TE UVS Niederösterreich 1993/06/03 Senat-WU-92-030

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Veröffentlicht am 03.06.1993
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 AVG, BGBl Nr 51/1991, keine Folge gegeben und der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides mit der Maßgabe bestätigt, daß

1.

die Wortfolge "Sie haben zu verantworten" durch die Wortfolge "Sie haben es als Arbeitgeber zu verantworten" ersetzt wird,

2.

die Wortfolge "Neigung ca 25 bis 30 Grad" durch die Wortfolge "Neigung 24 Grad" ersetzt wird und

3.

das Zitat der Strafnorm "§31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz" durch das Zitat

"§31 Abs2 litp iVm §33 Abs1 lita Z12 und §33 Abs7 Arbeitnehmerschutzgesetz" ersetzt wird.

 

Der Berufungswerber hat gemäß §64 Abs1 und 2 VStG, BGBl Nr 52/1991, als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens S 1.000,-- binnen 2 Wochen zu zahlen.

 

Innerhalb gleicher Frist sind der Strafbetrag und die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu bezahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Im Schuldspruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft xx wird dem Beschuldigten H S vorgeworfen, er habe zu verantworten, daß anläßlich der am 23. April 1991 durchgeführten Überprüfung der Baustelle in **** W, G********gasse Nr 3, auf welcher das Unternehmen H S, Bauspenglerei, Dachdeckungen, mit dem Sitz in S, K*** P****-Gasse 2 a tätig gewesen sei die Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung verletzt wurden. Auf der Baustelle seien vier Arbeitnehmer mit der Neueindeckung des Daches, das eine Neigung von ca 25 bis 30 Grad und eine Traufenhöhe von ca 15 m (fünfgeschoßiges Wohnhaus) aufgewiesen habe, beschäftigt gewesen, ohne daß dabei Schutzblenden vorhanden gewesen seien. Wegen Übertretung des §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung wurde über den Beschuldigten gemäß §31 Abs2 litp (richtig §31 Abs2 litp iVm §33 Abs1 lita Z12 und §33 Abs7) des Arbeitnehmerschutzgesetzes eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage) verhängt.

 

In der fristgerecht erhobenen Berufung bekämpft der Beschuldigte das erstinstanzliche Straferkenntnis wegen unrichtiger Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes und Rechtswidrigkeit des Inhaltes zur Gänze und beantragt die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

 

Begründend wird ausgeführt, daß sämtliche Bediensteten des Beschuldigten die Anweisung hätten, sich bei Arbeiten auf Dächern anzuseilen und zur Verhinderung herabfallender Gegenstände Blenden anzubringen, sofern die Dachneigung nicht völlig unerheblich sei. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen habe der Beschuldigte davon ausgehen können, daß diese Anweisungen lückenlos befolgt würden, zumal mit ihrer Überwachung auf der gegenständlichen Baustelle der versierte Vorarbeiter A R, der seit 1976 beim Beschuldigten arbeite, beauftragt gewesen sei. Dem abwesenden Beschuldigten könne unter diesen Umständen eine Verwaltungsübertretung nicht angelastet werden. Das Fehlen von Schutzblenden auf der gegenständlichen Baustelle sei für den Beschuldigten aus seiner langjährigen Erfahrung nur dadurch erklärbar, daß zum Zeitpunkt der Überprüfung die Dachrinnen auszutauschen gewesen seien, an denen die Schutzblenden anzubringen seien. Nur so sei es vorstellbar, daß kurzzeitig keine Blenden vorhanden gewesen seien. Die begründe jedoch keine Strafbarkeit nach §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzordnung, weil der Austausch von Dachrinnen einschließlich der notwendigen Vorarbeiten keine umfangreichen Arbeiten darstelle.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat am 23. April 1993 und 24. Mai 1993 eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß §51e VStG durchgeführt.

