TE UVS Niederösterreich 1993/05/26 Senat-KO-92-408

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Veröffentlicht am 26.05.1993
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Spruch

I.

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 -  AVG, BGBl Nr 51, hinsichtlich des Deliktes 1 des angefochtenen Straferkenntnisses Folge gegeben, der angefochtene Bescheid in diesem Umfang behoben und diesbezüglich die Einstellung des Strafverfahrens gemäß §45 Abs1 Z1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991  - VStG, BGBl Nr 52, verfügt.

 

II.

Hinsichtlich des Deliktes 2 des angefochtenen Straferkenntnisses wird der Berufung gemäß §66 Abs4 AVG dahingehend Folge gegeben, daß die verhängte Geldstrafe von S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden) auf S 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden) herabgesetzt wird. Weiters wird der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend berichtigt, daß die Tatbeschreibung wie folgt zu lauten hat:

 

"Sie haben es unterlassen, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl das Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist und mit den Geschädigten ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift nicht erfolgt ist."

 

III.

Die Berufungswerberin hat dem Land NÖ gemäß §64 VStG S 120,-- als Beitrag zu den Kosten des Verfahrens I. Instanz binnen 2 Wochen zu zahlen.

 

Innerhalb gleicher Frist ist der Strafbetrag zu bezahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Die Bezirkshauptmannschaft xx hat gegen die Berufungswerberin das Straferkenntnis vom 1. Juni 1992, Zl 3-****-91, erlassen. Darin wurde ihr zur Last gelegt, daß sie am 2. Dezember 1990 um ca 15,10 Uhr im Gemeindegebiet von H, *********gebiet, B******straße vor dem Haus Nr 16

1. als Fußgängerin die Fahrbahn der Bundesstraße * vor dem Haus B******straße 16, wo ein Schutzweg nicht vorhanden ist, betreten hat, um sie in Richtung H******-B*****markt zu überqueren, ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß sie dadurch andere Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert, wodurch die Autolenkerin A S zum unvermittelten Bremsen genötigt und ein Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht wurde, und

2. daß sie es nach dem von ihr verursachten Verkehrsunfall mit Sachschaden unterlassen hat, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Unfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen oder sich mit den Geschädigten einander Name und Anschrift nachzuweisen.

 

Aus diesem Grund hat die Behörde I. Instanz folgende Verwaltungsstrafen verhängt:

 

Zu 1. gemäß §76 Abs4 litb iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 S 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden) und

zu 2. gemäß §4 Abs5 iVm §99 Abs3 litb StVO 1960 S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden).

 

Vertreten durch die Herren Dr K B, Dr K H, Dr H A und Dr H K, Rechtsanwälte in **** W, hat die Beschuldigte gegen diesen Bescheid fristgerecht berufen.

 

Sie macht geltend, bei der von Frau S angegebenen Geschwindigkeit ihres Fahrzeuges von 40-50 km/h sei es undenkbar, daß die Beschuldigte, wie von der Zeugin weiters angegeben, ca 3 m vor ihrem Fahrzeug die Straße überquert habe, da sie in diesem Fall sicher vom Fahrzeug der Frau S erfaßt worden wäre. Sie selbst habe hingegen glaubwürdig ausgesagt, daß sie auf eine Auflockerung der Kolonne gewartet und in diesem Zeitpunkt die Fahrbahn überquert habe. Weiters sei es technisch nicht nachvollziehbar, wie es bei einer Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeuglenkers von nur 15 km/h überhaupt zu einem Auffahrunfall mit dem PKW der Frau S habe kommen können. Die von Frau S angegebene Geschwindigkeit von knapp 50 km/h im Ortsgebiet sei außerdem bei einer mit Schneematsch bedeckten und offensichtlich rutschigen Fahrbahn nicht an die äußeren Bedingungen angepaßt. Außerdem sei die Beschuldigte erst nach ihrer Rückkehr vom H******-B*****markt von den beiden unfallbeteiligten Lenkern beschimpft worden; wäre das Verhalten der Beschuldigten tatsächlich unfallkausal gewesen, hätte sie hingegen wohl gar nicht Gelegenheit gehabt, ihren Weg bis zum Blumengeschäft fortzusetzen. Schließlich sei die Begründung des Straferkenntnisses widersprüchlich, da lediglich von den Aussagen der Zeugin A S ausgegangen worden sei, welche jedoch nicht geeignet seien, die übereinstimmenden Aussagen der Beschuldigten und des Zeugen M A zu entkräften, die keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Straßenüberquerung der Beschuldigten und dem gegenständlichen Verkehrsunfall gesehen haben. Außerdem sei den Angaben der Zeugin S zufolge diese primär damit beschäftigt gewesen, ihr Fahrzeug trotz Schleuderns zum Stillstand zu bringen; es sei daher offensichtlich, daß Frau S ihr Fahrzeug nicht unter Kontrolle gehabt habe und es daher zum Verkehrsunfall gekommen sei. Weiters liege ein Verfahrensmangel darin, daß der zweite unfallbeteiligte Lenker nicht einvernommen worden sei; auch sei nicht überprüft worden, ob das von Frau S gelenkte Fahrzeug im Unfallszeitpunkt mit Sommer- oder Winterreifen ausgestattet gewesen sei.

