Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Einzelmitglied
Dr. Helmut Pollak über die Berufung des Herrn A B, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Augustin, Franz-Josef-Straße 6/P, 8700 Leoben, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Leoben vom 12.5.1993, GZ.: St 552/93, nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 24.02.94, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung dem Grunde nach keine Folge gegeben, jedoch wird der Berufung hinsichtlich der Strafhöhe Folge gegeben und die Strafhöhe wie folgt festgesetzt:
Gemäß § 134 Abs 1 KFG: S 1.000,--, im Uneinbringlichkeitsfall 50 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe."
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG reduzieren sich die Kosten des Verfahrens der ersten Instanz (10 % der verhängten Strafe) auf S 100,-- .
Der Berufungswerber wurde von der Behörde erster Instanz wegen einer Übertretung des § 64 Abs 1 KFG mit einer Geldstrafe von S 2.000,-- (im Uneinbringlichkeitsfall 100 Stunden Ersatzarrest) gemäß § 134 KFG bestraft.
Der Berufungswerber erhob rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung, wandte ein, § 84 KFG wäre in seinem Fall anwendbar. Der Berufung kommt teilweise (in bezug auf die Strafhöhe) Berechtigung zu.
Folgender Sachverhalt wird nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens vom Unabhängigen Verwaltungssenat festgestellt:
Herr A B begann am 27.8.1990 bei der Firma V Ges.m.b.H., Metall und Technik, mit Sitz in L, Sch-straße 16 - 20, zu arbeiten. Der Berufungswerber meldete sich am 21.11.1990 im Ortsgebiet von L an. Der vorige Wohnsitz war in St. P o F. Nach mehreren Wohnsitzwechseln im Stadtgebiet von L, meldete sich der Berufungswerber am 14.12.1992 bei der jetzt gültigen Adresse, Sch-straße 18, L, an. Mit Eingabe vom 21.12.1992 beantragte Herr B gemäß § 37 KFG die Zulassung des Fahrzeuges PKW Audi 80. Diesem Antrag wurde am gleichen Tage entsprochen und erteilte die BPD Leoben die Zulassung und wies das Kennzeichen LE 5 NXB zu. In dem Antrag um Erteilung der Zulassung gab der Berufungswerber bekannt, er wohne in Sch-straße 18, L. Ein diesbezüglicher Vermerk des Zulassungsbeamten laut Meldezettel, befindet sich im Akt in Kopie befindlichen Antragsformular. Der Berufungswerber ist im Besitz eine rumänischen Führerscheines und einer solchen Lenkerberrechtigung. Dieser wurde am 27.6.1992 ausgestellt und weist die Nummer C 012330 S auf. Die Ausstellungsbehörde ist das rumänische Innenministerium Departement Polizei. Der Berufungswerber ist Inhaber des Reisepasses, dieser ausgestellt von der rumänischen Botschaft in Wien am 20.5.1991, befristet bis 20.5.1996. Die BPD Leoben erteilte einen Wiedereinreisesichtvermerk am 22.1.1993 für eine mehrmalige Wiedereinreise nach Österreich; diese befristet bis 20.1.1995. Diese Feststellungen gründen sich einerseits auf die im Ermittlungsverfahren einvernommenen Zeugen, die Angaben des Berufungswerbers und die im Akt befindlichen Kopien der Meldescheine, des Führerscheines sowie des Reisepasses und dem Antrag auf Zulassung eines Fahrzeuges.
Gemäß § 64 Abs 5 KFG ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Grund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit dem ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet zulässig, wenn seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Bundesgebiet nicht mehr als 1 Jahr verstrichen ist. § 71 Abs 3 KFG bleibt unberührt. §§ 84 und 86 Abs 1a und Abs 2 KFG zweiter Satz gelten sinngemäß.
Gemäß § 79 Abs 3 KFG können Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen ordentlichen Wohnsitz haben, von einem ausländischen Zulassungsschein oder Führerschein, der vom Staat ihres Wohnsitzes ausgestellt ist, im Bundesgebiet Gebrauch machen, wenn sie eine Bestätigung der Behörde, in deren örtlichen Wirkungsbereich der Wohnsitz liegt, vorweisen, in der das Vorliegen eines Doppelwohnsitzes festgestellt wird. Solche Bestätigungen sind auf Antrag jeweils nur auf die Dauer eines Jahres auszustellen.
Gemäß § 84 Abs 1 KFG ist das Lenken von Kraftfahrzeugen und das Ziehen von Anhängern auf Straßen mit öffentlichem Verkehr durch Personen ohne ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet auf Grund einer von einem Mitgliedsstaat des Pariser Übereinkommens über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (BGBl. Nr. 304/1930), des Genfer Abkommens über den Straßenverkehr (BGBl. Nr. 222/1955) oder des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr (BGBl. Nr. 289/1982) erteilten Lenkerberechtigung zulässig, wenn der Besitzer der Lenkerberechtigung das 18.-, bei Kleinmotorrädern das 16. Lebensjahr vollendet hat.
