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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Mai 2001, Zl. 221.854/0-VI/18/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz (mitbeteiligte Partei: N, geboren am 25. März 1979, in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste am 26. Februar 2001 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und gab im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 16. März 2001 an, der armenischen Volksgruppe anzugehören und gregorianischer Christ zu sein. Er sei nicht im Besitz von Dokumenten, da diese bei der Militäreinheit verblieben seien. Im Zuge der weiteren Einvernahme führte der Mitbeteiligte aus, dass er vom Militärdienst desertiert und am 2. oder 3. Jänner 2001 geflüchtet sei, weil er als Armenier wegen der aserbaidschanischen Volksgruppenzugehörigkeit und des moslemischen Glaubens seines Vaters Schwierigkeiten gehabt habe. Als Sohn eines Aserbaidschaners sei er bereits in seiner Kindheit beleidigt und nun im Militärdienst von seinen Kameraden sogar mit dem Tod bedroht worden. Über Vorhalt, dass der von ihm angegebene (seinem eigenen Familiennamen gleiche) Name seines Vaters ein armenischer Name sei, gab der Mitbeteiligte an, bei der "Ersteingabe" gelogen zu haben, weil er Angst gehabt habe, dass seine Mutter Probleme bekommen könnte, wenn er die Wahrheit sage. "Nazaryan" sei in Wirklichkeit "der Name seiner Großmutter väterlicherseits" gewesen, was der Mitbeteiligte in weiterer Folge dahingehend korrigierte, dass dies der Name seiner Mutter gewesen sei. Sein Vater habe mit Familiennamen ursprünglich Abidov geheißen, im Zuge der Probleme mit Aserbaidschan seinen Namen jedoch 1988 ändern lassen. Dennoch habe er, der Mitbeteiligte, schon bei seiner Geburt den Namen seiner Mutter erhalten, weil diese das so gewollt habe.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. März 2001 wurde der Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. Dazu führte die Behörde begründend aus, der Mitbeteiligte habe bis zu seiner Einvernahme am 16. März 2001 nicht angedeutet, aus einer Mischehe zu stammen und die Namensänderung seines Vaters erst über Vorhalt der Behörde bekannt gegeben. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Probleme er für seine Mutter bei Bekanntgabe der wahren Familiengeschichte zu befürchten hätte. Auch sei nicht vorstellbar, dass der Vater als Moslem zugestimmt habe, dem Mitbeteiligten den Familiennamen der Mutter zu geben. Es komme daher dem Vorbringen des Mitbeteiligten, als Sohn eines moslemisch-gläubigen Aserbaidschaners zur Welt gekommen zu sein, sowie den darauf aufbauenden Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zu.
In seiner dagegen eingebrachten Berufung führte der Mitbeteiligte unter anderem aus, ein Asylantrag dürfe nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn es offensichtlich und eindeutig sei, dass er jeglicher Grundlage entbehre. Dies sei im Hinblick auf sein Vorbringen nicht der Fall, wofür er zum Beweis die Einvernahme seiner Person beantragte. Wenn sich sein Vorbringen auch nur in einem Punkt "möglicherweise auf eine wahre Tatsache" stütze, scheide die Anwendbarkeit des § 6 Z 3 AsylG bereits aus. Dass er desertiert sei, sei aber ebenso eine "möglicherweise wahre Tatsache", wie die seine Desertion auslösenden Schikanen und Morddrohungen.
In der vor der belangten Behörde durchgeführten Berufungsverhandlung ergänzte der Mitbeteiligte, er sei auf Grund seiner aserbaidschanischen Abstammung im Rahmen seines Militärdienstes vom Kommandanten schikaniert und von Kameraden erpresst worden. Als er solchen Erpressungsversuchen nicht mehr habe nachgeben wollen, sei er mit dem Messer bedroht worden und geflüchtet. Angesprochen auf seine Identität legte der Mitbeteiligte in der Berufungsverhandlung einen armenischen Führerschein vor. Als Grund, weshalb er das Dokument nicht schon früher vorgewiesen habe, gab er an, dass er im erstinstanzlichen Verfahren auf Anraten anderer armenischer Asylwerber im Flüchtlingslager "zu Beginn falsche Angaben" gemacht habe, um nicht sofort abgeschoben zu werden. Er habe dann aber nachgedacht, dass er "doch nicht nur falsche Angaben tätigen könne". Da der Beamte erzürnt gewesen sei, als er diesem die Wahrheit habe erzählen wollen, habe er sich entschlossen, ihm auch nichts von seinem Führerschein zu sagen.
