TE UVS Niederösterreich 1993/05/11 Senat-KO-92-088

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Veröffentlicht am 11.05.1993
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 AVG, BGBl Nr 51/1991, Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben.

 

Gemäß §45 Abs1 Z1 zweiter Fall VStG, BGBl Nr 52/1991, wird die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Text

Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft xx vom 7. Mai 1992, Zl 3-****-92, wurde der Beschuldigte M E S als das gemäß §9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der Firma H***************** GesmbH, **** H*********, I********straße 11, wegen Übertretung des §85 Abs3 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) gemäß §31 Abs2 litp des Arbeitnehmerschutzgesetzes mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 6 Tage) bestraft. Im Schuldspruch dieses Straferkenntnisses wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, daß in der Filiale in S*******, W***** N*********straße 91 bei einer Überprüfung am 23. März 1992 festgestellt wurde, daß die in Verwendung stehende Sitzzelle der Abortanlage in unmittelbarer Verbindung mit dem Umkleideraum der Arbeitnehmer gestanden sei. Die Garderobekästen seien im Vorraum der Sitzzelle aufgestellt gewesen, obwohl Abortanlagen mit Umkleideräumen nicht in unmittelbarer Verbindung stehen dürfen.

 

In der Begründung wird ausgeführt, daß im §85 Abs3 AAV festgelegt werde, wie der Vorraum einer Abortanlage beschaffen sein müsse. In diesem Zusammenhang sei es ausdrücklich verboten, diesen Raum zum Zweck des Aufenthaltes oder als Umkleideraum zu verwenden. Die Aufstellung von Garderobekästen in diesem Raum bedinge aber, daß sich die Arbeitnehmer zum Zweck des Umkleidens dort aufhalten müßten.

 

In der fristgerecht eingebrachten Berufung bekämpft der Beschuldigte das angefochtene Straferkenntnis zur Gänze und beantragt die Aufhebung dieses Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens. Begründend wird in der Berufung ausgeführt, der §85 Abs3 AAV bestimme, daß Abortanlagen mit Arbeitsräumen sowie mit Räumen zum Aufenthalt während der Arbeitspausen und Umkleideräumen nicht unmittelbar in Verbindung stehen dürfen. §86 Abs3 AAV sehe vor, daß Garderobekästen nach Möglichkeit in besonderen Umkleideräumen aufzustellen seien. Eine explizite Verpflichtung, eigene Umkleideräume einzurichten, enthalte aber lediglich §86 Abs4 AAV für Betriebe, in welchen regelmäßig mehr als 12 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Für andere Betriebe sei lediglich eine Zurverfügungstellung von Kästen vorgeschrieben. In der Filiale S*******, W***** N*********straße 91, sei kein besonderer Umkleideraum eingerichtet, da hiefür keine gesetzliche Verpflichtung bestehe. In dieser Filiale würden nämlich weitaus weniger als 12 Arbeitnehmer beschäftigt und die Arbeitnehmer seien auch nicht einer besonders starken Verschmutzung oder Staubeinwirkung, der Einwirkung giftiger, ätzender, leicht zersetzlicher, ekelerregender oder infektiöser Arbeitsstoffe oder größerer Hitze ausgesetzt (§84 Abs5 AAV). Vielmehr legten die Arbeitnehmer lediglich die Straßenüberbekleidung (Mäntel oder dgl) ab und eine Schürze über die normale Tagesbekleidung an. Mangels einer gesetzlichen Vorschrift sei daher in der gegenständlichen Filiale kein Umkleideraum eingerichtet. Keineswegs könne aber aus der Aufstellung der Garderobekästen im Vorraum der Toilette der Schluß gezogen werden, daß dadurch der Vorraum zum Umkleideraum gewidmet werde. Auch stehe die Sitzzelle der Abortanlage nicht in unmittelbarer Verbindung mit dem Umkleideraum der Arbeitnehmer, da überhaupt kein Umkleideraum eingerichtet sei. Unzulässig erscheine auch die in der Begründung des Straferkenntnisses vorgenommene Vermengung der genau definierten Begriffe eines Umkleideraumes gemäß §86 AAV und eines Raumes zum Aufenthalt während der Arbeitspausen gemäß §87 AAV, wenn die Behörde vermeine, daß die Aufstellung von Garderobekästen im Vorraum der Abortanlage bedinge, daß sich die Arbeitnehmer zum Zweck des Umkleidens dort aufhalten müßten. Es werde zum Beweis des Berufungsvorbringens ein Ortsaugenschein beantragt.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat am 28. April 1993 eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß §51e VStG durchgeführt.