Gemäß § 64 Abs 1 KFG 1967 ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur auf Grund einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe zulässig (§ 65 Abs 1) in die das Kraftfahrzeug fällt. ... Die Bestimmungen des § 77 über die Heereslenkerberechtigung sowie des Absatzes 5 und des § 84 über ausländische Lenkerberechtigungen bleiben unberührt.
Anhand der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe auch Erk. 10.9.1982, Zl. 02/3867/1980) wurde ausgeführt, daß der ordentliche Wohnsitz im kraftfahrrechtlichen Sinn an dem Ort begründet ist, an dem sich der Zulassungsbesitzer in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu wählen; hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben. Zwischen diesem kraftfahrrechtlichen Begriff des Wohnsitzes und jenem des § 66 Abs 1 JN besteht kein Unterschied; für beide Begriffe sind zwei Elemente wesentlich: ein tatsächliches Moment (Niederlassung einer Person an einem Ort) und ein physisches Moment (Absicht, diesen Ort bis auf weiters zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu gestalten). Eine Person kann auch an zwei oder mehreren Orten ihr Wohnstätte in der Absicht aufgeschlagen haben, an diesen Orten ständig ihre Lebensführung in zweckbestimmter Ordnung zu verteilen. Polizeiliches An- und Abmelden kommt sowohl für die Beurteilung der Begründung des Wohnsitzes einer Person an einem bestimmten Ort als auch für jene der Aufhebung eines Wohnsitzes nur Indizfunktion, aber keine Bindungswirkung zu.
Im Erkenntnis vom 2.12.1987, Zl. 87/03/0189, hat der VwGH unter anderem ausgeführt:
Die Begründung eines Wohnsitzes setzt einen tatsächlichen ununterbrochenen Aufenthalt an diesem Ort nicht voraus, vielmehr kann auch ein aus einem bestimmten Anlaß zeitlich beschränkter Aufenthalt einen Wohnsitz begründen, wobei der polizeilichen Anmeldung kein entsprechendes Gewicht beizumessen ist. Eine Person kann auch mehrere Wohnsitze haben, wobei die Begründung eines neuen Wohnsitzes noch nicht bedeutet, daß der alte Wohnsitz aufgegeben werden muß (vgl. u. a. Erk. 31.3.1987, Zl. 86/07/0284).
Zu der Absicht, sich an einem bestimmten Ort niederzulassen, hat der VwGH in dem zitierten Erkenntnis unter anderem ausgeführt, daß als solche Umstände gelten:
Etwa die Dauer eines Mietvertrages, der Umfang getätigter wirtschaftlicher Investitionen, das Vorhandensein einer Dauererwerbsmöglichkeit, ein länger dauernder Dienstvertrag, das Eingehen einer Lebensgemeinschaft mit einer Person, von der die Aufgabe ihres bisherigen Wohnsitzes allgemein nicht erwartet werden kann, die Übernahme der Pflege dauenrd und pflegebedürftiger Angehöriger. Der Aufenthaltsort muß bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werden, es darf sich bei dieser Wahl nicht um eine Provisorialmaßnahme handeln (vgl. Erk. 17.11.1977, Zl. 1577, 1578/77 und die dort zitierte Lehre und Rechtsprechung).