Die belangte Behörde behielt den vorgelegten Führerschein zur Überprüfung ein und ersuchte die Kriminaltechnische Zentralanstalt des Bundesministeriums für Inneres mit Schreiben vom 10. Mai 2001 um kriminaltechnische Untersuchung dieses Dokumentes. Eine laienhafte Betrachtung äußerer Merkmale des vorgelegten Dokumentes, so die belangte Behörde in ihrem Ersuchen, habe massive Zweifel an der Echtheit der Urkunde ergeben. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb der angeblich von einer armenischen Behörde aus dem Jahre 1997 stammende Führerschein nicht in armenischer, sondern in russischer Sprache und auf einem aus Zeiten der UdSSR stammenden Formular ausgestellt worden sein solle.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt, behob den Bescheid des Bundesasylamtes und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Die Tatbestandsvoraussetzungen der von der Behörde erster Instanz als Rechtsgrundlage herangezogenen Bestimmung des § 6 Z 3 Asylgesetz seien nach Ansicht der belangten Behörde im Hinblick auf die genannten Angaben des Mitbeteiligten in der Berufungsverhandlung nicht erfüllt, da dessen Angaben nicht als offensichtlich unglaubwürdig zu qualifzieren seien. Der Mitbeteiligte habe im Rahmen der Berufungsverhandlung zweifelsfrei ein Vorbringen erstattet, das eine Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat zum Inhalt habe und "theoretisch Asylrelevanz entfalten könne". Zwar habe der Mitbeteiligte bei der erstinstanzlichen Einvernahme personenbezogene Daten teilweise falsch angegeben. Im Hinblick darauf, dass er dies aber mit Ratschlägen anderer Flüchtlinge erklärt und nunmehr ein Dokument aus Armenien vorgelegt sowie weitere Unterlagen aus Armenien (gemeint: zum Nachweis seiner Identität) "für die nächste Zeit angekündigt" habe, könne sein Asylantrag keinesfalls mehr als "offensichtlich unbegründet" angesehen werden. "Im fortgesetzten Verfahren gemäß § 7 AsylG", so die belangte Behörde weiter, "werde jedoch zweifelsfrei der Inhalt der vom Mitbeteiligten vorzulegenden Urkunden, aber auch das Ergebnis der Überprüfung des (nunmehr doch aufgetauchten) angeblichen armenischen Führerscheins zu berücksichtigen sein".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Bundesminister für Inneres erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Nach den Ausführungen der vorliegenden Amtsbeschwerde habe die belangte Behörde durch den Gutachtensauftrag an die Kriminaltechnische Zentralanstalt zum Ausdruck gebracht, dass dieses Gutachten für die Beurteilung, ob der Asylantrag des Mitbeteiligten offensichtlich unbegründet sei, von Bedeutung sei. Angesichts ihrer Ermittlungspflicht in Bezug auf die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages hätte sie daher der Berufung des Mitbeteiligten nicht stattgeben dürfen, ohne zunächst das Ergebnis der kriminaltechnischen Überprüfung des von diesem vorgelegten Führerscheines abzuwarten. Die bloße Ankündigung des Mitbeteiligten, weitere Dokumente nachzubringen, könne jedenfalls nicht zur Beurteilung, der gegenständliche Asylantrag sei nicht offensichtlich unbegründet, führen.
Gemäß § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG ist der Berufung gegen einen gemäß § 6 AsylG erlassenen Bescheid stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zutrifft. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildet nur die "offensichtliche Unbegründetheit" des Asylantrages den Gegenstand der Überprüfung durch die Berufungsbehörde. Bei dieser Entscheidung sind auch die in der Berufung vorgebrachten Neuerungen (nur) daraufhin zu prüfen, ob der Asylantrag mit Rücksicht auf sie noch "eindeutig jeder Grundlage entbehrt" (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Juli 1999, Zl. 98/20/0464, vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320, sowie zuletzt vom 26. Juni 2001, Zlen. 99/20/0611 und 2000/20/0015). Nur dann, wenn "unmittelbar einsichtig" ist und sich das Urteil quasi "aufdrängt", dass die vom Asylwerber vorgebrachten und für die Beurteilung seines Asylansuchens maßgeblichen Schilderungen tatsächlich wahrheitswidrig sind, erreicht das Vorbringen ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG als erfüllt angesehen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).
