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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §29 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss , über die Beschwerde der NT, geboren am 16. Juni 1975, vertreten durch Dr. Martin Eder, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Wasagasse 29, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. April 2001, Zl. 221.226/0- IX/27/01, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Jänner 2001 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen der Ukraine, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im folgenden kurz AsylG) abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. Ihre dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als verspätet zurückgewiesen. Dies begründete die belangte Behörde damit, dass der Bescheid des Bundesasylamtes der Beschwerdeführerin am 17. Jänner 2001 durch Hinterlegung zugestellt worden sei, wogegen sie mit einem erst am 11. Februar 2001 zur Post gegebenen Schriftsatz Berufung erhoben habe.
In einem am 11. März 2001 zur Post gegebenen "Antrag auf schriftliche Entscheidung über den Berufungsantrag" habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass dem dem angefochtenen Bescheid beigefügten Text in russischer Sprache zu entnehmen gewesen wäre, die "Einspruchsfrist" begänne (erst), wenn sie den gegenständlichen Bescheid "in Händen halte". Dies wäre am 29. Jänner 2001 der Fall gewesen, sodass sie die gegenständliche Berufung rechtzeitig eingebracht hätte.
"Bei Zutreffen des Vorbringens" der Beschwerdeführerin, wonach der dem angefochtenen Bescheid beigefügten Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung zu entnehmen gewesen sei, dass die Rechtsmittelfrist erst dann beginne, wenn die Beschwerdeführerin den Bescheid in Händen halte, könne nach Ansicht der belangten Behörde die Möglichkeit einer Irreführung nicht ausgeschlossen werden. Es stelle sich daher die Frage, ob die Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung ins Russische als Teil der Rechtsmittelbelehrung zu qualifizieren sei, was aber unter Verweis auf einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verneinen sei. Auch sei aus Art. 8 B-VG, wonach die deutsche Sprache die Staatssprache der Republik sei, ableitbar, dass Übersetzungen des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung keine "höhere Qualität als bloß der von 'Bescheidbeigaben'" zukomme. Da somit für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Berufung ausschließlich die deutschsprachige Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Bescheides (welche nach Ausweis der Akten auf die Möglichkeit der Berufungseinbringung "innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung" des Bescheides hinweist) maßgeblich sei, erweise sich die Berufung als verspätet.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Auch in der Beschwerde verweist die Beschwerdeführerin - wie im übrigen bereits in ihrer Berufung - auf den in der russischen Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung (angeblich) enthaltenen Hinweis, "die Einspruchsfrist beginne erst, wenn die Berufungswerberin den gegenständlichen Bescheid in Händen halte". Da sie den Bescheid am 29. Jänner 2001 übernommen habe, habe sie den "unrichtigen Fristrahmen der Rechtsmittelbelehrung" eingehalten, indem sie ihre Berufung am 11. Februar 2001 zur Post gegeben habe.
Gemäß § 29 Abs. 1 erster Satz AsylG haben Bescheide den Spruch, die Rechtsmittelbelehrung und den Hinweis nach § 61a AVG in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.
Gemäß § 61 Abs. 3 AVG gilt dann, wenn in dem Bescheid eine längere als die gesetzliche Frist angegeben ist, das innerhalb der angegebenen Frist eingebrachte Rechtsmittel als rechtzeitig.
Die belangte Behörde trifft im angefochtenen Bescheid ungeachtet des wiedergegebenen Vorbringens der Beschwerdeführerin keine Feststellungen darüber, welchen Wortlaut die dem Bescheid des Bundesasylamtes zugehörige russische Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung hat, insbesondere ob nach dem Inhalt dieser Übersetzung der Beginn der Rechtsmittelfrist mit dem Zeitpunkt angegeben ist, in dem der Bescheid der Partei tatsächlich zukommt. Die belangte Behörde vertritt dazu erkennbar die Auffassung, eine solche Feststellung erübrige sich, da es auf den Wortlaut der - lediglich als "Bescheidbeigabe" zu wertenden - Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung nicht ankomme; maßgeblich sei ausschließlich die deutschsprachige Rechtsmittelbelehrung.
Zutreffend ist zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu § 18 Abs. 1 Asylgesetz 1991, wonach dem Bescheid eine Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung "anzuschließen" war, davon ausgegangen ist, dass ein Verstoß gegen diese Bestimmung als bloße Ordnungswidrigkeit zu beurteilen ist und die Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. September 1993, Zl. 92/01/1074). Der hg. Judikatur zur Übersetzungspflicht der Rechtsmittelbelehrung nach der letztgenannten Bestimmung lagen regelmäßig Fälle des "Fehlens" einer in eine dem Asylwerber verständliche Sprache übersetzten Rechtsmittelbelehrung zugrunde, was auch auf das im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 99/01/0191, zutrifft.