Die vorliegenden Beweisergebnisse seien jedenfalls nicht ausreichend, um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Unfallverlauf in nachvollziehbarer Weise darzustellen. Unter Berücksichtigung der unbedenklichen Beweisergebnisse lasse sich überhaupt kein kausaler Zusammenhang zwischen der Straßenüberquerung der Beschuldigten und dem gegenständlichen Verkehrsunfall erkennen. Da diese die Straße nicht in solcher Weise überquert habe, daß eine Behinderung oder Gefährdung von anderen Verkehrsteilnehmern zu erwarten gewesen sei und sie am gegenständlichen Verkehrsunfall auch keine Schuld trage, sei der Bescheid auch im Punkt 2 unrichtig; die Beschuldigte sei nicht verpflichtet gewesen, nach dem gegenständlichen Verkehrsunfall eine Unfallanzeige vorzunehmen. Da sie den Vorfall auch nicht direkt beobachten habe können, sei sie auch nicht in der Lage gewesen, sich als Zeugin zur Verfügung zu stellen.

 

Sie beantrage daher, die Berufungsbehörde möge eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und bei dieser - allenfalls unter Hinzuziehung eines KFZ-technischen Sachverständigen - das Beweisverfahren durchführen und nach Durchführung des Beweisverfahrens das erstinstanzliche Straferkenntnis ersatzlos aufheben.

 

Im Hinblick auf diese Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ am 28. April 1993 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

 

Der Vertreter der Berufungswerberin hat angegeben, daß sich diese derzeit auf einem Studienaufenthalt in Paris befindet und kein Einkommen bezieht, sondern lediglich von ihrem Vater ein Taschengeld erhält; er hat weiters auf die im Akt befindliche Niederschrift über die Einnahme der Berufungswerberin vom 30. Jänner 1991 verwiesen.

Die Berufungswerberin hat damals folgendes ausgesagt:

 

"Ich war damals als Beifahrerin in dem PKW W ****8 Richtung stadtauswärts unterwegs. Der PKW wurde vom Lenker angehalten, da ich in den auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen H******-B*****markt gehen wollte. Es herrschte aufgelockerter Kolonnenverkehr. Ich stand am Fahrbahnrand und überquerte die Fahrbahn bis zur Mitte. Dort blieb ich als Fußgängerin stehen, um eine Lücke im stadteinwärts fahrenden Verkehr abzuwarten. Als diese Lücke sich für mich öffnete, überquerte ich schnellen Schrittes den restlichen Fahrbahnteil. Das nächste herannahende KFZ war meiner Meinung nach zu diesem Zeitpunkt noch ca 30 m entfernt. Das KFZ fuhr weder besonders schnell noch extrem langsam. Die Geschwindigkeit schätzte ich mit ca 50 km/h ein. Ich habe von dem Bremsmanöver des herannahenden KFZ nichts bemerkt; erst als ich bereits bei der Eingangstüre des Blumenmarktes war, habe ich ein Anstoßgeräusch eines Verkehrsunfalls gehört. Diesen Anstoß habe ich aber mit meinem Verhalten als Fußgänger überhaupt nicht in Verbindung gebracht, da ich zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes die Fahrbahn bereits verlassen hatte.

