TE UVS Wien 1993/03/31 03/13/884/93

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.1993
beobachten
merken
Betreff

Dem BW war im SE angelastet worden, er habe als Lenker eines Autobusses der Linie X andere Straßenbenützer durch das abrupte Abfahren aus der Haltestelle gefährdet.

Er brachte dagegen im wesentlichen vor, daß das angelastete Delikt bereits nach den Angaben des Aufforderers nicht vorliege. Der UVS stellte als Sachverhalt beruhend auf den Angaben des Anzeigers fest, daß der BW den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu einem Zeitpunkt einschaltete, als sich der Aufforderer 20 m hinter dem Heck des Busses befand und der Aufforderer 40 bis 50 km/h schnell fuhr. Der Aufforderer brachte nach dem zugleich erfolgten Anfahren des Busses sein Fahrzeug so zum Stillstand, daß es in gerader Fortsetzung seiner Fahrt annähernd neben jener Position stehen blieb, welche der Bus in der Haltestelle eingenommen hatte, und zwar ca auf Höhe der Front des Busses. Er legte also einen Anhalteweg von mindestens 30 m (ausgehend von der Entfernung zum Heck zuzüglich der Buslänge von 11,5 m) zurück. Damit errechnete sich für den Aufforderer bei Zugestehung einer verkürzten Reaktionszeit unter Anwendung der Formel für die Errechnung einer mittleren Bremsverzögerung lediglich eine stärkere Betriebsbremsung.

Der UVS gab der Berufung Folge, weil der Aufforderer nicht gefährdet worden ist, sondern sein KFZ nur mit einer stärkeren Betriebsbremsung zum Stillstand bringen mußte, und stellte das Verfahren gem §45 Abs1 Z2 VStG ein.

Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Bachler über die Berufung des Herrn Helmut J vom 17.3.1993 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat vom 26.2.1993, Zahl Pst 1000/W/92, wegen Übertretung des §26a Abs2 StVO 1960 entschieden:

Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Zif2 VStG eingestellt.

Der Berufungswerber hat daher gemäß §65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Text

Begründung:

Dem Berufungswerber war im Straferkenntnis angelastet worden:

"Sie haben am 2.3.1992 um 09.36 Uhr in Wien, R-gasse  als Lenker des Autobusses mit Kennzeichen W-74, Linie X, andere Straßenbenützer durch das abrupte Abfahren aus der Haltestelle gefährdet."

Der Berufungswerber brachte im wesentlichen dagegen vor, daß er das ihm angelastete Delikt bereits nach den Angaben des Aufforderers nicht begangen habe, weil er diesen beim Abfahren aus der Haltestelle nicht gefährdet habe.

Hiezu wurde erwogen:

Der Aufforderer gab in seiner Anzeige bereits an, daß er eine Fahrgeschwindigkeit von ca 40 bis 50 km/h eingehalten habe und am Vorfallsort in der Haltestelle ein Omnibus der Linie 59a gestanden sei. Als er vom Omnibus noch ca 20 m entfernt war, betätigte dessen Lenker den linken Fahrtrichtungsanzeiger und fuhr sofort von der Haltestelle ab. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 10.8.1992 ergänzte der Aufforderer, daß er sein Fahrzeug in einer Position zum Stillstand brachte, welche mit der ursprünglichen Stillstandsposition des Busses in der Haltestelle auf gleicher Höhe war. Der Bus war zum Zeitpunkt des Stillstandes des Aufforderers aus der Haltestelle schräg nach vorne ausgefahren, so daß er in die Fahrlinie des Aufforderers ragte. Der Aufforderer fertigte hiezu eine Handskizze an.

Folgt man alleine den Angaben des Aufforderers, steht als Sachverhalt somit fest, daß der Berufungswerber den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu einem Zeitpunkt einschaltete, als sich der Berufungswerber 20 m hinter dem Heck des Busses befand. Der Berufungswerber brachte nach dem zugleich erfolgten Anfahren des Busses sein Fahrzeug so zum Stillstand, daß es annähernd in jener Position stehen blieb, welche der Bus in der Haltestelle eingenommen hatte, und zwar annähernd auf der Höhe der Front des Busses. Der Berufungswerber legte also einen Anhalteweg von min 30 m (ausgehend von der Entfernung zum Heck=20 m zuzüglich der Länge eines solchen Busses von 11,5 m) zurück.

Gemäß §26a Abs2 StVO ist den Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen, sobald der Lenker eines solchen Fahrzeuges mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Zu diesem Zweck haben die Lenker nachkommender Fahrzeuge die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und, falls erforderlich, anzuhalten.

Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß ein Fahrzeuglenker, welcher bemerkt, daß ein Omnibus in einer Haltestelle steht, damit zu rechnen hat, daß dieser unter Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers aus der Haltestelle ausfahren wird. Dies ist auf die Reaktionszeit bedeutsam. Denn die Reaktionszeit umfaßt die vermeidbare "Schreckzeit" (bis zu einer halben Sekunde) und die eigentliche nicht vermeidbare Reaktionszeit. Sieht also ein nachfolgender Fahrzeuglenker einen Omnibus in einer Haltestelle stehen, ist ihm die "Schreckzeit" höchstens eingeschränkt zuzubilligen, denn es handelt sich um eine vorausberechenbare und bekannte Verkehrssituation mit einem prägnanten und auffälligen Wahrnehmungsgegenstand. Somit ist einem solchen Fahrzeuglenker eine maximale Reaktionszeit von 0,7 Sekunden zuzubilligen. In dieser Zeit legte der Aufforderer bei 40 km/h 7,77 m, bei 50 km/h 9,72 m, zurück. Zieht man diese vom Anhalteweg von min 30 m ab, so verbleiben bei 40 km/h über 22 m, bei 50 km/h über 20 m, Bremsweg über. Unter Anwendung der Formel für die Errechnung der mittleren Bremsverzögerung (a=v2:2s) errechnet sich aus diesem Bremsweg für die Geschwindigkeit 40 km/h eine Bremsverzögerung von 2,8 m/sek2, bei 50 km/h von 4,8 m/sek2.

Selbst der höhere Bremsverzögerungswert entspricht lediglich einer stärkeren Betriebsbremsung, da eine Notbremsung Bremsverzögerungswerte über 5 m/sek.2 ergeben würde, zumal aus den Angaben des Aufforderers nicht hervorgeht, daß bremswegverlängernde Faktoren (wie zB Regen, Glatteis oder Streusplitt) vorgelegen wären. Somit kam im gegenständlichen Fall nicht hervor, daß eine konkrete Gefährdung des Aufforderers vorgelegen wäre. Durch die Bestimmung des §26a Abs2 ist aber eine Behinderung, sogar eine starke Behinderung, welche bis zum Anhalten zwingt, nachfolgender Verkehrsteilnehmer durch das Verhalten eines Omnibuslenkers beim Verlassen einer Haltestelle zulässig.

Da somit bereits nach den Angaben des Aufforderers feststeht, daß noch keine Gefährdung, sondern lediglich eine starke Behinderung vorlag, war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Omnibus, Haltestelle Abfahren aus der, Gefährdung, Behinderung, Fahrtrichtungsanzeiger, Abstand, Reaktionszeit, Bremsverzögerung, Betriebsbremsung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten