TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/27 99/20/0097

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Veröffentlicht am 27.09.2001
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Index

25/02 Strafvollzug;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

StVG §1 Z5;
StVG §107 Abs1 Z1;
StVG §107 Abs4;
VStG §31;
VStG §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Dr. Peter Sommerer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz Eugenstraße 70, gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 15. Februar 1999, Zl. Jv 525-17/99, betreffend Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 1 Z 1 Strafvollzugsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Dezember 1997 zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, die er am 17. März 1998 antrat und zuletzt in der Justizanstalt Krems, einem gerichtlichen Gefangenenhaus, verbüßte. Das Strafende fiel unter Berücksichtigung anrechenbarer Vorhaften auf den 6. Jänner 1999, 4,50 Uhr, weshalb der Beschwerdeführer gemäß § 148 Abs. 2 StVG am 5. Jänner 1999 aus der Strafhaft zu entlassen war.

Schon im Frühjahr 1998 kam, nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, ein weiteres gerichtliches Strafverfahren gegen ihn in Gang. Eine Hauptverhandlung im September 1998 wurde vertagt.

Am 5. Jänner 1999 wurde der Beschwerdeführer im Hinblick auf das weitere Strafverfahren "wegen Verhängung der U-Haft an die Justizanstalt Wien-Josefstadt überstellt" (Bericht vom 10. Februar 1999 in den vorgelegten Akten).

Bei der Reinigung des Einzelhaftraumes, den der Beschwerdeführer in der Justizanstalt Krems bewohnt hatte, wurde noch am 5. Jänner 1999 ein "30 cm x 40 cm großes und ca. 8 cm tiefes Loch" in der Außenmauer entdeckt, bei dem es sich - den mit den Akten vorgelegten Fotografien zufolge - um eine Freilegung des unter dem Verputz liegenden Ziegelwerks, soweit ersichtlich ohne dessen Beschädigung, handelte. Nach Erstattung von Meldungen wegen eines "Ausbruchsversuches" des Beschwerdeführers ersuchte der Leiter der Justizanstalt Krems das Ordnungsstrafreferat der Justizanstalt Wien-Josefstadt um die "Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung" mit dem "ehemaligen" Strafgefangenen.

Am 13. Jänner 1999 wurde in der Justizanstalt Wien-Josefstadt mit dem in Untersuchungshaft angehaltenen Beschwerdeführer eine "Beschuldigtenvernehmung" im "Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten" durchgeführt. Der Beschwerdeführer gab an, dass ihm die Beschädigung der Mauer bekannt gewesen sei, er sie aber nicht verursacht habe und er auf Grund seiner Beschäftigung im Außenbereich der Anstalt so viele Gelegenheiten zur Flucht gehabt hätte, dass von ihm nicht angenommen werden könne, er habe durch diese Mauer fliehen wollen.

Mit Straferkenntnis des Leiters der Justizanstalt Krems vom 25. Jänner 1999 wurde über den Beschwerdeführer die Ordnungsstrafe des einfachen Hausarrestes für die Dauer von zwei Wochen verhängt.

Der Spruch dieser Entscheidung lautete:

"Der Beschuldigte ... hat während seiner ho. Anhaltung dadurch gegen den § 107 (1) 1 StVG verstoßen, in dem er vorsätzlich aus der Anstalt flüchten wollte. Gem. § 107 (4) StVG ist der Versuch strafbar. Er hat dadurch eine Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 1 StVG begangen und wird hiefür gemäß § 109 Z. 5 und § 114 StVG mit der Ordnungsstrafe des einfacher Hausarrest für die Dauer von 2 (zwei) Wochen bestraft."

In der Begründung wurde ausgeführt, auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens habe "der im Straferkenntnis angeführte Tatbestand festgestellt und als erwiesen angenommen werden" können (gemeint war, in Ermangelung anderweitiger Feststellungen über diesen "Tatbestand", die im Spruch umschriebene Tat). Dem Hinweis des Beschwerdeführers auf andere Fluchtmöglichkeiten sei entgegen zu halten, dass diese nur vor dem Bekanntwerden der bevorstehenden Untersuchungshaft bestanden hätten und es nachvollziehbar sei, dass er "nach Bekanntwerden der U-Haftverhängung ... aus der Anstalt flüchten wollte". Gemäß § 183 Abs. 1 StPO seien die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes auch auf Untersuchungshäftlinge anzuwenden.

Dieses Straferkenntnis übermittelte der Leiter der Justizanstalt Krems der Justizanstalt Wien-Josefstadt mit dem Ersuchen, dem Beschwerdeführer den Inhalt zu verkünden "und die Durchführung der Ordnungsstrafe zu veranlassen". Dem Ersuchen war eine für den Leiter der Justizanstalt Krems gefertigte "Anordnung des Vollzuges von Ordnungsstrafen" beigefügt, um deren Rückübermittlung "nach Verbüßung der Ordnungsstrafe ... diensthöflichst gebeten" wurde.

