TE UVS Niederösterreich 1993/01/27 Senat-KO-91-073

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Veröffentlicht am 27.01.1993
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Spruch

I.

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr 51, hinsichtlich des Deliktes 1 des angefochtenen Straferkenntnisses dahingehend Folge gegeben, daß die verhängte Geldstrafe von S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden) auf S 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 24 Stunden) herabgesetzt wird. Weiters erfolgt eine Berichtigung des Spruches dahingehend, daß die Wortfolge "ca 100 km/h gefahrene Geschwindigkeit" gestrichen wird.

 

II.

Hinsichtlich des Deliktes 2 des angefochtenen Straferkenntnisses wird der Berufung gemäß §66 Abs4 AVG Folge gegeben, der angefochtene Bescheid in diesem Umfang behoben und diesbezüglich die Einstellung des Strafverfahrens gemäß §45 Abs1 Z1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG, BGBl Nr 52, verfügt.

 

III.

Der Berufungswerber hat dem Land NÖ gemäß §64 VStG S 70,-- (statt S 210,--) als Ersatz der Kosten für das Verfahren der Behörde I. Instanz binnen 2 Wochen zu zahlen.

 

Der Strafbetrag von S 700,-- ist gemäß §59 Abs2 AVG ebenfalls binnen 2 Wochen zu bezahlen.

Text

Die Bezirkshauptmannschaft xx hat gegen Herrn G H das Straferkenntnis vom 30. Oktober 1991, Zl 3-    -91, erlassen. Darin wurde ihm zur Last gelegt, er sei am 14. April 1991 um 14,55 Uhr in

xx auf der S**********straße, Fahrtrichtung S********, mit dem PKW ********

1.

im Ortsgebiet von xx auf der S**********straße auf Höhe des Friedhofes schneller als die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren (ca 100 km/h gefahrene Geschwindigkeit) und habe

2.

im Ortsgebiet von xx auf der S**********straße auf Höhe der Feuerwehrzentrale die dort aufgrund des angebrachten Vorschriftszeichens "Geschwindigkeitsbeschränkung" erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten (ca 100 km/h gefahrene Geschwindigkeit).

Aus diesem Grund hat die Behörde I. Instanz folgende Verwaltungsstrafen verhängt:

 

Zu 1. gemäß §20 Abs2 iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden) und

zu 2. gemäß §52 Z10a iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 S 600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden).

 

Vertreten durch Herrn Dr W D, Rechtsanwalt in **** W, hat der Beschuldigte gegen diese Entscheidung rechtzeitig berufen.

 

Er macht geltend, daß die Aussagen der als Zeugen einvernommenen Beifahrer, welche eine gefahrene Geschwindigkeit von ca 50 bis 70 km/h angegeben hätten, nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Bei richtiger Würdigung dieser Beweismittel wäre er unter Punkt 1 zu einer niedrigeren Strafe zu verurteilen gewesen, hinsichtlich des Punktes 2 wäre das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen. Weiters hätte der unter Punkt 2 erhobene Schuldvorwurf nicht unter §52 Z10a StVO 1960 subsumiert werden dürfen, sondern allenfalls unter §20 Abs2 bzw unter §20 Abs2 iVm §52 Z10a StVO 1960, sodaß mangels Verfolgung innerhalb der Verjährungszeit wegen des ihm tatsächlich anzulastenden Delikts das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.

Darüber hinaus sei die Umschreibung der Tatorte (Friedhof bzw Feuerwehrzentrale) nicht ausreichend. Außerdem müsse es ausgeschlossen werden, daß der Berufungswerber um 14,55 Uhr sein Fahrzeug im Bereich des Friedhofs mit mehr als 50 km/h gelenkt habe und zur selben Zeit, nämlich um 14,55 Uhr, sein Fahrzeug in der S**********straße auf Höhe der Feuerwehrzentrale mit mehr als 50 km/h gelenkt habe. Da es nicht möglich sei, daß er gleichzeitig an zwei Orten sein Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit gelenkt habe, sei das Straferkenntnis mit einem unüberbrückbaren Widerspruch behaftet.

