Der BW war im Straferkenntnis zur Last gelegt worden, daß sie als Lenkerin eines KFZ 1) beim Vorbeifahren an einem anderen Fahrzeug einen ungenügenden Seitenabstand eingehalten habe, wodurch sie dieses Fahrzeug beschädigte, 2) sei dadurch an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen und
a) sei ohne anzuhalten weitergefahren, b) habe es in der Folge unterlassen, diesen Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub anzuzeigen. Die Beschuldigte brachte vor, daß ihr Mann, damals Beifahrer in dem von ihr gelenkten Fahrzeug unmittelbar vor dem Vorfall plötzlich mit einem Schrei ohnmächtig zusammengesunken sei, weshalb sie versucht habe, ihn sofort aufzurichten und ihm das Fenster zu öffnen. Zu Folge dieser Handlung sei sie von der Fahrbahn abgekommen und habe sie ein parkendes Fahrzeug gestreift. Sie sei somit zu spät stehengeblieben. Infolge des Leidens ihres Mannes (schwere Venenthrombose und akute Blutverdickung) und des Umstandes, daß ihr Mann bei nicht rechtzeitiger Einnahme seiner Medikamente infolge tödlicher Blutverdickung sterben hätte können, sei sie nach Hause weiter gefahren und habe bei der Polizei keine Meldung über den Verkehrsunfall erstattet. Zu Hause habe sie dem Mann die Medikamente verabreicht. Stunden, nachdem es ihrem Mann etwas besser gegangen sei, habe sie sich an die Unfallstelle aufgemacht und dort alle parkenden Fahrzeuge abgesucht, jedoch kein beschädigtes wahrgenommen. Da die Beschuldigte weder Autokennzeichen noch den genauen Ort des Unfalles gewußt habe, sei sie dann nicht mehr zur Polizei gegangen. Zum Beweis ihrer Notstandssituation legte die Beschuldigte zahlreiche medizinische Unterlagen vor.
Der UVS gab der Berufung in den Punkten 1) und 2a) Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gem §45 Abs1 Z2 VStG ein, bestätigte hingegen in Punkt 2b) die erstinstanzliche Bestrafung.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat über die Berufung der Frau Ingeborg R, vertreten durch RA, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat vom 7.1.1993, Zl Pst 3273-D/92, wegen Verletzung der Rechtsvorschrift der §§1) 4 Abs1 lita, 2) 4 Abs5 und 3) 17 Abs1 StVO entschieden:
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung in den Punkten 1) und 3) Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis in diesen Punkten behoben und das zu diesen Punkten jeweils geführte Verfahren gemäß §45 Abs1 Z2 VStG eingestellt.
Hinsichtlich Punkt 2) wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich mit der Abänderung bestätigt, daß die Tatumschreibung lautet:
"Sie (Ingeborg R) waren am 12.7.1992 gegen 22.00 Uhr in Wien, G-straße, als Lenkerin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen W-21 an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt und haben es unterlassen, diesen Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub zu melden. Sie haben dadurch gegen §4 Abs5 StVO 1960 verstoßen."
Die Berufungswerberin hat daher gemäß §64 Abs1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von zu
2) S 100,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe, zu bezahlen. Gemäß §65 VStG hat die Berufungswerberin keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens bezüglich der Punkte 1) und 3) zu leisten.
Begründung:
Mit angefochtenem Straferkenntnis wurde der Beschuldigten zur Last gelegt, sie sei am 12.7.1992 um 22.00 Uhr in Wien, G-straße als Lenkerin des PKW W-21 an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen und sei ohne anzuhalten weitergefahren, habe es in der Folge unterlassen, diesen Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub anzuzeigen und habe beim Vorbeifahren an einem anderen Fahrzeug einen ungenügenden Seitenabstand eingehalten und dadurch dieses beschädigt und habe durch dieses Verhalten gegen die im Spruch genannten Verwaltungsnormen verstoßen.
