TE UVS Niederösterreich 1993/07/15 Senat-BN-92-099

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Veröffentlicht am 15.07.1993
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Ebenso Senat-NK-92-067 Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr 51, iVm §24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl Nr 52, Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben.

 

Gemäß §45 Abs1 Z1 VStG wird die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis hat die Bezirkshauptmannschaft xx über den Berufungswerber eine Geldstrafe in Höhe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 60 Stunden) gemäß §74 Abs1 LMG 1975 verhängt und überdies die Verpflichtung zur Tragung der Verfahrenskosten in Höhe von S 100,-- und von Barauslagen in Höhe von S 400,-- vorgeschrieben. Dem Berufungswerber wird vorgeworfen, daß er es als nach §9 VStG Verantwortlicher (Vorstand) der H P AG zu verantworten habe, daß diese Gesellschaft am 18.11.1992 um 10,20 Uhr in G***********, M****straße 7, das Lebensmittel "Vollwertgetreide naturbelassen, Roggenvollmehl aus biologischem Landbau" in Verkehr gebracht hat, obwohl die Ware gemäß §8 litf LMG 1975 als falsch bezeichnet zu beurteilen war, zumal die Bezeichnung wie "Vollwertgetreide" oder ähnlich abzulehnen ist, weil sie als irreführend anzusehen ist und dabei beim Verbraucher der Eindruck erweckt wird, daß eine vollwertige Ernährung allein durch den Verzehr des entsprechenden einzelnen Lebensmittels gewährleistet ist.

 

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Berufung mit dem Vorbringen, daß sich das gegenständliche Straferkenntnis nicht auf den in der Begründung zitierten Erlaß des Bundeskanzleramtes berufen könne. Bei diesem Erlaß handle es sich zweifelsfrei um keine Gesetzesvorschrift und wäre Voraussetzung für eine Verordnung deren entsprechende Kundmachung aufgrund der Bestimmungen des B-VG. Der herangezogene Erlaß habe keinerlei Normcharakter und ist nicht als Bestandteil der Rechtsordnung anzusehen. Außerdem verfüge das angefochtene Straferkenntnis - abgesehen vom Erlaß des Bundeskanzleramtes - über keine Begründung. Es würden auch keinerlei Feststellungen über die Verkehrsauffassung getroffen.

 

Verwiesen wird weiters auf eine Entscheidung eines deutschen Oberverwaltungsgerichtes, wonach die Bezeichnung "Vollwert" keinerlei Täuschung auch bei einem nur kleinen Teil der Verbraucherschaft bewirken könne. Die gegenteilige Behauptung sei vielmehr lebensfremd und abwegig. Außerdem würde im bekämpften Straferkenntnis der Bestimmung des §8 litf leg cit ein Inhalt beigemessen, der die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit verletze. §8 litf LMG 1975 würde in denkunmöglicher Form angewendet, sodaß eine Verletzung von Art6 Staatsgrundgesetz vorliege.

 

Beantragt wurde daher die ersatzlose Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Noch vor dem Eingehen auf das Berufungsvorbringen ist grundsätzlich folgendes festzustellen:

 

Gemäß §44a Z1 VStG hat der Spruch eines Bescheides, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Dieser Vorschrift ist jedoch nur dann entsprochen, wenn

a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

 

Das angefochtene Straferkenntnis hält bereits einer Prüfung im Lichte dieser Ausführungen aus mehreren Gründen nicht stand.

 

So gibt die Erstbehörde den Ort der Übertretung mit "**40 G***********, M****straße 7, Firma V******** N***********" an. Dabei übersieht die Erstbehörde offenbar, daß dies der Ort der Übertretung hinsichtlich jener Person wäre, die zunächst wegen der angelasteten Verwaltungsübertretung (von der Bezirkshauptmannschaft yy) verfolgt wurde. Nach Einstellung dieses Verfahrens gemäß §45 Z1 VStG und Neueinleitung des Verfahrens durch die Bezirkshauptmannschaft xx gegen den nunmehr Beschuldigten hätte daher auch eine entsprechende Adaptierung des Ortes der angelasteten Verwaltungsübertretung (nämlich auf den Unternehmenssitz in **00 B****, D***gasse 62) vorgenommen werden müssen. Bereits diese Unrichtigkeit stellt einen selbständigen Behebungsgrund des angefochtenen Bescheides dar.

 

Ein weiterer Behebungsgrund liegt darin, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides hinsichtlich eines konkret bezeichneten Lebensmittels lediglich vorwirft, daß dieses Lebensmittel in Verkehr gebracht wurde. Eine Tatbeschreibung durch bloßen Vorhalt der verba legalia kann aber keine ausreichende Tatbeschreibung darstellen, vielmehr wäre auch anzuführen gewesen, durch welches konkrete Verhalten (zB Feilhalten oder Verkaufen) die Ware in Verkehr gebracht wurde.

 

Desweiteren darf noch darauf verwiesen werden, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides als Tatzeitpunkt den 18.11.1992 aufweist. Tatsächlich wurde die Ware jedoch am 18.11.1991 zum Verkauf angeboten. Diese Unrichtigkeit würde für sich alleine keinen Behebungsgrund darstellen, da innerhalb der Frist zur Vornahme einer Strafverfolgungshandlung im Sinne des §32 VStG der Tatzeitpunkt richtig mit 18.11.1991 vorgehalten wurde (Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft xx vom 27.7.1992).