Da das Blumengeschäft geschlossen hatte, bin ich gleich wieder zu dem auf mich wartenden KFZ zurückgegangen und wurde von den beiden unfallbeteiligten Fahrzeuglenkern beschimpft. Ich habe darauf lediglich geantwortet, daß es mir leid tut, daß der Verkehrsunfall passiert ist, äußerte aber gleichzeitig meine Ansicht, daß ich an dem Verkehrsunfall sicher nicht schuld sei. Ich bin selber Autolenkerin und bin der Meinung, daß das erste der beiden Verkehrsunfalls-Fahrzeuge nicht einmal ein Bremsmanöver hätte einleiten müssen, da ich zum Zeitpunkt des Überquerens der Fahrbahn so weit entfernt war, daß ich überhaupt nicht in Gefahr war, niedergestoßen zu werden."

 

Weiters wurden die Auskunft des Zentralmeldeamts vom 8. April 1993 betreffend dem Zeugen I J sowie dessen in der Anzeige vom 2. Dezember 1990 wiedergegebene Aussage verlesen.

Der Auskunft des Zentralmeldeamts zufolge hat sich der Zeuge am 2. Oktober 1991 von seiner Wohnung in ***0 W*** abgemeldet; seine derzeitige Adresse ist nicht bekannt. Den Ausführungen in der Anzeige vom 2. Dezember 1990 zufolge hat der Zeuge damals sinngemäß folgendes angegeben:

 

"Ich lenkte angegurtet und mit einer Geschwindigkeit von ca 15 km/h den PKW meines Bruders, Kennzeichen **-**-**(Ju), auf der B******straße Richtung W und war alleine im Fahrzeug. Ich sah, wie die Frau die Fahrbahn überquerte und die Lenkerin vor mir deretwegen bremste. Ich bremste ebenfalls, rutschte aber und fuhr auf den PKW W ***.**5 auf. Ich wurde nicht verletzt."

 

Als Zeugen wurden Frau A S, Frau I S und Herr M A einvernommen.

 

Die Zeugin A S hat angegeben, sie sei am 2. Dezember 1990 von W******dorf auf der B******straße in Richtung W gefahren; ihre Schwester I S sei hinter der Zeugin gesessen. Sie sei mit einer Geschwindigkeit von ca 40-50 km/h gefahren; es habe stark geschneit und die Straße sei glatt gewesen. Auf der Fahrbahnseite der Zeugin sei eine Kolonne gefahren, wobei sich zum nächsten Auto vor der Zeugin ein größerer Abstand befunden habe und hinter ihr eine ziemlich dicht geschlossene Kolonne gewesen sei. Auf der Höhe des H******-B*****marktes habe die Zeugin bemerkt, daß auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite ein Auto stehengeblieben sei, aus dem die Beschuldigte ausgestiegen sei und dann ziemlich knapp vor dem Auto der Zeugin (ca 3 m) über die Fahrbahn gelaufen sei. Die Zeugin habe sofort gebremst, das hinter ihr fahrende Fahrzeug sei dann hinten aufgefahren. Ihr Fahrzeug sei dann zum Stillstand gekommen. Ob sie mit Sommer- oder Winterreifen unterwegs gewesen sei, könne sie heute nicht mehr angeben. Da die Zeugin gehbehindert sei, sei sie nicht selbst ausgestiegen, sondern ihre Schwester sei ausgestiegen und zu der (mittlerweile wieder in das Auto eingestiegenen) Beschuldigten hingegangen und habe sie gebeten, hierzubleiben, bis die Gendarmerie komme. Die Beschuldigte sei dann aber mit dem anderen Auto weggefahren. Eine Frau, die mit ihrem PKW ebenfalls am Unfallsort stehengeblieben sei, habe dann die Nummer des Kennzeichens des PKW notiert, mit dem die Beschuldigte weggefahren sei.