Da der unter Punkt 2 erhobene Schuldvorwurf derselbe sei, der ihm unter Punkt 1 angelastet werde, wäre er (wenn überhaupt) nur wegen eines Delikts zu verurteilen gewesen.

 

Schließlich sei auch die Höhe der verhängten Geldstrafen überhöht, da nicht berücksichtigt worden sei, daß er als Student, der nur gelegentlich im Unternehmen seines Vaters mithelfe, über kein ständiges eigenes Einkommen verfüge.

 

Er beantrage daher, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren zur Einstellung zu bringen, in eventu, die über ihn verhängten Strafen auf das Mindeststrafmaß herabzusetzen.

 

Aufgrund dieser Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ am 22. Jänner 1993 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

 

Der Vertreter des Berufungswerbers hat auf das bisherige Berufungsvorbringen verwiesen und eine Tatortskizze seines Mandanten vorgelegt. Zu dieser Skizze hat er ausgeführt, daß der Berufungswerber aus der H****straße in die S**********straße eingebogen sei und bei der an dieser Kreuzung befindlichen Ampel wegen Rotlicht habe anhalten müssen. Es sei unwahrscheinlich, daß der Berufungswerber auf der relativ kurzen Strecke bis zum Friedhof (300 m) mit seinem mit vier Personen besetzten Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 100 km/h erreicht haben sollte. Was die Geschwindigkeit von 100 km/h auf Höhe der Feuerwehrzentrale betreffe, so befinde sich zwischen dem Friedhof und der Feuerwehrzentrale ein Bahnübergang, bei dem es unmöglich sei, mit einem mit Blattfedern gefederten Auto schneller als 60 km/h zu fahren. Außerdem sei die Feuerwehrzentrale vom Bahnübergang nur 270 m entfernt; der Berufungswerber müßte demnach innerhalb dieser 270 m von 60 km/h auf 100 km/h beschleunigt haben, obwohl er den Gendarmen bereits längst in seinem Rückspiegel gesehen habe.

 

Hinsichtlich der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Berufungswerbers hat der Vertreter des Berufungswerbers namens seines Mandanten angegeben, daß dieser Jusstudent sei und über ein monatliches Taschengeld von einigen tausend Schilling verfüge (Mithilfe im Unternehmen des Vaters) und keine Sorgepflichten habe.

 

Als Zeugen wurden Frau M M, Frau E B, Frau V S und Bez Insp J S einvernommen.

 

Die beiden Zeuginnen M M und E B haben übereinstimmend angegeben, sie hätten sich bei der in Rede stehenden Fahrt gemeinsam mit der Zeugin V S als Beifahrer im Wagen des Berufungswerbers befunden. Dieser sei bei der H****straße in die S**********straße eingebogen. Sie seien sicher, daß der Beschuldigte auf der S**********straße nicht mit 100 km/h, sondern mit ca 70 km/h gefahren sei. Beide haben angegeben, selbst Autofahrerinnen zu sein. Etwa auf Höhe des Friedhofs habe der Berufungswerber gesagt, daß seinem Wagen ein Gendarmeriebeamter nachfahre. Der Berufungswerber habe sein Fahrzeug beim Wohnhaus der Frau B, S**********straße ***, angehalten.

 

Die Zeugin V S konnte hinsichtlich der Geschwindigkeit des Berufungswerbers auf der Stockerauerstraße zum angegebenen Tatzeitpunkt keine genauen Angaben machen; sie hat diesbezüglich lediglich ausgesagt, sie glaube, daß er etwas zu schnell gefahren sei. Sie hat jedoch in Übereinstimmung mit den Zeuginnen M und B angegeben, der Berufungswerber sei bei der H****straße in die S**********straße eingebogen und habe sein Auto beim Wohnhaus der Frau B in der S**********straße *** angehalten.

