TE UVS Niederösterreich 1993/07/15 Senat-ZT-92-069

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Veröffentlicht am 15.07.1993
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Spruch

Gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr 51, wird der Spruchteil 1 des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Z2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl Nr 52, eingestellt.

 

Die Punkte 2 - 4 werden mit der Maßgabe bestätigt, daß die verhängten Strafen wie folgt herabgesetzt werden:

ad 2) Geldstrafe: S 2.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 3 Tage)

ad 3) Geldstrafe: S 2.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 3 Tage)

ad 4) Geldstrafe: S 1.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Tage)

 

Der Kostenbeitrag für das Verfahren I. Instanz beträgt:

ad 2) S 220,--

ad 3) S 220,--

ad 4) S 180,--.

 

Der gesamte Strafbetrag und die Kosten des Verfahrens erster Instanz sind binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Bescheides zu zahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde Herrn M B vorgeworfen, am 6. Jänner 1992 um 22,45 Uhr im Gemeindegebiet G, B ** bei Km 52,750, in Fahrtrichtung G mit dem durch Kennzeichen näher bezeichneten PKW

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überholt zu haben, wobei der Lenker des überholten Fahrzeuges dadurch gefährdet und behindert worden sei (Punkt 1),

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das Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall nicht sofort angehalten zu haben (Punkt 2),

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nicht an der Feststellung des Sachverhaltes mitgewirkt zu haben (Punkt 3),

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nicht die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub verständigt zu haben (Punkt 4).

 

Hiefür wurden über den Beschuldigten Geldstrafen in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) zu Punkt 1 und Geldstrafen in der Höhe von je S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 4 Tage) zu den Punkten 2 bis 4 verhängt. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschuldigte Berufung und führte darin aus, daß bei Einleitung des gegenständlichen Überholmanövers nicht einmal die Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung eines anderen Verkehrsteilnehmers bestanden habe. Die Einleitung des Überholmanövers sei daher völlig unbedenklich gewesen. Daß es im Zuge des Überholvorganges dann zu einer Kollission zwischen den Fahrzeugen gekommen sei, sei bei Einleitung des Überholmanövers nicht voraussehbar gewesen. Die in den Punkten 2 bis 4 zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen stünden in Idealkonkurrenz, weshalb eine dreifache Bestrafung unzulässig sei. Auf diese bereits im Verfahren vorgebrachten Einwände sei die Behörde in der Begründung des Straferkenntnisses nicht eingegangen. Das Straferkenntnis sei daher mit einem Begründungsmangel behaftet. Es werde auch auf das entschiedenste bestritten, daß der Berufungswerber eine Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hätte.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Gemäß §16 Abs1 lita StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.

 

Nach der Begriffsbestimmung des §2 Abs1 Z29 StVO besteht der Überholvorgang im Vorbeibewegen eines Fahrzeuges an einem auf der selben Fahrbahn in der gleichen Richtung fahrenden Fahrzeug. Wesentlich für das Überholen ist nur das Vorbeibewegen an einem anderen Fahrzeug. Der Wechsel des Fahrstreifens ist nicht ausschlaggebend und zählt daher noch nicht zum Überholvorgang. Daraus ergibt sich, daß der Überholvorgang erst beginnt, sobald das überholende Fahrzeug am überholten vorbeibewegt wird, das heißt, die Frontlinie des überholenden Fahrzeuges die Hecklinie des überholten Fahrzeuges überschreitet.

 

Im konkreten Fall stieß das überholende Fahrzeug mit der rechten Vorderseite gegen das linke Heck des zu überholenden Fahrzeuges. Je nachdem, ob sich die Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Kollission bereits nebeneinander oder noch hintereinander befunden haben, kommen für die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes der §15 Abs4 oder der §18 Abs1 StVO in Betracht.

 

Nach §15 Abs4 StVO ist beim Überholen ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird, einzuhalten.

Lag dagegen noch kein Überholen im Sinne der zitierten Begriffsbestimmung vor, so gelangt §18 Abs1 StVO zur Anwendung, wonach der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten hat, daß ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist.

 

Daraus ergibt sich, daß für die Anwendung des §16 Abs1 lita StVO auf den Anlaßfall kein Raum bleibt. Dieser regelt nämlich die grundsätzliche Zulässigkeit eines Überholvorganges, während der §15 Abs4 StVO auf das Verhalten während des Überholvorganges abstellt. Da die zitierten Bestimmungen unterschiedliche Tatbilder darstellen, war eine bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage nicht möglich, weshalb das Verfahren hinsichtlich Punkt 1 des Straferkenntnisses einzustellen war.

 

Gemäß §4 Abs1 StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten (lita) sowie an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken (litc). Wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben die Abs1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen (§4 Abs5 StVO).

 

Diese drei Bestimmungen stellen verschiedene Delikte dar und stehen nicht in Idealkonkurrenz zueinander. Es wurde daher zu Recht das Kumulationsprinzip angewendet, weshalb der diesbezügliche Einwand unbegründet ist.

 

Zur Strafbemessung bezüglich der Punkte 2 - 4 ist festzustellen:

 

Gemäß §19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die Erschwerungs- und Milderungsgründe, das Ausmaß des Verschuldens sowie die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen.

 

Eine Gefährdung der gesetzlich geschützten Interessen ist deshalb erfolgt, weil der Berufungswerber durch sein Verhalten die Durchführung der erforderlichen Feststellungs- und Beweissicherungsmaßnahmen im Zuge eines Verkehrsunfalles gefährdet hat. Dem Beschuldigten ist zumindest fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Eine im Akt ausgewiesene Vorstrafe ist bereits getilgt, weshalb neben dem Tatsachengeständnis auch die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerbers als mildernd zu beurteilen ist. Erschwerende Umstände liegen nicht vor. Nach dem letzten, im Akt enthaltenen Erhebungsergebnis war der Beschuldigte arbeitslos, besaß außer einem PKW kein Vermögen und war nicht sorgepflichtig.

 

Der Strafrahmen sieht für die Übertretungen im Punkt 2 und 3 des Straferkenntnisses nach §99 Abs2 lita eine Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit Arrest von 24 Stunden bis 6 Wochen vor, für Punkt 4 des Straferkenntnisses nach §99 Abs3 litb StVO eine Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit Arrest bis zu 2 Wochen.

 

Im Hinblick auf die dargelegten Strafzumessungsgründe sind die im Spruch verhängten Strafen als angemessen anzusehen.

 

Die Begründung des gegenständlichen Berufungsbescheides tritt, soweit sie von der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides abweicht, anstelle dieser. Das Berufungsvorbringen, wonach ein Begründungsmangel des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Nichteingehen auf Argumente) bereits die Aufhebung des gegenständlichen Straferkenntnisses nach sich ziehen muß, ist daher unzutreffend.

 

Gemäß §64 VStG beträgt der Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren 20 % der verhängten Strafen.

 

Gemäß §51e VStG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da die Entscheidung lediglich von einer Rechtsfrage abhängig war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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