 

Bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23. April 1993 erklärte der Rechtsvertreter des Beschuldigten, daß der Zeuge R für die verfahrensgegenständliche Baustelle als Anordnungsbefugter Vorarbeiter bestellt gewesen sei. Es sei auch die Aufgabe dieses Zeugen gewesen, nicht nur für die technische Durchführung der Arbeiten die entsprechende Vorsorge zu treffen, sondern auch die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auf der Baustelle zu überwachen. Der Zeuge R habe hinsichtlich der Belange des Arbeitnehmerschutzes selbständig entscheiden können und er sei vom Beschuldigten mit der entsprechenden Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis ausgestattet gewesen. Hinsichtlich eines vom Beschuldigten geschaffenen Kontrollsystems auf der Baustelle sei ihm nichts näheres bekannt.

 

Der Zeuge Dipl Ing B, der für das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten die Kontrolle der Baustelle in **** W, G********gasse Nr 3, durchgeführt hatte, gab an, daß er am 23. April 1991 bei seinem Eintreffen auf der Baustelle festgestellt habe, daß von vier Arbeitnehmern der Firma S die Neueindeckung des Daches durchgeführt wurde. Er könne nicht mehr genau sagen, ob es sich bei dem verwendeten Deckungsmaterial um Betondachsteine oder Dachziegel gehandelt habe. Die Dachneigung habe etwa 25 bis 30 Grad und die Traufenhöhe etwa 15 m betragen. Auf dem gegenständlichen Dach seien bereits die neuen Dachsaumrinnen befestigt gewesen und er könne ausschließen, daß die Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kontrolle im Traufenbereich an den Dachrinnen gearbeitet hätten. Die Arbeitnehmer hätten vielmehr mitten auf dem Dach Dachdeckungsarbeiten mit Ziegeln vorgenommen (ein entsprechendes Foto befindet sich im Akt). Als Mangel habe er festgestellt, daß die gemäß §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung erforderliche Schutzblende gefehlt habe, durch die das Herabfallen von Menschen oder Material hätte verhindert werden können. Als Partieführer habe sich ihm gegenüber der Herr R zu erkennen gegeben, mit dem er dann alles Weitere besprochen habe. Er habe Herrn R erklärt, daß für die gegenständlichen Dachdeckungsarbeiten eine Blende vorhanden sein müsse und wie diese Dachblende auszuführen sei. Eine ausdrückliche Einstellung der Bauarbeiten sei von ihm nicht verfügt worden. Er habe die gegenständliche Baustelle entweder am gleichen Tag oder am nächsten Tag noch einmal aus der Ferne besichtigt und hiebei feststellen können, daß bei dieser neuerlichen Kontrolle die entsprechenden Blenden angebracht gewesen seien. Er habe den Eindruck gehabt, daß Herr R mit der entsprechenden Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis betreffend den Arbeitnehmerschutz ausgestattet gewesen sei. Herr R habe sich jedoch nicht ausreichend informiert über die Notwendigkeit und das Erfordernis von Blenden gezeigt. Er habe ihm gegenüber unter anderem die Ansicht vertreten, daß das gegenständliche Dach nicht so steil sei, daß eine Blende verwendet werden müsse. Er habe die gegenständliche Baustelle bereits einmal vorher, nämlich am 9. April 1991 besichtigt (Foto befindet sich im Akt) und damals festgestellt, daß zwei Arbeitnehmer der Firma S damit beschäftigt gewesen seien, die Saumrinnen zu montieren. Damals habe er feststellen müssen, daß die Arbeitnehmer entgegen den Vorschriften der Bauarbeiterschutzverordnung nicht angeseilt gewesen sein. Die Saumrinnen seien im Zeitpunkt dieser Kontrolle nahezu fertiggestellt gewesen, es sei lediglich das letzte Stück noch zu montieren gewesen. Er habe damals keine Anzeige erstattet, es sei jedoch ein entsprechender Inspektionsbefund an die Firma S ergangen.