Nach Verkündung des Straferkenntnisses in der Justizanstalt Wien-Josefstadt am 27. Jänner 1999 und Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung am darauf folgenden Tag erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. Jänner 1999 eine Beschwerde dagegen an die belangte Behörde. Er verwies im Wesentlichen darauf, dass ihm stets klar gewesen sei, dass er mit einer neuerlichen Untersuchungshaft zu rechnen habe, wenn das zusätzliche Strafverfahren bis zum Ende der Strafhaft nicht abgeschlossen sein würde, und er dessen ungeachtet von keiner der ihm zur Verfügung stehenden, näher beschriebenen Fluchtmöglichkeiten Gebrauch gemacht habe. Es sei unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, dass er versucht haben sollte, sich durch eine 60 cm dicke Außenmauer zu stemmen, die ständig durch Kameras überwacht werde, und nach der er überdies noch eine etwa 6 m hohe Mauer zu überwinden gehabt hätte, sodass ein Ausbruch auf diese Weise nicht gelingen könne. Seines Erachtens könne es sich bei der nicht von ihm stammenden Beschädigung - deren volle Größe ihm wegen einer darüber gespannten Decke nicht bekannt gewesen sei - nur allenfalls um ein Versteck für Gegenstände gehandelt haben.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde "nicht Folge". In der Begründung dieser Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer entgegengehalten, dass die Beschädigung der Mauer aus näher beschriebenen Gründen von ihm stammen müsse, woran auch "der Hinweis des Strafgefangenen" (gemeint: des Beschwerdeführers), dass er "bei sonstigen Gelegenheiten leichter fliehen hätte können, nichts zu ändern" vermöge, "obwohl dies natürlich richtig ist". Es dürfe "nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer ... zunächst erwarten konnte," (gemeint: nach Verbüßung der Strafhaft, als Untersuchungshäftling) "länger in Krems angehalten zu werden und das Loch offensichtlich dazu dienen sollte, bei einer ihm später opportun erscheinenden Gelegenheit zu fliehen". Dass das "Loch" einer "späteren Flucht" habe dienen sollen, ergebe sich "daraus, dass kein Strafgefangener grund- und zwecklos sich der relativ schweren Arbeit unterzieht, heimlich ein Loch zu stemmen". Da der Versuch einer Ordnungswidrigkeit strafbar sei und "das Stemmen eines Loches in eine Außenmauer einer Anstalt bereits als Ausführungshandlung der beabsichtigten Flucht anzusehen" sei, habe der Anstaltsleiter den Sachverhalt richtig subsumiert. Die "verhängte Strafe" sei "angemessen".

Der angefochtene Bescheid enthält keine Ausführungen über die Beendigung der Strafhaft, die Stellung des Beschwerdeführers als Untersuchungshäftling und die Vollziehbarkeit der "angemessenen Strafe".

Nach Erhebung der vorliegenden Beschwerde teilte die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof zum Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, mit, der Beschwerdeführer sei "am 6.1.1999 urteilsmäßig in der Justizanstalt Josefstadt entlassen und anschließend in Untersuchungshaft genommen" worden. Die gegenständliche Ordnungsstrafe sei am 25. Jänner 1999 "wegen eines Verhaltens in der hg. Justizanstalt während der Strafhaft" verhängt worden. Sie sei nicht vollstreckt und es sei "daher" auch kein Antrag gemäß § 115 StVG auf Nichteinrechnung in die Strafzeit beim Vollzugsgericht gestellt worden. Da der Beschwerdeführer die Freiheitsstrafe zur Gänze verbüßt habe, komme weder eine Nichteinrechnung noch eine Einrechnung in Frage. Dies bedeute, dass die Ordnungsstrafe nicht mehr vollstreckt werden könne, obwohl sich der Beschwerdeführer nunmehr in Untersuchungshaft befinde. Das Straferkenntnis habe bezweckt, dem "Strafgefangenen" (gemeint: Beschwerdeführer) sein rechtswidriges Verhalten "und die möglichen Folgen" (gemeint offenbar: die im Straferkenntnis über ihn verhängte Strafe) "vor Augen zu führen" und sei weiters "Basis für die Unterlassung einer Verfolgung wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung" gewesen.