 

Unabhängig von diesen Ausführungen sieht sich der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ jedoch veranlaßt, auch zum Berufungsvorbringen aus grundsätzlichen Überlegungen folgende Feststellungen zu treffen:

 

Dem Berufungswerber ist zunächst dahingehend beizupflichten, daß der von der Erstbehörde herangezogene Erlaß des Bundeskanzleramtes nicht nur keine gesetzliche Vorschrift darstellt, sondern auch keinen Verordnungscharakter aufweist. Eine unmittelbare verpflichtende Wirkung für den Rechtsunterworfenen besteht daher nicht. Vielmehr stellt der bezughabende Erlaß eine Weisung an die Unterbehörden dar, in welcher Form bestimmte Begriffe zu interpretieren sind, wodurch eine indirekte Wirkung gegenüber dem Rechtsunterworfenen entsteht.

 

Zur grundsätzlichen Frage, ob ein mit der Bezeichung "Vollwert" versehenes Lebensmittel, Verzehrprodukt oder Zusatzstoff als falsch bezeichnet anzusehen ist, ist folgendes auszuführen:

 

Gemäß §7 Abs1 litc LMG 1975 ist es verboten, Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind. Gemäß §8 litf leg cit gelten Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe dann als falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über Umstände, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung wesentlich sind, wie über Art, Herkunft, Verwendbarkeit, Haltbarkeit, Zeitpunkt der Herstellung, Beschaffenheit, Gehalt an wertbestimmenden Bestandteilen, Mängel, Maß, Zahl oder Gewicht, oder in solcher Form oder Aufmachung oder mit verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben (§9) in Verkehr gebracht werden.

 

Im gegenständlichen Fall beruft sich die Erstbehörde auf einen Erlaß des Bundeskanzleramtes vom 2. August 1990, Zl. 71.910/78-VII/B/1/90, wonach es keinen Grund gibt, den Begriff "Vollwert" auf einzelne Lebensmittel anzuwenden. Beim Verbraucher würde hiedurch der Eindruck erweckt, daß eine vollwertige Ernährung allein durch den Verzehr des entsprechenden Lebensmittels gewährleistet sei.

 

Dieser Rechtsmeinung kann sich der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ aus folgenden Gründen nicht anschließen:

Eine Falschbezeichnung in dem von der Erstbehörde vorgeworfenen Sinne wäre nur dann anzunehmen, wenn ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Personenkreises (Konsumenten) durch die Bezeichnung "Vollwert" oder ähnliche Ankündigungen tatsächlich die Meinung vertreten würde, daß ein mit dieser Bezeichnung versehenes Lebensmittel alle essentiellen Nährstoffe in angemessener Menge beinhalte.

 

Zur Beantwortung dieser Frage müßte - soferne keinerlei sonstige Anhaltspunkte für die Beantwortung vorliegen - eine repräsentative Frage durchgeführt werden. Der Unabhängige Verwaltungssenat vertritt jedoch in diesem Zusammenhang die Ansicht, daß von einer derartigen Umfrage deswegen Abstand genommen werden kann, da bereits aufgrund des in Österreich bestehenden allgemeinen Bildungsniveaus berechtigterweise davon ausgegangen werden darf, daß ein derartiger Eindruck bei einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Konsumenten nicht eintreten wird. Ein mündiger Konsument wird zweifelsohne darüber informiert sein, daß - mit Ausnahme der Muttermilch für den Säugling - kein Lebensmittel alle essentiellen Nährstoffe in ausreichender Menge beinhaltet.

 

Vielmehr ist unter der Bezeichnung "Vollwert" zu verstehen, daß ein mit einem derartigen Hinweis versehenes Lebensmittel (meist pflanzlicher Herkunft) dem Konsumenten "im vollen Werte" zur Verfügung steht, dh, daß dieses Lebensmittel beim Konsum noch alle oder zumindest nahezu alle natürlichen Eigenschaften aufweist und keinerlei chemischen Behandlungsmethoden unterworfen wurde. Der Begriff "Vollwert" ist somit im Sinne der ebenso häufig gebrauchten Begriffe wie "unverfälscht" oder "naturbelassen" zu verstehen (ähnlich A.Meier-Lueger in: Die Bedeutung von Sprossen und Keimen in der Vollwerternährung, erschienen in "ernährung", österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Technik, Recht und Wirtschaft, VOL 14/Nr.6/1990, Seite 317). Eine Irreführung der Konsumenten durch die Bezeichnung "Vollwert" wäre daher nur dann gegeben, wenn ein mit einem derartigen Hinweis versehenes Produkt diesen Anforderungen nicht entspricht.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat die vom Bundeskanzleramt vertretene Rechtsmeinung bereits in seinen Entscheidungen vom 23. März 1993, Senat-GF-92-028, und vom 17. Juni 1993, Senat-NK-92-067, verworfen und wird keinerlei Anlaß gesehen, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Hingewiesen wird noch darauf, daß selbst im Falle einer Bestätigung des angefochtenen Straferkenntnisses der Ausspruch über die Vorschreibung der in Höhe von S 400,-- angefallenen Barauslagen jedenfalls zu beheben gewesen wäre. Die Frage der Zulässigkeit hinsichtlich der Verwendung des Begriffes "Vollwert" für Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe stellt eine Rechtsfrage dar und ist für die Beurteilung derselben die Untersuchung der bezughabenden Ware nicht notwendig. Anders verhielte es sich lediglich dann, wenn eine Ware eine derartige Anpreisung enthält und somit zu prüfen ist, ob diese Ware tatsächlich die hiefür erforderlichen Eigenschaften aufweist.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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