TE UVS Wien 1993/09/24 06/23/367/93

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Veröffentlicht am 24.09.1993
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Bestätigt von VwGHZl 94/18/0185 vom 8.2.1996 Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag Schöbinger über die fristgerecht eingebrachte Berufung der Frau Alp N gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro vom 9.7.1993, IV-Pst 9078/FrB/92, mit welchem 1) der Antrag vom 2.4.1993 auf Wiederaufnahme des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 69 Abs 1 AVG und 2) der Antrag vom  2.4.1993 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs 1 AVG abgewiesen wurde sowie 3) der Einspruch vom 2.4.1993 gegen die gegenständliche Strafverfügung gemäß § 49 Abs 1 VStG als verspätet zurückgewiesen wurde, entschieden:

Der zu den Punkten 2) und 3) des obzitierten Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien - Fremdenpolizeiliches Büro fristgerecht erhobenen Berufung wird keine Folge geben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Punkte 2) und 3) mit der Maßgabe bestätigt, daß die unter Punkt 2) zitierte gesetzliche Bestimmung "§ 71 Abs 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG" zu lauten hat.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Punkt 2) der Antrag vom 2.4.1993 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs 1 AVG abgewiesen und unter Punkt 3) der Einspruch vom 2.4.1993 gegen die gegenständliche Strafverfügung gemäß § 49 Abs 1 VStG als verspätet zurückgewiesen.

Die Berufungswerberin (im folgenden: BW) brachte folgendes vor:

"Mit dem angefochtenen Bescheid weist die Behörde erster Instanz den Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens ab, ebenso den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Einspruch gegen die Strafverfügung wies sie als verspätet zurück. Die vorliegende Berufung richtet sich nun gegen Punkt 2) und Punkt

3) des angefochtenen Bescheides.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wäre statt zu geben gewesen, weil es nicht auf das Verschulden der Partei ankommt, wie die Erstbehörde auf Seite 2 zu Punkt 2) glauben machen will.

Allein aus dem Gesetzeszitat des § 71 AVG ergibt sich, daß die Behörde erster Rechtsstufe ein unrichtiges Gesetzeszitat vornimmt. Sie hat jene Bestimmung des § 71 Abs 1a AVG zitiert (Arg: "... daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen."), die nicht mehr in Geltung steht. Die Worte "ohne ihr Verschulden" kommt in der aktuellen Gesetzestextierung des § 71 Abs 1a AVG gar nicht vor, weil die Bestimmung heißt: "... verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft ...".

Der Erstbehörde ist entgegenzuhalten, daß sie ihre Entscheidung auf eine nicht mehr in Gesetzeskraft stehende Formulierung des § 71 Abs 1a AVG gestützt hat, sodaß allein schon deshalb sie zu einer falschen Entscheidung kommen mußte.

Der Behörde erster Rechtsstufe dürfte offenbar BGBl Nr 357/1990 Art I Z 25 entgangen sein, wonach § 71 Abs 1a AVG neu gefaßt und in BGBl Nr 50/1991 das AVG aufgrund der Änderungen wiederverlautbart wurde.

Daraus ergibt sich, daß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann zu bewilligen ist, wenn die Partei kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Da aber die Behörde erster Rechtsstufe von einem nicht mehr gültigen Gesetzestext ausgegangen ist, zur Frage des minderen Grades des Versehens überhaupt keine Aussage getroffen hat, hat sie in amtshaftungsbegründender Weise den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.

Selbst nach der alten Rechtslage war ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis auch ein Geschehen, das sich im Inneren abspielte, sogenannte psychologische Vorgänge, daß also auch jemand, dem die Rechtsbelehrung nicht zu Bewußtsein kommt (mangels ausreichender Deutschkenntnisse) vor einem unabwendbaren Ereignis steht, das ihn in die Lage versetzt, rechtzeitig die vorgesehenen Rechtsmittel bzw Rechtsbehelfe zu erheben.

Darüberhinaus ist die Frage des Verschuldens von der Behörde erster Instanz, die Frage des minderen Grades des Versehens gar nicht geprüft worden, was nur deshalb geschehen konnte, weil die Behörde erster Rechtsstufe von einer nicht mehr gültigen Gesetzeslage ausgegangen ist.

Infolgedessen hat auch Punkt 3) des bekämpften Bescheides behoben zu werden, weil eine Zurückweisung dann nicht stattfinden kann, wenn dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Folge zu geben ist.