Vom Fall des Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung ist jedoch der einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich zu unterscheiden, auf die ein Rechtsmittelwerber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vertrauen durfte (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 38 f zu § 61 AVG referierte hg. Judikatur). Wenn nämlich in einer positiven Rechtsmittelbelehrung nicht die von Gesetzes wegen vorgesehene, sondern eine längere Rechtsmittelfrist angegeben ist (§ 61 Abs. 3 AVG), wird der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Gesetzes im Interesse der Partei durchbrochen: das Rechtsmittel kann innerhalb der angegebenen längeren Frist eingebracht werden (vgl. Walter/Thienel, aaO, Anm. 13 zu § 61 AVG).
Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang den Rechtsstandpunkt vertritt, die Übersetzung einer Rechtsmittelbelehrung nach § 29 Abs. 1 AsylG sei nur als "Bescheidbeigabe" zu werten (wodurch eine in dieser Übersetzung genannte längere als die gesetzlich normierte Rechtsmittelfrist nicht "in dem Bescheid" im Sinn des § 61 Abs. 3 AVG angegeben wäre), so ist sie auf die neuere hg. Judikatur zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf den gegenüber § 18 Abs. 1 Asylgesetz 1991 geänderten Wortlaut des § 29 Abs. 1 AsylG, wonach Bescheide den Spruch, die Rechtsmittelbelehrung und den Hinweis nach § 61a AVG in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache "zu enthalten" haben, ausgesprochen, dass auch der Spruch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache Bestandteil des Bescheides ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0473, und die dort wiedergegebene Vorjudikatur). Nichts anderes kann im Hinblick auf den Wortlaut des § 29 Abs. 1 AsylG für die Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung gelten.
Somit stellt sich die Frage, ob § 61 Abs. 3 AVG auch zum Tragen kommt, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung - im Widerspruch zu der im Bescheid enthaltenen deutschsprachigen Rechtsmittelbelehrung - eine längere als die gesetzlich normierte Rechtsmittelfrist angibt. Der Wortlaut dieser Bestimmung scheint dies jedenfalls nicht auszuschließen.
Nach den Gesetzesmaterialien (Bericht des Verfassungsausschusses) zu § 61 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1925, BGBl. Nr. 274, war es Absicht des Gesetzgebers, der Partei durch "unrichtige Angaben über die Berufungsfrist oder über die Einbringungsstelle nicht zu schaden" (360 BlgNR 2. GP 19).
Die Erläuterungen zu § 18 Abs. 1 AsylG 1991 als Vorgängerbestimmung zu der im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmung des § 29 Abs. 1 AsylG führten aus, durch die amtswegige Übersetzung der wesentlichen Bescheidelemente solle "verhindert werden, dass ein Asylwerber eine Rechtsmittelfrist aus Unkenntnis des Inhaltes seines ihm zugestellten Bescheides nicht wahren kann" (270 BlgNR 18. GP 21). Mit der Ausdehnung der Übersetzungspflicht in § 29 Abs. 1 AsylG geht der Gesetzgeber einen Schritt weiter in die Richtung, "dass der Betroffene die ihm zustehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zweckentsprechend wahrnehmen kann" (686 BlgNR 20. GP 28).
Berücksichtigt man die wiedergegebenen Intentionen des Gesetzgebers und geht man weiters davon aus, dass im Regelfall (nur) die in eine dem Asylwerber verständliche Sprache übersetzte und nicht (auch) die deutschsprachige Rechtsmittelbelehrung die Grundlage für die Inanspruchnahme seiner Rechtsschutzmöglichkeiten darstellt, so kann dies im Hinblick auf § 29 Abs. 1 AsylG iVm. § 61 Abs. 3 AVG nur zu dem Ergebnis führen, dass bereits eine in der Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung angegebene längere als die gesetzlich normierte Rechtsmittelfrist die in § 61 Abs. 3 AVG normierten Folgen hat.
Nach dem Gesagten hängt somit im vorliegenden Fall die Beantwortung der Frage der Rechtzeitigkeit der von der Beschwerdeführerin am 11. Februar 2001 zur Post gegebenen Berufung davon ab, ob die einen Teil des erstinstanzlichen Bescheides bildende russische Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung den von der Beschwerdeführerin genannten Inhalt hatte und, bejahendenfalls, wann der Beschwerdeführerin der am 17. Jänner 2001 hinterlegte Bescheid des Bundesasylamtes tatsächlich zukam. Feststellungen darüber unterließ die belangte Behörde, da sie von einer unzutreffenden Rechtsauffassung ausging. Der darin gelegene sekundäre Verfahrensmangel belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da die in dieser Verordnung festgesetzten Pauschalbeträge die Umsatzsteuer bereits enthalten, war das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin abzuweisen.
Wien, am 27. September 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001200435.X00Im RIS seit
29.11.2001