TE UVS Niederösterreich 1993/07/23 Senat-MD-92-440

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Veröffentlicht am 23.07.1993
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Spruch

1.) Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), BGBl Nr 51/1991, hinsichtlich Pkt 1 des angefochtenen Straferkenntnisses Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis im Umfange dieses Punktes aufgehoben.

 

Gemäß §45 Abs1 Z3 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) 1991, BGBl Nr 52/1991, wird die Einstellung des Strafverfahrens hinsichtlich Pkt.1. des Straferkenntnisses verfügt.

 

2. a.) Hingegen wird der Berufung gegen Pkt 2 des angefochtenen Straferkenntnisses gemäß §66 Abs4 AVG keine Folge gegeben. Der Spruch des Straferkenntnisses wird jedoch in diesem Punkt insoweit abgeändert, als dieser zu lauten hat:

Tatbeschreibung: Bei einem Verkehrsunfall mit einer verletzten Person ......

 

  b.) Der Berufungswerber hat dem Land NÖ gemäß §64 Abs1 und Abs2 VStG einen Betrag von S 400,-- als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens binnen zwei Wochen zu bezahlen.

 

      Innerhalb gleicher Frist sind die Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens der Behörde erster Instanz zu bezahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft xx vom 16.6.1992, Zl 3-*****-91, wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, er habe am 21. März 1991 um 23,30 Uhr im Ortsgebiet M**** E*********, J**** L***-Gasse, Kreuzung mit der R***** S****-Gasse nach links einbiegend, als Lenker des Fahrzeuges PKW W ***.**3 nachstehende Verwaltungsübertretungen begangen:

 

1.

Als Wartepflichtiger durch Einbiegen einen vorrangberechtigten Fahrzeuglenker zum unvermittelten Bremsen und Ablenken seines Fahrzeuges genötigt

(gemäß §§99 Abs3 lita, 19 Abs7, jeweils StVO);

 

2.

bei einem Verkehrsunfall mit verletzten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nicht sofort verständigt, obwohl das Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall im ursächlichem Zusammenhang stand (gemäß §§99 Abs2 lita, 4 Abs2, jeweils StVO).

 

Es wurden hiefür jeweils Geldstrafen verhängt, und zwar zu 1. gemäß §99 Abs3 lita StVO S 1.000,--

      (Ersatzfreiheitsstrafe: 24 Stunden);

zu 2. gemäß §99 Abs2 lita StVO S 2.000,--

      (Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden)

und gemäß §64 Abs2 VStG einen Kostenbeitrag von S 300,-- vorgeschrieben.

 

Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschuldigte fristgerecht am 7.7.1992 schriftlich Berufung erhoben, im wesentlichen mit der Begründung, daß eine Doppelbestrafung vorliege und darüberhinaus Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

 

Mit Schreiben vom 16.7.1992 teilte die Bezirkshauptmannschaft xx mit, daß vom Recht einer Berufungsvorentscheidung kein Gebrauch gemacht wird und ersuchte um Bestätigung des Straferkenntnisses.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

1. Zuständigkeit:

 

Da nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat in M**** E********* begangen wurde, ist gemäß §51 Abs1 VStG der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ zur Entscheidung über die Berufung zuständig.

 

2. Doppelbestrafung:

 

Aufgrund der Behauptung des Beschuldigten, er sei wegen der verfahrensgegenständlichen Übertretungen bereits vom Bezirkspolizeikommissariat ******* zu einer Geldstrafe verurteilt worden, sodaß eine nochmalige Bestrafung rechtlich nicht zulässig sei, hat die Berufungsbehörde entsprechende Erhebungen durchgeführt.

 

Die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat ******* teilte am 4.8.1992 mit, daß da keine Bestrafung hinsichtlich der gegenständlichen Verwaltungsübertretungen erfolgt sei und gab am 15.6.1993 bekannt, daß zu diesem Zeitpunkt da gegen den Beschuldigten keine Vormerkungen registriert seien.

 

Mit Schreiben vom 16.6.1993 hat die Berufungsbehörde diese Ermittlungsergebnisse dem Rechtsvertreter des Beschuldigten zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt, verbunden mit der Aufforderung, geeignete Beweismittel vorzulegen, aus welchen die in der Berufungsschrift behauptete Doppelbestrafung nachvollziehbar und ersichtlich ist.