 

 

Der Zeuge R gab an, daß er am 23. April 1991 als Partieführer der drei übrigen Arbeitnehmer der Firma S auf der gegenständlichen Baustelle beschäftigt gewesen sei. Der Auftrag habe gelautet, die Dachrinnen und die Neueindeckung des Daches mit Eternitplatten 30 x 40 cm durchzuführen. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, wer seitens des Arbeitsinspektorates damals die Kontrolle durchgeführt habe. Bei der Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat sei in der Mitte des Daches an der Herstellung der Dachdeckung gearbeitet worden, nicht aber an den Dachrinnen, die damals schon fertiggestellt waren. Seitens des Arbeitsinspektorates wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die Schutzblenden gefehlt hätten. Das Herstellen der Schutzblenden sei deshalb unterblieben, weil er der Meinung gewesen sei, daß die Dachrinne selbst ungefähr 20 cm hoch sei und ein Abstürzen von Eternit-Deckungsmaterial nicht stattfinden könne. Was das Abstürzen von Menschen beträfe, so sei ihm dies aufgrund der geringen Dachneigung nicht möglich erschienen. Nach seinem Wissensstand müsse eine Dachblende ab einer Dachneigung von ca 25 bis 30 Grad angebracht werden.

 

Auf die Frage des Verhandlungsleiters, ob für das Anbringen der Blende nur die Dachneigung maßgebend sei, erklärte der Zeuge, daß er diesbezüglich im Moment überfragt sei. Herr S habe die gegenständliche Baustelle etwa einmal in der Woche kontrolliert. Ob Herr S darauf hingewiesen habe, daß die Dachblende fehle, könne er nicht mehr sagen. Beim Eintritt in die Firma S habe er ein Merkblatt über die Arbeitnehmerschutzvorschriften und deren Einhaltung erhalten, welches er auch unterschrieben habe. Die Kontrollen des Herrn S hätten darin bestanden, daß er die Arbeitnehmer fallweise über die Arbeitnehmerschutzvorschriften belehrt und stichprobenartig die von der Firma betreuten Baustellen kontrolliert habe. Wenn Herr S Mängel festgestellt habe, dann habe er die Behebung dieser Mängel angeordnet. Einen speziellen Auftrag auf der gegenständlichen Baustelle, daß Blenden anzubringen seien, habe er nicht bekommen. Das Anbringen von Blenden sei normal gewesen. Im Büro der Firma S seien die Arbeitnehmerschutzvorschriften aufgelegen. Er habe diese fallweise gelesen. Entsprechende ausdrückliche Schulungen über die Arbeitnehmerschutzvorschriften habe es im Bereich der Firma S nicht gegeben. Was die gegenständliche Baustelle betreffe, so habe er diese mit Herrn S einmal besichtigt und dieser habe ihm erklärt, daß er für die Baustelle der zuständige Partieführer sei. Er habe auf der Baustelle für den Arbeitnehmerschutz die entsprechende Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis gehabt. Wenn er angeordnet hätte, daß Blenden anzubringen seien, hätte er diese selbstverständlich von der Firma zur Verfügung gestellt bekommen.

 