Deswegen wurden über die Beschuldigte Geldstrafen von
1) S 1.000,--, 2) S 500,-- und 3) S 400,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 1) 60 Stunden, 2) 30 Stunden und 3) 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und wurden S 190,-- als Verfahrenskostenbeitrag erster Instanz zur Zahlung vorgeschrieben. Dagegen erhob die Beschuldigte rechtzeitig eine Berufung, in welcher sie die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung der Verwaltungsstrafverfahren beantragte. Schon im gesamten erstinstanzlichen Verfahren bestritt die Beschuldigte nicht, am 12.7.1992 gegen 22.00 Uhr in Wien, G-straße als Lenkerin des Mercedes 220, amtliches Kennzeichen W-21 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht zu haben. Die Beschuldigte bestritt auch nicht am Unfallsort auch nicht angehalten zu haben, sondern weitergefahren zu sein. Jedoch wandte die Berufungswerberin ein, sie sei Stunden später zur Unfallsstelle zurückgekehrt und habe dort nach beschädigten Fahrzeugen gesucht, habe aber keines mehr vorfinden können. Zur Rechtfertigung ihres Verhaltens brachte die Beschuldigte vor, daß ihr Mann, damals Beifahrer in dem von ihr gelenkten Fahrzeug unmittelbar vor dem Vorfall plötzlich mit einem Schrei ohnmächtig zusammengesunken sei, weshalb sie versucht habe, ihn sofort aufzurichten und ihm das Fenster zu öffenen. Zu Folge dieser Handlungen sei sie von der Fahrbahn abgekommen und habe sie ein parkendes Fahrzeug gestreift. Sie sei somit zu spät stehengeblieben. Infolge des Leidens ihres Mannes (schwere Venenthrombose und akute Blutverdickung) und des Umstandes, daß ihr Mann bei nicht rechtzeitiger Einnahme seiner Medikamente infolge tödlicher Blutverdickung sterben hätte können, sei sie nach Hause weiter gefahren und habe bei der Polizei keine Meldung über den Verkehrsunfall erstattet. Zu Hause habe sie dem Mann die Medikamente verabreicht. Stunden, nachdem es ihrem Mann etwas besser gegangen sei, habe sie sich an die Unfallsstelle aufgemacht und dort alle parkenden Fahrzeuge abgesucht, jedoch kein beschädigtes wahrgenommen. Da die Beschuldigte weder Autokennzeichen noch den genauen Ort des Unfalles gewußt habe, sei sie dann nicht mehr zur Polizei gegangen. Zum Beweis ihrer Notstandssituation legte die Beschuldigte sowohl bei ihrer Äußerung vom 7.9.1992 wie auch bei ihrer Äußerung vom 21.12.1992 zahlreiche medizinische Unterlagen vor.
Die Behörde erster Instanz hat eine Stellungnahme des Chefarztes der Bundespolizeidirektion Wien vom 6.11.1992 eingeholt. Chefarzt Hofrat MedRat Dr Kurt S äußerte sich darin wie folgt:
"Nach den vorliegenden Befunden leidet Herr Bruno R an einer Beinvenenthrombose, die mit blutgerinnungshemmenden Medikamenten eingestellt, bzw schlecht eingestellt war. Es kann bei dieser Erkrankung zum Auftreten eines Lungeninfarktes kommen, das ist ein anfallsartiges Zustandsbild und macht üblicherweise einen Spitalsaufenthalt notwendig. Daß ein solches Geschehen in der Wohnung von der Gattin mit Medikamenten behandelt hätte werden können, ist nicht unbedingt glaubwürdig.
Zweifelsohne kann es jederzeit zu einer plötzlichen Bewußtlosigkeit eines Menschen kommen, das ein Nichtanhalten des Fahrzeuges an der Unfallstelle entschuldigen würde. Es ist dies nicht medizinisch zu beurteilen, sondern ausschließlich eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Nach der Versorgung des Kranken in der Wohnung, im Krankenhaus oder wo auch immer hätte die Beschuldigte durchaus die Möglichkeit gehabt, die Behörde von dem Vorfall zu verständigen, wobei zugebilligt werden müßte, daß diese Verständigung nicht unverzüglich geschehen hätte müssen."
Gemäß §4 Abs5 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die oben genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Die Meldepflicht gemäß §4 Abs5 StVO hat zur Voraussetzung, daß es zu einem Verkehrsunfall - das ist jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis, das sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr ereignete und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat - gekommen und das Verhalten des Betreffenden am Unfallort damit in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist. Die Meldepflicht setzt weiters das Wissen um einen solchen Unfall voraus, wobei aber nicht ungedingt das positive Wissen vom Verkehrsunfall und vom ursächlichem Zusammenhang erforderlich ist, sondern es genügt - da der Anwendungsbereich des §4 StVO in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die Schuldform des Vorsatzes beschränkt ist -, wenn die betreffende Person bei gehöriger Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall und den ursächlichen Zusammenhang hätte erkennen können.
Eine korrekte Unfallmeldung ist nur dann erstattet, wenn nähere Angaben über die konkreten Umstände des Verkehrsunfalles (Zeitpunkt, Ort, beschädigte Objekte usw) gemacht werden. Enthält eine Verkehrsunfallmeldung solche konkrete Angaben nicht, so ist dies nicht anders zu beurteilen, als wenn überhaupt keine Meldung erstattet worden wäre. Die Meldepflicht nach §4 Abs5 StVO 1960 trifft einen Fahrzeuglenker nur dann, wenn er in Kenntnis nicht nur des erlittenen Unfalles allein, sondern auch der näheren Umstände, insbesondere der genauen Zeit und des genauen Ortes des Unfalles war (vgl zu dieser Rechtsfrage VwGH vom 14.9.1984, 83/02/0553 und vom 9.7.1987, 87/02/0046).