 

Die Zeugin I S hat angegeben, sie sei am 2. Dezember 1990 mit ihrer Schwester in deren mit Winterreifen ausgerüstetem Auto auf der B******straße in Richtung W mitgefahren. Es habe stark geschneit und die Fahrbahn sei ziemlich glatt gewesen. Ihre Schwester sei mit einer Geschwindigkeit von ca 40-50 km/h in einer Kolonne gefahren; zum nächsten vor dem PKW befindlichen Fahrzeug in der Kolonne sei ein größerer Abstand gewesen. Sie habe die Beschuldigte erst bemerkt, als diese ziemlich schnell gehend vor dem PKW die Fahrbahn überquert habe. Wie groß die Entfernung der Beschuldigten zum PKW gewesen sei, könne sie nicht angeben. Die Beschuldigte sei nach dem Überqueren der Fahrbahn stehengeblieben, habe sich umgesehen und sei dann wieder zu dem Auto zurückgegangen, aus dem sie vorher ausgestiegen sei. Ob die Beschuldigte nach der Überquerung der Fahrbahn zunächst zum H******-B*****markt gegangen und von dort wieder zurückgekehrt sei, könne die Zeugin nicht angeben. Sie sei dann ausgestiegen, zur Beschuldigten hingegangen und habe diese aufgefordert, dazubleiben und auf die Gendarmerie zu warten. Die Beschuldigte habe jedoch zum Fahrer des PKW gesagt, er solle weiterfahren, was dieser dann auch getan habe. Die Zeugin habe sich das Kennzeichen gerade noch merken können; in der Zwischenzeit sei es auch von einer anderen Dame bereits aufgeschrieben worden.

 

Der Zeuge M A hat angegeben, er sei mit der Beschuldigten als Beifahrerin mit seinem PKW am 2. Dezember 1990 auf der B******straße von W in Richtung W******dorf gefahren und gegenüber dem H******-B*****markt stehengeblieben. Die Beschuldigte sei ausgestiegen, weil sie Blumen kaufen wollte. Sie sei vorn am PKW des Zeugen vorbeigegangen und dann am Rand der Fahrbahn stehengeblieben; auf beiden Fahrstreifen habe starker Verkehr geherrscht. Als die Beschuldigte mit der Überquerung der Fahrbahn begonnen habe, sei das nächste Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn noch etwa 50 m entfernt gewesen. Die Überquerung der Fahrbahn durch die Beschuldigte und den Unfall selbst habe der Zeuge nicht wahrgenommen; er sei erst darauf aufmerksam geworden, als eine Frau zum Fahrzeug gekommen sei und gesagt habe, daß wir auf die Gendarmerie warten sollten, da die Berufungswerberin einen Unfall verschuldet habe. Letztere sei zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in seinen PKW eingestiegen gewesen. Nachdem er auf den Unfall aufmerksam gemacht worden sei, habe er gesehen, daß etwa 10 m schräg hinter seinem Fahrzeug zwei Fahrzeuge ca in der Mitte der Spur der gegenüberliegenden Fahrbahn stünden. Er habe jedoch von dem Unfall vorher nichts bemerkt und auch keine Geräusche gehört.

 

Der Vertreter der Beschuldigten hat angegeben, daß keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, und in seinem Schlußwort nach Hinweis auf das bisherige Berufungsvorbringen ausgeführt, daß die Angaben der Zeugin A S, insbesondere was die Entfernung der Beschuldigten zum Fahrzeug betreffe, technisch nicht nachvollziehbar seien. Hinsichtlich des zweiten Delikts hat er darauf hingewiesen, daß die Ursächlichkeit des Verhaltens der Beschuldigten für den Unfall nicht nachgewiesen werden könne, sodaß auch keine Verpflichtung nach §4 Abs5 StVO bestanden habe. Er beantrage die Einstellung des Verfahrens.