 

In der Stellungnahme vom 5.7.1993 gab der Beschuldigte bekannt, daß er keine Urkunden bezüglich der bereits erfolgten Verurteilung vorlegen könne. Über Aufforderung habe er aufgrund des Vorfalles beim Bezirkspolizeikommissariat ******* vorgesprochen, dabei eine Bezahlung von glaublich S 1.400,-- erbracht und sei davon ausgegangen, daß mit dieser Bezahlung die Verwaltungsstrafsache erledigt sei. Im übrigen könne er bedauerlicherweise keine weiteren Angaben hiezu machen.

 

Die Berufungsbehörde legt ihrer Entscheidung die unbedenklichen Auskünfte des Bezirkspolizeikommissariates ******* zugrunde, gegen welche der Beschuldigte keine konkreten Einwände erhoben hat.

 

Wäre tatsächlich die Verhängung einer Strafe erfolgt, müßte diese als Vormerkung aufscheinen, insbesondere auch deshalb, da der Beschuldigte behauptet, die Geldstrafe bereits bezahlt zu haben und auch auf ein Rechtsmittel bezüglich dieser Verurteilung verzichtet zu haben (Stellungnahme vom 27.5.1992).

Die Darstellung des Beschuldigten erscheint weiters auch insoferne im höchsten Grade unwahrscheinlich, als er in der Stellungnahme vom 27.5.1992 darauf verweist, daß er wegen des verfahrensgegenständlichen Vorfalles vom Bezirkspolizeikommissariat ******* einvernommen und bei dieser Gelegenheit die Geldstrafe von ihm bezahlt worden sei, wobei er auf Rechtsmittel verzichtet habe, der gesamte Akteninhalt jedoch im Widerspruch dazu keine derartige Niederschrift enthält.

 

Im Akt befinden sich lediglich die Niederschriften vom 24.5.1991, aufgenommen mit dem Beschuldigten und seinem Vertreter, sowie vom 18.3.1992, aufgenommen in Abwesenheit des Beschuldigten mit seinem Vertreter, wobei in beiden Niederschriften festgehalten wird, daß an diesen Tagen keine Rechtfertigung abgegeben, sondern binnen einer bestimmten Frist schriftlich Stellung genommen werde.

 

Beide Niederschriften enthalten nicht den geringsten Hinweis darauf, daß eine Geldstrafe verhängt und bezahlt, sowie ein Rechtsmittelverzicht abgegeben wurde.

Es wäre auch völlig absurd, trotz rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens und Zahlung der Geldstrafe, eine Frist zur  schriftlichen Rechtfertigung zu beantragen, und würde die Behörde in diesem Fall auch keine derartige Frist zugestehen.

 

Da der Beschuldigte weder Urkunden vorlegen, noch sonstige Beweismittel zur Stützung seines Vorbringens ins Treffen führen konnte, sind seine diesbezüglich nicht nachvollziehbaren, äußerst unglaubwürdigen und vagen Angaben nicht geeignet, die oben wiedergegebenen Auskünfte der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat ******* in Zweifel zu ziehen.

 

Es ist daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß der Beschuldigte wegen der verfahrensgegenständlichen Delikte bereits vom Bezirkspolizeikommissariat ******* bestraft wurde.

 

3. Verfolgungsverjährung:

 

a.) Verjährungsfrist:

 

Gemäß §31 Abs1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung im Sinne des §32 Abs2 VStG vorgenommen worden ist.

 

Gemäß §31 Abs2 VStG beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgungsverjährung im gegenständlichen Fall 6 Monate, wobei diese Frist von dem Zeitpunkt an zu berechnen ist, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat.

 

Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat (§32 Abs2 AVG).

 

Diese Frist begann daher im gegenständlichen Fall am 21.3.1991 und endete am 21.9.1991, sodaß bis zu diesem Tage von der Behörde eine Verfolgungshandlung gegen den Beschuldigten hinsichtlich der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen vorgenommen werden hätte müssen, um die Verfolgungsverjährung auszuschließen.

 

b.) Verfolgungshandlung:

Verfolgungshandlung ist gemäß §32 Abs2 VStG jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u dgl).