Anhand der Judikatur des VwGH vom 11.9.1985, Zl. 85/03/0065, ist im gegenständlich vorliegenden Fall die Bestimmung des § 64 Abs 1 KFG heranzuziehen; darin wird ausgeführt, der Berufungswerber wäre mangels Bestätigung gemäß § 79 Abs 3 KFG verpflichtet gewesen, beim Lenken eines Kraftfahrzeuges eine nach den österreichischen Vorschriften erteilte Lenkerberechtigung zu besitzen. Da er zur Tatzeit dennoch unbestritten ein Kraftfahrzeug ohne eine österreichische Lenkerberechtigung lenkte, verstieß er dadurch, da in diesem Falle § 64 Abs 5 KFG nicht zu Anwendung kommt, gegen § 64 Abs 1 KFG, welche Bestimmung die verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit b VStG darstellt. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein klassisches Beispiel dafür, daß der Berufungswerber einen Doppelwohnsitz hat. In Rumänien befindet sich seine Familie, die der Berufungswerber in regelmäßigen Zeitabständen mit seinem Kraftfahrzeug zu Hause besucht und für diese Familie auch unterhaltspflichtig ist. In Österreich hingegen hat der Berufungswerber einen länger dauernden Dienstvertrag und stellt dieser Erwerb den wirtschaftlichen Mittelpunkt dar. In Österreich hat der Berufungswerber seit mehr als einem Jahr vor der Tat (28.1.1993) erwiesenermaßen einen weiteren Wohnsitz durch 1.) ein unbefristetes Dienstverhältnis bei der Firma V seit 27.8.1990, 2.) verschiedene Anmeldungen im Stadtgebiet von L beginnend mit 21.11.1990 und 3.) eine Wohnmöglichkeit im Betrieb seit 14.12.1992 begründet. Somit wäre der Berufungswerber angehalten gewesen, diesen Umstand der Wohnsitzbehörde (BPD Leoben) mitzuteilen und bei dieser Behörde um Erteilung einer Doppelwohnsitzbestätigung im Sinne des § 79 Abs 3 KFG anzusuchen. Unbestrittenermaßen ist der Berufungswerber nicht im Besitze einer derartigen Doppelwohnsitzbestätigung. Der Berufungswerber hat selbst ausgeführt, er habe sich die Lenkerberechtigung in Rumänien erworben und den Führerschein ausstellen lassen, da dies wesentlich preisgünstiger als in Österreich ist. Warum Herr B innerhalb der Frist des § 64 Abs 5 KFG diese Lenkerberechtigung nicht auf einen österreichischen Führerschein umschreiben ließ, konnte im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht geklärt werden. Nach der Judikatur des VwGH hat Herr B einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich begründet und die Wohnsitzkriterien erfüllt. Montagearbeiten innerhalb des Bundesgebietes in Österreich und Besuche der Familienangehörigen in Rumänien, können nicht die Qualifikation der Wohnsitznahme in Österreich ausschließen. Das Bestehen eines weiteren ordentlichen Wohnsitzes im Ausland ist ebenfalls durch die Tatsache gegeben, als daß die Familie des Berufungswerbers in Rumänien wohnt und von diesem regelmäßig besucht wird.
§ 84 KFG ist nicht anzuwenden, da der Berufungswerber im Bundesgebiet einen Wohnsitz hat, die Verwendung des Führerscheines auf Grund der Regelung des § 79 Abs 3 KFG ist mangels des Vorliegens einer Doppelwohnsitzbestätigung unzulässig. Die Bestimmung des § 64 Abs 5 KFG kommt nach der Judikatur des VwGH ebenfalls nicht zum Zuge, sodaß die von der BPD Leoben ausgesprochene Bestrafung zu Recht erfolgte.
Zum Ausmaß des Verschuldens ist anzuführen:
Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Die Lenkerberechtigung ist das von der Behörde erteilte Recht, Kraftfahrzeuge einer oder mehrerer bestimmter Gruppen zu lenken. Dieses Recht erlischt nur, wenn und insoweit die Lenkerberechtigung von der Behörde, in deren ordentlichen Wirkungsbereich ihr Besitzer seinen ordentlichen Wohnsitz hat, entzogen wird (§ 73). Der Führerschein ist die von der Behörde ausgestellte Bestätigung über die Erteilung dieses Rechtes (§ 71). Die Bestimmung des § 64 KFG stellt nach den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches eine Schutznorm dar, die gewährleisten soll, daß nur ausreichend geistig und körperlich befähigte Personen ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen in Österreich lenken sollen. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich bei dem Berufungswerber nicht in Abrede zu stellen, er hat jedoch seine gültig in Rumänien erworbene Lenkerberechtigung nicht auf einen österreichischen Führerschein umschreiben lassen.
Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Mildernd war die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerber zu werten und die Tatsache, daß die vom Berufungswerber begangene Tat keine negativen Folgen nach sich gezogen hat. Unter Berücksichtigung der dargelegten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse fand der Unabhängige Verwaltungssenat, daß eine verhängte Geldstrafe im Ausmaß von S 1.000,-- als ausreichend angesehen werden muß, den Berufungswerber von weiteren Übertretungen des KFG abzuhalten. Dies schon deshalb, da er das gesamte in Österreich verbrauchte Einkommen seiner Familie nach Rumänien mitbringt. Rechtsirrtum wurde in der Berufung nicht behauptet und wäre auch ein allenfalls vorliegender nicht als unverschuldet einzustufen, zumal sich Herr B seit 1990 in Österreich aufhält, auch in Österreich sein Kraftfahrzeug zulassen ließ, sodaß er zumindestens bis zur Begehung der Tat genügend Zeit gehabt hätte, sich mit den wesentlichen gesetzlichen Bestimmungen auseinanderzusetzen.
Der Ausspruch über den Ersatz der Verfahrenskosten war eine Folge der Bestrafung und stützt sich auf die im Spruch angeführte Gesetzesstelle.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.