Mit den Verwaltungsakten überreichte die belangte Behörde eine Gegenschrift, in der sie im Wesentlichen ausführte, das "Rechtsschutzinteresse" des Beschwerdeführers in Bezug auf die Bekämpfung seiner mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Bestrafung sei "spätestens" am 6. Jänner 1999 (und somit schon vor der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) "erloschen", weil Ordnungsstrafen nach ständiger Rechtsprechung nur während der Strafzeit, in der sie (gemeint: die zugrunde liegenden Ordnungswidrigkeiten) begangen worden seien, vollstreckt werden dürften. Eine "Beschränkung der zeitlichen Verfolgbarkeit" sei nur durch die Verjährungsbestimmungen des VStG gegeben. Dem Beschwerdeführer sei "durch den bekämpften Bescheid (praktisch deklarativ) mitgeteilt" worden, dass er eine Ordnungswidrigkeit begangen habe. Weitere Wirkungen entfalte der Bescheid nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde vertritt gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt, ehemalige Strafgefangene unterlägen wegen einer in der Strafhaft begangenen Ordnungswidrigkeit nach Maßgabe der in § 31 VStG normierten Fristen weiterhin der Jurisdiktion des Anstaltsleiters, wobei die - zu verhängende - Ordnungsstrafe zumindest im Falle eines Hausarrestes aber nicht vollstreckt werden könne und daher auch kein "Rechtsschutzinteresse" an der Bekämpfung eines solchen Straferkenntnisses bestehe. Diese Ausführungen sind in Bezug auf die Vollstreckbarkeit der Strafe eine nachträgliche Umdeutung der von der belangten Behörde bestätigten Entscheidung, die nicht nur im Spruch die Verhängung der Sanktion enthielt, sondern auch - nach dem der belangten Behörde bekannten Akteninhalt - von Bemühungen um deren Vollzug an dem in Untersuchungshaft angehaltenen Beschwerdeführer begleitet war und erkennbar auf der Vorstellung beruhte, die Untersuchungshaft sei im Sinne des § 1 Z 5 StVG wie eine unmittelbar anschließende Freiheitsstrafe zu beurteilen und ermögliche nicht nur die Durchführung des Ordnungsstrafverfahrens, sondern auch den Vollzug der verhängten Ordnungsstrafe. Von einer bloßen "Mitteilung" an den Beschwerdeführer oder davon, dass die belangte Behörde ihre eigene Entscheidung schon von Anfang an so verstanden haben könnte, kann unter diesen Umständen - angesichts der uneingeschränkten Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides - nicht die Rede sein. Einer weiteren Auseinandersetzung mit den Ausführungen der belangten Behörde zum fehlenden "Rechtsschutzinteresse" eines ehemaligen Strafgefangenen, sich gegen ein nach der Verbüßung der Strafe gegen ihn eingeleitetes Ordnungsstrafverfahren zur Wehr zu setzen, bedarf es unter diesen Umständen nicht.

Die gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof aufrecht erhaltene Ansicht, die "Verfolgbarkeit" von Ordnungswidrigkeiten durch den Anstaltsleiter und die Vollzugsoberbehörde ende nicht mit der Strafzeit und sei auch (gemäß § 31 VStG bis zu drei Jahre lang) nach der Entlassung möglich, lässt den Zweck der Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten außer Acht und ist umso weniger verständlich, als die belangte Behörde ihrer Stellungnahme zum Aufschiebungsantrag einen Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien angeschlossen hat, der seinerseits auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 6. November 1987, 15 Os 153/87, verweist. Der zuletzt genannten Entscheidung ist mit näherer Begründung zu entnehmen, dass Ordnungsstrafen nach dem Ende der Strafzeit (§ 1 Z 5 StVG) nicht nur nicht mehr zu vollziehen sind, sondern auch nicht mehr verhängt werden dürfen. Die belangte Behörde hätte das erstinstanzliche Straferkenntnis, das auf einem von Anfang an rechtswidrigen Verfahren beruhte, daher ersatzlos aufzuheben gehabt.

Davon abgesehen umschreibt der von der belangten Behörde bestätigte Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als Tat des Beschwerdeführers seinen als erwiesen angesehenen - und zeitlich nur mit der Wendung "während seiner ho. Anhaltung" zugeordneten - Willen zur Flucht ("... dadurch gegen den § 107 (1) 1 StVG verstoßen, in dem er vorsätzlich aus der Anstalt flüchten wollte"). Ein derartiger Wille kann in einer keinem "Willensstrafrecht" verpflichteten Rechtsordnung und im Besonderen nach § 8 VStG (vgl. dazu Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999), Rz 761 ff) auch unter dem Gesichtspunkt des in § 107 Abs. 4 StVG für strafbar erklärten Versuches nicht selbstständig strafbar sein. Die belangte Behörde hat den erstinstanzlichen Spruch nicht als verbesserungsbedürftig erachtet und in der Begründung ihrer Entscheidung ein allenfalls (bei Ausklammerung der offenkundigen Mängel in der Beweiswürdigung) als Beginn von Vorbereitungshandlungen deutbares Verhalten, nämlich das Abschlagen von Verputzteilen an einer Stelle, wo nach Meinung der belangten Behörde "später" die Mauer durchbrochen werden sollte, als versuchte Flucht aus der Anstalt gewertet. Dies entspräche auch ohne den zusätzlichen Aspekt der Bestrafung eines (vermeintlichen) Versuchs einer Flucht aus einer noch gar nicht verhängten Untersuchungshaft nicht dem Gesetz.

Der angefochtene Bescheid war auch deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. September 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200097.X00

Im RIS seit

29.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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