 

Die Verfolgungshandlung muß, soll durch sie die Verjährung unterbrochen werden, hinsichtlich eines Verhaltens vorgenommen worden sein, daß sich dem Tatbestand der als erwiesen angenommenen Verwaltungsübertretung unterstellen läßt. Sie unterbricht sohin nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen hat.

 

c.) Verwaltungsübertretung gemäß §§99 Abs3 lita,

    §19 Abs7, jeweils StVO:

 

Die erste als mögliche Verfolgungshandlung zu wertende Behördenhandlung stellt das Rechtshilfeersuchen der Bezirkshauptmannschaft xx vom 30.4.1991

an das Bezirkspolizeikommissariat Wien yy dar.

Darin wird um niederschriftliche Einvernahme des Beschuldigten ersucht, "wobei ihm nach Vorhalt des angezeigten Sachverhaltes ausdrücklich zur Last zu legen wäre, daß er durch die Verwirklichung dieses Sachverhaltes - eine - Verwaltungsübertretung(en) nach §4 Abs2 2. Satz, 19/5 StVO begangen hat".

 

§19 Abs5 StVO enthält allein kein Verbot oder Gebot, sondern nur eine bloße Vorrangregel. Der Verstoß gegen eine solche Vorrangregel ist aber nur dann strafbar, wenn die Tatbestandselemente des §19 Abs7 StVO hinzutreten, also der Umstand, daß der Wartepflichtige den Vorrangberechtigten zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges nötigt (VwGH 10.7.1981, ZfVB 1982/6/1767).

 

Der dem Beschuldigten nach dem oben zitierten Rechtshilfeersuchen vorzuhaltende "angezeigte Sachverhalt" enthält jedoch nicht das wesentliche Tatbestandselement, daß der wartepflichtige Beschuldigte den Vorrangberechtigten zu den oben angeführten Verhaltensweisen (Bremsen oder Ablenken des Fahrzeuges) genötigt hat.

 

Außerdem wird dem Beschuldigten die Begehung einer Verwaltungsübertretung nach §19 Abs5 StVO vorgehalten, sodaß Gegenstand der Behördenhandlung lediglich der Verstoß gegen die Vorrangregel bildet und nur dieser als Vergehen angelastet wird. Ein Verhalten, welches allein gegen eine solche (kein Gebot oder ein Verbot darstellende) Vorrangregel verstößt, ist jedoch nicht strafbar.

 

Das Rechtshilfeersuchen entspricht daher nicht den gesetzlichen Erfordernissen einer Verfolgungshandlung, die Grundlage für die im angefochtenen Straferkenntnis vorgenommene Bestrafung nach §19 Abs7 StVO bilden könnte, da zum einen der nicht strafbare Sachverhalt des §19 Abs5 StVO angelastet wird, zum anderen das wesentliche Tatbestandsmerkmal des §19 Abs7 StVO (Vorrangberechtigter durch Wartepflichtigten zum unvermittelten Bremsen oder Ablenken des Fahrzeug genötigt) enthalten ist.

 

Auch die übrigen innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist vorgenommenen Behördenhandlungen beinhalten nicht den Vorwurf der Verwirklichung des Tatbestandes des §19 Abs5 iVm §19 Abs7 StVO und haben sich nicht auf alle der Bestrafung nach diesen Gesetzesstellen zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen. Die mit dem Beschuldigten und seinem Vertreter aufgenommene Niederschrift vom 24.5.1991 enthält nur den Vermerk, daß  der Inhalt der Anzeige und die darin angeführten Verwaltungsübertretungen sowie der Inhalt des bisherigen Ermittlungsergebnisses "vorgehalten wird, das Rechtshilfeersuchen der Bezirkshauptmannschaft xx vom 18.9.1991 an das Bezirkspolizeikommissariat Wien zz beinhaltet ausschließlich das Ersuchen "R****** M**** im Rechtshilfeweg die Zeugen zum Sachverhalt zu vernehmen".

 

Die Verfolgung und Bestrafung des Beschuldigten hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung gemäß §19 Abs7 StVO im angefochtenen Straferkenntnis vom 16.6.1992 war somit unzulässig, da von den Behörden innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist, welche am 21.9.1991 geendet hat, keine taugliche und eine den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Verfolgungshandlung vorgenommen wurde. Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist vom Amts wegen wahrzunehmen.