 

Der meldungslegende Gendarmeriebeamte Bez Insp J S hat angegeben, er sei zum angegebenen Tatzeitpunkt dem Beschuldigten auf der S**********straße mit seinem Motorrad nachgefahren, weil ihm aufgefallen sei, daß dieser zu schnell fahre, nämlich ca 80 bis 100 km/h. Er habe diese Geschwindigkeit geschätzt, indem er sie vom nicht geeichten Tachometer des Gendarmeriemotorrades abgelesen habe, und sei dem Beschuldigten auf einer Strecke von einigen hundert Metern nachgefahren. Dieser sei auf der gesamten Strecke mit annähernd gleichbleibender Geschwindigkeit gefahren. Die beiden angegebenen Tatorte (Höhe des Friedhofs und Höhe der Feuerwehrzentrale) seien einige hundert Meter voneinander entfernt. Der Beschuldigte sei weiter vorne auf der S**********straße stehengeblieben und habe jemand aussteigen lassen. Er habe ihn darauf hingewiesen, daß er zu schnell gefahren sei und er ihn deshalb anzeigen werde. Er habe den Berufungswerber erst wahrgenommen, als dieser bei ihm auf der S**********straße vorbeigefahren sei; er könne allerdings nicht ausschließen, daß dieser von der H****straße in die S**********straße eingebogen sei.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

1. Zu beiden Delikten des angefochtenen Straferkenntnisses:

 

Zum Vorbringen des Berufungswerbers, daß beide gegen ihn erhobenen Schuldvorwürfe unter §20 Abs2 StVO 1960 zu subsumieren gewesen wären und er daher - wenn überhaupt - nur wegen eines Delikts zu verurteilen gewesen wäre, wird ausgeführt, daß durch Überschreiten der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h §20 Abs2 StVO 1960, hingegen durch Überschreiten einer durch Gebotszeichen kundgemachten Höchstgeschwindigkeit §52 Z10a StVO 1960 verletzt wird. In diesen Fällen liegen daher ungeachtet des Umstandes, daß die Geschwindigkeitsüberschreitungen im Zuge einer einzigen Fahrt begangen wurden, zwei selbständige Delikte vor, die getrennt zu bestrafen sind (VwGH 27.6.1984, 83/03/0321, 25.10.1989, 89/03/0145 ua).

 

Was das weitere Vorbringen des Berufungswerbers betrifft, daß im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses für beide Delikte die Tatzeit mit 14,55 Uhr angegeben ist, was im Hinblick auf die unterschiedlichen Tatorte nicht stimmen könne, und daß die Umschreibung der Tatorte nicht ausreichend sei, so ergibt sich sowohl aus dem im Akt befindlichen Stadtplan wie auch aus der Skizze des Berufungswerbers, daß die beiden Tatorte nur ca 700 m voneinander entfernt sind. Selbst bei einer angenommenen Geschwindigkeit des Berufungswerbers von 70 km/h ist eine derartige Entfernung jedoch in weniger als einer Minute zurückzulegen, sodaß sich der Berufungswerber um 14,55 Uhr sowohl auf Höhe des Friedhofs als auch auf Höhe der Feuerwehrzentrale befinden konnte. Im übrigen ergibt sich durch die Bezeichnung der Tatorte mit "Höhe des Friedhofs" und "Höhe der Feuerwehrzentrale" nach Auffassung der Berufungsbehörde eine eindeutige und dem §44a VStG entsprechende Konkretisierung und Individualisierung der in Rede stehenden Delikte.

 

2. Zum Delikt 1 des angefochtenen Straferkenntnisses:

 

Der Berufungswerber hat angegeben, am Tatort zur Tatzeit nur mit höchstens 70 km/h gefahren zu sein.

 

Damit ist jedoch das Tatbild der Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO 1960 bereits erfüllt, da hiefür eine - auch noch so geringfügige - Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausreicht und es hinsichtlich der Schuldfrage auf das Ausmaß der Überschreitung nicht ankommt (VwGH 24.5.1989, 89/02/0009).

 

Da keine Schuldausschließungsgründe vorliegen, ist somit davon auszugehen, daß der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen hat.