Wenn sich nun die Berufungswerberin hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach §4 Abs5 StVO 1960 auf eine Notstandssituation beruft, so ist ihr entgegenzuhalten, daß sie nach ihren eigenen Angaben am Unfallort einerseits angehalten hat, sich aber auch andererseits in der Lage fühlte, das Fahrzeug vom Vorfallsort weg bis zu sich nach Hause zu lenken. Angesichts der Tatsache, daß die Berufungswerberin somit offensichtlich am Unfallort stehenblieb und sich bewußt war, ein parkendes Fahrzeug gestreift zu haben, hätte sie ohne Schwierigkeiten Zeitpunkt und Ort des Unfalles feststellen, allenfalls auch noch die Marke des beschädigten Fahrzeuges wahrnehmen könne. Ein derartiges Verhalten wäre von der Beschuldigten trotz des auf ihrer Seite vorliegenden Schockzustandes schon deshalb zu verlangen gewesen, da die Berufungswerberin nach der Kontaktierung eines anderen Fahrzeuges auch mit allfälligen Personenschäden rechnen mußte und zu einer diesbezüglichen Nachschau verpflichtet war. Wenn es die Berufungswerberin somit, obwohl sie dispositionsfähig geblieben ist, unterlassen hat, die für eine Unfallmeldung wesentlichen Umstände am Unfallsort festzustellen, obwohl dies innerhalb weniger Sekunden möglich gewesen wäre, so fällt ihr die Verletzung pflichtgemäßen Verhaltens zur Last.
Hätte die Berufungswerberin nach Versorgung ihres Gatten, - eventuell auch nach kontrollierender Nachschau am Unfallsort - eine Polizeimeldung erstattet, so wäre diese angesichts der Begleitumstände im Sinne des §4 Abs5 StVO als ohne unnötigen Aufschub erstattet zu verstehen gewesen.
Angesichts obiger Überlegungen war der Berufung somit in der Schuldfrage zu Punkt 2) keine Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Abänderung der Tatumschreibung, die der Anpassung an den Straftatbestand diente, zu bestätigen. Eine Herabsetzung der Strafe kam aus folgenden Gründen nicht in Betracht:
Die Tat schädigte in nicht unerheblichem Ausmaße das Interesse an der raschen Aufklärung von Verkehrsunfällen. Deshalb war der Unrechtsgehalt der Tat als nicht gering anzusehen.
Das Verschulden der Berufungswerberin erweist sich angesichts der Begleitumstände gegenständlicher Verwaltungsübertretung zwar nicht als unbeachtlich, aber auch nicht als erheblich.
Mildernd wurde die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Berufungswerberin gewertet.
Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den bis S 10.000,-- reichenden Strafsatz stellt sich die von der Behörde erster Instanz verhängte Geldstrafe selbst unter Berücksichtigung von Einkommens- und Vermögenslosigkeit als durchaus angemessen und keineswegs zu hoch dar, liegt doch diese Strafe ohnedies am untersten Rand der möglichen Strafzumessung.
Gemäß §4 Abs1 lita StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.
Gemäß §17 Abs1 leg cit ist das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende weder gefährdet noch behindert werden.
Anders als bei der Übertretung nach §4 Abs5 StVO 1960 (Punkt 2) erweist sich die Rechtfertigung der Beschuldigten hinsichtlich der angelasteten Verwaltungsübertretungen nach 1) §4 Abs1 lita StVO und 3) §17 Abs1 StVO als rechtlich relevant.
Die Berufungswerberin hat sich in ihrer Rechtfertigung darauf berufen, daß sie sich in einer Notstandssituation befunden habe. Gemäß §6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigte, oder obgleich sie den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.
Unter Notstand kann nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, indem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Nach der nun nicht unglaubwürdigen Rechtfertigung der Beschuldigten gründet sich die Verwaltungsübertretung nach §17 Abs1 StVO in einer derartigen Abwehrhandlung bzw Hilfeleistung, weshalb sich die an sich strafbare Handlung als verwaltungsstrafrechtlich nicht strafbar erweist.
Die Anhaltepflicht nach §4 Abs1 lita beschränkt sich nicht darauf, von einem Fahrzeuglenker zu fordern, daß er kurz anhält, sondern wird auch verlangt, daß der Fahrzeuglenker seinen weiteren in §4 Abs1 litb und c StVO festgelegten Lenkerverpflichtungen nachkommt. Letzteres konnte aber von der Berufungswerberin angesichts der Situation, in der sie sich befand, nicht gefordert werden, weshalb sich auch das zu Punkt 1) angelastete Verhalten als nicht strafbar erwies.
Es war somit in diesen Punkten spruchgemäß zu entscheiden. Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Punkt 2) stützt sich auf die zwingende Vorschrift des §64 Abs1 und 2 VStG.