Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 AVG, BGBl Nr 51/1991, Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis hinsichtlich Punkt 8 des Spruches aufgehoben.
Gemäß §45 Abs1 Z1 zweiter Fall VStG, BGBlNr 52/1991, wird die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.
Mit Punkt 8 des Spruches des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft xx vom 10. April 1991, Zl xx, wurde der Beschuldigte M E S als das gemäß §9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der Firma xx GesmbH, xx H , Istraße xx, gemäß §31 Abs2 litp des Arbeitnehmerschutzgesetzes mit einer Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 5 Tage) bestraft. Im Schuldspruch dieses Straferkenntnisses wird ausgeführt, daß in der Filiale in W N, G Straße xx bei einer Überprüfung am 30. November 1990 festgestellt wurde, daß die in Verwendung stehende Sitzzelle der Abortanlage in unmittelbarer Verbindung mit dem Umkleideraum für die Arbeitnehmer gestanden sei. Die Garderobekästen seien im Vorraum der Sitzzelle aufgestellt. Den Bestimmungen des §85 Abs3 AAV entsprechend dürfen Abortanlagen mit Arbeitsräumen sowie mit Räumen zum Aufenthalt während der Arbeitspausen und Umkleideräumen nicht unmittelbarer Verbindung stehen.
Bei der Strafbemessung wurden die oftmaligen einschlägigen Vormerkungen, die schädliche Neigung Verwaltungsübertretungen zu begehen, sowie die offensichtlich vorhandene totale Uneinsichtigkeit des Beschuldigten als erschwerend gewertet. Milderungsgründe lagen nach Ansicht der ersten Instanz keine vor.
In seiner fristgerecht erhobenen Berufung hat der Beschuldigte das erstinstanzliche Straferkenntnis betreffend Punkt 8 des Spruches sowohl hinsichtlich der Höhe der verhängten Strafe als auch dem Grunde nach angefochten und die ersatzlose Behebung des Straferkenntnisses beantragt. Begründend wird angeführt, daß in der Filiale in der G Straße xx die Voraussetzungen für die Notwendigkeit der Zurverfügungstellung eines Umkleideraumes nicht vorliegen. Gemäß §86 Abs3 AAV müssen aber die Kleiderkästen nur "nach Möglichkeit" in besonderen Umkleideräumen abgestellt sein. Diese Möglichkeiten lägen nicht vor, daher wurden die Kleiderkästen nicht in einem eigenen Umkleideraum, sondern vor der WC-Anlage abgestellt. Diese Maßnahmen qualifiziere aber den Aufstellungsort nicht als Umkleideraum, sodaß der diesbezügliche Vorwurf nicht zu Recht bestehe.
Der Unabhängige Verwaltungssenat hat am 3. Juni 1992 eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß §51e VStG durchgeführt.
Bei dieser Verhandlung verwies der Vertreter des Beschuldigten auf das Vorbringen in der Berufung. Im gegenständlichen Geschäftslokal sei keine Möglichkeit für die Schaffung eigener Umkleideräume vorhanden. Die Notwendigkeit nach der AAV zur Errichtung eines Umkleideraumes sei im gegenständlichen Fall nicht gegeben, weil im Betrieb lediglich vier bis fünf Dienstnehmer beschäftigt würden. Diesen Dienstnehmern werde eine eigene Arbeitskleidung ausgefolgt. Die Arbeitnehmer ziehen über das normale Gewand nur eine von der Firma xx GesmbH beigestellte orangefarbene Schürze an. Davor werde die allfällig vorhandene Straßenüberbekleidung, wie Mantel oder Jacke abgelegt und in den bereitgestellten Garderobekästen verstaut.
Vom Vertreter des Arbeitsinspektorates für den
x Aufsichtsbezirk wurde ausgeführt, daß gemäß §85 Abs3 AAV Abortanlagen mit Umkleideräumen nicht unmittelbar in Verbindung stehen dürfen. Maßgebend, ob ein Umkleideraum gegeben sei, sei nicht die Tatsache, ob ein Umkleideraum nach den gesetzlichen Vorschriften (§86 Abs4 AAV) vorhanden sein müsse, sondern die tatsächliche Nutzung eines Raumes als Umkleideraum. Seitens des Arbeitsinspektorates werde die Auffassung vertreten, daß der gegenständliche Raum, in dem Garderobekästen untergebracht seien und der von den Bediensteten zum Umkleiden verwendet würde, als Umkleideraum einzustufen sei.
Der Zeuge F G, der am 30. November 1990 die Überprüfung in der Filiale in W N, G Straße xx durchgeführt hat, gab an, daß sich die Situation damals so dargestellt habe, daß das Geschäftslokal eine Abortanlage aufgewiesen habe. Im Vorraum dieser Abortanlage, der von der Sitzzelle durch eine Tür getrennt sei, hätten sich ausschließlich zwei Garderobekästen befunden. Aufgrund dieser Tatsache sei er davon ausgegangen, daß es sich um einen Umkleideraum handle. Bei dem gegenständlichen Vorraum handle es sich um einen Vorraum im Sinne der NÖ Bauordnung bzw des §85 Abs3 AAV. An die genaue Größe des Vorraumes könne er sich heute nicht mehr so genau erinnern, er wisse aber, daß dieser Raum etwa so groß gewesen sei, daß sich eine Person darin hätte umziehen können.
