TE UVS Niederösterreich 1993/06/29 Senat-ZT-93-026

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Veröffentlicht am 29.06.1993
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 AVG, BGBl Nr 51/1991, Folge gegeben. Der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wird insoweit abgeändert, als

a)

die unter Punkt 1. verhängte Geldstrafe auf S 9.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 216 Stunden herabgesetzt wird,

b)

die unter Punkt 2. verhängte Geldstrafe auf S 2.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 48 Stunden herabgesetzt wird,

c)

die unter Punkt 3. verhängte Geldstrafe auf S 4.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 96 Stunden herabgesetzt wird,

d)

die unter Punkt 4. verhängte Geldstrafe auf S 9.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 216 Stunden herabgesetzt wird und

e)

der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der ersten Instanz gemäß §64 Abs1 und 2 VStG, BGBl Nr 52/1991, mit S 2.400,-- festgesetzt wird.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der H

M GesmbH & CoKG zu verantworten, daß hinsichtlich der auf der Baustelle in xx M, F S-Gasse 7, befindlichen Gerüste, auf denen drei namentlich genannte Arbeitnehmer dieser Firma mit Fassadenputzarbeiten beschäftigt waren, am 7. Juli 1992 durch das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten folgende Gerüstmängel festgestellt werden mußten:

1.

In sämtlichen Gerüstlagen und -feldern waren Mittelwehren nicht angebracht, obwohl es sich um Gerüstbeläge handelte, von denen Arbeitnehmer mehr als zwei Meter abstürzen konnten (die Gerüste waren stellenweise bis acht Meter hoch). Es hätte somit zwischen Brust- und Fußwehr eine Mittelwehr so angebracht sein müssen, daß der lichte Abstand zwischen jeweils zwei Teilen der Umwehrung nicht mehr als 0,40 m beträgt.

 

2.

In sämtlichen Gerüstlagen und -feldern fehlten Fußwehren, obwohl es sich um Gerüstlagen in Höhen von mehr als 2 m über dem Erdboden handelte und Absturzgefahr bestand und es sich überdies nicht um einfach gestellte Leitergerüste gehandelt hat.

 

3.

Die dritte, straßenseitig der D H S-Gasse gelegene Gerüstlage, mit einer Absturzhöhe von ca 6 m, war über keinen sicher begehbaren Zugang erreichbar.

 

4.

Das straßenseitig der D H S-Gasse sowie das an der Rückseite im Garten errichtete Gerüst waren an den Bauteilen nicht verankert und nicht freistehend standsicher errichtet, obwohl Gerüste standsicher ausreichend verstrebt und nötigenfalls an standsicheren, genügend festen Bauteilen verankert sein müssen.

 

Es wurden deshalb von der Behörde erster Instanz folgende Strafen verhängt:

 

zu 1.: Wegen Übertretung des §46 Abs6 der Allgemeinen

       Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV gemäß §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz eine Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 264 Stunden).

 

Zu 2.: Wegen Übertretung des §33 Abs1 lita Z12 und Abs7

       Arbeitnehmerschutzgesetz iVm §19 Abs4 der Verordnung des BM f Soz Verwaltung vom 10.11.1954, über Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten (Bauarbeiterschutzverordnung), BGBl Nr 267, gemäß §31 Abs2 litp Arbeitnehmerschutzgesetz eine Geldstrafe von S 2.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 61 Stunden).

 

Zu 3.: Wegen Übertretung des §46 Abs11 AAV gemäß §31 Abs2 litp

       Arbeitnehmerschutzgesetz eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden).

 

Zu 4.: Wegen Übertretung des §46 Abs3 AAV gemäß §31 Abs2 litp

       Arbeitnehmerschutzgesetz eine Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 264 Stunden).

 

Bei der Strafbemessung wurde das Fehlen von einschlägigen Verwaltungsvorstrafen als Milderungsgrund gewertet.

 

Die allseitigen Verhältnisse des Beschuldigten konnten von der Behörde erster Instanz deshalb nicht berücksichtigt werden, weil dieser zu seinem Einkommen keine konkreten Angaben gemacht hatte.