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Zum Delikt 1:

 

Gemäß §76 Abs4 litb StVO 1960 dürfen Fußgänger an Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird und kein Schutzweg vorhanden ist, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert haben, daß sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden.

 

Im vorliegenden Fall sind die Angaben der Zeugin A S, die Beschuldigte habe ca 3 m vor ihrem PKW die Fahrbahn überquert, technisch nicht nachvollziehbar, da bei einer derart geringen Entfernung die Beschuldigte zweifellos vom Auto der Zeugin erfaßt worden wäre. Wesentlich glaubwürdiger sind die Angaben der Beschuldigten selbst, zunächst die Fahrbahn bis zur Mitte überquert und auf eine Lücke in der stadteinwärts fahrenden Kolonne gewartet zu haben und erst nach dem Öffnen einer Lücke den zweiten Fahrbahnteil überquert zu haben, wobei in diesem Zeitpunkt das nächste Fahrzeug noch rund 30 m entfernt gewesen sei. Diese Aussage hinsichtlich der angegebenen Entfernung wird durch die Angaben des Zeugen M A im wesentlichen bestätigt, da dieser ausgesagt hat, am Beginn der Überquerung der Fahrbahn durch die Beschuldigte sei das nächste Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn rund 50 m entfernt gewesen.

 

Was die Geschwindigkeit der Zeugin betrifft, so ist im Hinblick auf die diesbezüglich übereinstimmenden Angaben der Beschuldigten und der Zeuginnen A S und I S von einer Geschwindigkeit von 40-50 km/h auszugehen.

 

Wenn nun die Beschuldigte ca 30 m vor einem mit 40-50 km/h fahrenden PKW die Fahrbahn überquert hat, so kann von einer Gefährdung anderer Straßenbenützer durch dieses Verhalten nicht gesprochen werden; eine allenfalls erforderliche geringfügige Verringerung der Geschwindigkeit des herannahenden Fahrzeuges ist dessen Lenker zuzumuten. Selbst wenn man annimmt, daß die Entfernung etwas weniger als 30 m betragen hat, so kann jedenfalls nicht mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit von einer Gefährdung anderer Straßenbenützer durch das Verhalten der Berufungswerberin bzw von einem Verschulden der Berufungswerberin am Auffahrunfall ausgegangen werden (diesbezüglich ist insbesondere auch zu berücksichtigen, daß in der Gendarmerie-Unfallsanzeige vom 2. Dezember 1990 ausgeführt wird, der Lenker des hinter der Zeugin A S fahrenden PKWs, Herr I J, sei vermutlich infolge zu geringen Abstandes auf den PKW von Frau S aufgefahren).

 

Hinsichtlich des Delikts 1 war daher das erstinstanzliche Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren einzustellen.

 

Zum Delikt 2:

 

Gemäß §4 Abs5 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall (bei dem nur Sachschaden eingetreten ist) in ursächlichem Zusammenhang steht, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen; eine solche Verständigung darf lediglich unterbleiben, wenn die genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

 

Im vorliegenden Fall hat sich die Beschuldigte unbestrittenermaßen nach dem Verkehrsunfall vom Unfallsort entfernt, ohne die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall zu verständigen oder mit den Geschädigten einen gegenseitigen Nachweis von Name und Anschrift durchzuführen. Sie bringt hiezu jedoch vor, da sie am Verkehrsunfall kein Verschulden treffe, diesen zunächst gar nicht bemerkt habe und zwischen ihrer Straßenüberquerung und dem Verkehrsunfall kein kausaler Zusammenhang bestehe, habe für sie auch keine Verpflichtung nach §4 Abs5 StVO 1960 bestanden.

 

Nun kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Verwaltungsübertretung nach §4 Abs5 StVO 1960 auch von einer Person begangen werden, die am Zustandekommen eines Verkehrsunfalls selbst kein Verschulden trifft (VwGH 30.1.1978, 1997/76 ua). Voraussetzung hiefür ist allerdings, daß sich diese Person des in ursächlichem Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall stehenden Verhaltens bewußt ist oder den Umständen nach bewußt sein mußte; als "ursächlich" wird nach der vom Verwaltungsgerichtshof verwendeten Äquivalenztheorie jede Handlung betrachtet, die auch nur das geringste dazu beigetragen hat, daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt eingetreten ist.