Anhand der Aufzeichnungen des Arbeitsinspektorates für den x Aufsichtsbezirk wurde festgestellt, daß der Zeuge G seinerzeit von einer Mitarbeiteranzahl in der gegenständlichen Filiale von zwei Personen ausgegangen ist.
Die anschließende Besichtigung des Geschäftslokals in der G Straße xx ergab, daß dieses Lokal eine belüftete Abortanlage besitzt. Im Vorraum dieser Abortanlage, der ebenfalls belüftet ist, befinden sich zwei Garderobekästen. Davor ist, wie vom Zeugen G angegeben, gerade so viel Platz, daß sich eine Person umziehen kann. Das übrige gesamte Geschäftslokal ist zur Gänze von der Straße her einsehbar. Die im Geschäftslokal anwesende Arbeitnehmerin B P gab an, daß der WC-Vorraum zum Umziehen verwendet werde. An Arbeitskleidung werde vom Dienstgeber die orangefarbene Schürze mit der Aufschrift xx sowie im Sommer ein T-Shirt in blauer Farbe beigestellt. Im Winter werde anstelle des T-Shirts ein Sweatshirt zur Verfügung gestellt.
Der Vertreter des Arbeitsinspektorates für den x Aufsichtsbezirk sprach sich angesichts der einschlägigen Vorstrafen des Beschuldigten für die Bestätigung der mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis verhängten Strafe in der Höhe von S 5.000,-- aus.
In seinem Schlußwort beantragte der Vertreter des Beschuldigten die Aufhebung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses hinsichtlich des Punktes 8 des Spruches und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.
Sodann wurde die Verhandlung zur Verkündung der Berufungsentscheidung auf den 30. Juni 1992 vertagt.
Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:
Für das anhängige Verwaltungsstrafverfahren ist von entscheidender Bedeutung, ob der von der Sitzzelle der Abortanlage nur durch eine Tür getrennte Raum ausschließlich als Vorraum gemäß §85 Abs3 AAV bzw §55 der NÖ Bauordnung oder zusätzlich auch als Umkleideraum gemäß §86 AAV zu qualifizieren ist.
Die Berufungsbehörde hat davon auszugehen, daß in der gegenständliche Filiale in W N, G Straße xx, ein Umkleideraum nach §86 Abs4 zweiter Satz AAV nicht verpflichtend vorzusehen war, da in dieser Filiale im Tatzeitpunkt nur zwei Arbeitnehmer beschäftigt wurden und auch keinerlei Anhaltspunkte dafür hervorgekommen sind, daß in diesem Blumenhandelsdetailgeschäft die Voraussetzungen des §84 Abs5 AAV vorliegen.
Gemäß §86 Abs3 erster Satz AAV müssen Garderobekästen nach Möglichkeit in besonderen Umkleideräumen aufgestellt sein. Diese Bestimmung kann nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ nur dahingehend verstanden werden, daß in jenen Fällen, in denen entweder aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung nach §86 Abs4 zweiter Satz AAV oder auf freiwilliger Basis eigene und als solche tatsächlich gewidmete Umkleideräume eingerichtet werden, die Garderobekästen grundsätzlich nur in diesen Umkleideräumen aufzustellen sind. Keinesfalls kann aber aus §86 Abs3 erster Satz AAV der zwingende Schluß gezogen werden, daß jeder Raum, in dem Garderobekästen aufgestellt sind, als Umkleideraum gemäß §86 AAV schlechthin einzustufen ist. Auch ein generelles Verbot für das Aufstellen von Garderobekästen in Vorräumen von Abortanlagen kann aus der AAV nicht abgeleitet werden.
Der Umstand, daß die in der Firma beschäftigten Arbeitnehmer den Vorraum vor der Sitzzelle der Abortanlage tatsächlich zum Umziehen benützt haben, vermag die Berufungsbehörde nicht davon zu überzeugen, daß es sich hier um einen Umkleideraum im Sinne des §86 AAV gehandelt hat. Der Vorraum zur Sitzzelle der Abortanlage weist auch keinerlei Merkmale auf, die den Schluß zulassen, daß es sich hier um einen als Umkleideraum gewidmeten Raum gehandelt hat. So fehlen in diesem Raum die Erfordernisse des §86 Abs8 und 9 AAV, zumal das Berufungsverfahren gezeigt hat, daß dort lediglich für eine Person Platz zum Umkleiden besteht und Sitzgelegenheiten überhaupt fehlen.
Da die Berufungsbehörde somit nicht zu der Ansicht gelangen konnte, daß es sich bei dem in Rede stehenden Vorraum um einen Umkleideraum im Sinne des §86 AAV handelt, stellt die dem Beschuldigten von der ersten Instanz zur Last gelegten Tat keine Übertretung des §85 Abs3 AAV dar. Das Verwaltungsstrafverfahren war daher gemäß §45 Abs1 Z1 zweiter Fall VStG einzustellen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.