 

Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerecht mündlich erhobene Berufung vom 19. April 1993. Der Berufungswerber erachtet sich ausschließlich durch die Höhe der verhängten Strafen beschwert und beantragt deren schuldangemessene Herabsetzung. Begründend wird ausgeführt, daß der Beschuldigte selbst beim Aufstellen des gegenständlichen Gerüstes nicht persönlich anwesend gewesen sei und erst von den Mängeln erfahren habe, als der Arbeitsinspektor das Gerüst bereits besichtigt hatte. Aus diesem Grunde träfe den Beschuldigten nur ein geringer Grad des Verschuldens. Darüberhinaus seien die Mängel sofort nach der Beanstandung durch den Arbeitsinspektor behoben worden.

 

Anläßlich dieser Berufung hat der Beschuldigte auch seine allseitigen Verhältnisse bekanntgegeben. Demnach besitzt er einen Hälfteanteil an einem Zweifamilienhaus (zusammen mit der Ehegattin), einen Viertelanteil an der H M GesmbH & CoKG, bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von S 28.000,-- und ist für zwei Kinder sorgepflichtig.

 

Seitens des Arbeitsinspektorates wurde gegen das vorliegende Straferkenntnis keine Berufung erhoben.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Da sich die Berufung nur gegen die Strafhöhe richtet, hat die Berufungsbehörde von rechtskräftigen Schuldsprüchen in allen 4 Fällen auszugehen und lediglich zu beurteilen, ob die verhängten Strafen dem durch §19 VStG vorgegebenen Maßstab entsprechen. Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war gemäß §51e Abs2 VStG entbehrlich.

 

Gemäß §19 Abs1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Gemäß §19 Abs2 legcit sind im ordentlichen Verfahren (§§40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Das Arbeitnehmerschutzgesetz und die im Rahmen dieses Gesetzes anzuwendenden Verordnungen sollen den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer vor den Gefahren der Arbeitswelt gewährleisten. Da es sich hiebei um den Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern handelt, ist - wie auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - bei Übertretungen der Arbeitnehmerschutzvorschriften ein strenger Maßstab anzulegen.

 

Insbesonders den unter den Punkten 1. und 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angeführten Übertretungen ist ein erheblicher Unrechtsgehalt beizumessen, weil es das Ziel des §46 Abs6 AAV und des §19 Abs4 Bauarbeiterschutzverordnung ist, die Absturzgefahr während der Arbeitstätigkeit auf Gerüsten auf ein vertretbares Ausmaß zu reduzieren. Gleiches gilt auch für die unter Punkt 4. angeführte Übertretung des §46 Abs3 AAV, der die Standfestigkeit von Gerüsten gewährleisten soll.

 

Dem Fehlen der Aufstiegshilfen (§46 Abs11 AAV) ist hingegen ein etwas geringerer Unrechtsgehalt beizumessen, weil beim Auf- und Abstieg auf andere Gerüstlagen der Arbeitnehmer nicht durch die Arbeitstätigkeit abgelenkt ist und sich daher selbst bei einem Fehlen von Aufstiegshilfen eben nur auf den Auf- und Abstieg konzentrieren kann.

 

Einem Arbeitgeber ist es zweifelsohne zumutbar, die einschlägigen Arbeitnehmerschutzvorschriften - im vorliegenden Fall Bauarbeiterschutzverordnung, AAV und Arbeitnehmerschutzgesetz - zu kennen und entsprechend zu beachten.

 

Da zum Tatbestand der dem Beschuldigten zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr gehört und die auf diese Fälle anzuwendenden Verwaltungsvorschriften nichts über das zur Strafbarkeit erforderliche Verschulden bestimmen, handelte es sich bei diesen Übertretungen um Ungehorsamsdelikte im Sinne des §5 Abs1 VStG. Es besteht daher gemäß §5 Abs1 zweiter Satz VStG die Rechtsvermutung für ein fahrlässiges Verhalten des Täters. Bestreitet der Täter dies, so hat er nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl etwa die Erkenntnisse vom 2. Juli 1990, Zl 90/19/0109 und 18. Februar 1991, Zl 90/19/0177) initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht und glaubhaft zu machen, daß ihm die Einhaltung der objektiv verletzten Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden nicht möglich war. Die bloße Erteilung von Weisungen und Belehrungen durch den Arbeitgeber reicht in diesem Zusammenhang nicht aus; es muß auch eine wirksame Kontrolle der vom Verantwortlichen erteilten Weisungen erfolgen. Eine stichprobenartige Überprüfung der Einhaltung von Weisungen und Kontrolle der Baustelle alleine genügt den Anforderungen für ein wirksames Kontrollsystem ebenfalls nicht.