Auch wenn der Mitbeteiligte im Verwaltungsverfahren eingestanden hat, vor der Behörde erster Instanz zunächst falsche Angaben über die Abstammung seines Namens und den Besitz von Dokumenten gemacht zu haben, so begründet dies im Hinblick auf die von ihm dafür vorgebrachten Erklärungen, ein anderer Asylwerber im Flüchtlingslager habe ihm zu den falschen Aussagen zum Schutz vor sofortiger Abschiebung geraten und er habe Angst gehabt, die Wahrheit zu sagen, nicht zwingend die - qualifizierte - Unglaubwürdigkeit der von ihm geschilderten Bedrohungssituation (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2000/01/0214). Auch bei Zugrundelegung der sonstigen, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits vorhandenen Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Schilderungen des Mitbeteiligten über ihm im Zuge seines Militärdienstes widerfahrene Erpressungsversuche und Bedrohungen, entbehrt der Asylantrag nicht schon "eindeutig" jeder Grundlage.
Hingegen vermag die Tatsache, dass der Mitbeteiligte zur Unterstützung seines Vorbringens die Vorlage weiterer Urkunden für die nächste Zeit (bloß) "angekündigt hat", die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht freilich noch nicht auszuschließen.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen der Amtsbeschwerde ist nun der Frage nachzugehen, ob sich die belangte Behörde mit dem im Entscheidungszeitpunkt vorgelegenen Ermittlungsstand begnügen und (bereits) darauf ihre rechtliche Beurteilung über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 6 AsylG stützen durfte oder zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung erst nach Einholung weiterer Ermittlungsergebnisse, insbesondere solcher über die Identität des Mitbeteiligten, berechtigt war.
Zutreffend ist, dass der Richtigkeit der Angaben des Mitbeteiligten über seine Identität und seine Herkunft dabei grundsätzlich maßgebliche Bedeutung für die Frage zukommt, ob die von ihm angegebenen - aus seiner behaupteten Abstammung resultierenden - Verfolgungsgründe überhaupt zutreffen können. Entsprächen - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens - die Angaben des Asylwerbers über eine Bedrohungssituation in dem von ihm als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat offensichtlich nicht den Tatsachen, weil seinem Vorbringen insbesondere wegen eines Täuschungsversuches über seine wahre Identität keinerlei Glaubwürdigkeit zukommt, so läge in Ermangelung eines "sonstigen Hinweises" auf eine asylrelevante Verfolgung ein offensichtlich unbegründeter Asylantrag im Sinne des § 6 Z 3 Asylgesetz vor (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 2000, Zl. 99/20/0590 und vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0106).
Im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte in seiner Berufung die Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid u.a. auch zur Frage seiner Abstammung und Identität bekämpft und zum Nachweis der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens die Einvernahme seiner Person beantragt hat, hat die belangte Behörde - zu Recht - eine mündliche Verhandlung durchgeführt, auf deren Ermittlungsergebnisse sich der angefochtene Bescheid stützt. Zu weiterführenden Ermittlungen, die über die mündliche Verhandlung hinausgehen, ist die belangte Behörde aber, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Juli 2001, Zl. 99/20/0611, ausgesprochen hat, im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 in Verbindung mit § 6 AsylG grundsätzlich nicht verpflichtet, da ihr eine erschöpfende Klärung des asylrelevanten Sachverhaltes im Rahmen dieses Verfahrens nicht obliegt. Erfordert daher die Klärung des für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhaltes, im vorliegenden Fall die Überprüfung der Behauptungen des Asylwerbers über seine Identität, die Einholung eines Sachverständigengutachtens, dann liegen die zu einer "offensichtlichen" Unbegründetheit des Asylantrages führenden Umstände nicht so klar auf der Hand, dass sich das Urteil, der Asylantrag entbehre "eindeutig" jeder Grundlage, im Sinn des eingangs Gesagten quasi "aufdrängt". Unter diesem Gesichtspunkt macht es auch keinen Unterschied, ob die belangte Behörde im Verfahren nach § 6 AsylG, wie im vorliegenden Fall, bloß das Einlangen eines von ihr bereits in Auftrag gegebenen Gutachtens nicht abwartet, oder aber die Einholung eines Sachverständigengutachtens überhaupt unterlässt.
Da sich der angefochtene Bescheid somit nicht als rechtswidrig erweist, war die vorliegende Amtsbeschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. September 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001200393.X00Im RIS seit
05.03.2002