Bei der Verhandlung am 24. Mai 1993 erklärte der Beschuldigte, daß am 23. April 1991 an den Dachrinnen gearbeitet worden sei und deshalb keine Blenden angebracht wurden. Über Vorhalt der beiden vom Arbeitsinspektorat am 9. April 1991 und 23. April 1991 aufgenommenen Fotos, auf denen zu sehen ist, daß am 23.4.1991 nicht an den Dachrinnen, sondern in der Mitte des Daches an der Dacheindeckung gearbeitet wurde, erklärte der Beschuldigte, daß ihm von seinem Vorarbeiter Herrn R die Situation so geschildert worden sei, daß eben an den Dachrinnen gearbeitet wurde. Er sei sich nicht sicher, ob die Dachneigung im gegenständlichen Fall auch wirklich mehr als 20 Grad betragen habe. Es sollte daher die Dachneigung nochmals geprüft werden. Für die gegenständliche Baustelle in der G********gasse sei Herr R als Bevollmächtigter bestellt gewesen und habe dieser auch die entsprechende Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis in Arbeitnehmerschutzangelegenheiten besessen. Auf dieser Baustelle sei von seiner Firma fallweise gearbeitet worden, wobei sich die Gesamtarbeit über ein bis zwei Jahre hinausgezogen hätte. Vor Beginn der Dachdeckungsarbeiten habe er die gegenständliche Baustelle mit seinem Vorarbeiter Herrn R besichtigt. Bei Herrn R handle es sich um einen qualifizierten Mitarbeiter, der etwa 20 Jahre in der Firma tätig sei und der nur einschlägige Arbeiten durchführe. Es sei daher nicht notwendig, ihn im Detail über die nach den Arbeitnehmerschutzvorschriften zu treffenden Maßnahmen aufzuklären. Er habe vorausgesetzt, daß sein Vorarbeiter wisse, wann und unter welcher Voraussetzung er eine Schutzblende anzubringen habe. Er habe hinsichtlich der gegenständlichen Baustelle nicht überwacht, ob bei Beginn der Deckungsarbeiten sein Vorarbeiter Herr R eine Schutzblende ausgefaßt und mitgeführt habe. Es sei Aufgabe des Vorarbeiters, dies immer selbständig zu entscheiden. In seiner Firma würde nicht im Akkord gearbeitet, sodaß keinerlei Ersparnis dadurch eintrete, daß eine Blende allenfalls nicht angebracht werde. Die Dauer der gegenständlichen Eindeckungsarbeiten würde er auf etwa eine Woche schätzen. Ob er die Baustelle in dieser Woche, in der die Eindeckung erfolgt sei, besichtigt habe, könne er nicht mehr sagen. Er nehme aber an, daß er bei einer allfälligen Besichtigung das Anbringen der Dachblende - vorausgesetzt, die Dachneigung betrug mehr als 20 Grad - verlangt hätte. Er kontrolliere die Baustellen stichprobenartig. Wenn er Mängel feststelle, dann würden diese von ihm unverzüglich abgestellt. Auf seinen Vorarbeiter Herrn R sei Verlaß, weshalb dieser ebenfalls stichprobenartig überprüfe. Seit etwa 25 Jahren habe es in seiner Firma keine Beanstandungen durch das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten gegeben. Er sei bestrebt, Mängel in Arbeitnehmerschutzangelegenheiten in Hinkunft zu vermeiden. Er werde einen eigenen Arbeitnehmer beauftragen, die nach den Arbeitnehmerschutzvorschriften zu treffenden Maßnahmen auf den Baustellen der Firma S zu überwachen. Dieser werde mit der entsprechenden Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis ausgestattet werden. Dieser Bevollmächtigte werde die Baustellen vor Aufnahme der Arbeiten und die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften kontrollieren.

 

In seinem Schlußwort erklärte der Vertreter des Arbeitsinspektorates, daß der Strafantrag voll aufrechterhalten werde. Die Erfahrung habe gezeigt, daß das Fehlen der erforderlichen Schutzblende eine erhebliche Gefährdung der Arbeitnehmer darstelle und Unfälle erhebliche gesundheitliche Folgen für die Arbeitnehmer hätte. In seinem Schlußwort verwies der Rechtsvertreter des Beschuldigten auf seine bisherigen Ausführungen und das Berufungsvorbringen. Der Beschuldigte habe sich auf den erfahrenen Vorarbeiter im gegenständlichen Fall verlassen können. Eine dauernde persönliche Kontrolle der Baustellen sei dem Beschuldigten nicht zumutbar.

 

Sodann wurde die Verhandlung zur Entscheidungsverkündung auf den 3. Juni 1993 vertagt.

 

Im Anschluß daran wurde - wie vereinbart - bei einem Ortsaugenschein auf der Baustelle in **** W, G********gasse 3, im Beisein des Rechtsvertreters des Beschuldigten, des Verhandlungsleiters und des Vertreters des Arbeitsinspektorates die Dachneigung überprüft. Diese Überprüfung ergab, daß die Dachneigung 24 Grad beträgt.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Für den gegenständlichen Fall ist der die Schutzmaßnahmen gegen Absturz bei Dachdeckerarbeiten regelnde §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung maßgebend, welcher wie folgt lautet:

"(2) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Traufenhöhe von mehr als 5 m über dem Gelände müssen bei Neu- und Umdeckungen und bei umfangreichen Reparaturarbeiten geeignete Schutzblenden (Scheuchen) vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Sind sicher befestigte, ausreichend dimensionierte Schneerechen vorhanden, gelten an diesen sicher befestigte, der Höhe der Schneerechen entsprechende Blenden als ausreichender Schutz. Bei einer Dachneigung von mehr als 40 Grad müssen die auf dem Dach Arbeitenden außerdem stets angeseilt sein."