 

Die Frage des Verschuldens der Berufungswerberin an dem in Rede stehenden Verkehrsunfall hat die Berufungsbehörde im Zweifel verneint, wie den obigen Ausführungen zum Delikt 1 zu entnehmen ist; was hingegen die Frage des ursächlichen Zusammenhanges des Verhaltens der Berufungswerberin mit dem Verkehrsunfall betrifft, so ergibt sich aus den mündlichen Aussagen der Zeuginnen A S und I S und aus den im Akt befindlichen schriftlich festgehaltenen Angaben des Zeugen I J, daß die Zeugin A S wegen der Fahrbahnüberquerung durch die Beschuldigte gebremst hat und es infolge dieses Bremsmanövers zu einem Auffahrunfall gekommen ist.

 

Daß die Beschuldigte die Straße vorschriftsmäßig überquert hat, ist für das gegenständliche Delikt ohne Belang, da der ursächliche Zusammenhang jedenfalls gegeben ist. Wenn die Beschuldigte den Verkehrsunfall auch zunächst nicht bemerkt hat, so mußte ihr dieser Unfall sowie die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen ihrem Verhalten und dem Verkehrsunfall spätestens dann bewußt werden, als sie von der Zeugin I S auf diesen Unfall aufmerksam gemacht und zum Warten auf die Gendarmerie mit der Begründung aufgefordert wurde, daß die Beschuldigte den Unfall verursacht habe; diese Äußerung der Zeugin I S wird auch durch den Zeugen M A bestätigt.

 

Nach Auffassung der Berufungsbehörde hat die Beschuldigte daher die ihr unter Punkt 2 zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen.

 

Hinsichtlich der Strafhöhe wurde erwogen:

 

Der Schutzzweck der verletzten Gesetzesbestimmung des §4 Abs5 StVO 1960 wurde durch das Verhalten der Beschuldigten beeinträchtigt. Diese Bestimmung soll nämlich die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche nach einem Verkehrsunfall dahingehend erleichtern, daß die unfallbeteiligten Personen ohne unnötigen Aufwand klarstellen können, mit wem man sich hinsichtlich der Schadensregelung in der Folge auseinanderzusetzen haben wird (VwGH 16.3.1978, ZfVB 1978/4/1522). Das Ausmaß des Verschuldens kann im Hinblick auf die vorsätzliche Tatbegehung nicht als geringfügig gewertet werden.

 

Mildernd ist die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Berufungswerberin; erschwerende Umstände liegen nicht vor.

 

Den Angaben des Vertreters der Berufungswerberin zufolge bezieht diese derzeit kein Einkommen, sondern erhält lediglich von ihrem Vater ein Taschengeld.

 

Bei der Strafbemessung ist auch davon auszugehen, daß nicht nur der Beschuldigte selbst, sondern auch die Allgemeinheit von der Begehung weiterer gleichartiger Verwaltungsübertretungen abgehalten werden soll, sodaß eine generalpräventive Wirkung entsteht.

 

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß mit der nunmehr verhängten Geldstrafe von S 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden) das Auslangen gefunden werden kann. Es wird darauf hingewiesen, daß diese Strafe erheblich unter der Obergrenze des gesetzlichen Strafrahmens von S 10.000,-- liegt; dies gilt auch für die Ersatzfreiheitsstrafe (hier reicht der gesetzliche Strafrahmen bis zu zwei Wochen).

 

Die Berichtigung des Spruches war aus sprachlichen Gründen zur Klarstellung erforderlich.

 

Aufgrund der Herabsetzung der Strafe durch die Berufungsbehörde waren gemäß §64 VStG auch die Kosten des Verfahrens der Behörde I. Instanz im Ausmaß von 10 % der verhängten Strafe und somit auf S 120,-- herabzusetzen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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