 

Bei dieser Verhandlung gab der Zeuge G, der für das Arbeitsinspektorat für den *. Aufsichtsbezirk am 23. März 1992 die Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Filiale in S******* durchgeführt hat, folgendes an:

"Die Kontrolle in der Filiale im H****** B********** in S******* am 23. März 1992 diente primär dazu, um Überprüfungen betreffend Sonntagsarbeiten vorzunehmen. Aufgrund der später von der Firma H****** B********** vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen, konnte ich feststellen, daß in der gegenständlichen Filiale drei Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind. Bei der Kontrolle am 23.3.1992 habe ich die Frau S P als Arbeitnehmerin in der gegenständlichen Filiale angetroffen, welche auch meine Ansprechpartnerin war. Ob andere Arbeitnehmerinnen anwesend waren, kann ich mich nicht mehr erinnern.

 

Ich habe festgestellt, daß sich in dem gegenständlichen Geschäftslokal eine WC-Anlage mit Sitzzelle befindet. Vor dieser WC-Anlage ist ein Vorraum (§85 Abs3 AAV) angeordnet. In diesem Vorraum befinden sich die Gardarobenkästen. Ich kann nicht mehr sagen, wieviele Gardarobekästen sich in diesem Vorraum befunden haben. Der Vorraum war so groß, daß die Garadrobekästen geöffnet werden konnten und ein oder zwei Arbeitnehmer davor hätten stehen können. Zu der Ansicht, daß es sich bei dem Vorraum auch um einen Umkleideraum gehandelt hat, bin ich aufgrund der Tatsachen gelangt, daß sich die Gardarobenkästen in dem Vorraum befunden haben und bereits einmal eine Anzeige wegen dieses Mangels vom Arbeitsinspektorat erstattet wurde. Ich kann nicht mehr sagen, ob ich die anwesende Arbeitnehmerin gefragt habe, ob dieser Vorraum auch als Umkleideraum benützt wird. Ich weiß, daß sich die Arbeitnehmerinnen für ihre dienstliche Tätigkeit umziehen müssen, weil diese vom Arbeitgeber eine Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt bekommen. Es handelt sich dabei um eine orangefarbene Schürze. Ob die Arbeitnehmerinnen vom Arbeitgeber auch ein blaues T-Shirt oder Sweatshirt zur Verfügung gestellt bekommen, kann ich nicht sagen.

In dem gegenständlichen Geschäftslokal besteht neben dem Vorraum der WC-Anlage noch eine weitere Möglichkeit für das Umziehen, die nicht von der Straßenseite aus eingesehen werden kann. Diese Möglichkeit ist in der Ecke vor dem Eingang zum WC-Vorraum gegeben. Ein eigener Umkleideraum, der Sitzgelegenheiten etc hat, ist in der gegenständlichen Filiale nicht eingerichtet. Ich kann nicht mehr sagen, ob sich in dem Vorraum auch eine Waschgelegenheit befindet. Die Anforderungen des §84 Abs5 sind meiner Meinung nach in diesem ******handelsdetailgeschäft nicht gegeben."

 

Die Angaben des Zeugen G wurden in eine Planskizze festgehalten. Der Rechtsvertreter des Beschuldigten zog den Antrag auf Abhaltung eines Ortsaugenscheines zurück.

 

Festgestellt wurde, daß der Beschuldigte mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft xx vom 7. Februar 1991 wegen des gleichen Mangels (festgestellt am 29. November 1990) in der gegenständlichen Filiale mit einer Geldstrafe von S 3.000,-- bestraft wurde. Die Berufungsentscheidung des Landeshauptmannes von NÖ, mit der das Straferkenntnis vom 7. Februar 1991 bestätigt wurde, wurde vom Beschuldigten mit einer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft.