 

Das Berufungsverfahren hat im wesentlichen die Richtigkeit der im Schuldspruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angeführten Tatumschreibung bestätigt. Da aber die im Haus **** W, G********gasse Nr 3, im Zuge des Ortsaugenscheines am 24. Mai 1993 vorgenommene Messung eine Dachneigung von 24 Grad ergeben hat, war der Schuldspruch, der von einer Dachneigung von ca 25 bis 30 Grad ausgeht, entsprechend zu berichtigen. Für eine Anwendung des §44 Abs3 der Bauarbeiterschutzverordnung bleibt im gegenständlichen Fall kein Raum, weil es sich hier nicht um geringfügige Reparaturarbeiten sondern einwandfrei um eine Neueindeckung des gesamten Daches mit Eternit-Deckungsmaterial gehandelt hat. Die Berufungsbehörde mußte daher davon ausgehen, daß der objektive Tatbestand einer Übertretung nach §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung gegeben ist.

 

Was nun die subjektive Tatseite anlangt, so steht aufgrund des Berufungsverfahrens fest, daß im Tatzeitpunkt vom Beschuldigten für die gegenständliche Baustelle der Vorarbeiter R zum Bevollmächtigten gemäß §31 Abs2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes bzw zur Aufsichtsperson nach §3 Abs1 und 2 der Bauarbeiterschutzverordnung bestellt und dieser mit der erforderlichen Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis ausgestattet war. Ein solcher Bevollmächtigter befreit den Arbeitgeber - im Gegensatz zu einem verantwortlichen Beauftragten - jedoch nicht von seiner grundsätzlichen Verantwortlichkeit. Nach §31 Abs5 des Arbeitnehmerschutzgesetzes sind nämlich Arbeitgeber neben ihren Bevollmächtigten strafbar, wenn die Übertretung mit ihrem Wissen begangen wurde oder wenn sie bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Bevollmächtigten es an der erforderlichen Sorgfalt haben fehlen lassen. Es ist daher von Amts wegen zu ermitteln, ob der Beschuldigte als Arbeitgeber etwa bei der Beaufsichtigung des Bevollmächtigten es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen, wobei dem Arbeitgeber dabei die Verpflichtung obliegt, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Ob der Arbeitgeber dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er sich (entsprechend dieser Mitwirkungspflicht) darauf zu berufen vermag, daß er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift mit gutem Grund erwarten lassen. Die bloße Erteilung von Weisungen und stichprobenartige Kontrollen reichen für ein solches wirksames Kontrollsystem nicht aus. Auch befreit die allfällige Tatsache, daß der als Bevollmächtigter bestellte Vorarbeiter bis zum gegenständlichen Vorfall als verläßlicher Mitarbeiter anzusehen gewesen sei, den Arbeitgeber nicht davor, ein wirksames Kontrollsystem einzurichten (vgl die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. April 1990, Zl 90/19/0068, und vom 22. März 1991, Zl 91/19/0005). Auf ein solches taugliches Kontrollsystem konnte der Berufungswerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht im Berufungsverfahren nicht hinweisen, obwohl ihm ausreichend Gelegenheit hiezu geboten wurde.

 