 

Das trotz Eintrittes der Verfolgungsverjährung von der Bezirkshauptmannschaft xx erlassene Straferkenntnis war daher, ohne auf das weitere Berufungsvorbringen des Beschuldigten näher einzugehen, hinsichtlich Punkt 1.) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben und gemäß §45 Abs1 Z3 VStG zu diesem Punkt die Einstellung des anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens zu verfügen.

 

4.

Verwaltungsübertretung gemäß §99 Abs2 lita,

§4 Abs2, jeweils StVO:

 

a.) Schuldberufung:

 

Der Berufungswerber meint in der Berufungsschrift, daß ihm innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist nicht zum Vorwurf gemacht wurde, den Tatbestand der Fahrerflucht gesetzt zu haben.

 

Dem ist entgegenzuhalten, daß das Rechtshilfeersuchen der Bezirkshauptmannschaft xx vom 30.4.1991 beinhaltet, daß dem Beschuldigten nach Vorhalt des angezeigten Sachverhaltes ausdrücklich zur Last zu legen wäre, daß er durch die Verwirklichung dieses Sachverhaltes eine Verwaltungsübertretung nach §4 Abs2,

2. Satz StVO begangen hat.

 

Dieser vorzuhaltende "angezeigte Sachverhalt" enthält eine Verhaltensweise, die dem Tatbestand der zitierten Gesetzesnorm zu unterstellen ist (Verkehrsunfall mit verletzter Person, Unterlassung der Verständigung einer Polizei- oder Gendarmeriedienststelle, ursächlicher Zusammenhang des Verhaltens am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall).

 

Das Rechtshilfeersuchen erfüllt somit alle gesetzlichen Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung, da es von einer Behörde (Bezirkshauptmannschaft xx) ausging, sich gegen eine individuell bestimmte Person als Beschuldigten (den Berufungswerber) richtete, wegen eines bestimmten (strafbaren) Sachverhalts erfolgte, sich auf alle die Tat betreffenden Sachverhaltselemente bezog und innerhalb der Verjährungsfrist nach außen in Erscheinung trat, sodaß durch die Vornahme dieser fristgerechten Verfolgungshandlung der Eintritt der Verfolgungsverjährung ausgeschlossen ist.

 

Über Ladung aufgrund dieses Rechtshilfeersuchens erschien der Beschuldigte (gemeinsam mit seinem Vertreter) am 24.5.1991 beim Bezirkspolizeikommissariat *******, und wurde ihm eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

 

In dieser Stellungnahme vom 6.6.1991 wird ausdrücklich erklärt, daß "im Wege der Akteneinsicht vom Stand des gegen mich eingeleiteten Verfahrens Kenntnis" genommen wurde, womit der Berufungswerber nach seinem eigenen Vorbringen schriftlich bestätigt, die Anzeige des Gendarmeriepostens **** M**** E********* und das Rechtshilfeersuchen vom 30.4.1991 zu kennen.

 

Im übrigen haben der Beschuldigte und sein Vertreter die am 24.5.1991 aufgenommene Niederschrift unterfertigt, wonach dem Beschuldigten "der Inhalt der Anzeige und die darin angeführten Verwaltungsübertretungen, sowie der Inhalt des bisherigen Ermittlungsergebnisses" vorgehalten wurden.

 

Der Beschuldigte bestreitet nicht, daß beim gegenständlichen Verkehrsunfall eine Person (R****** M******) verletzt wurde und sein Verhalten am Unfallsort mit diesem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand.

 

In der Berufung führt der Beschuldigte aus, daß sich der Unfall am 21.3.1991 gegen Mitternacht ereignete und er sich gegen 2,30 Uhr zu seinem Fahrzeug begab, um die Gendarmerie zu verständigen.

 

Den dazwischenliegenden Zeitraum von 2 1/2 Stunden (lt Anzeige sogar 3 Stunden, da sich der Unfall um 23,30 Uhr ereignete) rechtfertigt er damit, seiner Hilfeleistungspflicht insofern entsprochen zu haben, als er "den Unfallsgegner verarztet und festgestellt habe, daß bei ihm keinerlei gröberen Verletzungen aufgetreten seien, die die Beiziehung eines Arztes notwendig machten und im übrigen auch der Verletzte ihm gegenüber erklärte, daß seine Verletzung geringfügig sei und er keine ärztliche Hilfe benötige".