 

In den Schlußworten beantragten der Vertreter des Arbeitsinspektorates die Abweisung der Berufung und der Rechtsvertreter des Beschuldigten die Aufhebung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens.

 

Sodann wurde die Verhandlung zur Verkündung der Berufungsentscheidung auf den 11. Mai 1993 vertagt.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Für das anhängige Verwaltungsstrafverfahren ist von entscheidender Bedeutung, ob der von der Sitzzelle der Abortanlage nur durch eine Tür getrennte Raum ausschließlich als Vorraum gemäß §85 Abs3 AAV oder zusätzlich auch als Umkleideraum gemäß §86 AAV zu qualifizieren ist.

 

Die Berufungsbehörde hat davon auszugehen, daß in der gegenständliche Filiale in S*******, W***** N*********straße 91 ein Umkleideraum nach §86 Abs4 zweiter Satz AAV nicht verpflichtend vorzusehen war, da in dieser Filiale im Tatzeitpunkt maximal drei Arbeitnehmerinnen beschäftigt wurden und auch keinerlei Anhaltspunkte dafür hervorgekommen sind, daß in diesem ******handelsdetailgeschäft die Voraussetzungen des §84 Abs5 AAV vorliegen.

 

Gemäß §86 Abs3 erster Satz AAV müssen Garderobekästen nach Möglichkeit in besonderen Umkleideräumen aufgestellt sein. Diese Bestimmung kann nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ nur dahingehend verstanden werden, daß in jenen Fällen, in denen entweder aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung nach §86 Abs4 zweiter Satz AAV oder auf freiwilliger Basis eigene und als solche tatsächlich gewidmete Umkleideräume eingerichtet werden, die Garderobekästen grundsätzlich nur in diesen Umkleideräumen aufzustellen sind. Keinesfalls kann aber aus §86 Abs3 erster Satz AAV der zwingende Schluß gezogen werden, daß jeder Raum, in dem Garderobekästen aufgestellt sind, als Umkleideraum gemäß §86 AAV schlechthin einzustufen ist. Auch ein generelles Verbot für das Aufstellen von Garderobekästen in Vorräumen von Abortanlagen kann aus der AAV nicht abgeleitet werden.

 

Daß in der gegenständlichen Filiale in S******* ein als solcher gewidmeter Umkleideraum vorhanden war oder die beschäftigten Arbeitnehmerinnen den Vorraum vor der Sitzzelle der Abortanlage allenfalls zum Umziehen benützt haben, ist nicht erwiesen. Der Ansicht der ersten Instanz, das Vorhandensein von Gardarobekästen bedinge zwangsläufig, daß sich die Arbeitnehmer auch vor diesen umziehen müßten, kann von der Berufungsbehörde mangels Schlüssigkeit dieser Behauptung nicht gefolgt werden. Wie auch das Berufungsverfahren gezeigt hat, besteht in der gegenständlichen Filiale in S******* darüberhinaus durchaus die Möglichkeit, daß sich die Arbeitnehmerinnen in der nicht von der Straße aus einsehbaren Ecke vor dem Eingang zum Vorraum umziehen und erst danach ihre Kleidung in den Gardarobekästen unterbringen. Der Vorraum zur Sitzzelle der Abortanlage weist auch keinerlei Merkmale auf, die den Schluß zulassen, daß es sich hier um einen als Umkleideraum gewidmeten Raum gehandelt hat. So fehlen in diesem Raum die Erfordernisse des §86 Abs8 und 9 AAV, zumal im Vorraum lediglich für zwei Personn Platz zum Umkleiden besteht und Sitzgelegenheiten überhaupt fehlen.

 

Da die Berufungsbehörde somit nicht zu der Ansicht gelangen konnte, daß es sich bei dem in Rede stehenden Vorraum um einen Umkleideraum im Sinne des §86 AAV handelt, stellt die dem Beschuldigten von der ersten Instanz zur Last gelegten Tat keine Übertretung des §85 Abs3 AAV dar. Das Verwaltungsstrafverfahren war daher gemäß §45 Abs1 Z1 zweiter Fall VStG einzustellen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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