Abgesehen davon muß dem Beschuldigten ein Verschulden bei der Auswahl und Bestellung des Vorarbeiters R zum Bevollmächtigten für die gegenständliche Baustelle vorgeworfen werden. So hat insbesondere die Aussage des Arbeitsinspektors Dipl-Ing B einwandfrei ergeben, daß sich der Vorarbeiter R bei der Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat am 23. April 1991 nicht ausreichend über die Voraussetzungen und die Notwendigkeit der Errichtung von Blenden bei Dachdeckerarbeiten informiert gezeigt hat. Dies wird insbesondere auch durch die Aussage des Zeugen R vom 23. April 1993 untermauert, bei der dieser Zeuge eindeutig unter Beweis gestellt hat, daß er über die Voraussetzungen für die Errichtung von Schutzblenden bei Dachdeckerarbeiten nicht ausreichend Bescheid weiß. So hat der Zeuge angegeben, daß nach seinem Wissensstand Schutzblenden erst ab einer Dachneigung von ca 25 bis 30 Grad angebracht werden müßten. Auch über das neben der Dachneigung von mehr als 20 Grad entscheidende Kriterium für das Anbringen von Schutzblenden, nämlich eine Traufenhöhe von mehr als 5 m über dem Gelände, zeigte sich der Zeuge R uninformiert. Die Berufungsbehörde mußte daher zwangsläufig zu der Ansicht gelangen, daß der Zeuge R nicht über die notwendigen Kenntnisse der für die Arbeiten auf Dächern einschlägigen Arbeitnehmerschutzvorschriften verfügte. Da es Aufgabe des Beschuldigten gewesen wäre, sich vor der Bestellung des Bevollmächtigten gemäß §31 Abs2 Arbeitnehmerschutzgesetz über dessen Kenntnis der im Betrieb zur Anwendung gelangenden Arbeitnehmerschutzvorschriften zu informieren, muß ihm zumindest ein fahrlässiges Verhalten bei der Auswahl des Bevollmächtigten und dessen Kontrolle zur Last gelegt werden. Es wäre auch Aufgabe des Beschuldigten als Arbeitgeber gewesen, die Kenntnisse seines Bevollmächtigten in bezug auf die Arbeitnehmervorschriften laufend zu kontrollieren und Wissenslücken durch entsprechende Schulungen zu beseitigen.

 

Die im Rahmen des Arbeitnehmerschutzgesetzes anzuwendenden Vorschriften sollen den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Da es sich hier um den Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern handelt, ist - wie auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - bei Übertretungen der Arbeitnehmerschutzvorschriften ein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere der Übertretung von Bestimmungen, die die Sicherheit auf Dächern bei Dachdeckerarbeiten zum Gegenstand haben, ist ein erheblicher Unrechtsgehalt beizumessen, weil es unter anderem das Ziel des §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung ist, das in diesem Bereich bestehende überaus hohe Gefährdungspotential für die Arbeitnehmer auf ein vertretbares Ausmaß zu reduzieren. Die Erfahrung hat gezeigt, daß mangelnde Sicherheitsmaßnahmen bei Dachdeckerarbeiten mit Absturzgefahr vielfach zu Unfällen geführt haben, die mit einer erheblichen Schädigung der Gesundheit der Arbeitnehmer oder mit deren Tod geendet haben. Ziel des §44 Abs2 der Bauarbeiterschutzverordnung ist es nicht nur den Absturz von Material, sondern vor allem der auf dem Dach beschäftigten Arbeitnehmer zu verhindern.

 

Als erschwerend war von der Berufungsbehörde bei der Strafbemessung die große Absturzhöhe von ca 15 m und die Tatsache zu werten, daß durch das Fehlen der Schutzblende Absturzgefahr für insgesamt vier Arbeitnehmer bestanden hat. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die von der ersten Instanz verhängte Strafe ohnedies nur im untersten Bereich des vom Gesetzgeber vorgegebenen Strafrahmens von bis zu S 50.000,-- ausgesprochen wurde, konnte eine Herabsetzung aus general- und spezialpräventiver Sicht nicht in Betracht gezogen werden. Die verhängte Strafe soll dem Beschuldigten die mit der gegenständlichen Übertretung verbundene hohe Gefährdung der Arbeitnehmer deutlich vor Augen führen und ihn dazu bewegen, in Hinkunft gleichartige Übertretungen durch ein ausreichendes Kontrollsystem hintanzuhalten. Die von der Berufungsbehörde bestätigte Strafe erscheint auch im Hinblick auf die allseitigen Verhältnisse des Beschuldigten schuld- und tatangemessen. Da dem Unabhängigen Verwaltungssenat die allseitigen Verhältnisse des Beschuldigten trotz Aufforderung nicht mitgeteilt wurden, war von der Schätzung vom 24. April 1993 (monatliches Nettoeinkommen S 35.000,--, Vermögenswerte S 1 Mio., Fehlen von Sorgepflichten) auszugehen.

 

Da das erstinstanzliche Straferkenntnis durch die Berufungsbehörde zu bestätigen war, ist der Beschuldigte gemäß §64 Abs1 und 2 VStG verpflichtet, einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens im Ausmaß von 20 Prozent (das sind S 1.000,--) der verhängten Strafe zu bezahlen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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