 

Wie sich aus der der Anzeige des Gendarmeriepostens M**** E********* beiliegenden Verletzungsanzeige des LKH xx, Unfallabteilung, deren Inhalt und Richtigkeit vom Beschuldigten nicht bestritten wurden, ergibt, begann die ambulante Behandlung des Verletzten M****** am 22.3.1991 um 2,00 Uhr, sodaß die vom Beschuldigten vorgenommene Hilfeleistung zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen sein mußte.

 

In der Stellungnahme vom 6.6.1991 gesteht der Beschuldigte selbst zu, daß er die vom Unfallsgegner erlittene leichte Abschürfung an der Hand (Kratzer) in der naheliegenen Wohnung verarztet habe, sodaß ihm der Eintritt der Verletzung bekannt sein mußte.

 

Die Verpflichtung, von einem Verkehrsunfall, bei dem Personen verletzt wurden, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen, hängt nicht vom Grad der Schwere der Verletzung ab, sondern besteht auch von Vorliegen "nicht nennenswerter" Verletzungen (VwGH 18.6.1964, 423/64) und bloß geringfügiger Verletzungen (VwGH 22.1.1982, 81/02/0285).

 

Bei Beurteilung der Verständigungspflicht kommt es auch nicht darauf an, ob die entstandenen Verletzungen einer ärztlichen Versorgung bedürfen oder nicht (VwGH 9.5.1980, 1765/78), sondern einzig und allein darauf, ob ein Unfall mit Personenverletzung vorlag (VwGH 12.4.1973, 1833/72).

 

Im übrigen vermag nicht jede Verletzung einer Person schlechthin eine Hilfeleistungspflicht nach §4 Abs2, 1. Satz StVO auszulösen, sondern nur eine solche Verletzung, die objektiv eine Hilfeleistung erfordert (VwGH 27.4.1984, ZfVB 1984/6/3399), so kann zB eine geringfügige Hautabschürfung (Kratzer) im allgemeinen wohl kaum geeignet sein, Hilfe im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung erforderlich zu machen.

 

Die Pflicht zur Verständigung ist streng auszulegen, das Wort "sofort" im 2. Satz des §4 Abs2 StVO ist im wörtlichen Sinn zu verstehen.

 

Aus der Anzeige des Gendarmeriepostens M**** E********* läßt sich entnehmen, daß der Verletzte M****** um 1,10 Uhr (dieser Zeitpunkt blieb vom Beschuldigten unbestritten) die Anzeige bezüglich des gegenständlichen Verkehrsunfalles erstattete, sodaß die Hilfeleistung, sofern diese überhaupt für die Versorgung einer Schürfwunde und noch dazu im Ausmaß von einer Stunde erforderlich gewesen sein sollte, spätestens gegen 1,00 Uhr abgeschlossen war.

 

Die Meldung hat sofort nach der Hilfeleistung zu erfolgen. Selbst wenn man zu Gunsten des Beschuldigten davon ausgeht, daß die Schürfwunde eine Stunde lang "versorgt" wurde und diese Versorgung als notwendige Hilfeleistung im Sinne des §4 Abs2 StVO zu erachten ist, hätte sich der Beschuldigte nach eigenen Angaben erst 1 1/2 Stunden nach Beendigung der Hilfeleistung auf den Weg gemacht, um Anzeige zu erstatten, was der Erfüllung der Pflicht zur "sofortigen" Meldung keinesfalls entsprichenund genügen kann.

Der Beschuldigte hätte seiner Verpflichtung zur sofortigen Meldung im konkreten Fall insoferne sofort nachkommen können, als er zB selbst telefonisch Meldung erstatten oder seine Freundin mit der telefonischen oder persönlichen Verständigung des nächsten Polizei- oder Gendarmeriepostens beauftragen hätte können, zumal eine derartig geringfügige Verletzung wohl nicht der Versorgung durch zwei Personen (Beschuldigter und dessen Freundin) bedurft hätte.

 

Der Beschuldigte hat daher den Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach §4 Abs2 StVO in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht, sodaß der Schuldspruch im angefochtenen Straferkenntnis zu Recht erfolgte und aus diesem Grunde der Schuldberufung zu diesem Punkt keine Folge zu geben war.