 

Auf ein solches wirksames Kontrollsystem konnte der Berufungswerber nicht verweisen. Da sich die Berufung überdies nur gegen die Strafhöhe richtet, war die Berufungsbehörde somit berechtigt, von einem fahrlässigen Verhalten des Beschuldigten auszugehen.

 

Allein die Tatsache, daß das Unternehmen, dessen handelsrechtlicher Geschäftsführer der Beschuldigte ist, vom Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten mit Inspektionsbefund vom 7. August 1991 bereits auf im wesentlichen gleichartige Gerüstmängel auf einer Baustelle in xx, xxplatz 10, ausdrücklich hingewiesen wurde, hätte den Beschuldigten veranlassen müssen, entsprechend Vorsorge zu treffen, um künftige Wiederholungen zu vermeiden.

 

Wenn sich der Beschuldigte unter anderem auf seine Abwesenheit von der Baustelle beruft, so ist dies nicht geeignet, ein mangelndes oder minderes Verschulden darzutun, zumal gerade in einem solchen Fall durch ein entsprechendes Kontrollsystem die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auf auswärtigen Baustellen sicherzustellen ist. Es darf in diesem Zusammenhang, insbesondere auf den §3 Abs1 und 2 der Bauarbeiterschutzverordnung hingewiesen werden, der dem Arbeitgeber auf Baustellen die Bestellung von geeigneten Aufsichtspersonen und anordnungsbefugten Dienstnehmern vorschreibt, deren Kontrolle wiederum dem Arbeitgeber bzw dem verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichen obliegt.

 

Gerüste dürfen einerseits nur unter der Leitung einer fachkundigen Person und von damit vertrauten Personen errichtet werden und sind andererseits in jedem Fall vor der jeweils ersten Benützung durch einen fachkundigen Beauftragten des Aufstellers zu überprüfen (§§31 Abs2 und 32 Bauarbeiterschutzverordnung sowie §46 Abs6 und 13 AAV). Auch die Einhaltung dieser Vorschriften ist vom Arbeitgeber bzw dem verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen durch eine wirksame Kontrolle sicherzustellen.

 

Wenn nun die Behörde erster Instanz das Fehlen einschlägiger, rechtskräftiger Vorstrafen als mildernd bewertet hat, so kann dieser Argumentation seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ nicht gefolgt werden. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt als Milderungsgrund lediglich die absolute Unbescholtenheit des Täters in Betracht, nicht aber die bloße Tatsache, daß keine einschlägigen Vorstrafen vorliegen. Eine absolute Unbescholtenheit des Beschuldigten liegt aber nicht vor.

 

Auch der Umstand, daß die beanstandeten Mängel angeblich umgehend behoben wurden, kann nicht als Milderungsgrund gewertet werden, zumal damit nur verspätet den Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprochen wurde. Die Berufungsbehörde konnte dies doch bei den spezialpräventiven Überlegungen miteinbeziehen.

 

Im Hinblick auf das Tatsachengeständnis des Beschuldigten und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß beim Beschuldigten keine einschlägigen Vorstrafen nach den Arbeitnehmerschutzvorschriften vorliegen, konnte von der Berufungsbehörde aus spezialpräventiver Sicht eine geringfügige Herabsetzung der von der ersten Instanz verhängten Geldstrafen vertreten werden. Eine weitere Herabsetzung der Geldstrafen konnte keinesfalls in Betracht gezogen werden, weil sich die verhängten Geldstrafen nur im unteren Bereich des vom Gesetzgeber vorgesehenen Strafrahmens von bis zu S 50.000,-- bewegen. Die herabgesetzten Strafen erscheinen der Berufungsbehörde als ausreichend, um dem Beschuldigten die mit den von ihm begangenen Übertretungen verbundene beachtliche Gefährdung der auf den Gerüsten beschäftigten Arbeitnehmer deutlich vor Augen zu führen. Diese Strafen sollen den Beschuldigten schließlich zu einer entsprechenden Sorgfalt hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften anhalten und ihn und andere Arbeitgeber davon abhalten, in Hinkunft gleichartige Übertretungen zu begehen, die geeignet sind, zu Lasten der Gesundheit der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber einen allfälligen zeitlichen oder finanziellen Vorteil zu verschaffen.

 

Wegen der Herabsetzung der verhängten Geldstrafen war auch der Beitrag zu den Kosten für das Verfahren vor der Behörde erster Instanz entsprechend (10 % der nunmehr verhängten Geldstafen) zu berichtigen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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