen Beauftragten gemäß §9 VStG nachweislich am 1. März 1990 und damit erst nach den eingangs erwähnten Aufforderungen zur Mängelbehebung vom 10. Mai 1988, 23. Oktober 1989 und 9. Februar 1990 erfolgt ist. Eine vorsätzliche Übertretung durch die Beschuldigte ist somit nicht nachweisbar.
Was die weitere Anzeige durch das Arbeitsinspektorat für den x Aufsichtsbezirk vom Juni 1991 betrifft, die aufgrund einer Überprüfung am 23. Mai 1991 erstattet wurde, so ist diese Gegenstand eines anderen Verwaltungsstrafverfahrens.
Die Tatsache, daß betreffend die Beschuldigte keine einschlägigen Vorstrafen nach den Arbeitnehmerschutzvorschriften aufscheinen, konnte von der Berufungsbehörde nicht als mildernd gewertet werden, zumal nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl Erkenntnis vom 26. September 1991, Zl 91/09/0068, und die dort zitierten weiteren Erkenntnisse) lediglich die absolute Unbescholtenheit einen Milderungsgrund darstellt. Eine absolute Unbescholtenheit liegt aber laut Vorstrafenvormerk der Bezirkshauptmannschaft xx bei der Beschuldigten nicht vor.
Wie bereits eingangs ausgeführt wurde, stellen die gegenständlichen Übertretungen Ungehorsamsdelikte dar, weshalb ein Milderungsgrund im Sinne des §34 Z15 StGB nicht in Betracht kommt. Im gegenständlichen Fall ist zudem weder ein Schaden eingetreten, der von der Beschuldigten gut gemacht wurde, noch konnte von der Beschuldigten ein Beweis dafür angeboten oder erbracht werden, daß sie nachteilige Folgen verhindert hätte.
Daß die Beschuldigte an der vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes mitgewirkt hat und deshalb ein Milderungsgrund im Sinne des §34 Z16 StGB vorliegt, ist durch nichts erwiesen. Eine aktive Mitwirkung der Beschuldigten bei der Feststellung des Sachverhaltes durch die Arbeitsinspektoren war weder erforderlich noch konnte eine solche aktive Mitwirkung der Beschuldigten von dieser plausibel dargelegt werden. Wie dem erstinstanzlichen Straferkenntnis und dem Verwaltungsakt zu entnehmen ist, hat sich die Beschuldigte im erstinstanzlichen Verfahren insoweit passiv verhalten, als sie zu der Aufforderung zur Rechtfertigung durch die erste Instanz nicht geäußert hat.
Wenn die Beschuldigte vermeint, daß ein Milderungsgrund im Sinne des §34 Z18 StGB zu berücksichtigen wäre, so konnte die Berufungsbehörde von einem solchen Milderungsgrund nicht ausgehen, zumal gegen die Beschuldigte vom Arbeitsinspektorat für den x Aufsichtsbezirk im Juni 1991 erneut Anzeige erstattet werden mußte, weil am 23. Mai 1991 jene Mängel, die Gegenstand des anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens sind, immer noch nicht behoben waren.
Wenn nun von der Berufungsbehörde die verhängten Geldstrafen auf jeweils S 5.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafen jeweils auf 5 Tage herabgesetzt werden konnte, so war hiefür vor allem maßgebend, daß die erste Instanz dem Strafantrag des Arbeitsinspektorates für den x Aufsichtsbezirk, der offensichtlich von einer vorsätzlichen Begehung der Übertretung ausgeht, gefolgt ist, ohne sich mit dem tatsächlichen Verschulden der Beschuldigten auseinanderzusetzen. Die von der Berufungsbehörde verhängten Strafen erweisen sich auch unter Berücksichtigung der von der Beschuldigten im Berufungsverfahren angegebenen allseitigen Verhältnisse als angemessen. Die Strafen erscheinen der Berufungsbehörde auch in dem nunmehr verhängten Ausmaß notwendig, um der Beschuldigten die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens vor Augen zu führen und sie in Hinkunft von der Begehung weiterer Übertretungen nach den Arbeitnehmerschutzvorschriften abzuhalten.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.