 

Die Berufungsbehörde ist berechtigt und verpflichtet, im Rahmen der Sache und unter Bedachtnahme auf das Verbot der reformatio in peius den Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses dem §44a VStG entsprechend abzuändern.

 

Die vorgenommene Spruchabänderung betreffend die Tatbeschreibung, wonach es sich nicht um einen Verkehrsunfall mit verletzten Personen handelte, sondern nur eine Person (R****** M******) verletzt wurde, gründet sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschuldigten und sämtlicher Zeugen, sowie den übrigen Akteninhalt.

 

b.) Strafberufung:

 

Gemäß §19 VStG ist Grundlage für die Strafbemessung das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Darüberhinaus sind die Erschwerungs- und Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen, auf das Verschuldensausmaß Bedacht zu nehmen, sowie die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Die Verständigungspflicht nach einem Verkehrsunfall mit Personenverletzung soll insbesondere sicherstellen, daß die zur Hilfeleistung allenfalls notwendigen Maßnahmen der Sicherheitsdienststellen sofort ergriffen und notwendige Sicherungsvorkehrungen (Absicherung, Beweisaufnahme, Spurensicherung, etc) sofort getroffen werden können, sowie darüberhinaus den unfallsbeteiligten Personen zu ermöglichen, ohne unnötigen Aufwand klarzustellen, mit wem man sich hinsichtlich der Schadensregulierung auseinander zu setzen haben wird.

 

Der Unrechtsgehalt der Tat ist als nicht unwesentlich zu qualifizieren.

 

Gemäß §99 Abs2 lita StVO ist die Begehung einer Verwaltungsübertretung nach §4 Abs2 StVO mit einer Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis 6 Wochen zu bestrafen.

 

Die Behörde erster Instanz hat in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses ausgeführt, daß die Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens festgesetzt, dabei auch die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse berücksichtigt wurden und die so festgesetzte Strafhöhe dem Verschulden angemessen ist.

 

Nach den Angaben des Beschuldigten vom 22.5.1992 beziehe er kein Einkommen (Student der Wirtschaftsuniverität), habe kein Vermögen und keine Sorgepflichten.

 

Laut Auskunft der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkskommissariat ******* vom 15.6.1993 scheinen da keine Vormerkungen auf.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ wertet als mildernd, daß gegen den Beschuldigten keine Vormerkungen aktenkundig sind, als erschwerend keinen Umstand.

 

Gemäß §19 Abs2 VStG sind unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes die Bestimmungen der §§ 32 - 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden.

 

Die Berufungsbehörde berücksichtigt daher auch den Milderungsgrund des §34 Z1 StGB, nämlich den Umstand, daß die Tat nach Vollendung des 18. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres (zum Tatzeitpunkt stand der Beschuldigte vier Monate vor Vollendung des 21. Lebensjahres).

 

Die beiden Milderungsgründe können jedoch unter Beachtung des (erstinstanzlich nicht berücksichtigten) wesentlichen Unrechtsgehaltes des Tat, sowie aus spezial- und generalpräventiven Gründen zu keiner Herabsetzung der Strafe führen.

 

Dem (nach eigenen Angaben) noch nicht selbsterhaltungsfähigen, weil studierenden, Beschuldigten steht ein Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern zu, welcher ihm als Einkommen zuzurechnen ist. Ausgehend von einem nur durchschnittlichen Familieneinkommen erscheint die Geldstrafe angemessen, liegt im untersten Bereich des Strafrahmens und ist tat- und schuldangemessen.

 

Der Strafberufung war daher keine Folge zu geben und die von der Behörde erster Instanz verhängte Geldstrafe auch der Höhe nach zu bestätigen.

 

c.) Kosten:

 

Gemäß §64 Abs1 VStG ist in jeder Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, daß der Bestrafte einen Betrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.

 

Gemäß §64 Abs2 VStG ist dieser Beitrag für das Verfahren erster Instanz mit 10%, für das Berufungsverfahren mit weiteren 20%, jeweils der verhängten Strafe zu bemessen.

 

5. Sonstiges:

 

Von der Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war gemäß §51e Abs1 und Abs2 VStG abzusehen.

 

Sämtliche in dieser Entscheidung zitierten gesetzlichen Bestimmungen des AVG gelten gemäß §24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren und waren deshalb anzuwenden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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