 

Hinsichtlich der Strafhöhe wurde erwogen:

 

Was das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung betrifft, so hat der Berufungswerber angegeben, mit einer Geschwindigkeit von ca 70 km/h gefahren zu sein; diese Angabe wird durch die Aussagen der Zeuginnen M und B bestätigt. Weiters erscheint es nach Auffassung der Berufungsbehörde glaubwürdig, daß ein mit vier Personen vollbesetztes Fahrzeug nach dem Einbiegen in die S**********straße bei der H****straße (die Durchführung dieses Einbiegemanövers wurde von den drei Zeuginnen bestätigt und vom Gendarmeriebeamten für möglich gehalten) nach einer Strecke von nur 300 m (bis zum Friedhof) eine Geschwindigkeit von 100 km/h nur sehr schwer erreichen kann. Da außerdem der meldungslegende Gendarmeriebeamte angegeben hat, der Berufungswerber sei auf der gesamten von ihm beobachteten Strecke mit einer Geschwindigkeit von ca 80 bis 100 km/h gefahren, kann nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates von einer tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit von ca 75 km/h ausgegangen werden.

 

Der Schutzzweck der verletzten Gesetzesbestimmung des §20 Abs2 StVO 1960, nämlich der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, wurde durch das Verhalten des Beschuldigten beeinträchtigt; erfahrungsgemäß führt das Überschreiten der höchstzulässigen Geschwindigkeit im Ortsgebiet immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen.

 

Der Berufungswerber verfügt als Student über ein monatliches Taschengeld von einigen tausend Schilling (Mithilfe im Unternehmen seines Vaters) und hat keine Sorgepflichten.

 

Mildernd ist die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Berufungswerbers, erschwerend ist kein Umstand.

 

Bei der Strafbemessung ist auch darauf zu achten, daß nicht nur der Bestrafte selbst von der Begehung weiterer gleichartiger Verwaltungsübertretungen abgehalten werden soll, sondern es soll auch eine allgemein abhaltende Wirkung erreicht werden.

 

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß im vorliegenden Fall mit einer Geldstrafe von S 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 24 Stunden) das Auslangen gefunden werden kann. Es wird darauf hingewiesen, daß sich diese Strafe im unteren Bereich des vom Gesetz vorgesehenen Strafrahmens (Geldstrafe bis zu S 10.000,--, Ersatzfreiheitsstrafe bis zu 2 Wochen) hält.

 

Aufgrund der Herabsetzung der Strafe durch die Berufungsbehörde waren gemäß §64 VStG auch die Kosten des Verfahrens der Behörde I. Instanz im Ausmaß von 10 % der verhängten Strafe auf S 70,-- herabzusetzen.

 

Da es für die Tatbestandsmäßigkeit einer Übertretung des §20 Abs2 StVO 1960 auf das Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht ankommt, war die Angabe des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung im Spruch nicht erforderlich und dieser daher diesbezüglich zu berichtigen.

 

3. Zum Delikt 2 des angefochtenen Straferkenntnisses:

 

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist den verkehrsgeschulten Sicherheitsorganen der Gendarmerie grundsätzlich ein - wenn auch nur im Schätzungsweg gewonnenes - Urteil darüber zuzubilligen, ob ein Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Maß überschritten hat (VwGH 12.5.1971, ZVR 1972/91 ua). Eine verläßliche Schätzung setzt allerdings voraus, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung über einem Drittel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt (VwGH 4.6.1987, ÖJZ 1988/186).

 

Im vorliegenden Fall hat der als Zeuge einvernommene Gendarmeriebeamte angegeben, der Berufungswerber sei auf der gesamten von ihm wahrgenommenen Strecke mit einer Geschwindigkeit von ca 80 bis 100 km/h gefahren. Bei einer angenommenen Geschwindigkeit des Berufungswerbers von 80 km/h liegt diese jedoch um weniger als ein Drittel über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h, sodaß nach Auffassung der Berufungsbehörde im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine mit hinreichender Sicherheit erfolgte Geschwindigkeitsschätzung nicht gegeben sind.

 

Da somit nicht mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit als erwiesen angenommen werden kann, daß der Berufungswerber die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen hat, war spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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