Der BW war mit Straferkenntnis ua einer Übertretung des §21 Abs1 StVO für schuldig befunden worden, weil er seine Geschwindigkeit vermindert hatte, ohne daß es die Verkehrssicherheit erfordert hätte. Innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist war ihm aber nicht angelastet worden, daß sein Abbremsen jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend erfolgt sei und es waren darüber auch keine Maß- und Geschwindigkeitsangaben in der Anzeige enthalten.
Der UVS gab der Berufung in diesem Punkt Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gem §45 Abs1 Z3 VStG ein.
Des weiteren war er einer Übertretung des §46 Abs4 litd StVO für schuldig erkannt worden, weil er den Pannenstreifen einer Autobahn befahren hatte. Er brachte dagegen vor, daß er durch das Verhalten eines nachfolgenden Lenkers dazu veranlaßt worden sei, auf den Pannenstreifen zu fahren, denn dieser Lenker habe unter Setzung von Hup- und Blinksignalen so knapp aufgeschlossen, daß er zur Vermeidung einer ihm drohend erscheinenden Gefährdung ausgewichen wäre, er die Übertretung sohin nicht zu verantworten hätte. Der UVS gab der Berufung in diesem Punkt keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Bachler über die Berufung des Herrn M vom 19.5.1993 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat vom 4.5.1993, Zahl Pst 7711/F/92, wegen Übertretung der §§1) 11 Abs2, 2) 21 Abs1, 3) 46 Abs4 litd StVO 1960, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung in den Punkten 1) und 2) Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben sowie das Verfahren jeweils gemäß §45 Abs1 Z3 VStG eingestellt. Dem Berufungswerber wird gemäß §65 VStG kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Gemäß §66 Abs4 AVG wird der Berufung in Punkt 3) keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt. Der Berufungswerber hat daher gemäß §64 Abs1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 100,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe, zu bezahlen.
Begründung:
Zu Punkt 1):
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in einer Verfolgungshandlung im Sinne des §32 Abs2 VStG innerhalb der im §31 Abs2 VStG festgesetzten sechsmonatigen Frist zu beschreiben, ob bzw worin die Voraussetzungen für die Verpflichtung bestand, den Fahrstreifenwechsel anzuzeigen (zB VwGH 17.10.1984, 82/03/0061).
Dem Berufungswerber wurde in keiner Verfolgungshandlung zur Last gelegt, daß die Anzeige des bevorstehenden Fahrstreifenwechsels "erforderlich gewesen wäre, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang hätten einstellen können". Auch die dem Berufungswerber innerhalb der sechsmonatigen Frist vorgehaltene Anzeige enthält dieses Tatbestandselement nicht. Somit war der Spruch des Straferkenntnisses im Hinblick auf §44a VStG unvollständig und konnte mangels Verfolgungshandlung auch nicht ergänzt werden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zu Punkt 2):
Gemäß §21 Abs1 StVO ist nicht jede Geschwindigkeitsverminderung strafbar, sondern nur eine solche, welche jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend erfolgt, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, daß es die Verkehrssicherheit erfordert. Damit ist das "jähe und überraschende Abbremsen" ein wesentliches Tatbestandselement. Unter einem solchem jähem Abbremsen ist eine plötzliche ruckartige Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit durch Bremsen zu verstehen. Dieses Tatbestandselement wurde weder ausdrücklich noch in umschriebener Weise dem Berufungswerber innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist zur Last gelegt und ist auch nicht in der dem Berufungswerber vorgehaltenen Anzeige enthalten. Auch ist in der Anzeige nicht enthalten, auf welche Strecke die Verminderung der Fahrgeschwindigkeit erfolgte, sodaß auch auf dem Wege der Rückrechnung das Tatbestandselement des jähen und überraschenden Abbremsens nicht gewonnen werden konnte. Damit ist die im Straferkenntnis als erwiesen angenommene Tat unvollständig zur Last gelegt worden und konnte mangels rechtzeitiger Anlastung auch nicht ergänzt werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Punkt 3):
Der Berufungswerber stellte den Sachverhalt grundsätzlich außer Streit, gab jedoch an, daß er durch das Verhalten eines nachfolgenden PKW der Marke Audi dazu veranlaßt wurde, auf den Pannenstreifen zu fahren, denn dieser PKW habe unter Setzung von Hup- und Blinksignalen so knapp aufgeschlossen, daß der Berufungswerber zur Vermeidung einer ihm drohend erscheinenden Gefährdung ausgewichen wäre. Er sprach im Verfahren die Vermutung aus, daß der anzeigende Sicherheitswachebeamte diesen Audi gelenkt habe.
In der mündlichen Verhandlung gab der Meldungsleger, als Zeuge vernommen an, daß er als Lenker eines PKW Mitsubishi Galant hinter dem Berufungswerber gefahren sei, wobei sich zwischen den Fahrzeugen noch ein größeres Fahrzeug, vermutlich Mercedes, befunden habe. Ein knappes Auffahren des nachfolgenden Verkehrsteilnehmers wurde vom Zeugen nicht beschrieben. Doch selbst wenn man ausschließlich den Angaben des Berufungswerbers folgen würde, liegt darin, daß ein PKW-Lenker einem anderen PKW in nahem Abstand und gegebenenfalls unter Verletzung weiterer Vorschriften als des §18 Abs1 StVO (zB §99 Abs4 litd KFG) nachfährt, ergibt dies keinen Hinweis darauf, daß über die mit dem Straßenverkehr gerade im Falle des Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften verbundenen Gefahren hinausgehend zusätzlich noch eine schwere unmittelbare Gefahr bestehen würde, aus der es eine Rettung nur durch Übertretung von Verkehrsvorschriften (hier Befahren des Pannenstreifens) geben könnte. Angesichts der für den Lenker eines KFZ erforderlichen Charakter- und Willensstärke ist eine einer Notstandssituation nahekommende Situation daher nicht anzunehmen (vgl VwGH 21.9.1988, 87/03/0182; 28.3.1990, 89/03/0261).
Andere Schuldausschließungsgründe (wie zB die Zurechnungsunfähigkeit und das mangelnde Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder der Tatbildirrtum) sind nicht hervorgekommen.
Eine Herabsetzung der ohnehin milde bemessenen Strafe kam aus folgenden Gründen nicht in Betracht:
Die Tat schädigte in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der Verkehrssicherheit. Deshalb war der Unrechtsgehalt der Tat an sich nicht gering.
Das Verschulden des Berufungswerbers war zumindest als fahrlässig zu bewerten.
Bei der Strafbemessung wurden der Umstand, daß dem Berufungswerber der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht mehr zugutekommt, sowie die überdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse, die Vermögenslosigkeit und die Sorgepflicht für ein Kind berücksichtigt.
Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den bis S 10.000,-- reichenden Strafsatz ist die verhängte Geldstrafe keineswegs zu hoch.
Die Auferlegung des Beitrages zu den Kosten in Punkt 3) des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des §64 Abs1 und 2 VStG.