Im übrigen ist - wie der Behörde erster Instanz bekannt - die Berufungswerberin am 01.01.1975 geboren. Sie war zum Zeitpunkt der Zustellung am 24.12.1992 noch nicht eigenberechtigt. Wie der Behörde erster Rechtsstufe bekannt sein mußte - wie sich dies auch aus dem Akteninhalt ergibt - war die Berufungswerberin im Asylverfahren durch den Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie vertreten.

Da die Berufungswerberin zum Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung und zum Zeitpunkt der Zustellung nicht voll handlungsfähig war und nicht an ihren gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde, ist die Strafverfügung daher nicht wirksam ergangen.

Das gesamte bisher abgeführte Verwaltungsstrafverfahren leidet an einer nicht sanierbaren Rechtswidrigkeit, sodaß allein schon aus diesem Grund, ohne daß die Berufungswerberin darauf besonders hinweisen hätte müssen, dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben hätte werden müssen."

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

zu Punkt 2):

§ 71 Abs 1 Z 1 AVG bestimmt:

Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Den Berufungsausführungen ist daher bezüglich der zur Anwendung kommenden Fassung des AVG beizupflichten. Die Erstbehörde ging jedoch nach Auffassung des UVS zu Recht davon aus, daß die mangelnden Deutschkenntnisse der BW keinen Wiedereinsetzungsgrund iS der vorzit gesetzlichen Bestimmung darstellen (vgl VwGH 20.12.1971, 1603/71). Daß sich die BW nicht um eine rechtzeitige Übersetzung gekümmert hat, ist nach Auffassung des UVS zumindest als minderer Grad des Versehens iS einer auffallenden Sorglosigkeit zu werten, da von der BW, welche zum Zeitpunkt der Übernahme der ggstdl Strafverfügung beinahe 18 Jahre alt war, jedenfalls erwartet werden konnte, daß sie sich eine Übersetzung anfertigen läßt, zumal sie selbst - wie aus dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 2.4.1993 hervorgeht - der Meinung war, daß sie bereits zum zweiten Mal "für ihr negatives Asylverfahren zu bezahlen hätte" und daher umso eher zur Abklärung dieser für sie unklaren Rechtsangelegenheit einer Übersetzung bedurft hätte.

zu Punkt 3:

§ 49 Abs 1 VStG bestimmt:

Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.

Die ggstdl Strafverfügung vom 18.12.1992, Zl IV-Pst 9078/FrB/92, wurde lt dem im Verwaltungsakt einliegenden Rückschein von der BW am 24.12.1992 eigenhändig übernommen und somit rechtswirksam zugestellt. Die Rechtsmittelfrist endete daher am 7.1.1993. Der Einspruch wurde jedoch trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung erst am 4.4.1993 bei der Erstinstanz eingebracht.

zu Punkt 2) und 3):

Den Berufungsausführungen, daß die Strafverfügung nicht wirksam ergangen wäre, da die BW zum Zeitpunkt deren Erlassung nicht voll handlungsfähig gewesen und nicht an deren gesetzl Vertreter zugestellt worden sei, ist die Bestimmung des § 59 Abs 1 VStG entgegenzuhalten, wonach die Behörde den bekannten gesetzlichen Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten von der Einleitung des Strafverfahrens und dem Straferkenntnis zu benachrichtigen hat, wenn sie es in seinem Interesse für notwendig oder zweckmäßig hält. Nach der Judikatur des VwGH (vgl zB VwGH 9.4.1987, 86/02/0174, 0175 und 8.11.1961, 2441/60) ist der mj Beschuldigte über 14 Jahre im Verwaltungsstrafverfahren selbst prozeßfähig; die an ihn erfolgte Zustellung des Straferkenntnnisses ist rechtswirksam. Einer Zustellung an den gesetzlichen Vertreter bedarf es nicht (vgl § 59 VStG). Der gesetzliche Vertreter hat kein originäres Berufungsrecht, sondern nur ein aus dem Berufungsrecht des jugendlichen Beschuldigten abgeleitetes und stellt die subsidiäre Wahrnehmung von Parteirechten des Jugendlichen dar. Es besteht sohin keine gesetzliche Verpflichtung für die Behörde, in jedem Falle dem gesetzlichen Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten eine Ausfertigung des Straferkenntnisses zuzustellen. Die Beurteilung der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Zustellung obliegt dem Ermessen der Behörde. Die Aktenlage bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Zustellung der ggstdl Strafverfügung an den gesetzlichen Vertreter der BW mißbräuchlich unterblieben wäre, zumal die BW zum Zeitpunkt der Zustellung der Strafverfügung - wie bereits ausgeführt - das 18. Lebensjahr fast vollendet hatte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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